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Sonstiges

Verfahrensverzögerung, Entschädigung, Pilotverfahren

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Braunschweig, Urt. v. 12.04.2022 - 4 EK 1/20

Leitsatz des Gerichts: 1. Die durch entschädigungspflichtige Verzögerung in einem Pilotverfahren verursachten Nachteile manifestieren sich für den personenidentischen Kläger, der auch Partei im Pilotverfahren ist, ausschließlich in dem Pilotverfahren, wobei die Anzahl der hiervon abhängigen Verfahren bei der Bemessung der billigen Entschädigung in dem das Pilotverfahren betreffenden Entschädigungsverfahren zu berücksichtigen ist.
2. Etwaige Verzögerungen, die bei der Bearbeitung des Pilotverfahrens verursacht werden, zeitigen nur "passive“ Auswirkungen auf die jeweils abhängigen Verfahren, die zur Zeit der Bearbeitung des Pilotverfahrens faktisch ruhen. Wenn für den personenidentischen Entschädigungskläger, der zugleich Partei im Pilotverfahren ist, in den jeweils abhängigen Verfahren ausschließlich "passive“ Auswirkungen der Verzögerung der Pilotverfahren zum Tragen kommen, so sind diese deshalb objektiv allein dem zugehörigen Pilotverfahren zurechenbar. In dem Entschädigungsprozess des vom Pilotverfahren abhängigen Verfahrens ist in einem solchen Falle deshalb insoweit die Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG widerlegt.
3. Nur dann, wenn durch die (Nicht-) Bearbeitung des abhängigen Verfahrens selbst weitere Verzögerungen eintreten, kommt auch im Entschädigungsprozess des abhängigen Verfahrens die Entstehung eines weitergehenden immateriellen Nachteils in Betracht (Senat, Urteil vom 5. November 2021 – 4 EK 23/20 –, Rn. 499).


In pp.

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird zugelassen.
5. Der Streitwert wird auf eine Wertstufe bis 80.000 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger nimmt das beklagte Land Niedersachsen auf Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer betreffend neun vor dem Landgericht Göttingen geführter Verfahren in Anspruch.

Bei dem Landgericht Göttingen waren seit dem Jahr 2006 insgesamt mehr als 4.000 Kapitalanlage-Verfahren im Zusammenhang mit dem Unternehmensverbund „G. Gruppe“ anhängig, die zunächst allein von der 2. Zivilkammer bearbeitet wurden.

Im Laufe des Jahres 2011 übertrug das Präsidium des Landgerichts Göttingen die Hälfte der anhängigen Verfahren aus diesem Komplex auf die 14. Zivilkammer. In den Folgejahren wechselten die personelle Besetzung beider Kammern sowie die ihnen zugewiesenen Arbeitskraftanteile.

Beide Kammern bestimmten aus zwei „Serien“ – der „Hauptserie“ mit insgesamt über 4.000 Verfahren einerseits und der „L.-Serie“ mit insgesamt ca. 280 Verfahren andererseits – jeweils ein Muster- bzw. Pilot-Verfahren, die vorrangig – unter Durchführung von Beweisaufnahmen – gefördert werden sollten. Die hiervon abhängigen weiteren Verfahren wurden ausschließlich zum Zwecke der gemeinsamen Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu den jeweiligen Kammer-Pilotverfahren der 2. und 14. Zivilkammer kammerintern miteinander verbunden. Die 2. und die 14. Zivilkammer gingen hierbei abgestimmt einheitlich in der Weise vor, dass für die jeweiligen Pilotverfahren der Hauptserie einerseits und der L.-Serie andererseits nur ein – für alle Verfahren der jeweiligen Kammer einheitliches – schriftliches Gutachten desselben Sachverständigen eingeholt wurde.

Die 14. Zivilkammer bestimmte als Pilotverfahren der Hauptserie das Verfahren zum Aktenzeichen 14 (2) O 2179/07 und als Pilotverfahren der L.-Serie das Verfahren zum Aktenzeichen 14 (2) O 1135/11. Die 2. Zivilkammer designierte das Verfahren zum Aktenzeichen 2 O 1802/07 zum Pilotverfahren der Hauptserie und zum Pilotverfahren der L.-Serie das Verfahren zum Aktenzeichen 2 O 1136/11.

Alle gegenständlichen Ausgangsverfahren sowohl der 2. Zivilkammer (2 O 322/07, 2 O 644/07) als auch der später zuständigen 14. Zivilkammer (14 (2) O 303/07, 14 (2) O 623/07, 14 (2) O 675/07, 14 (2) O 677/07, 14 (2) O 775/07, 14 (2) O 855/07, 14 (2) O 1095/07) sind der vorgenannten Hauptserie zuzuordnen. Sie endeten um den Jahreswechsel 2019/2020 nach Klagrücknahmen, nachdem sie zuvor zwecks gemeinsamer Einholung eines Sachverständigengutachtens jeweils zu den genannten Pilotverfahren der 2. Zivilkammer (2 O 1802/07) bzw. der 14. Zivilkammer (14 (2) O 2179/07) hinzuverbunden worden waren.

In sämtlichen Ausgangsverfahren wurde der Kläger des Entschädigungsverfahrens als Beklagter zu 2) neben dem weiteren Beklagten S. gesamtschuldnerisch in seiner Eigenschaft als verantwortlicher Konzeptant von Beteiligungsmodellen der „G. Gruppe“ in Anspruch genommen. Gegen den Beklagten S. waren jeweils zuvor Mahnverfahren über wesentliche Teilbeträge der späteren Klageforderungen betrieben worden.

Alle Verfahren wurden von der anfänglich allein zuständigen 2. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen auf den Einzelrichter übertragen. In dem Verfahren zu dem Aktenzeichen 14 (2) O 1095/07 wurde erstmals Termin für den 21.08.2007 bestimmt, die übrigen Verfahren wurden jeweils im Oktober 2007 terminiert. Tatsächlich fand ein solcher Termin jedoch nur im Verfahren 14 (2) O 675/07 am 10.10.2007 statt.

Ob des zunächst unbekannten Aufenthalts des Entschädigungsklägers und Beklagten zu 2) in den Ausgangsverfahren erfolgten die Zustellungen der Anspruchsbegründungen und Klagen an seinen Bevollmächtigten erst im Zeitraum vom 25.10.2007 bis 07.11.2007. Der Entschädigungskläger und Beklagte zu 2) der Ausgangsverfahren zeigte anschließend in allen Ausgangsverfahren seine Verteidigungsbereitschaft an und reichte – nach bewilligten Fristverlängerungsgesuchen – zu allen Ausgangsverfahren im Verlauf der Monate Januar und Februar 2008 Klageerwiderungen beim Landgericht Göttingen ein.

In der Folge regten die Kläger in den Ausgangsverfahren, mit Ausnahme des Verfahrens 14 (2) O 1095/07, erfolglos die Beendigung der zuvor im September 2007 beschlossenen Unterbrechungen der Verfahren und später, zwischen April und August 2009, die Abtrennung der Verfahren hinsichtlich des jeweiligen Beklagten zu 1) der Ausgangsverfahren an.

Im November 2009 wies die seinerzeit (noch) allein zuständige 2. Zivilkammer in allen Ausgangsverfahren auf Bedenken hinsichtlich der Schlüssigkeit der Klagen hin und nahm hierbei Bezug auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 20. August 2009 – 3 U 120/08.

Im Oktober und November 2011 beantragte der Kläger des Entschädigungsverfahrens und Beklagte zu 2) in den Ausgangsverfahren zunächst erfolglos Prozesskostenhilfe, die ihm auf die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung durch das Landgericht schließlich vom Oberlandesgericht Braunschweig – Beschwerdegericht – bewilligt wurde.

Aus einem gefertigten Vermerk des Kammervorsitzenden der 2. Zivilkammer vom 27.10.2011, dem sich in der Folge jeweils auch alle zuständigen Einzelrichter der hier gegenständlichen Ausgangsverfahren anschlossen, ergibt sich ergänzend Folgendes: In insgesamt 92 der seinerzeit anhängigen Verfahren aus dem Gesamtkomplex waren Terminierungen für den Zeitraum von Mitte Mai bis Ende Juni 2011 erfolgt. Infolge der Beibringung umfangreicher Schriftsätze von je ca. 370 Seiten seitens der Kläger in den Ausgangsverfahren und jeweils kurz vor den Terminen angebrachter Befangenheitsgesuche derselben seien die Termine jedoch wieder aufgehoben worden. Vor rechtskräftiger Entscheidung über diese Gesuche, die in Teilen auch in der Beschwerdeinstanz zu treffen gewesen seien, sei zunächst nur in 12 Verfahren neu terminiert worden. In der Folge seien Ladungen für Termine unter Hinweis auf die nunmehrige Absicht, ein Sachverständigengutachten einzuholen, auf Mai und Juni 2011 bestimmt worden, welche letztlich nach Verlegungsanträgen und erneuten Befangenheitsgesuchen, über die seinerzeit noch nicht entschieden worden sei, wieder aufgehoben worden seien. Vor dem Hintergrund weiterer Befangenheitsgesuche habe eine beabsichtigte Terminierung anderer Verfahren aus dem Komplex für September und Oktober 2011 ebenfalls keinen Erfolg gehabt; weitere Terminierungen seien mit der Maßgabe geplant gewesen, dass letztlich die Sachverständigenbegutachtung und deren Modalitäten Gegenstand der Verhandlungen sein sollten.

