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Entscheidungen

StPO

Berufungsverwerfung, ordnungsgemäße Ladung, Übersetzung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.12.2021 – 2 Rv 35 Ss 670/21

Leitsatz des Gerichts: 1. Die Beanstandung, dass verfahrensrechtliche Voraussetzungen einer Berufungsverwerfung gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht vorgelegen haben, ist mit der Verfahrensrüge geltend zu machen.
2. Ist der Angeklagte nicht der deutschen Sprache mächtig und ist seine Unterrichtung nicht auf andere Weise sichergestellt, liegt es nahe, dass sich aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren die Pflicht zur Übersetzung der Ladung und des Warnhinweises gemäß §§ 216 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 Satz 2 StPO ergibt.
3. Unterbleibt die Übersetzung, führt dies nicht zur Unwirksamkeit der Ladung; der Anspruch auf ein faires Verfahren wird in der Regel durch die Möglichkeit zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewahrt.


In pp.

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 24.6.2021 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Amtsgericht Freiburg verurteilte den Angeklagten wegen versuchten Raubes in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu der Freiheitsstrafe von sieben Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Landgericht Freiburg verwarf mit dem angefochtenen Urteil vom 24.6.2021 die Berufung des Angeklagten, nachdem dieser zur Berufungshauptverhandlung nicht erschienen war und der anwesende Verteidiger keine Vertretungsvollmacht hatte.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten Revision wird vor allem beanstandet, dass der Angeklagte nicht ordnungsgemäß zur Berufungshauptverhandlung geladen worden sei.

Die Überprüfung des Urteils deckt nach einstimmig getroffener Entscheidung (§ 349 Abs. 2 StPO) keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

Eines näheren Eingehens bedarf es dabei nur auf die in der Revisionsbegründung aufgestellte Behauptung, die Voraussetzungen für eine Verwerfung der Berufung des Angeklagten gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO hätten nicht vorgelegen.

1. Soweit in diesem Zusammenhang die Ordnungsmäßigkeit der Ladung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung mit Zweifeln daran, dass der Angeklagte an der Zustellanschrift tatsächlich gewohnt habe, in Frage gestellt wird, ist die dazu erforderliche Verfahrensrüge nicht in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise ausgeführt und deshalb bereits unzulässig.

a) Bei den einzelnen Voraussetzungen des Verwerfungsurteils nach § 329 StPO handelt es sich nicht um Verfahrensvoraussetzungen, die bereits auf die Sachrüge hin vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen sind. Beanstandungen der prozessualen Voraussetzungen für ein Verwerfungsurteil müssen deshalb mit der Verfahrensrüge vorgebracht werden (BGH MDR 1987, 336; KG NStZ 2009, 111; OLG Hamm, Beschluss vom 25.10.2016 - III-3 Rvs 72/16, juris; BayObLG, Beschluss vom 9.10.2020 - 202 StRR 94/20, juris). Dazu gehört auch, dass ein Verfahrensverstoß bestimmt behauptet und nicht nur als bloße Möglichkeit in den Raum gestellt wird (st. Rspr., BGHSt 19, 273; NJW 1953, 836; NStZ 2021, 512).

b) Dem genügt der Vortrag in der Revisionsbegründung, wonach es sich „nicht nachhalten“ ließ, ob der Angeklagte der Wohnsitznahme in der ihm zugewiesenen Sammelunterkunft nachgekommen ist, und es offen geblieben sei, ob der Angeklagte zu irgendeinem Zeitpunkt unter der Anschrift erreichbar war, nicht.

2. Die weitere Beanstandung, dem nicht der deutschen Sprache mächtigen Angeklagten sei die Ladung zur Berufungshauptverhandlung (und der damit verbundene Hinweis auf die Folgen seines Ausbleibens) nicht in eine für ihn verständliche Sprache übersetzt worden, ist zulässig, aber unbegründet.

a) Die Rüge einer Verletzung des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO ist insoweit zulässig ausgeführt. Insbesondere wird in der Revisionsbegründung auch mitgeteilt, dass der Angeklagte nicht bereits im Zusammenhang mit der Verkündung des amtsgerichtlichen Urteils über die Folgen eines Ausbleibens im Berufungstermin belehrt wurde (dazu OLG Hamm, Beschluss vom 25.10.2016 a.a.O.; BayObLG a.a.O.).

b) Die Rüge ist aber unbegründet, obwohl nach Aktenlage davon auszugehen ist, dass die von der Vorsitzenden der Berufungskammer verfügte Übersetzung tatsächlich nicht ausgeführt wurde. Denn unabhängig davon, ob eine rechtliche Verpflichtung zur Beifügung einer Übersetzung der Ladung in eine für den Angeklagten verständliche Sprache bestand, führt der Verstoß hiergegen nicht zur Unwirksamkeit der Ladung.

