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Entscheidungen

Zivilrecht

VW-Abgasskandal, Schadensersatz, sittenwidriges Handeln

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Urt. v. 20.09.2021 – 8 U 176/20

Leitsatz: Das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit einem Dieselmotor stellt nicht allein deshalb ein sittenwidriges Handeln i.S.d. § 826 BGB dar, wenn dieser Motor mit einer Software versehen ist, die ab dem Zeitpunkt, zu dem die Restmenge im AdBlue-Tank des SCR-Katalysators nur noch für eine Restreichweite von 2.400 km ausreicht, unter besonders dynamischen Fahrbedingungen die Eindüsungsrate geringfügig reduziert.


In pp.

Die Berufung des Klägers gegen das am 09.09.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Arnsberg wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung aus beiden Urteilen jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der jeweils aufgrund der Urteile vollstreckbaren Beträge abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Kauf eines gebrauchten Fahrzeugs K (..) 3.0 (..) TDI.

Am 04.09.2017 kaufte der Kläger bei der Z GmbH & Co. KG das streitgegenständliche Fahrzeug K (..), 3.0 TDI 200 kW, EU6, EZ 19.05.2016 (Motorkennung CRTD) zu einem Kaufpreis von 43.888,00 EUR und mit einem Kilometerstand von 31.040 km (Anlage K 1a). Das Fahrzeug wurde am 29.09.2017 an den Kläger ausgeliefert und der Kaufpreis in Rechnung gestellt. Zur Finanzierung des Fahrzeugkaufs schloss der Kläger einen Darlehensvertrag in Form eines sog. "VarioCredits" ab, der ein verbrieftes Rückgaberecht des Klägers vorsieht. Ab dem 15.11.2017 zahlte der Kläger monatliche Raten in Höhe von 366,00 EUR. Am 15.10.2020 war die Schlussrate in Höhe von 31.837,28 EUR fällig, die der Kläger ebenfalls über ein Darlehen finanzierte.

Der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs, der die interne Typbezeichnung MotortypK01 trägt, wurde von der Beklagten entwickelt und hergestellt. Die Senkung der Stickstoffemissionen des Fahrzeugs erfolgt über die sog. Abgasrückführung und mittels eines SCR-Katalysators. Die Wirkungsweise des AGR-Systems wird in bestimmten Temperaturbereichen reduziert bzw. abgeschaltet (sog. Thermofenster).

Das Fahrzeug des Klägers war im Jahr 2018 von einem verpflichtenden behördlichen Rückruf betroffen. Das von der Beklagten in Abstimmung mit dem Kraftfahrt-Bundesamt entwickelte Software-Update wurde am 12.11.2018 freigegeben (Anlage B 4) und vor Klageerhebung auf die Steuerungssoftware des streitgegenständliche Fahrzeugs aufgespielt.

Der Kläger forderte die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 14.01.2020 unter Fristsetzung bis zum 31.01.2020 auf, bis dahin geleistete Darlehensraten in Höhe von 9.150,00 EUR zu zahlen und ihn von noch ausstehenden Darlehensraten freizustellen (Anlage K 18).

Der Kläger hat seine Schadensersatzforderung auf die Verwendung mindestens einer unzulässigen Abschalteinrichtung gestützt. Er hat behauptet, sein Fahrzeug verfüge über eine Software in der Motorsteuerung, welche im NEFZ-Prüfstand die Aufwärmfunktion für den SCR-Katalysator aktiviere, um so die Schadstoffemissionen zu verringern. Im realen Straßenbetrieb sei diese Funktion deaktiviert. Es sei ebenso anzunehmen, dass die Beklagte ein sogenanntes Thermofenster verwende. Die Abschalteinrichtung führe zu einer Abschaltung bzw. Reduzierung der Abgasnachbehandlung außerhalb eines knapp kalkulierten Thermofensters zwischen 20-25° Celsius. Der Vorstand der Beklagten habe Kenntnis von dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung gehabt. Hierdurch habe der Vorstand zum Zweck der Gewinnmaximierung eine Schädigung der Käufer zumindest in Kauf genommen. Wenn er - der Kläger - von unzulässigen Abschalteinrichtungen in seinem Fahrzeug gewusst hätte, hätte er das Fahrzeug nicht erworben. Durch das Software-Update habe er Nachteile insbesondere in Bezug auf Haltbarkeit und Kraftstoffverbrauch zu befürchten.