Alle gegenständlichen Ausgangsverfahren wurden entsprechend im Zeitraum vom 14.08.2012 bis 21.08.2012 mündlich verhandelt. Ausweislich der vom Senat beigezogenen Akten der Ausgangsverfahren gaben beide Kammern im Vorfeld wie auch in den Terminen selbst jeweils zu erkennen, dass sie an der zuvor mitgeteilten Auffassung, wonach die Klagen unschlüssig seien, nicht mehr festhielten. Stattdessen sei nunmehr jeweils die Einholung eines Sachverständigengutachtens beabsichtigt. In den Sitzungen erhoben die Beklagten der Ausgangsverfahren jeweils Bedenken gegen diese Vorgehensweise und nahmen hierzu jeweils auf ihre Schriftsätze Bezug. Darin widersprachen der Kläger des Entschädigungsverfahrens und Beklagte zu 2) sowie der weitere Beklagte des Ausgangsverfahrens S. dieser Absicht unter Berufung auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Braunschweig, wonach es schon an der Schlüssigkeit der Klagen fehle, demzufolge sich eine Begutachtung aus Rechtsgründen verbiete; daneben wurde auch die Einrede der Verjährung erhoben und Verspätung neuen Vortrags der Klägerseite in den Ausgangsverfahren gerügt.

Die Kläger in den Ausgangsverfahren stellten jeweils im Rahmen der mündlichen Verhandlungen klar, dass aus ihrer Sicht die Konstruktion der Anlagemodelle bei der „G. Gruppe“ von vornherein so gewählt worden sei, dass nicht nur ein Gewinn der Anleger ausgeschlossen, sondern ein Verlust des investierten Kapitals wahrscheinlich gewesen seien.

Beide Kammern verkündeten im Zeitraum vom 05.09.2012 bis 13.09.2012 wie bereits avisiert Beweisbeschlüsse. Diese Beschlüsse entsprachen den Beweisbeschlüssen im jeweils zugehörigen „Pilotverfahren“, zu denen die gegenständlichen Ausgangsverfahren ausschließlich zum Zwecke der gemeinsamen Einholung des schriftlichen Sachverständigengutachtens jeweils hinzuverbunden wurden. Die gegenständlichen Ausgangsverfahren der 2. Zivilkammer (2 O 322/07, 2 O 644/07) wurden hierzu zu dem Pilotverfahren 2 O 1802/07 und die der 14. Zivilkammer (14 (2) O 303/07, 14 (2) O 623/07, 14 (2) O 675/07, 14 (2) O 677/07, 14 (2) O 775/07, 14 (2) O 855/07, 14 (2) O 1095/07)) zu dem Pilotverfahren 14 (2) O 2179/07 verbunden.

Die Einholung des Sachverständigengutachtens, zu dessen Erstattung zunächst jeweils Herr Dipl. oec. H. als Sachverständiger bestellt wurde, erfolgte hierbei von Amts wegen gemäß § 144 ZPO in der seinerzeit geltenden Fassung. Ein Kostenvorschuss wurde zu diesem Zeitpunkt weder in den Pilotverfahren noch in den abhängigen Ausgangsverfahren erfordert.

Nach Entpflichtung des Sachverständigen H. wurden mit Beschlüssen vom März 2013 zunächst in den Pilotverfahren und in der Folge auch in den abhängigen hier gegenständlichen Ausgangsverfahren jeweils neue Sachverständige bestellt, namentlich die Herren Dr. H. und Dipl.-Kaufm. W.. Hierbei brachten die Kammern zum Ausdruck, dass die Verbindung zum zugehörigen Pilotverfahren ausschließlich zum Zwecke der gemeinsamen Einholung des Sachverständigengutachtens bestehen bleibe.

Nach erfolgreicher Ablehnung dieser Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit wurde schließlich zunächst in den führenden Verfahren und sodann, im Laufe des Januar 2014, auch in den abhängigen und hier gegenständlichen Ausgangsverfahren Herr Dipl.-Kaufm. S. zum Sachverständigen bestimmt.

In der Folge wurde das Gutachten zu den beiden Pilotverfahren der hier betroffenen Hauptserie (2 O 1802/07 und 14 (2) O 2179/07) erstellt. Das Gutachten wurde am 24.02.2016 fertiggestellt und den Parteien zunächst mit Gelegenheit zur Stellungnahme bis zunächst dem 30.05.2016, in der Folge nach Fristverlängerungen bis zum 29.07.2016, zugestellt.

Ablehnungsgesuche gegen den Sachverständigen S. seitens der Verfahrensbeteiligten im Ausgangsverfahren, einschließlich des Entschädigungsklägers, blieben letztlich ohne Erfolg.

Auf Antrag der Bezirksrevisorin wurden Kosten für das Gutachten seitens beider beteiligter Kammern des Landgerichts Göttingen ermittelt und dergestalt mit Beschlüssen vom 07.07.2017 festgesetzt, dass von jeder Klagepartei sämtlicher Ausgangsverfahren rechnerisch je knapp 260 € erfordert wurden.

Am 16.10.2018 erließen sowohl die 2. als auch die 14. Zivilkammer jeweils Hinweis-, Auflagen- und Beweisbeschlüsse mit einem umfangreichen Fragenkatalog zwecks Beantwortung durch den Sachverständigen S. im Wege eines – für beide Pilotverfahren erneut gemeinsam einzuholenden – Ergänzungsgutachtens. Die Einholung dieses Ergänzungsgutachtens wurde hierbei von der Zahlung des erwähnten Kostenanteils und eines zusätzlichen Betrages abhängig gemacht, der in der Folge mit Beschlüssen vom 29.03.2019 auf jeweils 200,00 € präzisiert wurde.

In allen gegenständlichen Ausgangsverfahren wurde dieser weitere Vorschuss nicht eingezahlt. Vielmehr nahmen die Kläger in den Ausgangsverfahren im Zeitraum vom 04.12.2019 bis 04.02.2020 ihre Klagen zurück. Den Klagerücknahmen stimmten die Beklagten jeweils zu bzw. widersprachen diesen – nach erfolgter Belehrung über die Folgen – nicht.

In allen vorliegenden Ausgangsverfahren hatte der Entschädigungskläger und Beklagte zu 2) der Ausgangsverfahren zuvor jeweils Verzögerungsrüge erhoben, und zwar zum Aktenzeichen 2 O 322/07 mit Schriftsatz vom 12.12.2011, zu 2 O 644/07 unter dem 22.12.2011, zu 14 (2) O 303/07 unter dem 21.12.2011, zu 14 (2) O 623/07 unter dem 15.12.2011, zu 14 (2) O 675/07 unter dem 15.12.2011, zu 14 (2) O 677/07 unter dem 13.12.2011, zu 14 (2) O 775/07 unter dem 19.12.2011, zu 14 (2) O 855/07 unter dem 13.12.2011 und zu 14 (2) O 1095/07 unter dem 22.12.2011.

Beide genannten Pilotverfahren dauern erstinstanzlich an.

Der Kläger ist der Auffassung, die Dauer der erstinstanzlichen Verfahren sei in jedem der zu betrachtenden Fälle unangemessen lang im Sinne des § 198 GVG. Die Verfahren seien nicht in angemessener Zeit verhandelt und abgeschlossen worden. Vielmehr sei das Landgericht mehrere Jahre faktisch untätig geblieben und habe durch häufige Wechsel in der Kammerbesetzung imponiert. Rügen und Dienstaufsichtsbeschwerden seien erfolglos geblieben.

Dabei unterscheidet der Kläger zwischen zwei Verfahrensabschnitten, nämlich dem Zeitraum bis Ende September 2013 und dem Zeitraum seit Oktober 2013 bis zur jeweiligen Wirksamkeit der Klagerücknahmen. Das Verfahren sei jeweils im zweiten Verfahrensabschnitt rechtsstaatswidrig verzögert worden. Im Einzelnen errechnet der Kläger auf dieser Basis folgende aus seiner Sicht entschädigungsrelevante Zeiträume:

Das Ausgangsverfahren 14 (2) O 855/07 habe – insoweit unstreitig – 12 Jahre und 4 Monate gedauert, wovon jedenfalls der Verfahrensabschnitt seit Oktober 2013 mit insgesamt 74 Monaten unangemessen lang gewesen sei.

Das Ausgangsverfahren 14 (2) O 303/07 habe – insoweit unstreitig – 12 Jahre und 5 Monate gedauert, wovon jedenfalls der Verfahrensabschnitt seit Oktober 2013 mit insgesamt 75 Monaten unangemessen lang gewesen sei.

Das Ausgangsverfahren 2 O 322/07 habe – insoweit unstreitig – 12 Jahre und 6 Monate gedauert, wovon jedenfalls der Verfahrensabschnitt seit Oktober 2013 mit insgesamt 75 Monaten unangemessen lang gewesen sei.

Das Ausgangsverfahren 2 O 644/07 habe – insoweit unstreitig – 12 Jahre und 5 Monate gedauert, wovon jedenfalls der Verfahrensabschnitt seit Oktober 2013 mit insgesamt 75 Monaten unangemessen lang gewesen sei.

Das Ausgangsverfahren 14 (2) O 623/07 habe – insoweit unstreitig – 12 Jahre und 6 Monate gedauert, wovon jedenfalls der Verfahrensabschnitt seit Oktober 2013 mit insgesamt 76 Monaten unangemessen lang gewesen sei.

