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Entscheidungen

OWi

Ruhen der Verfolgungsverjährung, Abwesenheitsurteil, Toleranzabzug, Geschwindigkeitsermittlung, ProVida Modular 2000, Nachfahren, Fahrverbot

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 15.12.2021 – 3 Ws (B) 304/21

Eigener Leitsatz: 1. Ein Abwesenheitsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG lässt die Verfolgungsverjährung gemäß § 32 Abs. 2 OWiG ruhen, selbst wenn anschließend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden ist.
2. Ein vorgenommener Sicherheitsabschlag in Höhe von 10 Prozent gleicht mögliche Messfehler infolge nicht erfolgter Neueichung nach einer Umrüstung des Fahrzeugs von Sommer- auf Winterreifen, ohne dass sich Umfang oder Reifengröße verändert haben, aus.
3. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass (ordnungsgemäß angebrachte) Vorschriftszeichen, auch solche, durch die eine Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erfolgt, wahrgenommen werden und ein fahrlässiges Übersehen die Ausnahme darstellt.
4. Regelmäßig liegt ab einem Zeitraum von etwa zwei Jahren die Prüfung nahe, ob ein Fahrverbot seine erzieherischen Zwecke im Hinblick auf den Zeitablauf noch erfüllen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, worauf die lange Verfahrensdauer zurückzuführen ist, insbesondere ob hierfür maßgebliche Umstände im Einflussbereich des Betroffenen liegen oder Folge gerichtlicher oder behördlicher Abläufe sind.


3 Ws (B) 304/21122 Ss 139/21

In der Bußgeldsache
gegen pp.

wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts am 15. Dezember 2021 beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 20. Mai 2021 wird als unbegründet verworfen.

Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 4. April 2019 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße in Höhe von 200,00 Euro festgesetzt sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt und eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG getroffen.

Gegen den am 6. April 2019 dem Betroffenen zugestellten Bußgeldbescheid hat der Betroffene rechtzeitig Einspruch eingelegt.

Nachdem am 10. September 2020 ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG ergangen war, ist dem Betroffenen mit Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 8. Oktober 2020 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden.
Mit Urteil vom 20. Mai 2021 hat ihn das Amtsgericht Tiergarten zu einer Geldbuße von 200,00 Euro verurteilt, ihm für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen, und eine Bestimmung über das Wirksamwerden des Fahrverbotes nach § 25 Abs. 2a StVG getroffen.

Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene als Führer eines Pkw am 6. Januar 2019 um 0.07 Uhr in x Berlin die Bundesautobahn 100 in Fahrtrichtung Nord zwischen dem Autobahndreieck F und der Anschlussstelle K befuhr. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit war mit Zeichen 274 auf 60 km/h beschränkt. Die Geschwindigkeitsmessung ergab mittels ProVida 2000 (genauer: ProViDa 2000 modular - Anmerkung des Senats) unter Zugrundelegung der Vierpunktmessung auf einer Wegstrecke von 646 Metern eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 113,72 km/h, festgestellt wurde abzüglich einer Toleranz von 10 Prozent eine dem Betroffenen vorzuwerfende Geschwindigkeit von 102 km/h und dementsprechend eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 42 km/h. Die Eichung der betreffenden Geschwindigkeitsmessanlage war erfolgt, als das Fahrzeug mit Sommerreifen ausgestattet war, wohingegen zur Tatzeit eine Umrüstung auf Winterreifen erfolgt war, ohne dass sich Umfang oder Reifengröße verändert hatten.

Die Geschwindigkeitsüberschreitung erfolgte in Folge von Unachtsamkeit des Betroffenen.

Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde und erhebt die allgemeine Sachrüge.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist nach §§ 79 Abs. 3, 4 OWiG, 341, 344, 345 StPO fristgemäß und auch formgerecht eingereicht worden.
Zwar fehlt es in der Rechtsmittelbegründung an dem nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 344 Abs. 1 StPO erforderlichen Rechtsbeschwerdeantrag. Dies ist jedoch unschädlich, weil das Ziel des Rechtsmittels aus der Rechtsbeschwerdeschrift ersichtlich ist: Erhebt der Beschwerdeführer uneingeschränkt die Sachrüge, so ist daraus im Regelfall zu entnehmen, dass er das Urteil insgesamt anficht (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 1999 - 4 StR 652/98 -, juris; Hadamitzky in KK-OWiG 5. Aufl., § 79 Rn. 86 m.w.N.).

