Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Saarbrücken, Beschl. v. 03.11.2021 4 Ws 162/21
Leitsatz des Gerichts: Ein beharrliches Sich-Entziehen kann während einer Strafhaft in anderer Sache nicht ohne Weiteres angenommen werden.
In pp.
1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten werden der Beschluss der Strafvollstreckungskammer IV des Landgerichts Saarbrücken vom 20. September 2021 aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft Saarbrücken vom 16. Januar 2020, die mit Urteil des Amtsgerichts Ottweiler vom 15. Mai 2019 (Az.: 3 Ds 36 Js 203/19 (127/19)) hinsichtlich der dort verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten gewährte Aussetzung der Vollstreckung zu widerrufen, zurückgewiese n.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten darin entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.
Gründe
I.
Der Verurteilte wurde mit Urteil des Amtsgerichts Ottweiler vom 15. Mai 2019 (Az.: 3 Ds 36 Js 203/19 (127/19)), rechtskräftig seit dem 23. Mai 2019, wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt; die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Mit Beschluss vom selben Tag setzte das Amtsgericht Ottweiler die Bewährungszeit auf drei Jahre fest und unterstellte den Verurteilten der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers. Den Berichten des zuständigen Bewährungshelfers ist zu entnehmen, dass sich die Bewährungsaufsicht von Beginn an schwierig gestaltete. Es fanden zwar vereinzelte Kontakte statt, es gab aber auch wiederholt mehrmonatige Kontaktabbrüche, während derer der Verurteilte mit den Mitteln der Bewährungshilfe in keiner Form erreicht werden konnte.
Seit dem 1. April 2021 befindet sich der Verurteilte in der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken in anderer Sache in Strafhaft, das Strafende ist auf den 5. Mai 2023 notiert.
Mit Beschluss vom 20. September 2021 hat die Strafvollstreckungskammer die durch Urteil des Amtsgerichts Ottweiler vom 15. Mai 2019 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung wegen beharrlichen Sich-Entziehens der Bewährungsaufsicht nach § 56f Abs.1 S. 1 Nr. 2 StGB widerrufen, nachdem die Staatsanwaltschaft den entsprechenden Antrag bereits mit Verfügung vom 16. Januar 2020 gestellt hatte; ein zwischenzeitlich ergangener Widerrufsbeschluss des Amtsgerichts Ottweiler in dieser Sache vom 30. Januar 2020 war auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten hin vom Landgericht Saarbrücken mit Beschluss vom 25. August 2020 aufgehoben worden.
Gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 20. September 2021, der dem Verteidiger des Verurteilten am 24. September 2021 zugestellt wurde, hat dieser mit Telefaxschreiben vom 27. September 2021, beim Landgericht Saarbrücken eingegangen am selben Tag, sofortige Beschwerde eingelegt. Er begehrt die Aufhebung des Widerrufsbeschlusses und führt zur Begründung im Wesentlichen aus, dass sämtliche Verfahren, die wegen möglicher Weisungsverstöße gegen den Angeklagten geführt wurden, inzwischen eingestellt worden sind.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die zulässige sofortige Beschwerde des Verurteilten als unbegründet zu verwerfen.
II.
Der gemäß § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO statthaften und auch im Übrigen zulässigen, insbesondere fristgerecht (§ 311 Abs. 2 StPO) eingelegten sofortigen Beschwerde kann der Erfolg in der Sache nicht versagt bleiben.
Die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ist deshalb veranlasst, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Widerruf der Strafaussetzung nach § 56f Abs.1 S.1 Nr.2, 2. Alt. StGB im vorliegenden Fall nicht gegeben sind. Danach widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person sich der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers beharrlich entzieht und dadurch Anlass zu der Besorgnis gibt, dass sie erneut Straftaten begehen wird. Demnach verlangt § 56f StGB, seinem Charakter als Muss-Vorschrift mit möglicherweise harten Konsequenzen entsprechend, Umstände von einer gesteigerten Erheblichkeit (Groß/Kett-Straub in: MüKo, StGB, 4. Auflage, § 56f Rdnr.14). Das Merkmal beharrlich stellt dabei nicht auf die Schwere der Verfehlung im Einzelfall ab, sondern enthält eine Wiederholungskomponente: Es genügt nicht der einmalige, vielleicht sogar grobe Verstoß, sondern dieser muss sich fortsetzen und, ggf. im Zusammenhang mit der bekanntgewordenen Einstellung des Verurteilten, den Schluss erlauben, dass er auch in Zukunft der Weisung keine Folge leisten wird (MüKo a.a.O., Rdnr.15). Eine ablehnende Haltung gegen die erteilte Weisung kann insbesondere aus andauerndem Verhalten (Flucht, Sich-Verstecken) abgeleitet werden (vgl. Kinzig in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Auflage, § 56f Rdnr.14), das dazu führt, dass die Bewährungshilfe den Einfluss auf den Verurteilten insgesamt verliert (vgl. Hubrach in: LK, StGB, 12. Auflage, § 56f Rdnr.22; Trüg in: Leibold/Tsambikakis/Zöller, StGB, 3. Auflage, § 56f Rdnr.19 m.w.N.).
Vor diesem Hintergrund kann im vorliegenden Fall jedenfalls derzeit nach Aktenlage aufgrund der Inhaftierung des Verurteilten seit dem 1. April 2021 nicht mehr von einem beharrlichen Verstoß gegen die erteilte Weisung in Form der Unterstellung unter die Bewährungshilfe ausgegangen werden, mag dies auch in der Vergangenheit durch die fehlende Kontakthaltung und die wiederholten Kontaktabbrüche der Fall gewesen sein. Denn der Verurteilte ist für die Bewährungshilfe in der Justizvollzugsanstalt erreichbar und es bestehen auch keine begründeten Anhaltspunkte dafür, dass der Verurteilte sich einer Zusammenarbeit verweigern und die Bewährungshilfe demnach den Einfluss auf den Verurteilten insgesamt verlieren wird.
Insoweit ergibt sich aus dem Bericht des Bewährungshelfers vom 13. September 2019, dass die mangelnde Kontakthaltung damals mit der schwierigen persönlichen Lebenssituation des Verurteilten zu erklären und nicht etwa Ausdruck einer ablehnenden Haltung gegenüber der erteilten Weisung war.
Da es aufgrund der geschilderten Umstände bereits an dem Tatbestandsmerkmal des beharrlichen Sich-Entziehens fehlt, kommt es auf die weitere einschränkende Voraussetzung des § 56f Abs.1 S.1 Nr.2, dass der Verurteilte aufgrund des Weisungsverstoßes Anlass zu der Besorgnis gibt, dass er erneut Straftaten begehen wird nicht mehr an.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 473 Rdnr. 2).
Einsender:
Anmerkung:
Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.
Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".