Das Ausgangsverfahren 14 (2) O 675/07 habe – insoweit unstreitig – 12 Jahre und 4 Monate gedauert, wovon jedenfalls der Verfahrensabschnitt seit Oktober 2013 mit insgesamt 75 Monaten unangemessen lang gewesen sei.

Das Ausgangsverfahren 14 (2) O 677/07 habe – insoweit unstreitig – 12 Jahre und 6 Monate gedauert, wovon jedenfalls der Verfahrensabschnitt seit Oktober 2013 mit insgesamt 76 Monaten unangemessen lang gewesen sei.

Das Ausgangsverfahren 14 (2) O 775/07 habe – insoweit unstreitig – etwa 12 Jahre gedauert, wovon jedenfalls der Verfahrensabschnitt seit Oktober 2013 mit insgesamt 73 Monaten unangemessen lang gewesen sei.

Das Ausgangsverfahren 14 (2) O 1095/07 habe – insoweit unstreitig – 12 Jahre und 3 Monate gedauert, wovon jedenfalls der Verfahrensabschnitt seit Oktober 2013 mit insgesamt 75 Monaten unangemessen lang gewesen sei.

Der Kläger hält, dem gesetzlichen „Regelfall“ folgend, in jedem Ausgangsverfahren eine Entschädigung von je 100 € pro verzögertem Monat für angemessen.

Der Kläger ist dabei, alle Ausgangsverfahren betreffend, der Auffassung, diese hätten insgesamt deutlich zügiger bearbeitet werden müssen und können. Etwaige personelle wie logistische Probleme des beklagten Landes könnten nicht zu seinen Lasten gehen, zumal durch die vielfache personelle Neu- und Umbesetzung der Kammern mit in Teilen nur geringen Arbeitskraftanteilen auch organisatorisch seitens des Landgerichtspräsidiums wie des beklagten Landes nicht Sorge für eine hinnehmbar zügige Bearbeitung getroffen worden sei. Auch zum Teil mehrfache Verzögerungsrügen hätten insoweit keine Veränderung gebracht. Dasselbe gelte für Dienstaufsichtsbeschwerden und anderweitige Eingaben, die allesamt erkennbar nicht zu der aus seiner Sicht gebotenen Beschleunigung der Verfahren geführt hätten.

Vielmehr sei mit Hinblick auf die von den Kammern des Landgerichts gemeinsam gewählte Vorgehensweise der Bestimmung von „Pilotverfahren“ und der Beauftragung eines Gutachtens ein Verfahrensstillstand der vorliegenden Verfahren „von Amts wegen verordnet“ worden.

Seit dem Herbst 2012 – den Zeitpunkten der Beschlussfassung zur Beweisaufnahme durch ein amtswegiges Sachverständigengutachten – hätten in den Ausgangsverfahren keine gerichtlichen Handlungen mehr stattgefunden.

Nach Ansicht des Klägers seien die in den Ausgangsverfahren aufgeworfenen Rechtsfragen durch eine seit dem 2. Mai 2012 vorliegende „Muster“-Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig zum Aktenzeichen 3 U 120/08 (vorgehend: Landgericht Göttingen 2 O 583/07), spätestens aufgrund der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 25. Juni 2013 – VI ZR 260/12 –, mit der die von den Klägern des dortigen Ausgangsverfahrens erhobene Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen wurde, beantwortet gewesen. Zudem seien etwaige Ansprüche verjährt gewesen, was die Kammern ebenfalls verkannt hätten.

Der Entschädigungskläger verweist weiter darauf, dass es sich bei dem Urteil des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 2. Mai 2012 zum Aktenzeichen 3 U 120/08 nach dem Vortrag des beklagten Landes Niedersachsen in dem Entschädigungsverfahren des Oberlandesgerichts Braunschweig zum Aktenzeichen 6 SchH 1/13 sowie nach dem Vortrag der Bundesregierung in dem von ihm geführten Beschwerdeverfahren vom 15. August 2016 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Application No. 49528/16 – Z. vs. Germany) um das maßgebliche Muster- bzw. Pilotverfahren für alle bei der 2. und 14. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen rechtshängigen Ausgangsverfahren gegen ihn handele. Dies untermauere seine Einschätzung, dass es hinsichtlich des Fehlens ausreichender anspruchsbegründender Umstände im Ausgangsverfahren keine Zweifel habe geben dürfen.

Schließlich verweist der Kläger darauf, dass das Oberlandesgericht Braunschweig in sechs Berufungsverfahren am 30. April 2018 (unter anderem zum Aktenzeichen 3 U 33/12, vorgehend: Landgericht Göttingen 2 O 396/10) klageabweisende Urteile des Landgerichts Göttingen betreffend die G. Gruppe bestätigt habe.

Spätestens mit Ablauf des Monats September 2013 sei für alle benannten Ausgangsverfahren eine jenseits aller hinzunehmenden Grenzen liegende Verzögerung der Ausgangsverfahren eingetreten. Das Landgericht habe weder materiell noch prozessual berücksichtigt, dass in weiteren Rechtstreitigkeiten aus dem Komplex um die „G. Gruppe“ ein anderweitiges „Pilotverfahren“ letztinstanzlich durch den Bundesgerichtshof zu seinen Gunsten auf der Basis von entsprechenden Entscheidungen der Vorinstanzen rechtskräftig beendet worden sei, und zwar im Ergebnis aufgrund Unschlüssigkeit der in jenem Verfahren beschiedenen Klagen.

Auch sämtliche vorliegenden Ausgangsklagen seien von Anfang an unschlüssig gewesen, worauf das Landgericht zunächst auch hingewiesen habe – nicht zuletzt deshalb seien die vorliegend streitgegenständlichen Klagen in den Ausgangsverfahren auch jeweils – neben vielen anderen vergleichbaren Klagen – zurückgenommen worden.

Trotz der seinerzeit eindeutigen Hinweise der zuständigen Kammern seien weder weitere Termine bestimmt oder durchgeführt worden; vielmehr seien sogar insgesamt eine Reihe von bereits bestimmten Terminen im Juli 2008 begründungslos aufgehoben worden.

In den folgenden mehr als zehn Jahren habe es keine landgerichtlichen Urteile in den Ausgangsverfahren gegeben. Vielmehr habe das Landgericht, in Gestalt beider betroffenen Kammern, entgegen der Auffassung der Parteien der Ausgangsverfahren im Jahr 2012 die Pilot- bzw. Musterverfahren (2 O 1802/07 und 14 (2) O 2179/09) als führende Verfahren bestimmt und in diesen führenden Verfahren von Amts wegen eine Beweisaufnahme in Gestalt eines Sachverständigengutachtens beschlossen.

Der Kläger meint hierzu, dass diese Begutachtung nicht nur entgegen auch dem eindeutigen Willen der Kläger in den Ausgangsverfahren, sondern insgesamt pauschal, ohne hinreichende Differenzierung und Individualisierung erfolgt sei. Zudem sei die Beweisaufnahme weder prozessual noch materiell angezeigt gewesen, da mangels Schlüssigkeit und infolge eines behaupteten Verzichts der Kläger in den Ausgangsverfahren auf die sachverständige Beweisaufnahme diese schlichtweg nicht erforderlich und insgesamt unzulässig gewesen sei.

Dieser Mangel könne auch nicht durch die nachträgliche Rechtfertigung in den Pilotverfahren mittels Vermerks vom April 2017 dahingehend relativiert werden, wonach „eine Einholung von Amts wegen deshalb notwendig war, weil sich die beweispflichtige Klägerseite in ihrem sehr umfangreichen Vortrag (offenkundig bewusst) nicht auf das Beweismittel der Einholung eines Sachverständigengutachten berufen hatte“, zumal beide befassten Kammern – bewusst – jeweils auf die Erforderung eines Kostenvorschusses bei den Klägern verzichtet hätten. Statt also, dem behaupteten Verzicht der Kläger und deren offenkundiger Einstellung gegen ein Gutachten folgend, von der Unschlüssigkeit, jedenfalls aber der Beweisfälligkeit der Klägerseite auszugehen, seien pflichtwidrig die Begutachtungen angeordnet und fortgeführt worden, wodurch der Grundsatz der Parteiherrschaft verletzt worden sei.

Selbst für den Fall der Relevanz der Beweisfragen seien diese schon anderweitig vorab, insbesondere im Rahmen der (mit Verfahrenseinstellung beendeten) staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und durch die weitgehend parallelen Entscheidungen des Oberlandesgerichts Braunschweig (Urteil vom 2. Mai 2012 – 3 U 120/08) und des Bundesgerichtshofs (Beschlüsse vom 25. Juni 2013 und 13. August 2013 – VI ZR 260/12) dahingehend hinreichend geklärt gewesen, dass es auf deren Beantwortung überhaupt nicht ankomme. Die Begutachtungen seien weder erforderlich noch prozessual sachdienlich gewesen.

Neben dem Zeit- und Kostenaufwand für diese, aus Klägersicht überflüssige, Begutachtung trete zusätzlich deren immer noch fehlendes Ergebnis. In der Zusammenschau sei die Anordnung der Beweisaufnahme grob ermessensfehlerhaft und somit unvertretbar gewesen; zudem sei das – immer noch nicht vollständige – Gutachten insgesamt unbrauchbar und fehlerhaft. Dabei sei auch die vom Bundesgerichtshof zum Amtshaftungsprozess entwickelte Grenze, dass die gerichtliche Entscheidung „bei voller Würdigung (…) nicht mehr verständlich sei“ (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2014 – III ZR 387/14NJW 2017, 1322, Rn. 14) überschritten.