Die Beklagte ist der Schadensersatzforderung des Klägers mit näheren Ausführungen entgegengetreten. In Bezug auf den angeordneten Rückruf hat sie bestritten, dass die als Anlage K3 zur Klageschrift vorgelegte Pressemitteilung das streitgegenständliche Fahrzeug betrifft. Hintergrund der Rückrufanordnung sei vielmehr die Arbeitsweise der sog. aktiven Restreichweiten-Warnung.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien erster Instanz sowie ihrer Anträge wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der geltend gemachte Schadensersatzanspruch stehe dem Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB seien nicht erfüllt. Dabei könne dahinstehen, ob es sich bei der in der Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs vorhandenen Aufheizfunktion bzw. der Software zu deren Aktivierung oder dem - insoweit lediglich vermuteten - sog. Thermofenster um unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 handele. Denn das bloße Vorhandensein einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung genüge für sich noch nicht, um einen Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung auszulösen. Die Verwendung von sog. Thermofenstern sei gerichtsbekannt bei Dieselfahrzeugen aller Hersteller weit verbreitet. Die Beschränkung der Abgasreinigung auf bestimmte Temperaturbereiche diene gerade dem Schutz und der Dauerhaltbarkeit von Motorbauteilen. Vor diesem Hintergrund sei eine besondere Verwerflichkeit des Handelns der Beklagten gegenüber dem Kläger zweifelhaft. Jedenfalls fehle es aber an den subjektiven Voraussetzungen der §§ 826, 31 BGB. Allein aus dem Umstand, dass das streitgegenständliche Fahrzeug von einem Rückruf des KBA betroffen sei, folge nicht zwingend ein bedingter Schädigungsvorsatz der Beklagten bzw. ihrer vertretungsberechtigten Organe. Auch hier gelte, dass vor dem Hintergrund der Vorschriften der VO (EG) 715/2007 im Hinblick auf eine variable Abgasnachbehandlung nicht jede technische Einrichtung von vornherein als unzulässige Abschalteinrichtung erkannt werden müsse. Selbst wenn der Vorstand der Beklagten davon gewusst hätte, dass die Aktivierung der in dem streitgegenständlichen Fahrzeug befindlichen Aufheizfunktion nahezu nur im Prüfstand stattfinde, und er vorhergesehen habe, dass ein Software-Update notwendig werden könne, sei damit nicht zugleich ein Vorsatz im Hinblick auf eine denkbare Schädigung der Kunden gegeben. Der Kläger habe ebenfalls keinen Anspruch aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB. Eine rechtswidrige Täuschung des Klägers sei aus den vorbenannten Gründen ebenso nicht ersichtlich wie ein entsprechender Vorsatz der Beklagten. Schadensersatzansprüche aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 4 Abs. 1 und 2, 5 Abs. 2 (VO) EG 715/2007 bzw. i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV schieden aus, da es bereits an der Schutzgesetzeigenschaft der genannten Vorschriften fehle.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine Schadensersatzansprüche weiterverfolgt und seine Anträge an die geänderte Situation (Finanzierung der Schlussrate mittels eines Kredites der Ybank) anpasst. Er macht geltend, der Einbau einer illegalen Software im streitgegenständlichen Fahrzeug und in hunderttausenden weiteren Fahrzeugen mit den V6 3.0l Diesel- und V8 4.2l Diesel-Motoren sei durch die Beklagte sittenwidrig und vorsätzlich erfolgt. Aufgrund der verbauten unzulässigen Abschalteinrichtung sei das Fahrzeug zum Erwerbszeitpunkt nicht in der Lage gewesen, den nach EU6-Norm erforderlichen Grenzwert von 80 mg Stickoxid (NOx)/km unter normalen Betriebsbedingungen einzuhalten, wie sich aus Messungen der Deutschen Umwelthilfe (Anlage BK 4) ergebe. Das Erstgericht habe verkannt, dass die Beklagte die Programmierung einer Aufheizstrategie nicht bestritten habe. Es handele sich dabei um eine faktische Prüfstanderkennung, die auf die Rahmenbedingungen des Prüfzyklus reagiere und (fast) nur dort die Emissionen mindere, so dass im Ergebnis genauso getäuscht werde wie durch die sog. "Umschaltlogik." Damit sei auch der Vorsatz der Beklagten hinreichend dargelegt worden. Abschalteinrichtungen seien ohne weiteres unzulässig. Es sei in erster Instanz nur streitig gewesen, ob für die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung ein Ausnahmetatbestand greife, die Programmierung also aus Motorschutzgründen ausnahmsweise zulässig sei; die Darlegungs- und Beweislast hierfür liege bei der Beklagten, die dafür aber nichts vorgetragen habe. Die bloße Tatsache, dass sich offenbar mehrere Hersteller dieser Abschalteinrichtung bedient hätten, um die gesetzlichen Grenzwerte einzuhalten, könne keine Rechtfertigung darstellen. Er bestreite, dass die Beklagte die Programmierung in vollem Umfang dem Kraftfahrt-Bundesamt gemeldet habe. Die Beklagte habe nicht dargelegt, dass sie den Erfordernissen im Typgenehmigungsverfahren, die sich aus Art 3 Abs. 9 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008 ergäben, nachgekommen sei. Die Beklagte habe auch nichts dazu vorgetragen, ob oder wie sie eine Prüfung der einschlägigen EU-Normen durchgeführt habe. Wenn sie sich auf einen Verbotsirrtum berufen wolle, sei sie in der Darlegungs- und Beweislast dafür, dass dieser für sie unvermeidbar gewesen sei. Zudem habe sich das Erstgericht nicht mit seinem Vortrag zu den Merkmalen und der Entstehungsgeschichte der in dem Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs verbauten unzulässigen Abschalteinrichtungen aus dem Schriftsatz vom 26.08.2020 auf S. 6 ff. auseinandergesetzt. Er habe breit u.a. zur Entstehungsgeschichte der auch im streitgegenständlichen Fahrzeug verwendeten Abschalteinrichtung "Strategie D" ausgeführt und Unterlagen vorgelegt, welche das systematische Vorgehen der Beklagten belegten. Das Gericht hätte bei zutreffender Würdigung auch erkennen müssen, dass eine Haftung nach § 823 Abs. 2 i.V.m. Schutzgesetzen anzunehmen sei, und zwar sowohl nach § 823 Abs. 2 i.V.m § 263 StGB wie auch nach § 823 Abs. 2 i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 14.615,79 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, abzüglich der Zahlung einer Nutzungsentschädigung in EUR pro gefahrenem km seit dem 04.09.2017, die sich nach folgender Formel berechnet:

