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Entscheidungen

StPO

Verfahrensverzögerung, angemessene Verfahrensdauer, Ermittlungsverfahren, Entschädigung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bremen, Urt. v. 20.10.2021 - 1 EK 2/19

Leitsatz: 1. Die Sechsmonatsfrist für die Klageerhebung nach § 198 Abs. 5 S. 2 GVG wegen unangemessener Verfahrensdauer beginnt im Fall der Erledigung eines Strafverfahrens durch Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO mit dem Zeitpunkt der Verfügung der Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO und es kommt nicht auf das Datum der späteren Bekanntgabe an den Beschuldigten nach § 170 Abs. 2 S. 2 StPO an. Wird eine Einstellungsverfügung dem zuständigen Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft zur Billigung vorgelegt, erlangt sie Wirkung erst mit dem Datum der Billigung.
2. Im Regelfall kann bei Einstellung eines Strafverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO nach erfolgter Anklageerhebung ein Zeitraum von 1 Jahr und 9 Monaten vom Eingang der Anklage bei Gericht bis zur Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft aufgrund einer Anregung des Gerichts noch nicht als unangemessen angesehen werden.


In pp.

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 3.000,- nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.02.2020 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 3/8 und die Beklagte zu 5/8.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
IV. Der Gegenstandswert der Klage wird auf € 4.800,- festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte als Land auf Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer nach § 198 GVG in Anspruch.

Gegen die Klägerin und ihren Lebensgefährten wurde mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bremen vom 23.02.2015, der Klägerin zugestellt am 25.03.2015, Anklage wegen Anbaus von Betäubungsmitteln und wegen Waffenbesitzes erhoben. Der Bevollmächtigte der Klägerin erhob sodann mehrfach, zuerst am 08.04.2016 und zuletzt am 09.04.2019 Verzögerungsrügen. Am 04.02.2019 übersandte das Landgericht Bremen die Akten an die Staatsanwaltschaft zurück mit dem Hinweis, dass sich eine Mitwirkung der Klägerin an der vorgeworfenen Tat aus der Akte nicht ergebe. Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Bremen vom 20.05.2019, gebilligt vom Abteilungsleiter am 22.05.2019, wurde das Verfahren gegen die Klägerin nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, die Nachricht von der Einstellung wurde ihrem Verfahrensbevollmächtigten mit Schreiben vom 27.05.2019 übersandt.

Mit Klagschrift vom 21.11.2019, bei Gericht eingegangen am 22.11.2019, hat die Klägerin Klage auf Entschädigung nach § 198 GVG erhoben. Die Klägerin meint, mit der Dauer von vier Jahren habe das Verfahren unangemessen lange gedauert. Sie macht geltend, sich aufgrund der Verzögerungen psychisch erheblich beeinträchtigt gefühlt zu haben.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 4.800,- nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie meint, bei einer Gesamtdauer des Verfahrens von vier Jahren und drei Monate sei schon deswegen keine vierjährige Dauer einer unangemessenen Verzögerung anzunehmen, da zum einen die verbleibende Dauer von drei Monaten unrealistisch kurz sei und zum anderen nicht jede Überschreitung dieser Dauer bereits zu einer unangemessenen Verfahrensdauer führen könne. Zudem seien auch richterliche Gestaltungsspielräume in der weiteren Bearbeitung zu berücksichtigen ebenso wie Zeiten, in denen die Akte aus anderen Gründen nicht zur Verfügung gestanden habe. Der Zeitraum zwischen der ersten Verzögerungsrüge und der Bearbeitung der Akte ab Januar 2019 sei mit gut 30 Monaten noch nicht so lang, als dass von einer deutlichen Überschreitung der äußersten Grenzen des Angemessenen ausgegangen werden könne.

