Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

Corona

Corona, Handmassage, Tantra, Prostitutionsstätte

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 07.09.2021 – 5 RBs 224/21

Leitsatz:
1. Das bußgeldbewehrte Verbot des Betriebs von Prostitutionsstätten aus § 18 Abs. 2 Nr. 14 CoronaSchVO NRW (hier und nachfolgend in der Fassung vom 11. Mai 2020) i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 5 CoronaSchVO NRW ist rechtmäßig.
2. Ein Massagesalon, in welchem zum Abschluss der Massage entgeltlich die manuelle sexuelle Befriedigung des Kunden angeboten wird, stellt eine Prostitutionsstätte im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 5 CoronaSchVO NRW dar.
3. Betreibt der Betroffene - wie vorstehend beschrieben - verbotswidrig einen Massagesalon als Prostitutionsstätte, liegt nicht zugleich ein (tateinheitlicher) Verstoß gegen § 12 Abs. 2 Nr. 4 CoronaSchVO NRW i.V.m. der Anlage Hygiene- und Infektionsschutzstandards VI. Nr. 4 vor, wenn er Kundenkontaktdaten nicht dokumentiert.


In pp.

Die Sache wird auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich der Vorsitzenden übertragen (Alleinentscheidung des mitunterzeichnenden Einzelrichters).

Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht Essen zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat die Betroffene am 19.04.2021 wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen die Coronaschutzverordnung NRW - konkret wegen des Betriebs einer Prostitutionsstätte sowie (tateinheitlich hierzu) wegen unterlassener Dokumentation von Kundenkontaktdaten (§§ 10 Abs. 1 Nr. 5, 12 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. Anlage Nr. VI. 4., 18 Abs. 2 Nr. 14 CoronaSchVO NRW (hier und nachfolgend soweit nicht anders vermerkt in der Fassung vom 11.05.2020) i.V.m. §§ 27 Abs. 1, 32, 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG zu einer Geldbuße von 5.000 EUR verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen betreibt die Betroffene einen Massagesalon in Z. Durch Einträge in einschlägigen Internetforen entstand beim Ordnungsamt Z der Anfangsverdacht, dass in dem Massagesalon auch sexuelle Dienstleistungen angeboten werden. Zur Überprüfung vereinbarte der Zeuge A als Mitarbeiter der Stadt Z einen Massagetermin für den 15.05.2020. Im Massagesalon wurde er von der Betroffenen begrüßt und durch die gesondert verfolgte Zeugin B in ein Massagezimmer geleitet. Auf die Nachfrage des Zeugen bot die Zeugin B eine "Handentspannung" und damit eine manuelle sexuelle Befriedigung für eine zusätzliche Zahlung in Höhe von 20 EUR an. Bei der nachfolgenden Kontrolle durch das Ordnungsamt wurden Gleitgel sowie in mehreren Mülleimern verklebte Feuchttücher und mehrere Rollen Küchenpapier vorgefunden. Kundenkontaktdaten zur Nachverfolgung wurden in dem Betrieb nicht erhoben.

Gegen das Urteil wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde, mit welcher sie unter Erhebung der allgemeinen Sachrüge insbesondere beanstandet, das Amtsgericht habe sich in der Beweiswürdigung nicht mit ihrem Einwand auseinandergesetzt, dass die Zeugin B die sexuellen Dienste in eigener Regie ohne ihr Wissen angeboten habe.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Rechtsbeschwerde war zur Fortbildung des Rechts dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich der Vorsitzenden zu übertragen (§ 80 a Abs. 3 Satz 1 OWiG).

Das angefochtene Urteil wirft in materiell-rechtlicher Hinsicht entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und abstraktionsfähige Rechtsfragen auf, ob (1) der Ordnungswidrigkeitentatbestand aus § 10 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 18 Abs. 2 Nr. 14 CoronaSchVO von der Ermächtigungsgrundlage des § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gedeckt ist und ob (2) das Betreiben eines Massagesalons, in denen zum Abschluss der Massage die manuelle sexuelle Befriedigung des Kunden angeboten wird, dem generellen Verbot aus § 10 Abs. 1 Nr. 5 CoronaSchVO NRW unterfällt oder unter Einhaltung von Hygiene- und Infektionsschutzstandards nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 CoronaSchVO NRW zulässig ist.

