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Entscheidungen

OWi

Akteneinsicht. gesamte Messreihe, privater Sachverständiger

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Fürth, Beschl. v. 22.06.2021 - 4511 OWi 709 Js 105159/21

Leitsatz: Aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren ergibt sich daher, dass auch ein privater Gutachter Einsicht in die gesamte Messreihe bekommen muss.


Amtsgericht Fürth
451 OWi 709 Js 105159/21

In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

Rechtsanwalt

wegen OWi StVO

erlässt das Amtsgericht Fürth durch den Richter am Amtsgericht am 22. Juni 2021 folgenden Beschluss

I. Dem Bayerischen Polizeiverwaltungsamt - Zentrale VOWi-Stelle - wird aufgegeben, die gesamte Messreihe zur Messung vom 30.12.2020 mit dem Geschwindigkeitsmessgerät PoliScanSpeed, Geräte-Nummer 642207 im Zeitraum von 12.56 Uhr bis 18.10 Uhr in unverschlüsselter Form - ggfls. anonymisiert - dem seitens der Verteidigung der Betroffenen beauftragten Sachverständigenbüro pp. auf Kosten der Betroffenen zu übermitteln.
II. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Betroffenen trägt die Staatskasse.

Gründe:

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung des anwaltschaftlichen Vertreters der Betroffenen ist gemäß § 62 Abs. 1, Abs. 2 OWiG zulässig und begründet.

Das Bayerische Polizeiverwaltungsamt begründet die Versagung der seitens des beauftragten Sachverständigen gewünschten Datensatzes zur Messserie vom 30.12.2020, 12.56 Uhr bis 20.12.2020, 18.10 Uhr zwecks Erstellung eines schriftlichen Privatgutachtens mit der Entscheidung des BayObLG vom 04.01.2020, Az. 202 ObOWi 1532/20, demzufolge kein Anspruch des Betroffenen und seiner Verteidigung auf Einsichtnahme und Überlassung der (digitalen) Daten der gesamten Messreihe bestünde. Zudem stünden Gründe des Datenschutzes entgegen.

Ausgangssachverhalt des Beschlusses des BayObLG vom 04.01.2021 war folgender Sachverhalt:

Der Betroffene soll innerorts anstelle erlaubter 30 km/h mit 70 km/h gefahren sein. Er wurde vom Amtsgericht, nachdem er gegen einen Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt hatte, am 04.08.2020 zu einer Geldbuße von 320,-- Euro sowie einem Fahrverbot von 1 Monat verurteilt. Gegen dieses Urteil legte er Beschwerde ein und rügte die Verletzung formellen Rechts. Das Verfahrensrecht werde „durch einen Verstoß gegen den Grundsatz auf faires Verfahren“ verletzt. Auch sei rechtliches Gehör nicht in ausreichendem Maß gewährt werden. Der Betroffene hatte schon bei seiner Anhörung gegenüber der Behörde beantragt, die Rohmessdaten und die Messreihe des gesamten Tattages einsehen zu dürfen. Er wollte die Ordnungsmäßigkeit der Geschwindigkeitsmessung im standardisierten Messverfahren prüfen. Diesen Antrag hat der Betroffene mit Schreiben vom 04.03., 12.03., 24.03. sowie 21.07.2020 gestellt, wiederholt und darüber hinaus als Beweisantrag formuliert nochmals in der Hauptverhandlung vom 04.08.2020 eingebracht.

Das Amtsgericht hat die beantragten Verfügungen nicht erlassen und darauf hingewiesen, dass das, was begehrt werde, nicht Inhalt der Bußgeldakten sei. Der Bußgeldsenat des BayObLG hat in der hier vorliegenden Sache entschieden, dass durch die bloße Versagung der Einsichtnahme bzw. die Ablehnung der Überlassung von nicht zu den Bußgeldakten gelangten sogenannten Rohmessdaten das rechtliche Gehör des Betroffenen regelmäßig nicht verletzt werde. Ein Anspruch des Betroffenen und seiner Verteidigung auf Einsichtnahme und Überlassung der (digitalen) Dateien der gesamten Messreihe bestehe ebenfalls nicht. Der Bußgeldsenat wies in seiner Entscheidung darauf hin, dass eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht vorliege, weil der Schutz-bereich des Art. 103 GG nicht berührt sei. Es gehe um die Frage, ob das Gericht sich und den Prozessbeteiligten Kenntnis von Sachverhalten erst verschaffen will, die es selbst nicht kennt. Es sei nicht Sinn des Art. 103 GG, beim Gericht zu erzwingen, dass dieses ihm nicht bekannte Tat-sachen eruiere.

Allerdings erachtete der Bußgeldsenat das Recht auf ein faires Verfahren für verletzt. Der Antragsteller habe nicht einen konkreten Beweisantrag gestellt, sondern er habe gerügt, dass es ihm verwehrt sei, zu prüfen, ob ein solcher Antrag gestellt werden könne.

Der hiesige Sachverhalt ist insoweit identisch, als der anwaltschaftliche Vertreter der Betroffenen bereits im Vorverfahren mit Schriftsatz vom 26.01.2021 gegenüber dem Bayerischen Polizeiverwaltungsamt u.a. die zur Verfügungstellung u.a. der gesamten digitalen Messreihe der verfahrensgegenständlichen Messung, ggfls. in anonymisierter Form, beantragte.

Im Schriftsatz vom 01.06.2021 nimmt der anwaltschaftliche Vertreter der Betroffenen Bezug auf das Gebot fairer Verfahrensführung unter Bezugnahme auf eine Vielzahl von Entscheidungen u.a. des Bundesverfassungsgerichtes.

Die Ablehnung der Herausgabe des angeforderten Datensatzes beschränkt den Betroffenen in seinen Rechten auf eine sachgemäße Vereidigung. Es ist zwischenzeitlich Standard einer - aus Sicht der Anwaltschaft - ordnungsgemäßen Verteidigung, die Messung durch ein entsprechendes Privat-Sachverständigengutachten überprüfen zu lassen. Aus rechtlicher Sicht ist diese Vorgehensweise nicht zu beanstanden. Aus zahlreichen seitens des Gerichts erholten Gutachten im Bereich Geschwindigkeitsmessung, insbesondere mit dem Messgerät PoliScanSpeed ist gerichtsbekannt, dass Gutachter hierbei grundsätzlich die gesamte Messreihe überprüfen, weil nur auf diesem Wege eventuelle Messfehler mit der erforderlichen Sicherheit ans Tageslicht gebracht werden können. Allein die Auswertung der konkreten, dem Bußgeldbescheid zugrunde liegenden Messung, ist zur umfassenden Prüfung nicht ausreichend. Aus dem Anspruch auf ein faires Ver-fahren ergibt sich daher, dass auch ein privater Gutachter im vorbezeichneten Umfang Einsicht in die gesamte Messreihe bedarf.

Datenschutzrechtliche Gründe können dem berechtigten Anspruch nicht entgegengehalten werden, da Möglichkeiten bestehen, die Daten zu anonymisieren. Inwieweit der hierfür erforderliche Aufwand der Verteidigung in Rechnung gestellt werden kann, hat das Bayerische Polizeiverwaltungsamt zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 62 Abs. 2 Satz 2 OWiG, 476 Abs. 1 StPO.


Einsender: RA S. Jungkunz, Nürnberg

Anmerkung:


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