Zudem beruft sich die Beklagte darauf, dass die Sechsmonatsfrist für die Klageerhebung nach § 198 Abs. 5 S. 2 GVG nicht eingehalten worden sei, da die Einstellung durch Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 20.05.2019 erfolgt sei und die Mitteilung an den Verteidiger der Klägerin lediglich deklaratorischen Charakter gehabt habe.

II.

Die Klage ist zulässig und auch teilweise begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer aus § 198 Abs. 1 GVG im tenorierten Umfang, im Übrigen ist die Klage dagegen unbegründet.

1. Die Klage wahrt die Fristen nach § 198 Abs. 5 GVG. Sie ist entsprechend § 198 Abs. 5 S. 1 GVG erst nach Ablauf von sechs Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben worden (dazu siehe 2.) sowie den Anforderungen des § 198 Abs. 5 S. 2 GVG entsprechend vor Ablauf von sechs Monaten nach Erledigung des Verfahrens.

Die Sechsmonatsfrist für die Klageerhebung nach § 198 Abs. 5 S. 2 GVG hat vorliegend mit der Erledigung des Strafverfahrens durch die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO begonnen. Zwar kommt es hinsichtlich der Wirksamwerdens der Einstellungsverfügung nach § 170 Abs. 2 StPO lediglich auf die Verfügung der Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO an und nicht auf das Datum der späteren Bekanntgabe an den Beschuldigten. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die spätere Bekanntgabe nach § 170 Abs. 2 S. 2 StPO nicht generell erforderlich ist; zudem wäre mangels eines Zustellungserfordernisses wie bei § 9 Abs. 1 S. 4 StrEG der Zeitpunkt des Zugangs der Bekanntgabe nicht sicher zu bestimmen. Vorliegend ist aber die Einstellungsverfügung vom 20.05.2019 zunächst dem zuständigen Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft zur Billigung vorgelegt worden, die am 22.05.2019 erteilt wurde, so dass die Einstellungsverfügung auch erst am 22.05.2019 Wirkung erlangen konnte. Damit ist die am 22.11.2019 per Telefax beim Oberlandesgericht eingereichte Klage noch rechtzeitig innerhalb der Sechsmonatsfrist seit der Erledigung des Strafverfahrens eingereicht worden.

2. Auch das Erfordernis der Erhebung einer Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 S. 1 GVG ist gewahrt, da die Klägerin ab dem 08.04.2016 wiederholt eine solche Rüge erhoben hat.
a. Die Verzögerungsrüge ist ausdrücklich als solche bezeichnet, weitere Fragen einer Auslegung stellen sich vorliegend nicht (dazu Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 12.06.2019 – 1 EK 4/18, juris Rn. 5 ff., NJW-RR 2019,1215).

