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Entscheidungen

Haftfragen

Trunkenheitsfahrt, relative Fahruntüchtigkeit, niedrige BAK, Uneinsichtigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Koblenz, Beschl. v. 25.11.2021 - 12 Qs 72/21

Leitsatz: Voraussetzung für den Schluss aus Fehlverhaltensweisen betreffend die Fahrweise eines Kraftfahrzeugführers auf eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit ist die sichere Feststellung, dass sie Folgen des Alkoholgenusses sind. Dabei sind, je weiter eine festgestellte Blutalkoholkonzentration von der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 %o) entfernt ist, desto höher die Anforderungen an die für das Vorliegen einer relativen Fahruntüchtigkeit festzustellenden alkoholbedingten Ausfallerscheinungen.


12 Qs 72/21

Landgericht Koblenz

Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

wegen Verkehrsvergehens

hat die 12. große Strafkammer des Landgerichts Koblenz durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht pp., den Richter am Landgericht pp. und den Richter pp. am 25.11.2021 beschlossen:

1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Koblenz vom 29.09.2021 aufgehoben.
2. Der Führerschein des Beschuldigten ist ihm auszuhändigen.
3. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels einschließlich der hierfür notwendigen Auslagen des Beschuldigten zu tragen.

Gründe:

Mit dem Beschluss vom 29.09.2021, dem Beschuldigten zugestellt am 01.10.2021, hat das Amtsgericht Koblenz entschieden, dass die Fahrerlaubnis des Beschuldigten vorläufig entzogen und die Beschlagnahme des Führerscheins bestätigt wird. Nach der Begründung des Beschlusses werde sich der Beschuldigte wegen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 Abs. 1 StGB zu verantworten haben, weil er am 16.09.2021 gegen 21:45 Uhr auf einer vierspurigen Bundesstraße gewendet habe, um als „Geisterfahrer" zurück zur Autobahnauffahrt zu fahren, und um 22:46 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von 0,37 %o festgestellt worden sei (BI. 28 d. A.).
Gegen den Beschluss hat der Beschuldigte durch seinen Verteidiger mit Schreiben vom 26.10.2021, eingegangen beim Amtsgericht Koblenz am 26.10.2021, Beschwerde eingelegt (BI. 47 d. A.). Die Beschwerde ist damit begründet worden, dass der Beschuldigte falsch gewendet habe und aus Versehen in entgegengesetzter Fahrtrichtung gefahren sei. Er habe lediglich wenden wollen.

Der Beschwerde hat das Amtsgericht Koblenz nicht abgeholfen.

Die Beschwerde des Beschuldigten ist statthaft und auch sonst zulässig, §§ 304, 306 Abs. 1 StPO und hat in der Sache Erfolg, da die Entziehung der Fahrerlaubnis sowie die Bestätigung der Beschlagnahme des Führerscheins zu Unrecht ergangen ist.

1. Nach § 111a Abs. 1 S.1 StPO kann der Richter dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen wird. Gemäß § 69 Abs. 1 StGB entzieht das Gericht dem Angeklagten die Fahrerlaubnis, wenn dieser wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt ist und, wenn sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist.

a) Nach Würdigung der Akte liegt aus rechtlichen Gesichtspunkten kein dringender Grund für eine Entziehung der Fahrerlaubnis im Sinne des § 69 StGB vor.

aa) Ein dringender Tatverdacht im Hinblick auf § 316 Abs. 1 StGB ist nach Aktenlage nicht gegeben. Hiernach macht sich derjenige strafbar, der im Verkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er insbesondere infolge alkoholischer Getränke nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. Eine solche Fahruntüchtigkeit ergibt sich ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 % oder unterhalb einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 %0 bei vorhandenen alkoholbedingten Ausfallerscheinungen.

Vorliegend hatte der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt eine BAK von 0,37 %o (BI. 36 d. A.). Gemäß der Sachverhaltsdarstellung des PHK pp. sei der Beschuldigte auf einer vierspurigen und durch eine Mittelleitplanke getrennte Bundesstraße entgegen der Fahrtrichtung gefahren. Nachdem der Beschuldigte darauf angesprochen worden sei, habe er geäußert, die Autobahnauffahrt verpasst zu haben, weswegen er gewendet habe, um zurück zur Autobahnauffahrt zufahren. Er sei uneinsichtig gewesen und habe versucht sein Verhalten zu verharmlosen (BI. 4ff. d. A.). Dieses Verhalten stellt nach einer Gesamtbetrachtung nach Aktenlage keinen alkoholbedingten Umstand dar, der auf eine Fahruntüchtigkeit hinweist.