(43.888,00 EUR x gefahrene Kilometer) : 400.000 km

zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn aus allen Verbindlichkeiten aus dem Darlehensvertrag mit der Ybank vom 15.10.2020 zum Darlehenskontos Darlehen01 in Höhe von derzeit 30.729,12 EUR freizustellen;

jeweils Zug um Zug gegen Abtretung des Herausgabe- und Übereignungsanspruchs bzgl. des Fahrzeugs K (..) 3.0 TDI, FIN: FIN01, aus dem oben genannten Darlehensvertrag sowie dem Sicherungsübereignungsvertrag mit der Ybank;

3. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des PKWs des Klägers, K (..) 3.0 TDI, FIN: FIN01, in Annahmeverzug befindet.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil mit näheren Ausführungen. Das Landgericht sei zutreffend und frei von Rechtsfehlern zu dem Schluss gekommen, dass dem Kläger keine deliktischen Ansprüche gegen sie zustünden. Für das hier streitgegenständliche Fahrzeug liege ein verbindlich angeordneter Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts vor. In dem diesem Rückruf zugrunde liegenden Bescheid gehe das Kraftfahrt-Bundesamt davon aus, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz komme. Deshalb biete der Hersteller eine für den Halter kostenlose technische Maßnahme an. Das für Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs angebotene Software-Update betreffe lediglich die Arbeitsweise des SCR-Katalysators, wenn der Harnstoff (AdBlue) nur noch für eine voraussichtliche Restreichweite von 2.400 km ausreiche (aktive Restreichweiten-Warnung). Weitere Strategien, die das Kraftfahrt-Bundesamt als unzulässig eingestuft habe, kämen im streitgegenständlichen Fahrzeug nicht zum Einsatz. Insbesondere verfüge das Fahrzeug nicht über die bei anderen Fahrzeugen eingesetzten Einrichtungen, die als Strategien A bis D bezeichnet würden. Ebenso werde bestritten, dass sich der als Anlage BK 3 vorgelegte Rückrufbescheid auf das streitgegenständliche Fahrzeug beziehen solle. In dem Motorsteuergerät des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei der Softwareprogrammcode einer Warmlaufmodusfunktion zwar im Grundsatz angelegt, allerdings sei diese für die Einhaltung der EU6-Abgasgrenzwerte nicht relevant. Nach Bekanntwerden der Dieselthematik habe sie die von ihr entwickelten V-TDI Dieselmotoren umfassend überprüft und das Vorhandensein der Motorwarmlauffunktionen gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt bei der Vorstellung des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps offen gelegt, ein darauf gestützter Rückruf sei nicht erfolgt. Das Fahrzeug verfüge über eine wirksame EG-Typgenehmigung für seine entsprechende Emissionsklasse und habe dem genehmigten Typ zu jeder Zeit entsprochen. Auch drohe weder ein Widerruf der bestehenden EG-Typgenehmigung noch das Erlöschen der Betriebserlaubnis kraft Gesetzes gemäß § 19 StVZO. Ungeachtet des klägerischen Vortrags zum Temperaturbereich des Thermofensters (der ohne Bezug zum konkreten Fahrzeug erfolge) handele es sich bei dem Thermofenster nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. d. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 715/2007, da es zum Bauteileschutz verwendet werde und damit gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit a) der VO zulässig sei. Hiervon gehe auch das Kraftfahrt-Bundesamt aus. Es fehle zudem an der erforderlichen Kausalität zwischen dem Schädigungsvorwurf und der Entscheidung des Klägers zum Abschluss des Vertrags. Ein Anspruch aus § 826 BGB scheide zudem auch deshalb aus, weil dem Kläger nach den Bedingungen des "VarioCredits", mit dem er den Fahrzeugkauf finanziert habe, ein "verbrieftes Rückgaberecht" zustehe, von dem er jedoch keinen Gebrauch gemacht, sondern die Schlussrate bei Fälligkeit am 20.10.2020 in Kenntnis des für das streitgegenständliche Fahrzeug bestehenden Bescheids des KBA beglichen habe. Damit habe er bewusst das allgemeine Gebrauchtwagenrisiko sowie das angebliche Risiko nachteiliger wirtschaftlicher Folgen aufgrund des bestehenden Bescheids des KBA sowie einer Fahrzeugstilllegung in Kauf genommen. Bei unterstelltem Schadensersatzanspruch dürfe die Berechnung des abzuziehenden Nutzungsvorteils nicht anhand der linearen Methode, sondern auf Basis der sog. "Ingolstädter Formel" erfolgen, die zu einer höheren Einzelfallgerechtigkeit führe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der zu den Gerichtsakten gereichten Unterlagen verwiesen.

Der Senat hat mit Verfügung vom 22.03.2021 die Einholung einer amtlichen Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes angeordnet, die das Kraftfahrt-Bundesamt unter dem 29.06.2021 erstattet hat und die den Parteien zur Verfügung gestellt wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der schriftlichen Auskunft verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet, denn die Beklagte schuldet dem Kläger keinen Schadensersatz aufgrund des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs K (..) 3.0 TDI.

1.

Berufungsanträge zu 1) und 2): Anspruch auf Zahlung und Freistellung Zug um Zug gegen Abtretung des Herausgabe- und Übereignungsanspruchs bzgl. des Fahrzeugs K (..) 3.0 TDI

a)

Der geltend gemachte Anspruch folgt nicht aus §§ 826, 31 BGB oder §§ 826, 831 BGB, denn eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Klägers durch die Beklagte, die kausal für den Abschluss eines ungewollten Kaufvertrages über das streitgegenständliche Fahrzeug wurde, liegt nicht vor.

aa)

Sittenwidrig ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dabei genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Die Verwerflichkeit kann sich dabei auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris, Rn. 15; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, juris, Rn. 29).

bb)

Anders als in den Verfahren betreffend den Dieselmotor der Baureihe EA189, zu denen die vorgenannten Urteile des Bundesgerichtshofs sowie die weiteren Urteile vom 30.07.2020 (VI ZR 397/19) und vom 06.07.2021 (VI ZR 40/20) ergangen sind, ist im Streitfall nicht davon auszugehen, dass die Beklagte das Emissionsverhalten des streitgegenständlichen Fahrzeugs bewusst und gewollt so manipuliert hat, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden, wodurch im Kosten- und damit auch Gewinninteresse eine bewusste Täuschung der zuständigen luxemburgischen Genehmigungsbehörde SNCH und damit auch mittelbar eine Täuschung künftiger Fahrzeugkäufer verbunden wäre.