1. Allerdings wird dies in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt.
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(1) Nach der überwiegend und in der obergerichtlichen Rechtsprechung einheitlich vertretenen Auffassung (OLG Hamm JMBl NW 1981, 166; 1984, 78 und Beschluss vom 25.10.2016 a.a.O.; BayObLG NJW 1996, 1836 und Beschluss vom 9.10.2020 a.a.O; OLG Nürnberg NStZ-RR 2010, 286; OLG Köln NStZ-RR 2015, 317; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 216 Rn. 8; LR-Jäger, StPO, 27. Aufl., § 216 Rn. 4 m.w.N.; MK-Arnoldi, StPO, § 216 Rn. 6; BeckOK-StPO-Eschelbach, 41. Ed., § 329 Rn. 27; KMR-Eschelbach, StPO, 94. EL, § 214 Rn. 32; SK-StPO-Deiters, 5. Aufl., § 214 Rn. 10; HK-StPO-Julius/Reichling, 6. Aufl., § 216 Rn. 9) berührt die fehlende Übersetzung der Ladung und des damit verbundenen Hinweises gemäß § 323 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht die Wirksamkeit der Ladung und steht einer Verwerfung der Berufung des Angeklagten bei seinem Ausbleiben nicht entgegen. Dies wird mit dem Fehlen entsprechender rechtlicher Bestimmungen, aber auch damit begründet, dass anders als bei anderen Ladungsmängeln die Unwirksamkeit der Ladung nur mit Schwierigkeiten beurteilt werden könne, da sie vom Ausmaß der Sprachkenntnisse des Angeklagten abhänge (dazu ausführlich OLG Köln a.a.O.).

(2) Die Gegenmeinung hebt dagegen auf die Parallele zu anderen Ladungsmängeln und zu der Rechtsprechung (OLG Bremen NStZ 2005, 527; OLG Dresden StV 2009, 348; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2010, 49) ab, wonach die Anordnung von Zwangsmaßnahmen unzulässig ist, wenn der Warnhinweis gemäß § 216 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht übersetzt wurde (LG Heilbronn, Beschluss vom 17.6.2010, 5 Ns 44 Js 7003/09, juris) und beruft sich auf den Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren (Grube in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, § 216 Rn. 16; vgl. auch KK-Paul, StPO, 8. Aufl., § 329 Rn. 3).

2) Nach Auffassung des Senats ist die Frage, ob das Gericht zu einer Übersetzung der Ladung verpflichtet ist, nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei liegt es nahe, vorliegend eine entsprechende Verpflichtung anzunehmen.

(1) Soweit die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren in Nr. 181 Abs. 2 bestimmen, dass Ladungen „dem Ausländer, der die deutsche Sprache nicht hinreichend beherrscht, mit einer Übersetzung in eine ihm verständliche Sprache bekanntzugeben“ sind, handelt es sich um eine in erster Linie an die Staatsanwaltschaften gerichtete Verwaltungsvorschrift, die weder die Gerichte bindet noch selbständig Verfahrensrechte des Angeklagten begründet (BVerfGE 64, 135 - bei juris Rn. 46; BayObLG NJW 1996, 1836).

(2) Eine gesetzliche Bestimmung zur Verpflichtung zu Übersetzungsleistungen findet sich nicht in der Strafprozessordnung, sondern in § 187 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 GVG. Mit dieser Regelung sollten zum einen die Vorgaben in Art. 3 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.10.2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (ABl. L 280/5) - im Folgenden: RL - in deutsches Recht umgesetzt werden, zum anderen der Gewährleistung aus Art. 6 Abs. 3 lit. e MRK Rechnung getragen werden (BT-Drs. 17/12578 S. 7 f.). Über die in Art. 3 Abs. 2 RL bzw. § 187 Abs. 2 Satz 1 GVG aufgezählten Schriftstücke hinaus, bei denen die Übersetzung regelmäßig für erforderlich gehalten wird, ohne dass dabei allerdings die Ladung zur Verhandlung genannt wird, soll mit der Formulierung „soweit dies zur Ausübung der strafprozessualen Rechts des Beschuldigten erforderlich ist“ zum Ausdruck gebracht werden, dass die Entscheidung über Art und Umfang der Übersetzung im Einzelfall dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts unter Berücksichtigung des Rechts auf ein faires Verfahren im Einklang mit der anerkannten Auslegung von Art. 6 Abs. 3 lit. e MRK unterliegt (BT-Drs. 17/12578 S. 11).