Die Unvertretbarkeit der Anordnungen in den beiden „Pilotverfahren“ sei über die insoweit erfolgte Verbindung zu den streitgegenständlichen Ausgangsverfahren auch kausal für die mit der Entschädigungsklage geltend gemachten Verzögerungen.

Auch die Begutachtung selbst leide, was schon an der überlangen Dauer derselben erkennbar sei, an einem Mangel hinreichender Prozessleitung sowie der Missachtung des Beschleunigungsgrundsatzes, was dem beklagten Land ebenfalls zuzurechnen sei. Dabei habe insbesondere der Sachverständige S. ohne Zustimmung des Gerichts und entgegen § 407a Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. Aufgaben an eine GmbH & Co. KG übertragen und es insgesamt verabsäumt, sich rechtzeitig und vollständig notwendige Weisungen der Kammern einzuholen. Dies habe neben der auftragslosen Herbeiführung von Mehrkosten eine lange Bearbeitungszeit und eine grob fehlerhafte Erstbegutachtung zur Folge gehabt, was wiederum zur Unverwertbarkeit der Gutachten und hierauf beruhender vermeidbarer Bearbeitungszeit zur Nachbegutachtung geführt habe.

Daneben trete eine jedenfalls für den entschädigungsrelevanten Zeitraum personelle deutliche Unterbesetzung der beiden Kammern. Das beklagte Land habe, sei es in Gestalt der Justizverwaltung oder des Präsidiums des Landgerichts, insgesamt nicht für eine adäquate und stringente Besetzung der Kammern gesorgt; vielmehr seien Beisitzer häufig in „Personalunion“ in beiden betroffenen Kammern tätig geworden; eine erkennbar gebotene personelle Aufstockung des „kleinen“ Landgerichts Göttingen insgesamt sei erst 2019 erfolgt. Auch hieraus erkläre sich die überlange Verfahrensdauer in einer dem beklagten Land zuzurechnenden Weise. Vollmundige Ankündigungen seitens der Personalverantwortlichen seien nicht oder vermutlich nicht und erst recht nicht hinreichend faktisch umgesetzt worden, weswegen sich das beklagte Land nicht unter Hinweis auf eine Überlastung der Kammern, des Landgerichts oder der Justiz insgesamt exkulpieren könne.

Trotz der Anzahl der Klagen und des Umfangs des Vortrags sei der – zudem inhaltlich ähnliche – Vortrag der Kläger in den Ausgangsverfahren nicht rechtlich übermäßig schwierig gewesen, zumal die ursprünglich allein zuständige 2. Zivilkammer des Landgerichts relativ schnell, nämlich bereits 2008, die Unschlüssigkeit der Klagen aus der Hauptserie 2007/2008 erkannt und hierauf hingewiesen habe, wie sich auch in der Folge an den Hinweisen schon im Jahre 2009 (09. bis 11.11.2009) im Hinblick auf die Entscheidung des OLG Braunschweig (3 U 120/08) gezeigt habe.

Insbesondere im 2. Verfahrensabschnitt, der Gegenstand der vorliegenden Entschädigungsklagen sei, habe es keinen neuen und/oder relevanten klägerischen Vortrag mit der Folge gegeben, dass es sich weiterhin um rechtlich eindeutige Fälle gehandelt habe – zumal etwaige Ansprüche der Kläger im Ausgangsverfahren verjährt und mangels Vorsatzes des Entschädigungsklägers ohnehin nicht bestanden hätten.

Angesichts all dessen, namentlich der sowohl zeitlichen Überlänge als auch der relativ einfachen Rechtslage habe der Kläger des Entschädigungsverfahrens zurecht auf eine zügige Entscheidung gehofft und hoffen dürfen. Demgegenüber hätten die Kammern und das Landgericht als Ganzes weder Einsatz noch Willen gezeigt, eine trotz der schon langen Verfahrensdauer zügige erstinstanzliche Erledigung durch Endurteile herbeizuführen.

Schon deutlich kürzere Zeitspannen als (jeweils) vorliegend führten regelmäßig zu einer Verletzung und erheblichen Nachteilen. Dabei sei weniger die vorliegende Zahl von neun Ausgangsverfahren als solche, sondern vor allem die kausale Verhinderung früherer Verfahrensabschlüsse durch die Kammern zu berücksichtigen. Angesichts des Lebensalters des Klägers von (zum Zeitpunkt der vorliegenden Klageerhebung) 73 Jahren wiege die lange Verzögerung der Ausgangsverfahren besonders schwer. Aus den Verfahren seien psychische und physische Belastungen entstanden; auch schwerwiegende Auswirkungen auf seinen Ruf, seine Existenz und die Bedrohung seiner Finanzen seien zu berücksichtigen. Die über ein Jahrzehnt bestehende Rechtsunsicherheit, die oft hohen finanziellen Ansprüche der jeweiligen Kläger, die unübersehbar hohen Verfahrenskosten und die trotz Beendigung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in Gestalt der Zivilverfahren weiter im Raum stehenden Behauptung, der Kläger sei Schadensverursacher und auch Verantwortlicher für das Scheitern der „G. Gruppe“, stellten zusätzliche gesundheitliche, finanzielle wie psychische Belastungen dar.

Diese Folgen, wozu gesundheitlich auch jedenfalls als zusätzliche Belastung ein im April 2008 erlittener Herzinfarkt zähle, seien wegen Zeitablaufs auch nicht mehr aufzuholen oder rückgängig zu machen. Kompensationsmöglichkeiten bestünden nicht bzw. nicht mehr, weswegen in einer Gesamtabwägung, auch unter Berücksichtigung der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts, ob der Vielzahl der Verzögerungsrügen seitens des Klägers nur eine Entschädigung in beantragter Höhe verbleibe.

Die Entschädigungspflicht könne entgegen der Auffassung des seinerzeit zuständigen 6. Zivilsenats (OLG Braunschweig, Urteil vom 11. April 2014 – 6 SchH 1/13 –, juris) und des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 12. Februar 2015 – III ZR 141/14 –, juris) auch nicht per Rekurs auf die Vielzahl der (Parallel-)Verfahren zum Fortfall gebracht werden. Vielmehr sei allein und ausschließlich die Verfahrensdauer in jedem einzelnen streitigen Ausgangsverfahren für sich zu betrachten. Es entspreche nicht dem Willen des Gesetzgebers, Ausnahmen für mehrere Verfahren zu machen, zumal sonst jedes Verfahren entschädigungsrechtlich unter Verweis auf die Parallelverfahren ins Leere liefe. Dies widerspreche nicht nur der tatsächlichen Handhabung des Bundesverwaltungsgerichts, des Bundessozialgerichts und des Bundesfinanzhofs, sondern auch den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Der Kläger beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 67.400,00 € nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten von dem Betrag von 67.400,00 € über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Entschädigungsklage zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land vertritt die Ansicht, dass es bereits an einer haftungsbegründenden Rechtsgutsverletzung fehle.

Es sei nicht möglich, einzelne Verfahrensabschnitte innerhalb einer Instanz isoliert voneinander zu betrachten. Vielmehr sei Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit die Gesamtverfahrensdauer. Es sei im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu prüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase kompensiert worden seien. Im Entschädigungsprozess werde die Verfahrensführung des Richters nicht auf ihre Richtigkeit, sondern lediglich auf ihre Vertretbarkeit hin überprüft. Letztere dürfe nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich sei (unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 4. November 2010 – III ZR 32/10 –, Rn. 14, juris; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 –, Rn. 45, juris).

Auch vertritt die Beklagte unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – III ZR 141/14 – die Ansicht, dass die Auffassung der Kammern in den neun Ausgangsverfahren, von Amts wegen ein Sachverständigengutachten zur behaupteten fehlenden Tragfähigkeit des Beteiligungssystems einzuholen, allemal vertretbar gewesen sei. Die Bearbeitungszeit durch den Sachverständigen sei angesichts des Umfangs der Begutachtung nicht zu beanstanden.

Der Kläger habe auch keinen entschädigungspflichtigen immateriellen Nachteil erlitten. Die Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG sei vorliegend widerlegt. Denn alle gegenständlichen neun Ausgangsverfahren seien für den Kläger ohne besondere Bedeutung gewesen. Über die Jahre bis 2013 seien bei der 2. und der 14. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen weitere 4.861 Klagen, die den Verfahrenskomplex „G. Gruppe“ bzw. „S.“ betrafen, auch gegen den Entschädigungskläger anhängig gewesen. Im Hinblick auf diese Umstände habe von vornherein festgestanden, dass es auf die Vermögenslage des Klägers ohne spürbare Auswirkungen bleiben würde, ob er in den hiesigen Ausgangsverfahren obsiegen oder unterliegen würde. Mache der Betroffene – wie hier – Entschädigung für einzelne Verfahren aus einem umfangreichen Verfahrenskomplex geltend, müsse er jedoch die konkreten Nachteile, die gerade durch die Dauer dieses Verfahrens verursacht worden sein sollen, positiv behaupten, was aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Februar 2015 (III ZR 141/14 –, Rn. 43, juris) folge.