Voraussetzung für den Schluss aus Fehlverhaltensweisen auf eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit ist die sichere Feststellung, dass sie Folgen des Alkoholgenusses sind. Bei der Beurteilung kommt es wesentlich darauf an, ob es sich um einen alkoholtypischen Fahrfehler handelt, also um einen solchen, der in symptomatischer Weise auf die nach Alkoholgenuss typischerweise auftretenden physiologischen (z. B. Verlängerung der Reaktionszeit; Beeinträchtigung des Gleichgewichtssinns; Einengung des Gesichtsfelds; Müdigkeit) und psychische (z. B. Kritiklosigkeit, erhöhte Risikobereitschaft und Selbstüberschätzung) Folgen hinweist (Fischer, StGB, 68. Aufl., § 316, Rn. 34, 35). Je weiter die festgestellte Blutalkoholkonzentration von der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 %o) entfernt ist, desto höher sind die Anforderungen an die für das Vorliegen einer relativen Fahruntüchtigkeit festzustellenden alkoholbedingten Ausfallerscheinungen (LG Darmstadt Beschl. v. 12.3.2018 — 3 Qs 112/18, BeckRS 2018, 3959 Rn. 3).

Anzeichen für physiologische Folgen des Alkoholgenusses sind nach Aktenlage nicht ersichtlich. Nach Würdigung des Akteninhalts kann eine sichere Feststellung der psychischen Folgen des Alkoholgenusses nicht getroffen werden. Das Fahren entgegen der Fahrtrichtung für mehrere 100 m ist grundsätzlich eine besonders leichtsinnige Fahrweise. Dennoch stellt selbst ein aggressives und verkehrswidriges Fahrverhalten nur dann ein Fahruntauglichkeitsindiz dar, wenn es sich dabei um typische Fahrweisen alkoholisierter Kraftfahrer im Straßenverkehr handelt. Einen Erfahrungssatz, dass rücksichtsloses Fahren oder Überholen eine Folge genossenen Alkohols sei, gibt es dagegen nicht (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 12. November 1990 — 1 Ss 164/90 —, Rn. 11, mwN.). Weiter enthält der ärztliche Untersuchungsbericht keine Indizien für alkoholbedingte Ausfallerscheinungen. Zwar sei der Beschuldigte gegenüber den Polizisten uneinsichtig gewesen und habe versucht sein Verhalten zu verharmlosen (BI. 5 d. A.), was für eine alkoholbedingte Enthemmung sprechen kann, jedoch stellt dies eine eigene Wertung des Polizisten dar. Der konkrete Wortlaut des Beschuldigten wird für eine eigene gerichtliche Wertung nicht wiedergeben. Selbst bei einer solchen Annahme durch die Kammer kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Kritiklosigkeit eine altersbedingte Folge des 1948 geborenen Angeklagten ist.

Aber alleine aus dieser Uneinsichtigkeit sowie dem Verharmlosen in Verbindung mit der festgestellten BAK von 0,37 %o kann nicht der sichere Schluss gezogen werden, dass der Beschuldigte alkoholbedingt fahruntüchtig mit seinem Fahrzeug entgegen der Fahrtrichtung gefahren ist. Da die festgestellte Blutalkoholkonzentration nicht nah an der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit liegt, bestehen seitens der Kammer erhebliche Zweifel an einer alkoholbedingten Ausfallerscheinung. Dennoch kann aufgrund dieses besonders leichtsinnigen Fahrverhaltens sowie des Nachverhaltens der Schluss gezogen werden, dass der Beschuldigte nicht die charakterliche Eignung im Sinne des § 2 Abs. 4 S. 1 StVG, § 11 Abs. 1 S. 3 FeV innehat, was indes für eine Strafbarkeit nach § 316 Abs. 1 StGB nicht ausreicht.

c) Ein dringender Tatverdacht hinsichtlich eines Verstoßes gegen §§ 315b, 315c StGB scheidet mangels einer konkreten Gefahr aus.

d) Nach Aktenlage kann kein dringender Tatverdacht und somit kein dringender Grund im Sinne des § 111a StPO angenommen werden. Ob tatsächlich alkoholbedingte Ausfallerscheinungen vorgelegen haben, die eine Strafbarkeit nach § 316 StGB bedingt, bleibt der Hauptverhandlung und dem Tatrichter vorbehalten. Sollte auch der Tatrichter endgültig eine Strafbarkeit verneinen, hat sich der Betroffene nach Aktenlage zumindest verkehrsordnungswidrig nach den §§ 2 Abs. 1, 49 StVO i. V. m. § 24 StVG verhalten. Eine Mitteilung an die Fahrerlaubnisbehörde aufgrund des Sachverhaltes ist ausweislich der Akte jedenfalls bereits erfolgt (BI. 16 d. A).

2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 465 StPO analog.


Einsender: RA R Rücker, Limburg

Anmerkung:


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