(1) aktive Restreichweitenerkennung

Aufgrund der amtlichen Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 29.06.2021 steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der verbindliche Rückruf für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp nicht wegen einer vorsätzlichen Manipulation des Abgasverhaltens im Prüfstandbetrieb erfolgte, sondern den von der Beklagten behaupteten Hintergrund hat.

(1.1)

Die Beklagte hat zum Hintergrund des behördlichen Rückrufs vorgetragen, vor dem Update sei der Betrieb des SCR-Katalysators so eingestellt gewesen, dass es in seltenen und außergewöhnlichen Fahrweisen zu einer Herabsetzung des Wirkungsgrads der AdBlue-Einspritzung in den SCR-Katalysator kommen könne. Dies sei aber lediglich dann der Fall, wenn die Restmenge AdBlue im Tank nur noch für eine verbleibende Fahrstrecke von 2.400 km ausreiche und der Fahrer das Fahrzeug über eine längere Zeit hochlastig und dynamisch bewegt habe - z. B. über längere Zeit hohe Geschwindigkeit, Anhängerbetrieb, dynamische Wechsel zwischen Vollgas und Bremsen. Untersuchungen hätten ergeben, dass dieser Ausnahmefall im normalen Fahrzeugbetrieb praktisch kaum vorkomme. Führe der Fahrer dennoch kein neues AdBlue zu, könne der Motor des Fahrzeugs nicht mehr neu gestartet werden, wenn die Restreichweite auf 0 Kilometer gefallen sei. Für das Erlangen der Emissionsklasse EU6 sei dies irrelevant und habe auch nichts mit dem Emissionsausstoß des Fahrzeugs bei vollerem AdBlue-Tank zu tun. Durch das Software-Update werde die soeben beschriebene Funktion deaktiviert, was nach der Freigabebestätigung des KBA nicht zu negativen Auswirkungen im Hinblick auf Kraftstoffverbrauchswerte, CO2-Emissionswerte, Motorleistung, maximales Drehmoment, Geräuschemissionen und Dauerhaltbarkeit der emissionsmindernden Einrichtungen führe. Der Kläger ist diesem substantiierten Vorbringen nicht etwa entgegen getreten, sondern hat gemeint, in seinem Fahrzeug komme (auch) eine manipulierte Aufheizstrategie mit den Einzelstrategien A bis D zum Einsatz.

(1.2)

Das Kraftfahrt-Bundesamt hat in seiner amtlichen Auskunft vom 29.06.2021 die Richtigkeit des Vortrags der Beklagten bestätigt und u.a. ausgeführt, bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug müsse sich nach Anhang XVI der Verordnung (EU) Nr. 692/2008 zur Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ein Aufforderungssystem aktivieren, sobald noch eine Strecke von mindestens 2.400 km gefahren werden könne, bevor der Reagensbehälter leer werde. Bei dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp werde nach Aktivierung des Aufforderungssystems nicht über die gesamte Restreichweite des Fahrzeugs gleich viel Reagens in den SCR-Katalysator eingedüst (bezogen auf vergleichbare Betriebsbedingungen vor Erreichen der Restreichweite). Durch die Limitierung der Eindüsung von Reagens gegenüber einem vergleichbaren Betrieb vor Aktivierung des Aufforderungssystems liege eine Verminderung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems vor. Nach Auffassung des Kraftfahrt-Bundesamtes ergebe sich aus der Vorschrift zwar nicht klar, ob das Reagens unter allen möglichen Umständen mindestens 2.400 km oder aber nur bei einem "mittleren" Betriebsprofil 2.400 km ausreichen müsse. Jedoch verbiete die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 explizit das Vorhandensein von Abschalteinrichtungen bzw. gestatte sie nur unter in Artikel 5 bestimmten Bedingungen, welche hier allesamt nicht zuträfen, sodass insgesamt festzustellen sei, dass durch diese Strategie die Wirksamkeit des Abgasnachbehandlungssystems unzulässig verringert werde. Zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit der im Verkehr befindlichen Fahrzeuge seien vorliegend die unzulässigen Abschalteinrichtungen mittels geeigneter Maßnahmen zu entfernen. Die zur Begründung der Freigabe im Auftrag der Behörde durchgeführten Messungen hätten nach erfolgtem Software- bzw. Kalibrierungsupdate sowohl auf dem Rollenprüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) als auch mit Hilfe von mobilen Emissionsmessungen (Portable Emission Measurement System (PEMS)) auf der Straße stattgefunden. Die bei den PEMS-Messungen beobachteten Realemissionen seien zwar gesetzlich nicht reglementiert, es habe jedoch festgestellt werden können, dass die Abgasnachbehandlung nunmehr korrekt arbeite.