In den erstinstanzlichen Verfahren sei der Entschädigungskläger auf Zahlung von insgesamt 92.057.381,17 Euro in Anspruch genommen worden. Das beklagte Land habe – was insofern unstreitig ist – unter anderem in dem seinerzeit vom 11. Zivilsenat geführten Verfahren mit dem Aktenzeichen 11 EK 6/18 eine Liste mit den jeweiligen Verfahren in einzelnen Jahren der 2. und der 14. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen eingereicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst umfangreicher Anlagen Bezug genommen.

Die Entschädigungsklage ist dem beklagten Land am 26.06.2020 zugestellt worden.

Die Akten der erledigten Ausgangsverfahren des Landgericht Göttingen zu den Aktenzeichen 2 O 322/07, 2 O 644/07, 14 (2) O 303/07, 14 (2) O 623/07, 14 (2) O 675/07, 14 (2) O 677/07, 14 (2) O 775/07, 14 (2) O 855/07 und 14 (2) O 1095/07 waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

I.

Die Klage ist insbesondere in Gestalt der Klagehäufung gemäß § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V. § 260 ZPO zulässig.

1. Für alle Ansprüche ist das Oberlandesgericht Braunschweig als Prozessgericht zuständig.

Alle Klagen desselben Klägers richten sich gegen das beklagte Land und sind in derselben Prozessart, hier der erstinstanzlichen Entschädigungsklage nach §§ 198 ff. GVG, zulässig. Alle Ausgangsverfahren sind zudem durch Klagrücknahme abgeschlossen und betreffen im Ergebnis vergleichbare Lebenssachverhalte.

2.Die Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG ist gewahrt.Die Entschädigungsklage wurde hinsichtlich sämtlicher Ausgangsverfahren rechtzeitig erhoben.Bei der in § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG normierten Ausschlussfrist handelt es sich nach vorzugswürdiger Auffassung um eine Zulässigkeitsvoraussetzung und nicht um eine materielle Ausschlussfrist (vgl. ausführlich (auch zum Meinungsstand) OLG Braunschweig, Urteil vom 5. November 2021 – 4 EK 23/20 –, Rn. 152 ff., juris).a)Die Entschädigungsklage wurde betreffend beide Ausgangsverfahren der 2. Zivilkammer zu den Aktenzeichen 2 O 322/07 und 2 O 644/07 sowie die Ausgangsverfahren der 14. Zivilkammer zu den Aktenzeichen 14 (2) O 303/07, 14 (2) O 623/07, 14 (2) O 675/07, 14 (2) O 677/07 und 14 (2) O 1095/07 spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben.Die für die Klageerhebung gemäß § 253 Abs. 1 ZPO maßgebliche Zustellung der Entschädigungsklage erfolgte am 26.06.2020. Die Rücknahmeerklärungen hinsichtlich der vorgenannten sieben Ausgangsverfahren datieren jeweils auf Zeitpunkte im Zeitraum vom 23.01.2020 bis 04.02.2020, mithin vor Ablauf der 6-Monatsfrist. Selbiges gilt erst recht für die nachträglichen Zustimmungserklärungen bzw. den Ablauf der Fristen gemäß § 269 Abs. 2 Satz 4 ZPO.

b) Hinsichtlich des Ausgangsverfahrens zu dem Aktenzeichen 14 (2) O 855/07 datiert die Klagrücknahme zwar schon auf den 04.12.2019. Die Zustimmung der Gegenseite erfolgte durch am 18.12.2019 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz vom 17.12.2019, weshalb insoweit Erledigung im Sinne des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG bereits am 18.12.2019 eingetreten war. Die Wirkung der insoweit erst am 26.06.2020 – außerhalb der 6-Monatsfrist – erfolgten Zustellung trat hier jedoch bereits früher gemäß § 167 ZPO ein.Ausweislich der Zahlungsanzeige (Blatt IV d.A.) erfolgte der Eingang des restlichen Verfahrenskostenvorschusses schon am 17.06.2020. Die Zustellung wurde erst am 25.06.2020 verfügt. So lagen nur tageweise Verzögerungen vor, die weder für sich noch insgesamt dem Kläger an dieser Stelle zu seinem Nachteil gereichen dürfen.Eine Zustellung i.S.d § 167 ZPO „demnächst“ nach Eingang des Antrags oder der Erklärung bedeutet eine Zustellung innerhalb einer nach den Umständen angemessenen, selbst längeren Frist, wenn die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter unter Berücksichtigung der Gesamtsituation alles Zumutbare für die alsbaldige Zustellung getan haben (vgl. Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 167 ZPO Rn. 10). Die Zustellung ist dagegen nicht mehr „demnächst“ erfolgt, wenn die Partei, der die Fristwahrung obliegt, oder ihr Prozessbevollmächtigter durch nachlässiges – auch leicht fahrlässiges – Verhalten zu einer nicht bloß geringfügigen Zustellungsverzögerung beigetragen haben. Hat der Veranlasser die Zustellung nicht vorwerfbar verzögert oder fällt ihm nur eine geringfügige Verzögerung zur Last, überwiegen regelmäßig seine Interessen gegenüber den Belangen des Zustellungsadressaten. Bei der Bemessung einer Verzögerung ist auf die Zeitspanne abzustellen, um die sich der ohnehin erforderliche Zeitraum für die Zustellung der Klage als Folge der Nachlässigkeit des Klägers verzögert. Dem Zustellungsveranlasser zuzurechnende Verzögerungen von bis zu 14 Tagen gelten regelmäßig als geringfügig und sind deshalb hinzunehmen (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2019 – II ZR 281/18 –, Rn. 8, juris).c)Das Ausgangsverfahren 14 (2) O 775/07 endete nach Klagrücknahme vom 14.11.2019 mit taggleich eingegangener Zustimmungserklärung vom 28.11.2019. Auch insoweit trat die Wirkung der erst am 26.06.2020 – außerhalb der 6-Monatsfrist – erfolgten Zustellung der Klage hier jedoch bereits früher gemäß § 167 ZPO ein.Der Klägerseite waren zunächst der Höhe nach unzureichende Gerichtskosten aufgeben worden (Kostenrechnung vom 07.05.2020, Bl. I d.A.), welche auch bereits am 21.05.2020 gezahlt worden waren (Bl. III d.A.). Wäre daraufhin die Zustellung veranlasst worden, wäre diese noch rechtzeitig vor Ablauf der Sechsmonatsfrist erfolgt, weswegen zur Überzeugung des Senats dem Kläger keine relevante Verzögerung angelastet werden kann, die einer demnächstigen Zustellung i.S.d. § 167 ZPO entgegenstünde.3.

Die Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG ist alle Ausgangsverfahren betreffend ebenfalls eingehalten worden. Ohnehin kann eine Entschädigungsklage ausnahmsweise auch vorzeitig erhoben werden, wenn das betroffene Verfahren schon vor Fristablauf beendet wurde, da ein Abwarten insofern im Hinblick auf den Zweck des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG keinen Sinn mehr ergeben würde (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 – III ZR 228/13 – Rn. 18, juris).

II.

Die Klage ist jedoch unbegründet.

1. Dem Kläger steht gemäß § 198 Abs. 1 GVG gegen das passivlegitimierte Land Niedersachsen (§ 200 Satz 1 GVG) kein Anspruch auf Entschädigung in Geld aufgrund erlittener immaterieller Nachteile wegen unangemessener Dauer der Ausgangsverfahren vor dem Landgericht Göttingen zu den Aktenzeichen 2 O 322/07, 2 O 644/07, 14 (2) O 303/07, 14 (2) O 623/07, 14 (2) O 675/07, 14 (2) O 677/07, 14 (2) O 775/07, 14 (2) O 855/07 und 14 (2) O 1095/07 zu.

Zwar hat der Entschädigungskläger in den gegenständlichen Ausgangsverfahren jeweils wirksam Verzögerungsrügen erhoben (a). Etwaige und allenfalls durch Verfahrensverzögerungen der Pilotverfahren verursachte passive Auswirkungen und hierdurch bedingte immaterielle Nachteile auf die gegenständlichen Ausgangsverfahren kann er jedoch nicht im vorliegenden Entschädigungsverfahren geltend machen (b).

a) Der Kläger des Entschädigungsverfahrens hat die gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 GVG erforderlichen Verzögerungsrügen in allen neun Ausgangsverfahren jeweils wirksam erhoben.

Es handelt sich hierbei um eine materiell-rechtliche Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs, die die Zulässigkeit der Entschädigungsklage unberührt lässt (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 – III ZR 228/13 –, Rn. 14, juris; BFH, Zwischenurteil vom 7. November 2013 – X K 13/12 –, Rn. 24, juris).

Nach § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 GVG kann die Verzögerungsrüge erst erhoben werden, wenn Anlass zu der Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird. Dies ist zu bejahen, wenn der Prozessbeteiligte Anhaltspunkte dafür hat, dass das Verfahren keinen angemessen zügigen Fortgang nimmt (BGH, Urteil vom 21. Mai 2014 – III ZR 355/13 –, Rn. 16, juris; BSG, Urteil vom 7. September 2017 – B 10 ÜG 3/16 R –, Rn. 19, juris). Auf ein rein subjektives Empfinden des Verfahrensbeteiligten kommt es hierbei nicht an. Vielmehr müssen objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet sind, zu einer unangemessenen Verfahrensdauer zu führen, ohne dass ein allzu strenger Maßstab angelegt werden darf (BGH, Urteil vom 26. November 2020 – III ZR 61/20 –, Rn. 21, juris).