Hinsichtlich der ersten Fragestellung sind obergerichtliche bzw. höchstrichterliche Entscheidungen im Bußgeldverfahren - soweit ersichtlich - noch nicht ergangen. Die (voraussichtliche) Rechtmäßigkeit der vollständigen Betriebsuntersagung von Prostitutionsstätten durch die verschiedensten Fassungen von Coronaschutzverordnungen ist bundesweit Gegenstand einer Vielzahl oberverwaltungsgerichtlicher Entscheidungen, die jeweils im Eilrechtsschutz getroffen wurden. Vor dem Hintergrund, dass sowohl das Infektionsgeschehen als auch die Konzepte der Landesgesetzgeber zur Infektionsbekämpfung einem ständigen Wandel unterworfen waren, ist die Fragestellung einzelfallabhängig und damit uneinheitlich beantwortet worden. Allein das Oberverwaltungsgericht Münster hatte in vier Fällen über die voraussichtliche Rechtmäßigkeit der Betriebsuntersagung von Prostitutionsstätten zu befinden. In drei Verfahren hat es diese bejaht (OVG NRW, Beschluss vom 25.06.2020 - 13 B 800/20.NE; Beschluss vom 16.11.2020 - 13 B 1655/20.NE; Beschluss vom 22.01.2021 - 13 B 1768/20.NE -, jeweils bei juris) und in einem Fall abgelehnt (OVG NRW, Beschluss vom 08.09.2020 - 13 B 902/20.NE -, juris).

Die zweite Fragestellung ist - soweit ersichtlich - ebenfalls bislang noch nicht obergerichtlich entschieden. Ob sogenannte Tantra-Massagen, bei denen es auch zur Massage der Geschlechtsorgane kommen kann, der generellen Betriebsuntersagung von Prostitutionsstätten unterfallen, wird in der Rechtsprechung divergierend beantwortet (bejahend: OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 28.08.2020 - 6 B 10864/20 -, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 30.06.2020 - 7 L 1186/20 -, juris; verneinend: VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 19.05.2020 - 20 L 589/20 -, juris; in diese Richtung auch: VG Berlin, Beschluss vom 22.07.2020 - 14 L 173/20 -, juris; offengelassen: OVG NRW, Beschluss vom 25.06.2020 - 13 B 800/20.NE und Beschluss vom 17.01.2020 - 13 B 1282/19 -, juris).

III.

Die gem. § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache (zumindest vorläufig) Erfolg.

1. Das bußgeldbewehrte Verbot des Betriebs von Prostitutionsstätten aus § 18 Abs. 2 Nr. 14 CoronaSchVO NRW i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 5 CoronaSchVO NRW ist jedenfalls für den hier maßgeblichen Tatzeitpunkt, den 15.05.2020, rechtmäßig.

a) Die Verordnungsermächtigung des § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG verstößt nach der inzwischen als gefestigt anzusehenden Rechtsprechung, welcher der Senat beitritt, insbesondere mit Blick auf die Bestimmtheit der getroffenen Regelungen und deren Vereinbarkeit mit dem Vorbehalt des Gesetzes in seiner Ausprägung als Parlamentsvorbehalt - nicht gegen höherrangiges Recht (statt aller: OLG Hamm 1. Bußgeldsenat, Beschluss vom 08.02.2021 - 1 RBs 2, 4-5/21 -, juris; OLG Hamm 4. Bußgeldsenat, Beschluss vom 28.01.2021 - III-4 RBs 3/21 -, juris; jeweils mit zahlreichen Nachweisen). Denn insbesondere lässt sich die für die Pandemiebekämpfung unerlässliche effektive Gefahrenabwehr vor dem Hintergrund, dass sich die Art der im konkreten Fall notwendigen Schutzmaßnahmen bei neu auftretenden, übertragbaren Krankheiten nicht von vornherein vorhersehen lässt, nur durch eine Generalklausel erreichen (Johann/Gabriel, in: Beck´scherOK, Stand: 01.07.2021, § 28 IfSG Rn. 5).

