Gericht / Entscheidungsdatum: LG Potsdam, Beschl. v. 19.11.2021 - 23 Qs 37/21
Eigener Leitsatz: Für die Beiordnungsgründe des § 140 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StPO ist es gleichgültig, wenn nach dem weiteren Verfahrensverlauf die Verurteilung nicht mehr wegen des angenommenen Verbrechens, sondern nur wegen eines Vergehens u erwarten ist. Vielmehr bleibt die einmal notwendige Verteidigung solange notwendig, bis rechtskräftig (§ 143 Abs. 1 StPO) entschieden ist, dass kein Verbrechen vorliegt.
23 Qs 37/21 Landgericht Potsdam
Landgericht Potsdam Beschluss
In dem Beschwerdeverfahren
in der Strafsache
gegen pp.
wegen räuberischer Erpressung
hat die 3. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam am 19. November 2021 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, den Richter am Landgericht und den Richter beschlossen:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten zu 2. vom 30. September 2021 wird der Beschluss des Amtsgerichts Luckenwalde vom 27. September 2021 aufgehoben.
2. Dem Angeklagten zu 2. wird Rechtsanwalt pp. als notwendiger Verteidiger beigeordnet.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Landeskasse zur Last.
Gründe:
I.
Die Staatsanwaltschaft Potsdam legt dem Beschwerdeführer mit Anklageschrift vom 23. September 2020 zur Last, am 07. Dezember 2019 in Jüterbog gemeinschaftlich mit den beiden aus dem Rubrum ersichtlichen Mitbeschuldigten eine räuberische Erpressung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zu Lasten des Geschädigten pp. begangen zu haben. Im Rahmen von Streitigkeiten um die Anfahrtskosten für ein zunächst von den drei Beschuldigten gerufenes und dann doch nicht in Anspruch genommenes Taxi soll es zu Handgreiflichkeiten gekommen sein.
Das Amtsgericht Luckenwalde hat die Anklage mit Eröffnungsbeschluss vom 18. März 2021 zur Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht zugelassen.
In der Hauptverhandlung am 03. September 2021 wies das Amtsgericht nach erfolgter Beweisaufnahme darauf hin, dass sich weder der Tatvorwurf der räuberischen Erpressung noch der Körperverletzung bestätigt hat und eine Nötigung verbleibt.
Hiernach erfolgte mit Beschluss vom 03. September 2021 eine vorläufige Einstellung des Verfahrens gegen alle drei Beschuldigten nach § 153a StPO unter der Auflage einer Zahlung in Höhe von jeweils 100 Euro, welche der Beschwerdeführer binnen eines Monats an den Geschädigten, die beiden Mitangeklagten jeweils binnen eines Monats an den Tierpark Luckenwalde leisten sollten.
Mit Schriftsatz vorn 06. September 2021 beantragte der Verteidiger des Beschwerdeführers die Beiordnung als Pflichtverteidiger.
Mit Beschluss vom 27. September 2021 lehnte das Amtsgericht den Beiordnungsantrag ab, da die Voraussetzungen der Beiordnung im jetzigen Verfahrensstadium nicht (mehr) vorliegen und eine rückwirkende Beiordnung nicht in Betracht komme.
Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit am 30. September 2021 eingereichtem und als Beschwerde" bezeichnetem Rechtsmittel. Er führt im Wesentlichen an, dass das Verfahren noch nicht endgültig abgeschlossen sei und insbesondere im Falle der Nichtzahlung der Geldauflage durch den Beschwerdeführer jederzeit wiederaufgenommen und fortgesetzt werden könnte.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vorn 08. Oktober 2021 der Beschwerde ... nicht abgeholfen".
Eine Zahlung des Auflagenbetrages durch den Beschwerdeführer ist der Akte bislang nicht zu entnehmen.
Das nach § 142 Abs. 7 StPO als sofortige Beschwerde statthafte Rechtsmittel ist zulässig und begründet.
Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StPO vor. Dem Beschwerdeführer wird mit der zugelassenen Anklage ein Verbrechen zur Last gelegt und es ist aufgrund des Eröffnungsbeschlusses die Zuständigkeit des Schöffengerichts gegeben.
Das Verfahren ist bislang nicht endgültig eingestellt worden und kann durch das Amtsgericht nach zwischenzeitlich offenbar ergebnislos verstrichener Zahlungsfrist jederzeit wieder aufgenommen werden. Die damit lediglich vorläufige Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO hat auf die vorgenannten Beiordnungsgründe - anders als auf den Beiordnungsgrund des § 140 Abs. 2 StPO - keine Auswirkungen.
Für die vorgenannten Beiordnungsgründe ist weiterhin gleichgültig, wenn nach dem weiteren Verfahrensverlauf die Verurteilung nicht mehr wegen des angenommenen Verbrechens, sondern nur wegen eines Vergehens - hier: wegen einer Nötigung - zu erwarten ist. Vielmehr bleibt die einmal notwendige Verteidigung solange notwendig, bis rechtskräftig (§ 143 Abs. 1 StPO) entschieden ist, dass kein Verbrechen vorliegt (siehe Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage 2021, § 140 Rz. 21).
Eine rückwirkende Beiordnung kommt zwar nicht in Betracht (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht 1. Beschluss vom 09. März 2020 - 1 Ws 19/20), ist aber vorliegend auch nicht gegeben, zumal es nach dem Verstreichen der Auflagenfrist nicht mehr allein in der Hand des Beschwerdeführers liegt, das Verfahren zu beenden.
Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.
Einsender: RA S. Kappler, Luckenwalde
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