(1.3)

Hieraus ergibt sich, dass die bis zu dem Software-Update vorhandene Konfiguration der sog. aktiven Restreichweitenerkennung keine sittenwidrige Schädigung des Klägers begründet. Zwar war das streitgegenständliche Fahrzeug jedenfalls theoretisch von einem Verlust der EG-Typgenehmigung und einer Stilllegung bedroht, die der Kläger durch das Aufspielen des Software-Updates abwenden konnte. Die vom Kraftfahrt-Bundesamt gerügte Vorschriftswidrigkeit stand auch im Zusammenhang mit dem Abgasnachbehandlungssystem. Ob die rechtliche Einordnung des Kraftfahrt-Bundesamtes, dass es sich dabei um eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.v. Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handelt, zutrifft (bejahend OLG Hamm, Urteil vom 14.06.2021, 22 U 102/20, BeckRS 2021, 15608, Rn. 22 ff.), lässt der Senat offen. Denn zur Begründung einer deliktischen Haftung aus § 826 BGB genügt es nicht, dass das Fahrzeug einen Sachmangel aufweist, der darin besteht, dass es den gesetzlichen Bestimmungen nicht in allen Punkten entspricht, weil es eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweist. Es muss vielmehr eine besondere Verwerflichkeit hinzutreten, was in der Regel das Bewusstsein der handelnden Personen voraussetzt, gegen gesetzliche Bestimmungen zu verstoßen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, juris, Rn. 19; BGH, Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, juris, Rn. 28; BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, juris, Rn. 13).

(1.4)

Bei der notwendigen wertenden Gesamtbetrachtung des Verhaltens der Beklagten sind die folgenden Aspekte von Bedeutung:

(1.4.1)

Es fehlt bereits an Ansatzpunkten für eine Täuschung der Genehmigungsbehörde und damit ein Erschleichen der EG-Typgenehmigung. Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beklagten wurde nur bei einer reduzierten AdBlue-Restreichweite unter besonders dynamischen Fahrbedingungen die Eindüsrate geringfügig reduziert. Diese Reduzierung der Eindüsrate war für das Erlangen der Emissionsklasse EU6 unerheblich, da dies im Rahmen der Prüfung irrelevant war, wie die Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat.

(1.4.2)

Die Technik ist auch nicht geeignet, die Prüfstandsituation zu erkennen und die Einhaltung der Emissionen im NEFZ sicherzustellen, während es im normalen Straßenverkehr planmäßig und vorhersehbar zu einem erhöhten Stickoxidausstoß kommt. Ein Zusammenhang zwischen dem festgestellten Mangel und den Behauptungen des Klägers zu einer bewusst zu kleinen Dimensionierung des AdBlue-Tanks ist nicht schlüssig dargelegt und liegt auch nicht auf der Hand. Die Eindüsrate wurde nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten infolge der unzulässigen Konfiguration nur geringfügig reduziert. Dass die Konfiguration der aktiven Restreichweitenerkennung Teil einer auf Gewinnmaximierung ausgelegten Vermarktungsstrategie der Beklagten für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp war, ist damit nicht feststellbar. Auch die Belastung der Umwelt durch die verminderte Einspritzung von AdBlue wird sich angesichts der geschilderten Wirkungsweise im Regelfall stark in Grenzen gehalten haben (OLG Hamm, Urteil vom 14.06.2021, 22 U 102/20, BeckRS 2021, 15608, Rn. 33).

(1.4.3)

Für eine Kenntnis der Repräsentanten der Beklagten von der Reduzierung der Eindüsrate und der subjektiven Komponente der Sittenwidrigkeit hat der Kläger nichts Konkretes dargetan; es ist in tatsächlicher Hinsicht bereits offen, ob es sich dabei um eine Vorstandsangelegenheit handelt (s. OLG Hamm, Urteil vom 14.06.2021, 22 U 102/20, BeckRS 2021, 15608, Rn. 34). Anders als bei der massenhaften Verwendung einer auf die Prüfstandbedingungen zugeschnittenen Manipulationssoftware, die der Bundesgerichtshof als eine vom Vorstand zumindest gebilligte grundlegende strategische Entscheidung aufgefasst hat (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris, Rn. 29 ff.), liegt das hier nicht auf der Hand. Selbst im Fall einer Kenntnis des Vorstandes von der konkreten Ausgestaltung der Restreichweitenerkennung würde sich in Bezug auf die Sittenwidrigkeit nichts anderes ergeben, da hieraus nicht auf einen bewussten Gesetzesverstoß geschlossen werden könnte. In diesem Zusammenhang hat das Kraftfahrt-Bundesamt in seiner amtlichen Auskunft ausgeführt, dass sich aus der maßgeblichen Vorschrift (Anhang XVI der Verordnung (EU) Nr. 692/2008) nicht klar ergebe, ob das Reagens unter allen möglichen Umständen mindestens 2.400 km oder aber nur bei einem "mittleren" Betriebsprofil 2.400 km ausreichen müsse. Der Beklagten wird daher nicht zu widerlegen sein, dass sie bei der Konfiguration von einer zumindest vertretbaren Gesetzesauslegung ausging.

(1.4.4)

Selbst wenn die rechtlichen Einschätzungen der Beklagten objektiv unzutreffend gewesen sein sollten, kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte dies zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs bzw. des Erwerbs durch den Kläger auch so sah. Auch musste die Beklagte im Fall einer "Entdeckung" der Vorschriftswidrigkeit nicht mit gravierenden Konsequenzen für die betroffenen Fahrzeughalter rechnen. Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde im Mai 2016 erstmals zum Straßenverkehr zugelassen, der Kläger erwarb es im September 2017. Zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses war nicht nur den Kraftfahrzeugherstellen, sondern auch der Öffentlichkeit bekannt, dass die zuständigen Behörden selbst den VW-Abgasskandal um den Motor EA189 nicht zum Anlass genommen hatten, die hiervon betroffenen Fahrzeuge stillzulegen. Selbst bei dieser massiven Manipulation konnte die Ordnungsgemäßheit der Fahrzeuge mittels eines Software-Updates hergestellt werden. Erst recht gilt dies bei Fahrzeugen wie dem streitgegenständlichen, bei denen die Auswirkungen der Vorschriftswidrigkeit auf die Stickstoffemissionen vergleichsweise geringfügig waren.