b) Die Rüge ist auch wirksam und nicht verfrüht erhoben worden: Gemäß § 198 Abs. 3 S. 2 GVG kann eine Verzögerungsrüge erst erhoben werden, wenn Anlass zu der Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts sowie des Bundesfinanzhofes ist es für das Bestehen eines Anlasses für eine solche Besorgnis nicht erforderlich, dass eine Verzögerung bereits eingetreten ist (vgl. BFH, Urteil vom 17.06.2014 – X K 7/13, juris Rn. 53, BFH/NV 2015, 33; Urteil vom 26.10.2016 – X K 2/15, juris Rn. 47, BFHE 255, 407; siehe auch die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung für das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 17.11.2010, BT-Drucks. 17/3802, S. 20), und maßgeblich ist stattdessen, wann ein Betroffener erstmals Anhaltspunkte dafür hat, dass das Verfahren als solches keinen angemessen zügigen Fortgang nimmt (vgl. BGH, Urteil vom 21.05.2014 – III ZR 355/13, juris Rn. 16, NJW 2014, 1783; BVerwG, Urteil vom 12.07.2018 – 2 WA 1/17 D, juris Rn. 22, NJW 2019, 320). Vorliegend konnte nach einer etwa einjährigen Nichtbearbeitung des Verfahrens im Zeitraum vom 09.04.2015, zu dem die letzte Verfahrensförderung durch das Gericht in Form der Bestellung des Verteidigers erfolgte, und der ersten Verzögerungsrüge vom 08.04.2016 von einem so bestehenden Anlass zu der Besorgnis ausgegangen werden, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen werden wird. Kein anderes Ergebnis ergibt sich, wenn man mit einer früheren Entscheidung des Senats nicht auf konkrete Umstände des Einzelfalles, sondern darauf abstellt, ob bei einem Vergleich der sich abzeichnenden Verfahrensdauer mit der statistisch ermittelten üblichen Verfahrensdauer gleichartiger Verfahren nicht nur eine Überschreitung des gewöhnlichen Zeitrahmens zu erwarten stehe, sondern eine Überschreitung des Zeitraumes, in dem der allergrößte Teil der Verfahren – etwa 90 bis 95 % – beendet ist (vgl. Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 11.12.2017 – 1 EK 1/17, n.v.): Aus den Statistiken des Statistischen Bundesamtes für die Jahre 2016 (Fachserie 10, Reihe 2.6 2016, S. 78) ergibt sich, dass im Jahr 2016 von den Verfahren vor den Landgerichten, die nach Anhängigkeit dort erledigt wurden, nach 12-18 Monaten Verfahrensdauer (gemessen ab Anhängigkeit vor dem Landgericht) 89,9 % der Verfahren abgeschlossen waren. Zum Zeitpunkt der Verzögerungsrüge war das Verfahren bereits knapp 14 Monate anhängig, ohne dass seit knapp einem Jahr eine Verfahrensförderung zu erkennen war, so dass vor dem Hintergrund des für eine Erledigung auch bei zügigem Fortgang erforderlichen Vorlaufs eine Erledigung vor 18 Monaten nicht mehr zu erwarten war, womit der Zeitraum überschritten worden wäre, in dem der allergrößte Teil der Verfahren beendet ist.

3. Es liegt auch eine unangemessene Verfahrensdauer iSd § 198 Abs. 1 GVG vor.

a) Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs. 1 S. 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der weiteren obersten Gerichtshöfe des Bundes sind hier gewichtige Beurteilungskriterien vor allem die Verfahrensführung durch das Gericht auf der einen Seite sowie die zur Verfahrensbeschleunigung, die nicht zum Selbstzweck werden darf, gegenläufigen Rechtsgüter auf der anderen Seite, wobei vor allem die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Entscheidungen sowie die Grundsätze der richterlichen Unabhängigkeit und des gesetzlichen Richters in den Blick zu nehmen sind. Erforderlich ist eine umfassende Gesamtabwägung aller Umstände (vgl. BGH, Urteil vom 14.11.2013 – III ZR 376/12, juris Rn. 25 ff., BGHZ 199, 87; Urteil vom 05.12.2013 – III ZR 73/13, juris Rn. 37 ff., BGHZ 199, 190; Urteil vom 13.03.2014 – III ZR 91/13, juris Rn. 27, NJW 2014, 933; Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14, juris Rn. 24 ff., BGHZ 204, 184; Urteil vom 13.04.2017 – III ZR 277/16, juris Rn. 15, NJW 2017, 2478; BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12, juris Rn. 51 ff., BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179; Urteil vom 08.10.2019 – X K 1/19, juris Rn. 29, BFH/NV 2020, 98) und es reicht nach dieser Rechtsprechung für die Berechnung eines Entschädigungsanspruchs nicht aus, lediglich auf die Differenz zwischen der tatsächlichen und der statistischen Verfahrensdauer hinzuweisen (vgl. BGH, Urteil vom 14.11.2013 – III ZR 376/12, juris Rn. 26 f., BGHZ 199, 87; Urteil vom 05.12.2013 – III ZR 73/13, juris Rn. 38, BGHZ 199, 190; BVerwG, Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 23/12 D, juris Rn. 28 f., BVerwGE 147, 146).