Die Vorschrift stellt für den frühestmöglichen Termin auf die Wahrscheinlichkeit ab, mit der eine Überlänge des Verfahrens eintreten wird, und erfordert damit eine Prognose. Eine vor diesem Zeitpunkt insoweit verfrüht erhobene Rüge ist wirkungslos und geht „ins Leere“ (BT-Drs. 17/3802, S. 20; OLG Karlsruhe, Urteil vom 30. Juni 2020 – 16 EK 16/19 –, Rn. 120, juris).

Zum Zeitpunkt der von dem Entschädigungskläger in den Ausgangsverfahren erstmals zwischen dem 12.12.2011 und dem 22.12.2011 erhobenen Verzögerungsrügen im Sinne des § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG war bereits in allen neun Ausgangsverfahren objektiv zu befürchten, dass es zu einer unangemessen langen Verfahrensdauer kommen könnte.

Aus der Perspektive des Klägers zum Zeitpunkt der erhobenen Verzögerungsrügen erfolgten die letzten und jenseits von Kostenfragen für die Parteien im Ausgangsverfahren ersichtlichen gerichtlichen Handlungen in den Ausgangsverfahren – mit Ausnahme des Verfahrens 2 O 644/07, in dem Ende 2010 seitens des Oberlandesgerichts über ein Ablehnungsgesuch entschieden wurde – im Jahre 2009 in Form der Übersendung von Schriftsätzen und den gerichtlichen Hinweisen vom November 2009.

Da es der Regelung des § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 GVG hinsichtlich der zeitlichen Zulässigkeit einer Verzögerungsrüge im Kern darum geht, Missbrauchsfälle abzuwehren (vgl. BGH, Urteil vom 26. November 2020 – III ZR 61/20 –, Rn. 21 m.w.N. aus der Literatur, juris), ist die Erhebung der Verzögerungsrügen zwischen dem 12.12.2011 und dem 22.12.2011 vor diesem Hintergrund sowie unter weiterer Berücksichtigung der Tatsache, dass die Ausgangsverfahren gegen ihn bereits seit Ende 2007 rechtshängig waren und somit eine Verfahrensdauer von über vier Jahren aufwiesen, keineswegs als verfrüht anzusehen.

b) Allerdings kann der Kläger etwaige und allenfalls durch Verfahrensverzögerungen der Pilotverfahren verursachte passive Auswirkungen und hierdurch bedingte immaterielle Nachteile auf die gegenständlichen Ausgangsverfahren nicht im vorliegenden Entschädigungsverfahren geltend machen.

Die Entschädigungsregelung bei überlanger Verfahrensdauer, §§ 198 ff. GVG, findet nach der Übergangsvorschrift des Art. 23 Satz 1 Halbs. 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGRG) vom 24. November 2011 (BGBl. I, S. 2302) auf den Streitfall Anwendung. Danach gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten am 3. Dezember 2011 (gemäß Art. 24 ÜGRG) anhängig, aber noch nicht abgeschlossen waren, somit auch betreffend alle neuen Ausgangsverfahren.

Demnach wird gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG angemessen entschädigt, wer als Verfahrensbeteiligter eines Gerichtsverfahrens einen Nachteil erleidet. Dabei richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, BGHZ 199, 87-103, Rn. 28, juris; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 –, BGHZ 199, 190-207, Rn. 40, juris; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13 –, BGHZ 200, 20-38, Rn. 36, juris; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 – 5 C 23/12 D –, BVerwGE 147, 146-170, Rn. 37, juris).

Letzteres ist der Haftungsgrund für den gesetzlich begründeten Entschädigungsanspruch. Auf ein schuldhaft pflichtwidriges Verhalten des mit der Sache befassten Richters oder eines sonstigen Angehörigen der Justiz kommt es – anders als bei der Amtshaftung – nicht an (BGH, Urteil vom 7. November 2019 – III ZR 17/19 –, BGHZ 224, 20-40, Rn. 22, juris; vgl. auch Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2018, S. 173 f., unter Hinweis auf Breuer, Staatshaftung für judikatives Unrecht, 2011, S. 329 ff.; Reiter, NJW 2015, 2554 <2555 f.>). Der unbestimmte Rechtsbegriff „unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens“ ist daher insbesondere unter Rückgriff auf diejenigen Grundsätze auszulegen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und das Bundesverfassungsgericht zum Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie zum Justizgewährleistungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) entwickelt haben. Denn der Gesetzgeber nahm diese gefestigte Rechtsprechung bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG zum Vorbild (BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, BGHZ 199, 87-103, Rn. 29 m.w.N., juris; vgl. auch BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 2/13 R –, BSGE 117, 21-37, SozR 4-1720 § 198 Nr. 3, Rn. 23, juris).

Die Verletzung des Grund- und Menschenrechts auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit impliziert, dass eine gewisse Schwere der Belastung festgestellt werden muss (BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 – B 10 ÜG 1/12 KL –, BSGE 113, 75-86, SozR 4-1720 § 198 Nr. 1, Rn. 6, juris; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 – 5 C 23/12 D – BVerwGE 147, 146, Rn. 38 f., juris; BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, BGHZ 199, 87-103, Rn. 31, juris; BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 28, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 29. Juni 2017 – 23 A 15.2332 –, Rn. 28, juris).

In diesem Lichte genügt zur Begründung eines Entschädigungsanspruches nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung. Vielmehr muss die Verfahrensdauer insgesamt eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschwerdekammerbeschluss vom 1. Oktober 2012 – 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 –, Rn. 40, juris; BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, BGHZ 199, 87-103, Rn. 31, juris; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13 –, BGHZ 200, 20-38, Rn. 38 f., juris; BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 29, juris; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 – 5 C 23/12 D –, BVerwGE 147, 146-170, Rn. 37, juris; BVerwG, Urteil vom 29. Februar 2016 – 5 C 31/15 D –, Rn. 15, juris; BVerwG, Urteil vom 14. November 2016 – 5 C 10/15 D –, BVerwGE 156, 229-262, Rn. 135, juris; vgl. ferner BFH, Zwischenurteil vom 7. November 2013 – X K 13/12 –, Rn. 51, 53, juris).

Zu diesen gegenläufigen Rechtsgütern zählen insbesondere die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Entscheidungen sowie die Grundsätze der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) (BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 26, juris; BGH, Urteil vom 13. März 2014 – III ZR 91/13 –, Rn. 27, juris).

„So könnte eine Überbeschleunigung von Verfahren in einen Konflikt mit dem – durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG abgesicherten – Anspruch auf Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes geraten, zu dessen Kernbereich die Schaffung gerichtlicher Strukturen gehört, die eine möglichst weitgehende inhaltliche Richtigkeit von Entscheidungen und ihre möglichst hohe Qualität gewährleisten. Ferner könnte der Grundsatz der Unabhängigkeit der Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 97 Abs. 1 GG) berührt sein, sofern die Entschädigungsgerichte mittelbar in die Freiheit der Richter eingreifen würden, ihr Verfahren frei von äußeren Einflüssen zu gestalten. Auch der Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) könnte betroffen sein, wenn zunehmender Beschleunigungsdruck dazu führen würde, dass Verfahren bereits wegen kurzzeitiger, in der Person eines Richters liegender Erledigungshindernisse (z.B. einer nicht langfristigen Erkrankung oder einer lediglich als vorübergehend anzusehenden höheren Belastung durch anderweitige Verfahren) diesem Richter entzogen und einem anderen Richter zugewiesen werden“ (BFH, Zwischenurteil vom 7. November 2013 – X K 13/12 –, Rn. 52, juris).

Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist (BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, Rn. 33, juris). Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 2. Dezember 2011 – 1 BvR 314/11 –, Rn. 6, juris; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 – 5 C 27/12 D –, Rn. 34, juris).

Abgesehen von zwingenden gesetzlichen Vorgaben besteht hinsichtlich der Verfahrensgestaltung ein Ermessen des verantwortlichen Richters. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen (BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, Rn. 33, juris; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 –, Rn. 44, juris; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13 –, BGHZ 200, 20-38, Rn. 39, juris; BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 30, juris; BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – III ZR 141/14 –, BGHZ 204, 184-198, Rn. 26, juris; OLG Köln, Urteil vom 1. Juni 2017 – 7 EK 3/16 –, Rn. 26, juris).

So benötigt das Gericht vor einer verfahrensfördernden Handlung oder Entscheidung zur Sache Zeit zur rechtlichen Durchdringung, um dem rechtstaatlichen Anliegen zu genügen, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands vorzunehmen (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 – 5 C 1/13 D –, Rn. 28, juris; BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2015 – 5 C 5/14 D –, Rn. 43, juris).

Eine vertretbare Rechtsauffassung des Gerichts oder eine nach der Zivilprozessordnung vertretbare Verfahrensleitung begründen auch dann keinen Entschädigungsanspruch, wenn sie zu einer Verlängerung des Gerichtsverfahrens geführt haben. Ein Anspruch des Rechtsuchenden auf „optimale“ Verfahrensförderung besteht nicht (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 –, BGHZ 199, 190 ff., Rn. 46, juris; OLG Oldenburg [Oldenburg], Urteil vom 15. Dezember 2016 – 15 EK 14/16 –, Rn. 19, juris; vgl. auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Dezember 2010 – 1 BvR 404/10 –, Rn. 16, juris).