(3) Der Gehalt der Gewährleistung des Art. 6 Abs. 3 lit. e MRK ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) wie folgt bestimmt worden:

„Das in Art. 6 Abs. 3 lit. e gewährte Recht auf unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher gilt nicht nur für das mündliche Vorbringen in der Hauptverhandlung, sondern auch für Schriftstücke und während des Ermittlungsverfahrens. Abs. 3 lit. e bedeutet, dass der Angeklagte, der die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder sie nicht spricht, Anspruch auf unentgeltlichen Beistand eines Dolmetschers hat, damit ihm sämtliche Schriftstücke und mündliche Erklärungen in dem gegen ihn durchgeführten Verfahren übersetzt werden, auf deren Verständnis er angewiesen ist, um ein faires Verfahren zu haben (Urteil Luedicke, Belkacem und Koç vom 28. November 1978, Série A Nr. 29, S. 20, Ziff. 48, EGMR-E 1, 357).

Abs. 3 lit. e geht aber nicht so weit, eine schriftliche Übersetzung jeder Beweisurkunde oder jedes Aktenstücks zu verlangen. Die Unterstützung durch einen Dolmetscher muss es dem Angeklagten ermöglichen zu verstehen, was man ihm vorwirft, und sich zu verteidigen, indem er insbesondere dem Gericht seine Version der Ereignisse vortragen kann“ EGMR Urteil Kamasinski ./. Österreich vom 19.12.1989, EGMR-E 4, 450 Rn. 74).

Dies spricht dafür, dass im Fall eines der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten die Ladung zur Verhandlung über die Berufung des Angeklagten und der Hinweis auf die Folgen eines Ausbleibens jedenfalls dann, wenn eine Unterrichtung des Angeklagten durch den Verteidiger oder auf andere Weise nicht sichergestellt ist, zu übersetzen sind, da die Kenntnis dieser Mitteilungen für die Ausübung der prozessualen Rechte des Angeklagten von erheblicher Bedeutung ist. Vorliegend ist zudem in die Beurteilung mit einzubeziehen, dass das Landgericht in Ausübung des ihm gesetzlich zugeschriebenen Ermessens mit der Anordnung zur Übersetzung selbst zum Ausdruck gebracht hat, eine Übersetzung für erforderlich zu halten. Einer abschließenden Beurteilung, ob vorliegend mit der Übersendung der Ladung und des Hinweises gemäß § 323 Abs. 1 Satz 2 StPO ausschließlich in deutscher Sprache gegen die sich aus § 187 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 GVG ergebende Verpflichtung verstoßen wurde, bedarf es gleichwohl nicht.

3) Weder aus den strafprozessualen Vorschriften noch aus den allgemeinen das Strafverfahrensrecht bestimmenden Grundsätzen ergibt sich, dass ein Verstoß gegen die sich aus § 187 GVG ergebende Pflicht zu Übersetzungsleistungen die Unwirksamkeit der damit verbundenen prozessualen Handlung nach sich zieht.

Dabei ist maßgeblich, dass die Übersetzungsleistungen sowohl nach dem Verständnis des deutschen Gesetzgebers und der EU-Richtlinie über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren - dort Art. 3 Abs. 1 - als auch der Europäischen Menschenrechtskonvention Teil der Gewährleistung des Anspruchs auf ein faires Verfahren sind. Für die Beurteilung, ob diesem Grundsatz genügt ist, kommt es jedoch in aller Regel nicht auf die isolierte Beurteilung einer einzelnen Verfahrenshandlung, sondern eine Betrachtung des gesamten Verfahrensablaufs an; auch bei den in Art. 6 Abs. 3 MRK garantierten Rechten ist zu beachten, dass diese nicht Selbstzweck sind, sondern ihr eigentliches Ziel ist, die Fairness des Verfahrens insgesamt zu gewährleisten (EGMR NJW 2019, 1999 m.w.N.).

Bei Anlegung dieses Maßstabes gebietet es auch der fair-trial-Grundsatz nicht, einen Verstoß gegen die Übersetzungspflicht mit der Unwirksamkeit der Prozesshandlung - Ladung und Hinweis auf Folgen des Ausbleibens - zu ahnden. Vielmehr ist es auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 40, 95; 42, 120; NVwZ-RR 1996, 120) anerkannt, dass ein solcher Mangel durch die Möglichkeit, im Fall einer auf der fehlenden Übersetzung beruhenden Säumnis die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beanspruchen zu können, ausgeglichen wird.

War die Ladung damit aber trotz eines etwaigen Verstoßes gegen § 187 GVG nicht unwirksam, waren vorliegend die Voraussetzungen für eine Verwerfung der Berufung des Angeklagten gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO gegeben.


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