2. Die von Amts wegen im Freibeweisverfahren veranlasste Prüfung ergibt, dass kein Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung besteht.

Insbesondere war zum einen die ab der Handlung am 6. Januar 2019 laufende dreimonatige Frist der Verfolgungsverjährung (§ 26 Abs. 3 StVG) zum Zeitpunkt des Erlasses des Bußgeldbescheides am 4. April 2019 - wobei die Zustellung am 6. April 2019 und somit innerhalb von zwei Wochen erfolgt ist - noch nicht abgelaufen.

Zum anderen war zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Urteils am 20. Mai 2021 die absolute (zweijährige) Verjährungsfrist (§ 33 Abs. 3 Satz 2 OWiG) nicht verstrichen. Denn seit dem am 10. September 2020 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Abwesenheitsurteil ruhte die Verfolgungsverjährung. Nach § 32 Abs. 2 OWiG tritt die Verjährung nach Erlass eines Urteils im ersten Rechtszug oder eines Beschlusses nach § 72 OWiG nicht vor dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens ein und ist demnach für das gesamte weitere Verfahren gehemmt. Auch ein Abwesenheitsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG löst diese Folge aus, selbst wenn es zu Unrecht erging bzw. - wie hier - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden ist (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 19. Januar 2018 - 1 OWi 2 Ss Bs 84/17 -, BeckRS 2018, 1065; OLG Hamm, Beschluss vom 15.7.2008 - 3 Ss OWi 180/08 -, BeckRS 2008, 18098; OLG Köln, Beschluss vom 23. Dezember 1977 - Ss 806/77 -, juris). Denn der Wortlaut des § 32 Abs. 2 OWiG stellt auf den Erlass eines Urteils im ersten Rechtszug ab und unterscheidet nicht danach, ob ein Sach- oder ein Prozessurteil ergangen ist. Eine solche Differenzierung stünde auch dem im Verjährungsrecht geltenden Gebot klarer, einfacher Regelungen entgegen (vgl. OLG Zweibrücken a.a.O.).

3. Die auf die allgemeine Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils zeigt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf, der die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache gebietet.

a) Die Sachrüge ist unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch wendet.
aa) Die im Urteil festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung beruht auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.

Bei dem eingesetzten Geschwindigkeitsmessverfahren ProViDA 2000 modular handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren (vgl. Senat, Beschlüsse vom 2. August 2018 - 3 Ws (B) 202/18 -; vom 12. Dezember 2017 - 3 Ws (B) 302/17 -; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 11. Juni 2019 - (2 B) 53 Ss-Owi 132/19 [95/19] -, alle bei juris; OLG Hamm DAR 2009, 156).

Bei einem solchen Messverfahren genügt es grundsätzlich, wenn sich die Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf die Mitteilung des Messverfahrens und der nach Abzug der Messtoleranz ermittelten Geschwindigkeit stützt. Voraussetzung ist, dass das Gerät von seinem Bedienungspersonal standardmäßig, das heißt in geeichtem Zustand, seiner Bauartzulassung entsprechend und gemäß der vom Hersteller herausgegebenen Bedienungsanleitung verwendet wurde und sich keine Anhaltspunkte für Fehlerquellen ergeben haben (vgl. BGH MDR 1993, 1107; Senat, Beschlüsse vom 22. März 2021 - 3 Ws (B) 35/21 - und vom 22. September 2020 – 3 Ws (B) 182/20 –, juris).

Das Amtsgericht hat sich insbesondere durch die Vernehmung des Zeugen R von der ordnungsgemäßen Durchführung der Messung durch die beteiligten Polizeibeamten zum Tatzeitpunkt überzeugt und die gefahrene Geschwindigkeit nach Abzug einer Messtoleranz in Höhe von 10 Prozent ermittelt.

Anhaltspunkte für Fehlerquellen haben sich ausweislich der allein relevanten Urteilsfeststellungen nicht ergeben.