(1.5)

Wenn ein Nichtorgan die Entscheidung zur Konfiguration der aktiven Restreichweitenerkennung getroffen hätte, würde hieraus trotzdem keine Haftung aus §§ 826, 831 BGB folgen. Ein Schädigungsvorsatz des entscheidenden Mitarbeiters und eine Sittenwidrigkeit sind nicht dargetan, insbesondere ist die Motivation für die Verwendung der Technik offen. Auch insoweit ist die vom Kraftfahrt-Bundesamt herausgestellte Ungenauigkeit der Verordnung (EG) 692/2008 zu berücksichtigen. Anhaltspunkte dafür, dass dieser Mitarbeiter von einer (hier unterstellten) Gewinnmaximierung der Beklagten profitiert hätte, sind nicht ersichtlich (OLG Hamm, Urteil vom 14.06.2021, 22 U 102/20, BeckRS 2021, 15608, Rn. 35).

(2) manipulierte Aufheizstrategie / schnelle Motoraufwärmfunktion

Im Übrigen hat der Kläger nicht hinreichend dargetan, dass sein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S.v. Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007, insbesondere einer manipulierten Aufheizstrategie bzw. schnellen Motoraufwärmfunktion, ausgestattet ist. Der Senat orientiert sich bei der Beantwortung dieser Frage an den Vorgaben des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 13.07.2021 (VI ZR 128/20, juris). Demnach ist eine Behauptung dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufgestellt worden ist (BGH, Beschluss vom 28.01.2020, VIII ZR 57/19, juris, Rn. 8; BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, juris, Rn. 22). Selbst bei der gebotenen Zurückhaltung bei der Annahme willkürlicher Darlegungen ist das Vorbringen des Klägers unbeachtlich, da er für das Vorhandensein einer Umschaltlogik oder einer anderen Manipulationssoftware zur illegalen Steuerung des Emissionsverhaltens des Fahrzeugs im Prüfstandbetrieb, die das Verdikt der Sittenwidrigkeit begründet, keine greifbaren Anhaltspunkte vorträgt.

(2.1)

Entgegen der wiederholt geäußerten Auffassung des Klägers hat die Beklagte sowohl im erstinstanzlichen Verfahren, als auch in der Berufungsinstanz hinreichend bestritten (§ 138 Abs. 3 ZPO), dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine manipulierte Aufheizstrategie mit den Einzelstrategien A bis D, die nach der Rechtsprechung des Senats eine Haftung der Beklagten begründen kann, zum Einsatz kommt. Mit seiner Stellungnahme auf den Hinweis in der Terminverfügung des Senats hat der Kläger mit Schriftsatz vom 18.03.2021 den senatsbekannten Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes zu den sog. Euro 6-Vorerfüllern vorgelegt (Anlage BK3a) und damit die in dem Hinweis angesprochene Wahllosigkeit seiner Angriffe erneut dokumentiert. Denn das streitgegenständliche Fahrzeug wurde erstmals am 19.05.2016 zum Straßenverkehr zugelassen, so dass es von vornherein die EU 6-Norm erfüllen musste und kein "Vorerfüller" sein kann.

(2.1.1)

Mit dem Schriftsatz vom 10.09.2021 hat die Beklagte ihren Vortrag zu diesem Punkt weiter substantiiert und vorgetragen, in dem Motorsteuergerät des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei der Softwareprogrammcode einer Warmlaufmodusfunktion zwar im Grundsatz angelegt; diese diene dazu, nach Motorstart schnell die erforderliche Betriebstemperatur des Katalysators zu erreichen, sodass die Emissionen effizient reduziert werden könnten. Diese Funktion sei für die Einhaltung der EU6-Abgasgrenzwerte allerdings nicht relevant. Dies sei in einem aufwändigen Prüfverfahren festgestellt worden, bei denen die Fahrzeuge den gesetzlich vorgesehenen Testzyklus NEFZ sowohl mit als auch ohne die Funktion durchfahren hätten. Im Ergebnis habe dabei keine Überschreitung der gesetzlichen Emissionsgrenzwerte festgestellt werden könne. Eine Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts liege nicht vor. Nach Bekanntwerden der Dieselthematik habe sie die von ihr entwickelten V-TDI Dieselmotoren umfassend überprüft und das Vorhandensein der Motorwarmlauffunktionen gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt bei der Vorstellung des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps offen gelegt. Da das Kraftfahrt-Bundesamt jedoch nicht von einer Unzulässigkeit ausgehe, habe es keinen Rückrufbescheid hinsichtlich der Warmlauffunktion im streitgegenständlichen Fahrzeug erlassen.