Bei der Würdigung der Verfahrensführung durch das Gericht muss stets beachtet werden, dass die Verfahrensbeschleunigung keinen Selbstzweck darstellt und gegenläufige Rechtsgüter gleichfalls in den Blick zu nehmen sind. Dazu zählen insbesondere die aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Entscheidungen sowie die Grundsätze der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG). Dem Gericht muss in jedem Fall eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung trägt. Abgesehen von zwingenden gesetzlichen Vorgaben besteht ein Ermessen des verantwortlichen Richters hinsichtlich der Verfahrensgestaltung. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Dementsprechend wird die Verfahrensführung des Richters im nachfolgenden Entschädigungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist. Eine vertretbare Rechtsauffassung des Gerichts oder eine nach der jeweiligen Prozessordnung vertretbare Verfahrensleitung begründen auch dann keinen Entschädigungsanspruch, wenn sie als Abweichung von der optimalen Verfahrensführung zu einer Verlängerung des Gerichtsverfahrens geführt haben (vgl. BGH, Urteil vom 14.11.2013 – III ZR 376/12, juris Rn. 31, BGHZ 199, 87; Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14, juris Rn. 26 f., BGHZ 204, 184). Dem Gericht ist zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse – auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit – in jedem Fall eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit und im Übrigen ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der lediglich einer Vertretbarkeitskontrolle unterliegt. Laufzeiten, die durch die Prozessleitung des Gerichts bedingt sind, haben nur dann eine unangemessene Verfahrensdauer zur Folge, wenn sich die verfahrensleitende Entscheidung – auch bei Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege – nicht auf verfahrensökonomische Sachgründe stützen lässt, sondern von sachfremden und zweckwidrigen Erwägungen getragen und somit nicht mehr verständlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14, juris Rn. 26 f., BGHZ 204, 184; Urteil vom 13.04.2017 – III ZR 277/16, juris Rn. 16, NJW 2017, 2478). Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein entscheidungsreifes Verfahren nicht mehr gefördert wird und sich die Tätigkeit des Gerichts auf ein Liegenlassen der Akten beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 13.04.2017 – III ZR 277/16, juris Rn. 16, NJW 2017, 2478; BVerwG, Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 23/12 D, juris Rn. 52, BVerwGE 147, 146).

Zudem ist zu beachten, dass Bezugspunkt die Gesamtverfahrensdauer ist, wie sie § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definiert. Verzögerungen, die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, können innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert werden (vgl. BGH, Urteil vom 05.12.2013 – III ZR 73/13, juris Rn. 41, BGHZ 199, 190; Urteil vom 13.03.2014 – III ZR 91/13, juris Rn. 33, NJW 2014, 1816).

b) Auf der Grundlage dieser Kriterien ist vorliegend von einer insgesamt unangemessenen Verfahrensdauer vor dem Landgericht auszugehen, wenn auch nur für einen Zeitraum von 2 Jahren und 6 Monaten (bei einer Gesamtdauer von 4 Jahren und 3 Monaten): Für die Vorgänge unmittelbar nach Eingang der Anklage (Zustellung, Beiordnung) kann eine Dauer von 3 Monaten als noch nicht unangemessen angenommen werden. Für die Prüfung der Einstellung und deren Abstimmung durch Gericht und Staatsanwaltschaft kann ein weiterer Zeitraum von 6 Monaten angenommen werden. Dem Gericht ist zudem ein weiterer Zeitraum zuzubilligen, in dem sich das Gericht damit beschäftigt, wann es diese Akte priorisiert bearbeitet. Hier kann ein Jahr angemessen erscheinen. Insgesamt sind damit 1 Jahr und 9 Monate noch nicht als unangemessen anzusehen. Der weitere Zeitraum von 2 Jahren und 6 Monaten dagegen durchaus, zumal im gesamten Zeitraum vom 09.04.2015 bis Anfang 2019 keinerlei Bearbeitung durch das Landgericht erfolgte, also weder ersichtlich Ermittlungen veranlasst oder erwogen oder sonstige Maßnahmen mit Blick auf die Prozessförderung veranlasst wurden.