Dem steht der Umstand, dass die Eichung der ProViDA 2000 modular-Anlage stattgefunden hat, als das Fahrzeug mit Sommerreifen ausgestattet war, wohingegen zur Tatzeit eine Umrüstung auf Winterreifen erfolgt ist, ohne dass sich Umfang oder Reifengröße verändert haben, nicht entgegen. Denn mit dem vom Amtsgericht vorgenommenen Sicherheitsabschlag in Höhe von 10 Prozent sind mögliche Messfehler infolge dieses Reifenwechsels ausgeglichen worden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 7. März 2019 - 3 Ws (B) 51/19 - und vom 25. Januar 2002 - 2 Ss 292/01 - 3 Ws (B) 5/02 -, beide juris):

Bei der menügesteuerten Betriebsart zur Geschwindigkeitsmessung der Vierpunktmessung (vgl; Senat, Beschluss vom 2. August 2018 a.a.O.; OLG Celle NZV 1997, 188; Krumm in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht 2. Aufl. Anhang zu § 3 StVO Rn. 137) ist nach der für das verwendete Messgerät maßgeblichen innerstaatlichen Bauartzulassung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), die dem Senat aus anderen Verfahren insofern bekannt ist, bei Geschwindigkeiten von über 100 km/h ein Toleranzwert von 5 Prozent des Messwerts abzuziehen. Bei einem Wechsel von Sommer- auf Winterreifen muss ein - weiterer - Abzug von einem Prozent veranschlagt werden (vgl. OLG Celle a.a.O.). Der vom Amtsgericht berücksichtigte Toleranzwert von 10 Prozent genügt diesen Vorgaben.

bb) Das Amtsgericht ist ersichtlich von einer fahrlässigen Begehungsweise ausgegangen. Dass es mit Blick auf die Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung nähergelegen hätte, den Betroffenen wegen vorsätzlicher Begehungsweise zu verurteilen, beschwert ihn nicht.

Denn bei der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit drängt sich eine vorsätzliche Begehungsweise umso mehr auf, je massiver deren Ausmaß ist. Insoweit kann auf den Erfahrungssatz zurückgegriffen werden, dass jedenfalls bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 40 Prozent - vorliegend beläuft sich diese auf 70 Prozent - von Vorsatz auszugehen ist, sofern nicht besondere Umstände eine abweichende Wertung veranlassen (ständige Rspr. des Senats, vgl. etwa Beschlüsse vom 27. April 2020 - 3 Ws (B) 49/20 - und vom 6. März 2019 --3 Ws (B) 47/19 -, juris m.w.N.). Derartige besonderen Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich.

Auch soweit das Amtsgericht zugunsten des Betroffenen davon ausgeht, dass er das Zeichen 274 aufgrund von Unaufmerksamkeit übersehen oder aus anderen Gründen nicht wahrgenommen habe, ist dagegen Folgendes zu erinnern: Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass (ordnungsgemäß angebrachte) Vorschriftszeichen, auch solche, durch die eine Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erfolgt, wahrgenommen werden und ein fahrlässiges Übersehen die Ausnahme darstellt. Daher braucht die Möglichkeit, dass ein Betroffener das Vorschriftszeichen übersehen hat, nur in Rechnung gestellt zu werden, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben (vgl. BGHSt 43, 241; Senat, Beschlüsse vom 2. August 2018 a.a.O. und vom 13. Dezember 2017 - 3 Ws (B) 325/17 -; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 27. April 2020 - (1 B) 53 Ss-OWi 174/20 (104/20) -, juris). Der vom Amtsgericht allein angeführte Anhaltspunkt, dass der Betroffene den ihm folgenden Streifenwagen offenbar nicht wahrgenommen habe, stützt die zugunsten des Betroffenen unterstellte Unaufmerksamkeit nicht.

b) Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen die Rechtsfolgenentscheidung wendet, greift sie im Ergebnis weder hinsichtlich der Höhe der verhängten Geldbuße noch mit Blick auf das verhängte Fahrverbot mit der getroffenen Wirksamkeitsanordnung nach § 25 Abs. 2a StVG durch.

Die Bemessung der Rechtsfolgen liegt grundsätzlich im Ermessen des Tatgerichts, weshalb sich die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht darauf beschränkt, ob dieses von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat; insoweit ist die getroffene Entscheidung bis zur Grenze des Vertretbaren zu respektieren (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Februar 2018 – 3 Ws (B) 27/18 –, BeckRS 2018, 13525 m.w.N.).

aa) Zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass es sich bei der Bemessung der Geldbuße am Regelsatz von 200,00 Euro der hier einschlägigen Nr. 11.3.7 des Anhangs (Tabelle 1) zur laufenden Nummer 11 der Anlage (BKat) zu § 1 Abs.1 BKatV zu orientieren hatte.