b) Ferner ist § 10 Abs. 1 Nr. 5 CoronaSchVO von der Verordnungsermächtigung des § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gedeckt. Die in formeller Hinsicht ordnungsgemäß zustande gekommene CoronaSchVO (OLG Hamm 1. Bußgeldsenat, Beschluss vom 08.02.2021 - 1 RBs 2, 4-5/21 -, juris; OLG Hamm 4. Bußgeldsenat, Beschluss vom 28.01.2021 - III-4 RBs 3/21 -, juris) untersagt in § 10 Abs. 1 Nr. 5 CoronaSchVO auch in materieller Hinsicht rechtmäßig den Betrieb von Prostitutionsstätten.

(1) Durch das Coronavirus SARS-CoV-2 werden seit März 2020 unzweifelhaft im gesamten Bundesgebiet übertragbare Krankheiten im Sinne von § 2 Nr. 3 IfSG bei einer Vielzahl von Menschen ausgelöst (statt aller: OLG Hamm 1. Bußgeldsenat, Beschluss vom 08.02.2021 - 1 RBs 2, 4-5/21 -, juris m.w.N.). Es ist ferner nicht fraglich, dass Betriebsuntersagungen eine Schutzmaßnahme im Sinne von § 28 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 1 IfSchG darstellen können (OVG NRW, Beschluss vom 25.06.2020 - 13 B 800/20.NE -, juris)

(2) Die durch die hier maßgebliche Coronaschutzverordnung in der Fassung vom 11.05.2020 angeordnete, uneingeschränkte Untersagung des Betriebs von Prostitutionsstätten erweist sich ferner nach Auffassung des Senats als verhältnismäßig.

(a) Die Betriebsuntersagung ist geeignet, den mit ihr verfolgten legitimen Zweck, die Weiterverbreitung des Virus zu verhindern und damit Leben und Gesundheit der Bevölkerung (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) zu schützen, zu fördern. Sie stellt sich weiterhin als erforderlich dar, da jedenfalls im Erlasszeitpunkt, als Impfungen noch nicht verfügbar waren, nicht davon ausgegangen werden konnte, dass durch Hygiene- und Infektionsschutzkonzepte auch nur ansatzweise kontrollierbare Verhältnisse für einen bordellartigen Betrieb hergestellt werden konnten (Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 03.06.2020 - 2 B 201/20 -, juris; Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 03.06.2020 - 3 B 203/20 -, juris))

(b) Des Weiteren erweist sich die vollständige Betriebsuntersagung jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt auch als angemessen, d.h. verhältnismäßig im engeren Sinne.