Für die Beurteilung der richterlichen Handlungen aus dem Blickwinkel des Entschädigungsrechts des § 198 GVG ist entscheidend, wie das Gericht die Sach- und Rechtslage aus seiner ex-ante-Sicht einschätzen durfte. Es kommt nicht darauf an, wie sich der Verfahrenslauf im Nachhinein bei einer ex-post-Betrachtung darstellt (BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 47, juris; BFH, Urteil vom 7. Mai 2014 – X K 11/13 –, Rn. 53, juris; BSG, Urteil vom 7. September 2017 – B 10 ÜG 1/16 R –, BSGE 124, 136-153, SozR 4-1720 § 198 Nr. 16, Rn. 47, juris).

Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist schließlich weder von festen Zeitvorgaben noch von abstrakten Orientierungs- bzw. Anhaltswerten auszugehen. Schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit oder ähnliches existieren nicht (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30. Juli 2009 – 1 BvR 2662/06 –, Rn. 20, juris; BVerfG, Beschwerdekammerbeschluss vom 1. Oktober 2012 – 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 –, Rn. 23, juris; BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, BGHZ 199, 87-103, Rn. 26 f., juris; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 –, BGHZ 199, 190-207, Rn. 38, juris; BGH, Urteil vom 13. März 2014 – III ZR 91/13 –, Rn. 28-30, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 29. Juni 2017 – 23 A 15.2332 –, Rn. 22, juris; vgl. auch Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2018, S. 144 ff.).

Vielmehr ist eine Einzelfallprüfung insbesondere im Hinblick auf die in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien der Schwierigkeit des Verfahrens, seiner Bedeutung für den Betroffenen und des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten sowie mit Blick auf die Verfahrensführung durch das Gericht vorzunehmen (vgl. nur BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, Rn. 25, juris).

Bis zur jeweiligen Beendigung der Ausgangsverfahren durch Klagerücknahmen zwischen dem 14.11.2009 und dem 04.02.2020 haben alle Verfahren immerhin über 12 Jahre angedauert.

Der Kläger teilt die zu betrachtenden Ausgangsverfahren in jeweils zwei separate Verfahrensabschnitte. Auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. Juni 2013 (VI ZR 260/12) zum – anderweitigen – Ausgangsverfahren 5 O 583/07 und eines „Zuschlags“ von rund drei Monaten für die hypothetische Anberaumung jeweils einer mündlichen Verhandlung mit anschließendem instanzbeendendem Urteil hält der Kläger eine Entscheidung des Landgerichts in allen neun Ausgangsverfahren bis spätestens Ende September 2013 für möglich und geboten. Der zweite Verfahrensabschnitt beginnt – nach seiner Auffassung folgerichtig – mit dem 01.10.2013.

Abweichend hierzu nimmt der Senat eine getrennte Betrachtung von Verfahrensabschnitten in den Blick, die durch die Zäsurwirkung der im Zeitraum vom 05.09.2012 bis 13.09.2012 ergangenen Beweisbeschlüsse bedingt ist. Denn wie ausgeführt erfolgte in jenen Beschlüssen neben der Anordnung der Beweisaufnahme von Amts wegen die Verbindung der gegenständlichen Ausgangsverfahren ausschließlich zwecks Durchführung der gemeinsamen Beweisaufnahme durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Ab diesem Zeitpunkt hingen alle neun gegenständlichen Ausgangsverfahren letztlich auch vom Fortschritt der beiden als Pilotverfahren dieser Serie ausgewählten Verfahren mit der Folge ab, dass etwaige Verzögerungen in den Pilotverfahren auf die zwei bzw. sieben bei der jeweiligen Kammer anhängigen Ausgangsverfahren ausstrahlten.

Ausgehend hiervon macht der Kläger des Entschädigungsverfahrens hinsichtlich des ersten Verfahrensabschnitts im Zeitraum bis zu den Beweisbeschlüssen der Kammern im September 2012 weder Verfahrensverzögerungen geltend, noch sind solche sonstwie ersichtlich (aa). Hinsichtlich des zweiten Verfahrensabschnitts bis zur Beendigung der Ausgangsverfahren, währenddessen das Schicksal der gegenständlichen Ausgangsverfahren maßgeblich von den jeweiligen Pilotverfahren abhing, kann im Ergebnis dahinstehen, ob Letztere selbst verzögert i.S.d. § 198 Abs. 1 GVG bearbeitet wurden (bb).

Im Einzelnen:

aa) Für den ersten Verfahrensabschnitt bis einschließlich September 2013, der somit den Zeitraum bis zur Anordnung der Beweisaufnahme markiert, macht der Kläger ausdrücklich keine Verfahrensverzögerungen geltend. Auch inhaltlich sind insoweit weder Verfahrensverzögerung vorgetragen noch sind solche insbesondere aus den beigezogenen Akten der gegenständlichen Ausgangsverfahren ersichtlich.
(1) Selbst nach Auffassung des Klägers dürfte sich angesichts des Umfangs, der Schwierigkeit und Komplexität der gegenständlichen Ausgangsverfahren, der Vielzahl der anfänglich von der 2. Zivilkammer, später von beiden Kammern, zu bearbeitenden ähnlich gelagerten Verfahren mit entsprechend ähnlich gelagertem Beschleunigungsinteresse sowie einer Vielzahl rein prozessualer Verzögerungen auch und gerade in Gestalt von Hindernissen wie der anfänglichen Unkenntnis der ladungsfähigen Anschrift des hiesigen Klägers die Bearbeitung aller neun Ausgangsverfahren nicht als unangemessen lang darstellen.
(2) Dem Landgericht lag in diesem Zeitraum eine Vielzahl ähnlich, aber nicht gleich gelagerter Rechtsstreite vor. Auf der Aktiv-, in Teilen aber auch auf der Passivseite waren unterschiedliche Personen Parteien der Verfahren, denen jeweils ähnlich, aber nicht deckungsgleich gelagerte Sachverhalte im Zusammenhang mit der „G. Gruppe“ zugrunde lagen.

Die Verfahren wurden, wie sich nicht zuletzt an den gegenständlichen neun Ausgangsverfahren zeigt, anfangs auch nicht vollständig prozessual gleich behandelt. So erfolgte in den zeitlich früheren Verfahren des Jahres 2017 – hier bis einschließlich desjenigen mit dem Aktenzeichen 14 (2) O 855/07 – eine frühe Terminbestimmung auf Terminstage im Oktober 2007. Nur im Verfahren 14 (2) O 675/07 fand dieser Termin – zwei Tage vor dem zunächst bestimmten Datum – am 10.10.2007 statt. Im Verfahren 14 (2) O 1095/07 erfolgte demgegenüber eine solche Terminbestimmung 2007 nicht. Mit Ausnahme des letztgenannten Verfahrens fasste die 2. Zivilkammer im September und Oktober 2007 – später wieder aufgehobene – Unterbrechungsbeschlüsse betreffend den Beklagten zu 1) der Ausgangsverfahren.

(3) Zweifelsfrei wiesen auch alle Ausgangsverfahren tatsächlich eine weit überdurchschnittliche Komplexität auf.

Dies ergibt sich zum einen aus dem Umfang des Sach- und Streitstoffes, zum anderen aus der Materie sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht.
Allein die Anspruchsbegründungs- und Klageschriften jedes Ausgangsverfahrens umfassen jeweils rund 75 Seiten und nehmen auf eine Vielzahl von zum Teil umfangreichen Anlagen Bezug.

Inhaltlich geht es um Schadensersatzansprüche, gestützt auf deliktische Anspruchsgrundlagen, die insbesondere komplexe Würdigungen in Bezug auf Vorsatzfragen erfordern. In tatsächlicher Hinsicht können u.a. spezifische betriebswirtschaftliche Probleme zum Tragen kommen.

(4) Darüber hinaus ist unter dem Gesichtspunkt der Belastungssituation des Spruchkörpers zu gewichten, dass in der zur Entscheidung der Ausgangsverfahren berufenen 2. und später auch der 14. Zivilkammer zugleich jeweils ca. 2.000 Verfahren der „Hauptserie“ und etwa 140 im Wesentlichen gleich gelagerte Klagen der „L.“-Serie (auch) gegen den hiesigen Kläger im Entschädigungsverfahren rechtshängig waren. Insofern sah sich das Gericht neben den inhaltlichen Fragen – zumindest phasenweise – vor erhebliche logistische Herausforderungen gestellt, deren Bewältigung zeitliche Kapazitäten band, zumal anfänglich nur die 2. Zivilkammer mit entsprechend höherer Belastung durch die Menge der Verfahren zuständig war.