Zwar nimmt das Amtsgericht in den Urteilsgründen auf eine tilgungsreife Voreintragung Bezug, berücksichtigt aber die Voreintragung - wegen des Zeitablaufs zwischen dem in Frage stehenden Geschwindigkeitsverstoß und dem Urteil - nicht bußgelderhöhend. Die am 28. September 2018 rechtskräftig gewordene Voreintragung unterliegt - als Geschwindigkeitsverstoß um 39 km/h außerorts - gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 a) StVG i.V.m. Nr. 3.2.2. der Anlage 13 zu § 40 FeV i.V.m. Nr. 11.3.6 der Tabelle 1 des Anhangs BKat einer Tilgungsfrist von zwei Jahren und sechs Monaten und ist somit zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung am 20. Mai 2021 nicht mehr verwertbar gewesen.

bb) Die Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Denn der Gesetzgeber sieht für innerorts begangene Geschwindigkeitsüberschreitungen von 42 km/h nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV in Verbindung mit Nr. 11.3.7 des Anhangs (Tabelle 1) zur laufenden Nr. 11 der Anlage (BKat) zu § 1 Abs. 1 BKatV regelmäßig die Anordnung eines einmonatigen Fahrverbots neben der Verhängung einer Geldbuße vor.

(1) Nach der auch von den Gerichten zu beachtenden Vorbewertung des Verordnungsgebers in § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV ist eine grobe Pflichtverletzung im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG bei der hier vorliegenden Verkehrsordnungswidrigkeit bereits indiziert, die zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass es regelmäßig zur Anordnung eines Fahrverbotes als Denkzettel und Besinnungsmaßnahme Anlass gibt (BGHSt 38, 125; Senat, Beschlüsse vom 8. Juli 2020 - 3 Ws (B) 105/20 -, vom 6. März 2018 - 3 Ws (B) 73/18 -, und vom 17. Januar 2018 - 3 Ws (B) 356/17 -, juris). Diese Bindung der Sanktionspraxis dient der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen (BVerfG NZV 1996, 284). Das Tatgericht ist in diesen Fällen gehalten, ein Fahrverbot anzuordnen (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Januar 2018 a.a.O.).

Folgerichtig ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass aufgrund der rechtskräftigen Feststellungen wegen einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers neben der Anordnung einer Geldbuße die Verhängung eines Regelfahrverbots indiziert war.

(2) Das Amtsgericht hat rechtsfehlerfrei nicht von der Anordnung eines Fahrverbotes abgesehen.

Ein Absehen von der Anordnung eines Fahrverbotes kommt nur in ganz besonderen Ausnahmefällen in Betracht; namentlich, wenn der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erheblich von dem Regelfall abweicht, an den der Gesetzgeber gedacht hat, dass er als Ausnahme zu werten ist, insbesondere wenn dem Betroffenen infolge des Fahrverbots der Verlust seines Arbeitsplatzes oder seiner sonstigen wirtschaftlichen Existenz droht und dies nicht durch zumutbare Vorkehrungen vermieden werden kann (vgl. Senat, Beschlüsse vom 27. April 2020 a.a.O., vom 5. Februar 2019 - 3 Ws (B) 3/19 - und vom 3. Mai 2017 - 3 Ws (B) 102/17 -, beide juris).

Die dabei vom Tatgericht innerhalb des ihm eingeräumten Bewertungsspielraumes nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen zu treffenden Wertungen können vom Rechtsbeschwerdegericht nur daraufhin überprüft werden, ob es sein Ermessen durch unzulässige Erwägungen überschritten und sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat (vgl. Senat, Beschlüsse vom 5. Februar 2019 und vom 3. Mai 2017 jeweils a.a.O.). Dem tatrichterlichen Beurteilungsspielraum sind jedoch bei der Frage, ob es eines Fahrverbots ausnahmsweise nicht bedarf, der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit wegen enge Grenzen gesetzt und die gerichtlichen Feststellungen müssen die Annahme eines Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen. (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Juni 2020 – 3 Ws (B) 99/20 - und vom 6. März 2018 a.a.O.).

Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe gerecht.

(a) Dafür, dass die Anordnung des Fahrverbots für den Betroffenen eine ganz außergewöhnliche Härte darstellen würde, die sich auch nicht durch ihm zumutbare Maßnahmen abfedern lassen kann (vgl. Senat NJW 2016, 1110 m.w.N.), gab es nach den allein maßgeblichen Urteilsgründen unter Berücksichtigung der dem Betroffenen gewährten Wirksamkeitsbestimmung gemäß § 25 Abs. 2a StVG keine Anhaltspunkte.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hat der Betroffene keine abgeschlossene Berufsausbildung, war jedoch als Sicherheitsmitarbeiter tätig und hat sich dahingehend eingelassen, dass das Ende seiner Probezeit unmittelbar bevorstehe.