(aa) Die Vielzahl der zu dieser Fragestellung ergangenen oberverwaltungsgerichtlichen Entscheidungen (die Verhältnismäßigkeit (voraussichtlich) bejahend: OVG NRW, Beschlüsse vom 25.06.2020 - 13 B 800/20 NE; vom 16.11.2020 - 13 B 1655/20 - juris; vom 22.01.2021 - 13 B 1768/20.NE - jeweils bei juris; Thüringer Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.07.2020 - 3 EN 394/20 - juris; Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.08.2020 - 5 Bs 114/20 -, juris; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.08.2020 - 1 S 2347/20 -, juris; Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20.08.2020 - 6 B 10868/20 -, juris; Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Beschlüsse vom 09.11.2020 - 1 B 339/20 -, vom 10.11.2020 - 1 B 354/20 -, und vom 10.03.2021 - 1 B 104/21 -, jeweils bei juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 11.11.2020 - 13 MN 485/20 -, juris; Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17.11.2020 - 3 R 225/20 -, juris; die Verhältnismäßigkeit (voraussichtlich) ablehnend: OVG NRW, Beschluss vom 08.09.2020 - 13 B 902/20 -, juris; Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 06.08.2020 - 2 B 258/20 -, juris; Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 03.09.2020 - 3 R 156/20 -, juris; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.10.2020 - 1 S 2871/20 -, juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 08.06.2021 - 13 MN 298/21 - juris; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.06.2021 - 1 S 1868/21 -, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 06.06.2021 - 25 NE 21.1608 -, juris), darf hierbei den Blick nicht darauf verstellen, dass diese nicht allgemein, sondern lediglich konkret auf den Einzelfall, d.h. auf die jeweilige Coronaschutzverordnung bezogen, beantwortet werden kann. Denn sowohl bei der erstmaligen Einführung bestimmter Schutzmaßnahmen als auch bei deren Fortschreibung durch aktualisierte Fassungen der Coronaschutzverordnungen stellt sich die Frage der Angemessenheit jeweils neu (OVG NRW, Beschluss vom 08.09.2020 - 13 B 902/20 - juris). In die vorzunehmende Abwägung sind hierbei neben der Eingriffsintensität vor allem die Entwicklung des Infektionsgeschehens, der wissenschaftliche Erkenntnisstand sowie das Gesamtkonzept des Verordnungsgebers einzustellen (OVG Münster, Beschluss vom 08.09.2020 - 13 B 902/20 - juris).

(bb) Den vorbeschriebenen Maßstab zugrundelegend, ist zunächst festzuhalten, dass die hier in Rede stehende uneingeschränkte Betriebsuntersagung tief in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit eingreift. Die Berufsausübung wird nicht nur erschwert, sondern vollständig unterbunden. Allerdings wird die Intensität des Eingriffs insofern relativiert, als dieser erst seit dem 22.03.2020 (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 7 CoronaSchVO in der Fassung vom 22.03.2020) und damit einen noch überschaubaren Zeitraum andauerte. Zugleich wurde die Betriebsuntersagung ausdrücklich auf zwei weitere Wochen befristet (nach § 19 CoronaSchVO Außerkrafttreten am 25.05.2020). Ferner wurden die mit dem Eingriff verbundenen negativen finanzielle Folgen zumindest teilweise durch staatliche Hilfen aufgefangen (OVG NRW, Beschluss vom 25.06.2020 - 13 B 800/20.NE -, Rn. 63, juris).

(cc) Die vorbeschriebene, gravierende Beeinträchtigung der beruflichen Betätigung (Art. 12 Abs. 1 GG) hatte gleichwohl bei Abwägung der widerstreitenden Interessen jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt gegenüber dem mit der Verordnung bezweckten Schutz von Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) als außerordentlich wichtigen Gemeinwohlbelang zurückzutreten.

Nach dem Lagebericht des Robert Koch-Instituts vom 11.05.2020 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-05-11-de.pdf?__blob=publicationFile) stellte sich das Infektionsgeschehen bei Neufassung der Coronaschutzverordnung so dar, dass die Anzahl der neu übermittelten Fälle zwar rückläufig war; die Inzidenz in NRW lag aber noch immer bei 195,9 und die Intensivbetten in Krankenhäusern waren zu 60% ausgelastet. Impfschutz für die Bevölkerung war noch nicht verfügbar. Das Robert Koch-Institut bewertete daher die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung plausibel als hoch und für die Risikogruppen sogar als sehr hoch. Ferner befanden sich Erkenntnislage und Pandemiebekämpfung noch im Anfangsstadium. Erst am 25.03.2020 und damit gerade einmal sieben Wochen zuvor hatte der deutsche Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Epidemische_Lage_von_nationaler_Tragweite sowie die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit: BT-Drs. 19/18156 vom 25. März 2020, S. 5). Zugleich konnte trotz der bundesweit vorgenommenen weitgehenden Beschränkungen des öffentlichen Lebens eine Überlastung des Gesundheitssystems nicht ausgeschlossen werden (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.08. 2020 - 1 S 2347/20 -, Rn. 33, juris m.w.N.). Beurteilungsunsicherheiten infolge fehlender gesicherter oder nur unzureichende Kenntnisse über Verbreitungswege und -risiken, den Krankheitsverlauf, besonders gefährdete Personengruppen, die Inkubationszeit, den Zeitraum der Infektiosität vor Auftritt erster Krankheitssymptome, möglicherweise verbleibende Gesundheitsschäden, die Letalität sowie hinsichtlich der Wirksamkeit konkreter Schutzmaßnahmen dürfen indes kein Grund sein, zu zögerlich Maßnahmen anzuordnen (so zutreffend: Gerhardt, 5. Aufl. 2021, § 28 IfSG Rn. 20). Der Gesetzgeber hatte sich daher nachvollziehbarerweise für weitreichende Maßnahmen zur Kontaktvermeidung und Kontaktbeschränkung entschieden. Dass diese Maßnahmen auch sexuelle Dienstleistungen erfassten, ist im Hinblick auf den typischerweise hiermit verbundenen engen körperlichen Kontakt sowie die mit der sexuellen Erregung typischerweise verbundene erhöhte Atemfrequenz und den damit einhergehenden Aerosolausstoß nicht zu beanstanden.