4. Die Klägerin kann für diesen Zeitraum der unangemessenen Verfahrensdauer auch eine Entschädigung in Geld für erlittene immaterielle Nachteile beanspruchen.

a) Das Vorliegen immaterieller Nachteile wird gemäß § 198 Abs. 2 S. 1 GVG vermutet und der Beklagten ist die Widerlegung der von der Klägerin geltend gemachten Nachteile nicht gelungen. Die Klägerin ist nicht darlegungs- und beweisbelastet, muss also auch nichts weiter vortragen zu den von ihr geltend gemachten Beeinträchtigungen.

b) Es greift auch nicht die Subsidiarität der Geldentschädigung aus § 198 Abs. 2 S. 2 GVG. Danach ist die Entschädigung in Geld für immaterielle Nachteile ausgeschlossen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls eine Wiedergutmachung auf andere Weise ausreichend ist, insbesondere durch die förmliche Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer, § 198 Abs. 4 GVG. Vorliegend betraf die Verfahrensverzögerung einen ganz erheblichen Zeitraum und ließ die Klägerin über diesen Zeitraum über den Fortgang des gegen sie geführten Strafverfahrens im Ungewissen, so dass nicht ersichtlich ist, dass eine Wiedergutmachung auf andere Weise ausreichend wäre.

c) Der Höhe nach bemisst sich der immaterielle Nachteil gemäß § 198 Abs. 2 S. 3 GVG auf eine Entschädigung in Höhe von EUR 1.200,- pro Jahr, woraus sich vorliegend bei einer Verzögerung von 2 Jahren und 6 Monaten ein Entschädigungsbetrag von EUR 3.000,- ergibt. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob eine Verzögerungsrüge im Regelfall nur auf eine sechs Monate zurückliegende Verfahrensverzögerung zurückwirken kann (vgl. BFH, Urteil vom 06.04.2016 – X K 1/15, juris Rn. 40 ff., BFHE 253, 205) oder ob keine solche Einschränkung besteht (so BGH, Urteil vom 10.04.2014 – III ZR 335/13, juris Rn. 31, NJW 2014, 1967; BSG, Urteil vom 05.05.2015 – B 10 ÜG 8/14 R, juris Rn. 24, SozR 4-1710 Art. 23 Nr. 4; Urteil vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 3/16 R, juris Rn. 20 ff., SozR 4-1720 § 198 Nr. 14; BVerwG, Urteil vom 29.02.2016 – 5 C 31/15 D, juris Rn. 33, NJW 2016, 3464): Auch ab dem Zeitraum sogar noch der zweiten Rüge vom 05.10.2016 dauerte das Verfahren noch 2 Jahre und 7 Monate fort.

5. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 BGB.

6. Die Kostenentscheidung ergibt sich § 92 ZPO. Die Regelung des § 201 Abs. 4 GVG zur Kostenentscheidung nach billigem Ermessen findet keine Anwendung, denn sie gilt nur für den Fall, dass das Gericht (zumindest teilweise) anstelle der Zuerkennung einer Geldentschädigung die überlange Verfahrensdauer feststellt, nicht dagegen für den Fall einer hinter der beantragten Summe zurückbleibenden Geldentschädigung ohne eine solche Feststellung (so BGH, Urteil vom 14.11.2013 – III ZR 376/12, juris Rn. 50, BGHZ 199, 87). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 709, 713 ZPO. Der Zulassung der Revision bedurfte es nicht, weil die Voraussetzungen der §§ 201 Abs. 2 S. 3 GVG, 543 ZPO nicht vorliegen.


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