Sofern daraus geschlossen werden sollte, dass das Fahrverbot den Betroffenen deshalb besonders hart treffe, weil er noch in der Probezeit stehe, dürfte ein solches Argument mittlerweile - angesichts der Höchstdauer von sechs Monaten nach § 622 Abs. 3 BGB - durch Zeitablauf hinfällig geworden sein (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. Januar 2008 - IV-5 Ss (OWi) 139/07 - (OWi) 54/07 IV -, juris). Im Übrigen stellt das Amtsgericht heraus, dass trotz Zusage Belege für die Befürchtung, die Arbeit zu verlieren, nicht beigebracht worden sind.

(b) Der Verhängung des Fahrverbotes steht auch nicht der Zeitablauf zwischen der Tatbegehung am 6. Januar 2019 und dem tatrichterlichen Urteil am 20. Mai 2021 entgegen.
Es ist eine Frage des Einzelfalls, wann bei langer Verfahrensdauer wegen des Zeitablaufs allein oder zusammen mit anderen Umständen die Verhängung eines Fahrverbots nicht mehr in Betracht kommt. In aller Regel dürfte dieser Zeitpunkt nach Ablauf von etwa zwei Jahren erreicht sein; eine starre Grenze besteht jedoch nicht (vgl. Senat, Beschlüsse vom 22. März 2021, vom 27. April 2020 jeweils a.a.O. und vom 15. Juli 2019 – 3 Ws (B) 215/19 –, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 30. Dezember 2020 – 1 OLG 53 Ss-OWi 630/20 –, juris m.w.N.). Der Zeitraum von zwei Jahren ist lediglich ein Anhaltspunkt dafür, dass eine tatrichterliche Prüfung, ob das Fahrverbot seinen erzieherischen Zweck im Hinblick auf den Zeitablauf noch erfüllen kann, naheliegt. Dabei ist zu berücksichtigen, worauf die lange Verfahrensdauer zurückzuführen ist, insbesondere ob hierfür maßgebliche Umstände im Einflussbereich des Betroffenen liegen oder Folge gerichtlicher oder behördlicher Abläufe sind (vgl. Senat, Beschlüsse vom 20. September 2019 - 3 Ws (B) 253/19 -; vom 15. Juli 2019- 3 Ws (B) 215/19 -, juris; vom 28. Oktober 2011 - 3 Ws (B) 475/11 - m.w.N.).

Die Grenze von zwei Jahren war hier bei Erlass des amtsgerichtlichen Urteils zwar schon erreicht. Jedoch hat das Amtsgericht dargelegt, dass der Umstand, dass das Verfahren nicht schneller betrieben worden ist, dem Gericht zum allergrößten Teil nicht anzulasten ist: So hat das Gericht ab dem 19. November 2019 bis zur Hauptverhandlung am 20. Mai 2021 neun Termine zur Hauptverhandlung anberaumt, vier davon konnten wegen Verhinderung des Verteidigers nicht durchgeführt werden, in einem weiteren Termin war der Betroffene urlaubsbedingt verhindert, in einem weiteren Termin wurde die Hauptverhandlung ausgesetzt, weil der Verteidiger zur Kompensation vortragen wollte, was nicht geschehen ist.

Vor diesem Hintergrund ist in diesem Einzelfall nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht trotz langer Verfahrensdauer nicht von der Anordnung des Fahrverbotes abgesehen hat.

(c) Schließlich hat sich das Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil in ausreichender Weise mit der Möglichkeit auseinandergesetzt, gemäß § 4 Abs. 4 BKatV von einer Anordnung eines Fahrverbots abzusehen, und darauf hingewiesen, sich darüber bewusst gewesen zu sein, unter bestimmten Voraussetzungen nach Maßgabe von § 4 Abs. 4 BKatV auf die Verhängung eines Fahrverbots verzichten zu können (UA, S. 4). Näherer Feststellungen, dass der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg auch mit einer erhöhten Geldbuße nicht zu erreichen gewesen wäre, bedurfte es nicht (vgl. BGHSt 38, 125).

cc) Die Wirksamkeitsanordnung nach § 25 Abs. 2a StVG begegnet vorliegend keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere war die Voreintragung, die ein Fahrverbot umfasste, - wie oben ausgeführt - tilgungsreif.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin

Anmerkung:


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