(3) Schließlich liegt nach Auffassung des Senats keine sachlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG darin begründet, dass der Betrieb von Prostitutionsstätten vollständig untersagt wurde, während bestimmte körpernahe Dienstleistungen - Friseurleistungen, Fußpflege, Kosmetik, Nagel-studios, Maniküre und Massage - nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 CoronaSchVO - unter Einhaltung definierter Hygiene- und Infektionsschutzstandards angeboten werden durften.

Soweit abweichend von der hier vertretenen Auffassung in der Rechtsprechung ein Gleichheitsverstoß zum Teil bejaht wurde, betreffen diese Entscheidungen Coronaschutzverordnungen, die zu späteren Zeitpunkten erlassen wurden. Begründet wurde der angenommene Gleichheitsverstoß hierbei mit dem vergleichbaren infektionsschutzrechtlichen Gefahrengrad (OVG Lüneburg, Beschluss vom 08.06.2021 - 13 MN 298/21 -, Rn. 13, juris) sowie der Möglichkeit zur Einführung vergleichbarer Hygiene- und Infektionsschutzstandards (Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 06.08.2020 - 2 B 258/20 -, Rn. 12, juris) von Prostitutionsstätten und den vorgenannten Betrieben. Diese Begründungsansätze verfangen indes nach Auffassung des Senats nicht für die hier vorliegende, zu einem deutlich früheren Zeitpunkt erlassene Fassung der Coronaschutzverordnung. Jedenfalls im Anfangsstadium der Pandemie war die Annahme plausibel, dass sexuelle Dienstleistungen mit höheren Infektionsgefahren als die in § 12 Abs. 2 S. 2 CoronaSchVO benannten körpernahen Dienstleistungen verbunden sind, weil erstere typischerweise auf einen deutlich intensiveren körperlichen Kontakt ausgerichtet sind und zudem die sexuelle, mit erhöhter Atemfrequenz und Aerosolausstoß verbundene Erregung des Freiers angestrebt wird (OVG NRW, Beschluss vom 25.06.2020 - 13 B 800/20.NE -, juris; Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 28.08.2020 - 6 B 10864/20 -, juris). Dem steht nicht entgegen, dass das Robert Koch-Institut in einer Einschätzung für den X e. V., Y, vom 01.08.2020 und damit später zu der Feststellung gelangt sein soll, es gebe bisher keine Evidenz zu Übertragungsrisiken von Sexarbeitern bzw. Sexarbeiterinnen im Kontext von SARS-CoV-2 und Erkenntnisse dazu, dass es sich bei der Erbringung sexueller Dienstleistungen um sog. "Superspreading-Events" handele (OVG NRW, Beschluss vom 08.09.2020 - 13 B 902/20.NE -, juris; Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.08.2020 - 13 MN 307/20 -, juris; Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20.08.2020 - 6 B 10868/20 -, juris). Vielmehr belegen diese Einschätzungen gerade die Unsicherheit der Erkenntnislage im Zeitpunkt des Erlasses der hier maßgeblichen Coronaschutzverordnung sowie den nur allmählichen Kenntnisgewinn in der Folgezeit. Zudem durfte der Gesetzgeber berechtigterweise davon ausgehen, dass Hygiene- und Infektionsschutzkonzepte bei sexuellen Dienstleistungen nicht ebenso effektiv wie bei körpernahen Dienstleistungen umgesetzt werden können. Dass Kunden sexueller Dienstleistungen bereit sind, in gleicher Weise Auflagen zu akzeptieren, wie beispielsweise das angeordnete Tragen von Masken und Einweghandschuhen beim Haarschnitt, ist lebensfremd (so auch: Thüringer Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.07.2020 - 3 EN 394/20 -, juris). Bei Zulassung der Prostitution unter Hygiene- und Infektionsschutzstandards drohte daher das massive Unterlaufen der Auflagen, zumal effektive Kontrollmöglichkeiten während der sexuellen Dienstleistung nicht zur Verfügung stehen (Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.08.2020 - 5 Bs 114/20 -, juris). Die gegenteilige Annahme, dass die Prostituierten selbst ein ureigenes Interesse an der Einhaltung von Hygiene und Infektionsschutzstandards haben (OVG NRW, Beschluss vom 08.09.2020 - 13 B 902/20.NE -, Rn. 46, juris), wird der Lebenswirklichkeit nicht gerecht, in der sich Prostituierte aus den unterschiedlichsten Zwängen heraus häufig den Freier- und/oder Zuhälterwünschen unterordnen müssen und daher des besonderen Schutzes bedürfen, wie sich nicht zuletzt in der Notwendigkeit eines Prostituiertenschutzgesetzes zeigt. Im Übrigen ist bei der Ausübung sexueller Dienstleistungen aber auch eine schlechtere Nachverfolgbarkeit wegen der in diesem Gewerbe üblichen Diskretion zu befürchten (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.08.2020 - 1 S 2347/20 - juris).