(2.1.2)

Es kann dahinstehen, ob dieses substantiierte Vorbringen als zugestanden gilt, weil der Kläger schriftlich nicht mehr hierauf erwidert und es im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.09.2021 nur einfach bestritten hat. Entscheidend ist nämlich, dass der Kläger darlegungs- und beweisbelastet für diejenigen Umstände ist, aus denen er die Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Beklagten herleiten möchte. Solche Umstände hat der Kläger nicht vorgetragen, insbesondere nicht mit seinem Schriftsatz vom 09.09.2021. Der Kläger beruft sich letztlich darauf, dass die später vom Kraftfahrt-Bundesamt vorgenommene Gesetzesauslegung eklatant falsch sei, womit die Beklagte zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs nicht habe rechnen können. Die Vorschriftswidrigkeit eines Fahrzeugs allein genügt jedoch nicht, um das Merkmal der Sittenwidrigkeit zu erfüllen, selbst wenn diese - was wiederum offenbleiben kann - in der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung liegen sollte. Der Senat verweist insoweit auf seine obigen Ausführungen zur aktiven Restreichweitenerkennung. Zum einen sind eine bewusste Täuschung und ein Erschleichen der EG-Typgenehmigung bereits nicht dargetan. Aber auch die weiteren Gründe, auf die der Bundesgerichtshof das Unwerturteil der Sittenwidrigkeit bei seinen Entscheidungen zum Aggregat EA189 gestützt hat, namentlich die unerlaubte Einflussnahme auf den Stickoxidausstoß und die Gleichgültigkeit gegenüber Aspekten des Gesundheits- und Umweltschutzes im Interesse einer Maximierung des Gewinns, sind hier nicht ersichtlich. Im Übrigen ist auch hier offen, ob die Verwendung bzw. Konfiguration der Warmlaufmodusfunktion eine Vorstandsangelegenheit war bzw. ob ein Nichtorgan sittenwidrig und mit Schädigungsvorsatz handelte.

(2.2)

Soweit sich der Kläger auf Maßnahmen in Bezug auf andere Fahrzeugmodelle des Volkswagenkonzerns beruft, handelt es sich um die Äußerung eines unzulässigen und im vorliegenden Kontext unbeachtlichen Generalverdachts in Bezug auf sämtliche 3.0l- und 4.2l-Motoren der Beklagten. Zwar muss ein behördliches Einschreiten, das ein gewichtiges Indiz für eine Manipulation darstellt, nicht zwingend vorliegen, um das Vorliegen "greifbarer Anhaltspunkte" zu bejahen (BGH, Beschluss vom 28.01.2020, VIII ZR 57/19, juris, Rn. 8). Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug bereits vom Kraftfahrt-Bundesamt überprüft wurde, ohne dass dieses als zuständige Aufsichtsbehörde Anlass zu (weiteren) Beanstandungen sah. Der Senat sieht auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 29.06.2021 unrichtig oder unvollständig sein könnte, insbesondere, dass der verbindliche Rückruf einen anderen (oder zusätzlichen) Hintergrund hat als den vom Kraftfahrt-Bundesamt mitgeteilten.

(2.3)

Der Hinweis des Klägers auf Diskrepanzen zwischen Stickoxidemissionen unter Prüfstandbedingungen und unter normalen Betriebsbedingungen auf der Straße (Anlage BK 4) genügt nicht als Anhaltspunkt für eine gezielte Manipulation des Abgasverhaltens (BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, juris, Rn. 23). Denn für die Erlangung der Typgenehmigung nach der Euronorm 6 für das streitgegenständliche Fahrzeug war allein die Einhaltung der Verbrauchs- und Grenzwerte im Rahmen des NEFZ maßgeblich, da die RDE-Grenzwerte erst seit dem 01.09.2017 für neue Fahrzeugtypen stufenweise verbindlich werden.

(2.4)

Mit dem Vorbringen zur Entstehungsgeschichte der "Strategie D" substantiiert der Kläger ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine Manipulation, denn er schildert damit lediglich die Motivation der Beklagten in Bezug auf die Entwicklung dieser Technik. Dass diese Strategie in allen V6- und V8-Motoren der Beklagten zum Einsatz kommt, ist damit weder dargelegt noch bewiesen. Im Übrigen ergibt sich aus den von dem Kläger vorgelegten Rückrufbescheiden, dass das Kraftfahrt-Bundesamt die "Strategie A" als unzulässige Abschalteinrichtung einstuft und die rechtliche Zulässigkeit der "Strategie B" bezweifelt. Auf die Verwendung der "Strategie C" und der "Strategie D" ist der Rückruf hingegen nicht gestützt.

(3) Thermofenster

Außer der Vermutung, das Fahrzeug verfüge über ein knapp kalkuliertes Thermofenster zwischen 20 und 25 Grad Celsius, hat der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren hierzu nichts Substantielles vorgetragen. Insbesondere hat er keine konkreten Tatsachen vorgetragen, die den Rückschluss auf die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Merkmals der Sittenwidrigkeit zulassen könnten. Das Vorbringen in der Klageschrift zur Sittenwidrigkeit und zum Schädigungsvorsatz ist allgemein gehalten und weist keinen Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug bzw. zur Verwendung eines Thermofensters auf. Das genügt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht zur Darlegung der Voraussetzungen eines Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB.

(3.1)

Der Kläger hat keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Steuerung der Abgasreinigung mittels des sog. Thermofensters danach unterscheidet, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet.