Zusammenfassend wird daher der Betrieb einer Prostitutionsstätte durch § 10 Abs. 1 Nr. 5 CoronaSchVO wirksam untersagt und ist nach § 18 Abs. 2 Nr. 4 CoronaSchVO bußgeldbewehrt.

2. Die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 5 OWiG sind nach den tatgerichtlichen Feststellungen erfüllt. Nach diesen betreibt die Betroffene einen Massagesalon, in welchem zur Abschluss der Massage die sexuelle manuelle Befriedigung des Kunden ("Handentspannung") angeboten wird. Aufgrund dieses Angebots handelt es sich nach der vorzunehmenden Auslegung bei dem Betrieb der Betroffenen um eine Prostitutionsstätte im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 5 OWiG und nicht um einen Massagesalon im Sinne von § 12 Abs. 1 Nr. 4 CoronaSchVO (wie hier für sogenannte Tantra-Massagen: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 28.08.2020 - 6 B 10864/20 - juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 30.06.2020 - 7 L 1186/20 - juris; aA VG Gelsenkirchen Beschluss vom 19.05.2020 - 20 L 589/20 - juris ; VG Berlin, Beschluss vom 22.07.2020 - 14 L 173/20, juris; offenlassend: OVG NRW, Beschlüsse vom 25.06.2020 - 13 B 800/20.NE -, und vom 17.01.2020 - 13 B 1282/19 - jeweils bei juris).

a) Hierfür spricht zunächst der Wortlaut. Der Begriff der "Prostitutionsstätte" greift ersichtlich die im Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) verwendete Begriffsbestimmung aus § 2 Abs. 4 ProstSchG auf (Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 28.08.2020 - 6 B 10864/20 -, juris). Nach der dort befindlichen Legaldefinition sind Prostitutionsstätten Gebäude, Räume und sonstige ortsfeste Anlagen, die als Betriebsstätte zur Erbringung sexueller Dienstleistungen genutzt werden. Eine sexuelle Dienstleistung ist wiederum nach § 2 Abs. 1 ProstSchG eine sexuelle Handlung mindestens einer Person an oder vor mindestens einer anderen unmittelbar anwesenden Person gegen Entgelt oder das Zulassen einer sexuellen Handlung an oder vor der eigenen Person gegen Entgelt. Dies ist bei der hier angebotenen, entgeltlichen manuellen sexuellen Befriedigung des Kunden der Fall.