(3.2)

Ferner hat der Kläger keine konkreten Tatsachen vorgetragen, aus denen gefolgert werden könnte, dass die Beklagte die Genehmigungsbehörde in Bezug auf das Vorhandensein oder die Ausgestaltung des Thermofensters bewusst und gewollt getäuscht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, juris). Es ist nicht hinreichend konkret dargetan, dass die Beklagte im Zulassungsverfahren unzutreffende oder unvollständige Angaben zur Wirkungsweise der Abgasreinigung gemacht und die Typgenehmigung für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp hierdurch erschlichen hat; darlegungs- und beweisbelastet ist der Kläger. Der erstinstanzliche Vortrag in der Klageschrift und in der Replik (S. 8) ist allgemein gehalten und erschöpft sich in dem Vortrag, die Beklagte habe den Antrag zur Erteilung der EG-Typgenehmigung in dem Wissen gestellt, dass (zumindest) eine unerlaubte Abschalteinrichtung verwendet werde, welche in dem Antrag jedoch nicht offengelegt worden sei, so dass die EG-Typgenehmigung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erschlichen worden sei. Auch mit der Berufungsinstanz ergänzt der Kläger sein Vorbringen zu diesem Punkt nicht um konkrete Tatsachen, sondern bestreitet lediglich, dass die Beklagte den Erfordernissen im Typgenehmigungsverfahren nachgekommen sei (S. 9 der Berufungsbegründung). Eine Täuschung durch konkrete unzutreffende Angaben behauptet der Kläger damit nicht. Eine Täuschung durch Unterlassen ist aber ebenfalls nicht ersichtlich. Denn es ist in tatsächlicher Hinsicht offen, ob die Beklagte nach den damaligen Vorschriften zum EG-Typgenehmigungsverfahren überhaupt verpflichtet war, Einzelheiten der Funktionsweise der Abgasreinigung offen zu legen.

(3.3)

In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass der Kläger das Fahrzeug im September 2017 und damit mehr als ein Jahr nach der Veröffentlichung des Berichts der Untersuchungskommission "Volkswagen" erwarb. Zu diesem Zeitpunkt war den zuständigen Behörden seit langem bekannt, dass Thermofenster massenhaft in Dieselfahrzeugen zum Einsatz kommen, ohne dass sie einen Anlass zum Einschreiten sahen. Die behördliche Überprüfung des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps ist mit dem angeordneten Rückruf abgeschlossen; dieser erfolgte, wie sich aus der eingeholten Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes ergibt, nicht aufgrund der Verwendung des Thermofensters. Vor diesem Hintergrund legt der Kläger bereits nicht schlüssig dar, dass zum damaligen Zeitpunkt weitere Maßnahmen des Kraftfahrt-Bundesamtes in Bezug auf die Verwendung des Thermofensters drohten. Auch die Beklagte musste im Jahr 2017 nicht damit rechnen, dass Fahrzeuge, in denen ein Thermofenster zum Einsatz kommt, aufgrund der Verwendung dieser Technik noch von behördlichen Maßnahmen betroffen sein werden. Dies schließt die Sittenwidrigkeit ihres Verhaltens auch für den Fall aus, dass es sich bei dem Thermofenster tatsächlich um eine unzulässige Abschalteinrichtung handeln sollte, was der Senat offenlässt.

cc)

Der Senat kann auch nicht feststellen, dass eine etwaige Schädigungshandlung in Gestalt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung sich kausal auf die Kaufentscheidung des Klägers auswirkte. Ob hier - ebenso wie bei dem Motor EA189 - mit dem vom Bundesgerichtshof gebilligten Erfahrungssatz argumentiert werden kann, dass kein Käufer sehenden Auges ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris, Rn. 49), ist zumindest fraglich. Denn das Risiko, dass es bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug wegen der Konfiguration der Restreichweitenerkennung in der Zukunft zu einer Betriebseinschränkung oder gar Stilllegung kommen konnte, erscheint dem Senat bezogen auf den Erwerbszeitpunkt im September 2017 angesichts der Erfahrungen nach dem VW-Abgasskandal eher gering. Gleiches gilt für das Thermofenster, dessen Verwendung den zuständigen Behörden zu diesem Zeitpunkt seit mindestens einem Jahr bekannt war. Es liegt daher nicht auf der Hand, dass der Kläger sich in Kenntnis aller Umstände gegen den Fahrzeugkauf entschieden hätte.

b)

Andere Anspruchsgrundlagen scheiden aus Rechtsgründen aus.

aa)

Der Kläger kann einen Schadensersatzanspruch nicht auf § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 263 Abs. 1 StGB, 31 BGB stützen. Insoweit scheidet eine Haftung bereits mangels stoffgleichen Vermögensschadens aus, denn es besteht keine Stoffgleichheit einer etwaigen Vermögenseinbuße des Klägers, die im Erhalt einer minderwertigen Gegenleistung für den Kaufpreis liegen könnte, mit den denkbaren Vermögensvorteilen, die ein verfassungsmäßiger Vertreter der Beklagten für sich oder einen Dritten erstrebt haben könnte (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, juris, Rn. 18 ff, 24).

bb)

Auch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 12, 18 der Richtlinie Nr. 2007/46/EG, §§ 4, 6, 25 EG-FGV lässt sich der Anspruch nicht herleiten. Die genannten Vorschriften stellen keine Schutzgesetze i. S. von § 823 Abs. 2 BGB dar, wie der Bundesgerichtshof festgestellt hat. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt nicht im Aufgabenbereich der europarechtlichen Regelungen über das Typgenehmigungsverfahren (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Rn. 72 ff; Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, juris, Rn. 11, 12).

2.

Berufungsantrag zu 3): Feststellung des Annahmeverzugs

Da eine Haftung dem Grunde nach ausscheidet, befindet sich die Beklagte auch nicht mit der Entgegenahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug. Abgesehen davon bietet der Kläger der Beklagten das Fahrzeug nicht in der gebotenen Weise an (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Rn. 85). Denn er will sich ausweislich des Berufungsantrags zu 1) eine zu geringe Nutzungsentschädigung anrechnen lassen, die er ausgehend von einer zu hoch bemessenen Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 400.000 km und nach einer falschen Formel berechnet wissen will. Der Senat schätzt die zu erwartende Gesamtlaufleistung von Dieselfahrzeugen der Beklagten mit vergleichbarer Motorisierung in ständiger Rechtsprechung auf 300.000 km.

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.


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