b) Dieser Auslegung stehen entgegen der Auffassung der Verwaltungsgerichte Gelsenkirchen und Berlin ferner weder gesetzessystematische noch teleologische Erwägungen entgegen. Zwar werden in dem Betrieb der Betroffenen auch, wenn nicht sogar überwiegend Massagedienstleistungen erbracht. Gleichwohl ist eine Zuordnung zu den in § 12 Abs. 2 CoronaSchVO genannten Dienstleistungsgewerben nicht gerechtfertigt. Sexuelle Handlungen sind mit den sonstigen körpernahen Dienstleistungen im Sinne von § 12 Abs. 2 CoronaSchV wegen der typischerweise intensiveren Körpernähe sowie der mit der sexuellen Erregung einhergehenden Steigerung der Atemfrequenz und damit des Aerosolausstoßes nicht vergleichbar. Die Annahme, dass sich der Körperkontakt seitens der Dienstleistenden regelmäßig auf Berührungen mit der Hand beschränkt und zwischen den Beteiligten, insbesondere bezogen auf den Mund-Nasen-Bereich ein größerer Abstand als beim Geschlechtsverkehr besteht (so VG Berlin, Beschluss vom 22.07.2020 - 14 L 173/20 -, juris), verkennt, dass die massierende sexuelle Stimulation des Freiers typischerweise gerade nicht auf möglichst große Distanz und bloße punktuelle Berührungen, sondern auf Nähe und Intimität angelegt sein wird.

3. In subjektiver Hinsicht tragen die tatgerichtlichen Feststellungen hingegen den Schuldspruch nicht. Da die Betroffene kein "klassisches" Bordell betreibt, folgt ihr vorsätzliches Handeln nicht bereits aus dem objektiven Tatgeschehen. Es hätte daher näherer Feststellungen dazu bedurft, dass der Betroffenen die Erbringung von sexuellen Diensten durch ihre Mitarbeiterin bekannt war und diese nicht - wie die Verteidigung behauptet - eigenmächtig handelte. Hieran fehlt es indes. Soweit in den Feststellungen ausgeführt wird, bei der nachträglich durchgeführten Kontrolle sei Gleitgel aufgefunden worden, ergibt sich hieraus mangels weiterer Darlegungen - insbesondere zum Auffindeort und zur Auffindesituation - nicht, dass der Betroffenen die Erbringung sexueller Dienstleistungen durch die Zeugin B nicht verborgen geblieben sein kann. Gleiches gilt für das Auffinden verklebter Feuchttücher, da nicht ersichtlich ist, dass diese für sexuelle Dienstleistungen und nicht etwa zum Entfernen von Massageöl benutzt wurden.

4. Ebenfalls rechtsfehlerbehaftet ist die Annahme eines tateinheitlichen Verstoßes gegen das Gebot zur Dokumentation von Kundenkontaktdaten nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 CoronaSchVO i.V.m. der Anlage "Hygiene- und Infektionsschutzstandards" VI. Nr. 4. Da der Betrieb der Betroffenen nach den vorstehenden Ausführungen als Prostitutionsstätte im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 5 CoronaSchutzVO zu qualifizieren und damit uneingeschränkt untersagt ist, scheidet eine Verpflichtung zur Erhebung und Dokumentation von Kundenkontaktdaten von vornherein aus.

5. Aufgrund der aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mängel ist das angefochtene Urteil mit den Feststellungen insgesamt aufzuheben (§§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, § 353 StPO) und die Sache zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Essen zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 StPO).


Einsender:

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".