Der Bundesgerichtshof hat in anderer Sache, allerdings ebenfalls in Bezug auf die bei dem Landgericht Göttingen anhängigen Masseverfahren zum Thema „G. Gruppe“, bereits festgehalten: „Unter Berücksichtigung eines angemessenen Prüfungs- und Bearbeitungszeitraums sowie des den Gerichten bei der Verfahrensführung zukommenden Gestaltungsspielraums ist eine unangemessene Verfahrensdauer nicht feststellbar. Die zunächst allein zuständige 2. Zivilkammer musste in dem sowohl tatsächlich wie auch rechtlich komplexen zivilrechtlichen Kapitalanlagerechtsstreit die ständig zunehmende Zahl an Klagen und Klägern nicht nur verfahrenstechnisch bewältigen (Aktenanlage, Zustellung der Klageschriften und Klageerwiderungen, Fristsetzungen etc.), sondern auch eine Gesamtplanung des Komplexes ,G. Gruppe‘ entwickeln. Das Gericht musste insbesondere die zahllosen Verfahren sichten, das jeweilige Klagevorbringen auf Schlüssigkeit prüfen und einen Weg finden, der es ermöglichte, in einigen wenigen Verfahren über die ganze 'Fallbreite' zu entscheiden (vgl. BVerfG, NJW 2004, 3320). Es war daher sachgerecht, 'Musterverfahren' oder 'Pilotverfahren' auszuwählen und vorrangig zu betreiben, während die übrigen gleich oder ähnlich gelagerten Verfahren einstweilen zurückgestellt blieben (siehe auch Senatsbeschluss vom 21. November 2013 – III ZA 28/13, NJOZ 2014, 987 Rn. 9). Dadurch konnten Rechtsfragen von zentraler Bedeutung verfahrensübergreifend auf besonders prozessökonomische Weise geklärt werden. Darauf, ob sich die Zurückstellung anderer Verfahren oder die Auswahl der Pilotverfahren – ex post betrachtet – als förderlich erwiesen hat, kommt es nicht an. Maßgebend ist vielmehr, dass die Entscheidung des Landgerichts aus der Sicht ex ante vernünftig und zweckmäßig war (vgl. BVerfG, NVwZ 2013, 789, 791)“ (BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – III ZR 141/14 –, BGHZ 204, 184-198, Rn. 32, juris).

(5) Dass diese Vorgehensweise, wie sie letztlich in Gestalt der Beweisbeschlüsse beider Kammern vom September 2012 ihre förmliche Ausprägung fand, nicht von vornherein beabsichtigt war, ist dabei ohne entscheidenden Belang.

Ein Rechtsstreit ist auch im Wortsinne ein „Prozess“, in dem sich neben Tatsachen rechtliche Einordnungen ändern können.

Vielmehr ist vor diesem Hintergrund bei der Beurteilung der Verfahrensdauer im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG das Augenmerk auf die konkrete Verfahrensführung durch das Gericht zu richten.

Diese kann dabei nicht isoliert für sich betrachtet werden. Sie muss vielmehr zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug gesetzt werden. Maßgebend ist, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer in jedenfalls vertretbarer Weise gerecht geworden ist (BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 46, juris).

Auch bei der Berücksichtigung des Verhaltens anderer Verfahrensbeteiligter und Dritter ist maßgeblich auf die Beeinflussbarkeit durch das Gericht abzustellen (Zöller/Lückemann, a.a.O, § 198 GVG Rn. 3, unter Hinweis auf RegE, BT-Drs. 17/3802, S. 18).

Insoweit ist die Verfahrensführung durch das Landgericht Göttingen vorliegend letztlich unter dem Gesichtspunkt in den Blick zu nehmen, ob es Zeiträume gegeben hat, in denen das Gericht das Verfahren ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund nicht gefördert hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 25, juris; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 13. August 2012 – 1 BvR 1098/11 –, Rn. 17, juris; Hervorhebung durch den Senat).

Die Möglichkeiten des Entschädigungsgerichts zur Überprüfung richterlicher Maßnahmen, die die Grundlagen für die Entscheidungsfindung schaffen, sind mit Blick auf die verfassungsrechtlich verbürgte richterliche Unabhängigkeit dabei eng begrenzt. Dies gilt auch und gerade im Hinblick auf die erkennbare Veränderung der vorläufigen rechtlichen Einordnung durch die Kammer.

Im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zwischen richterlicher Unabhängigkeit einerseits und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes andererseits sind die im Amtshaftungsprozess außerhalb des Anwendungsbereichs des § 839 Abs. 1 BGB entwickelten Grundsätze zu den Grenzen der Überprüfbarkeit der richterlichen Verfahrensführung für das Entschädigungsverfahren nach den §§ 198 ff. GVG inzwischen sinngemäß ebenfalls anerkannt (Zöller/Lückemann, a.a.O., § 198 GVG Rn. 4).

Im Amtshaftungsprozess gilt: „Durch die Formulierung in § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB (‚bei dem Urteil‘, nicht ‚durch das Urteil‘) werden nicht nur Mängel erfasst, die in dem Urteil selbst liegen oder die unmittelbar bei seinem Erlass begangen werden. Vielmehr sind privilegiert auch alle Maßnahmen, die objektiv darauf gerichtet sind, die Rechtssache durch Urteil zu entscheiden, also die Grundlagen für die Sachentscheidung zu gewinnen […]“ (BGH, Urteil vom 4. November 2010 – III ZR 32/10 –, BGHZ 187, 286-304, Rn. 13, juris). Der Grund hierfür liegt darin, dass zum Urteil auch „die richtige Feststellung des Tatbestandes [gehört], insbesondere die Trennung des unstreitigen Sachverhalts von streitigen Behauptungen sowie die Prüfung der Erheblichkeit des jeweiligen Vortrags und eines etwaigen Beweisantritts. Das alles bestimmt nicht nur den Inhalt des Urteils, sondern auch den Ablauf und die Dauer des Verfahrens […]“ und steht „in einem so engen Zusammenhang mit dem Urteil“, dass es von diesem „haftungsmäßig nicht getrennt“ werden kann (BGH, Urteil vom 4. November 2010 – III ZR 32/10 –, BGHZ 187, 286-304, Rn. 13, juris).

In diesem Lichte dürfen auch im Entschädigungsprozess nach den §§ 198 ff. GVG diejenigen rechtlichen Überlegungen, die der erkennende Richter bei der Entscheidungsfindung im Ausgangsprozess angestellt hat, grundsätzlich nicht auf ihre sachliche Richtigkeit überprüft werden (BGH, Urteil vom 13. März 2014 – III ZR 91/13 –, Rn. 34, juris; BGH, Urteil vom 13. April 2017 – III ZR 277/16 –, Rn. 16, juris). Es geht nicht darum, ob die Richter im Ausgangsverfahren richtig entschieden haben (OLG Stuttgart, Beschluss vom 14. August 2012 – 4 SchH 4/12 EntV –, Rn. 16, juris).

Maßgeblich im Entschädigungsprozess stellt sich insoweit allein die Frage, ob die Verfahrensführung vertretbar war. Die Vertretbarkeit darf nur dann verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist bzw. willkürlich erscheint (OLG Frankfurt, Urteil vom 10. Juli 2013 – 4 EntV 3/13 –, Rn. 39, juris; BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 30, juris; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13 –, Rn. 38, juris; BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, SozR 4-1720 § 198 Nr. 4, Rn. 43, juris; BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 2/13 R –, BSGE 117, 21-37, SozR 4-1720 § 198 Nr. 3, Rn. 36, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 27. April 2015 – 11 EK 8/14 –, Rn. 8, juris; BVerwG, Beschluss vom 12. März 2018 – 5 B 26/17 D –, Rn. 6, juris; OLG Schleswig, Urteil vom 11. September 2020 – 17 EK 2/20 –, Rn. 33, juris).

Dies wird regelmäßig dann der Fall sein, wenn sachlich nicht begründete Lücken in der Verfahrensförderung auftreten (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 20. Juli 2000 – 1 BvR 352/00 –, juris, Rn. 14; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Oktober 2003 – 1 BvR 901/03 –, juris, Rn. 13; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 13. August 2012 – 1 BvR 1098/11 –, juris, Rn. 17; OLG Braunschweig, Urteil vom 8. Februar 2013 – 4 SchH 1/12 –, juris, Rn. 130; BGH, Urteil vom 13. April 2017 – III ZR 277/16 –, juris, Rn. 16; OLG Köln, Urteil vom 1. Juni 2017 – 7 EK 3/16 –, juris, Rn. 27; VGH München, Urteil vom 29. Juni 2017 – 23 A 15.2332 –, juris, Rn. 24; BGH, Urteil vom 26. November 2020 – III ZR 61/20 –, BGHZ 227, 377-391, Rn. 15 = juris; vgl. auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 20. Mai 2021 – 16 EK 1/21 –, juris, Rn. 128-130; Gohde, Der Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer nach den §§ 198 ff. GVG, 2020, S. 119, mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung in Fußnote 537).

Auf Grundlage der vorgenannten Ausführungen lässt sich für diesen, vom Kläger ohnehin nicht gerügten Verfahrensabschnitt, für keines der Ausgangsverfahren eine unangemessene Verfahrensdauer im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG feststellen.

Wie bereits ausgeführt, lag eine rechtlich wie tatsächlich schwierige rechtliche Konstellation in allen neun – und letztlich auch allen weiteren parallelen – Verfahren vor, die zudem schon zu Beginn auch prozessual nicht dem Regelfall entsprach. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass gegen den Mitbeklagten jeweils zuvor ein Mahnverfahren betrieben worden war und der jeweilige Beklagte zu 2), der hiesige Entschädigungskläger, zunächst unbekannten Aufenthalts gewesen war. Zustellungen, und damit letztlich der tatsächliche Beginn der Rechtsstreite gegen ihn, erfolgten erst im Oktober und November 2007 und damit nach der beabsichtigten und nur in 14 (2) 675/07 auch erfolgten Durchführung der mündlichen Verhandlung Mitte Oktober 2007. Zum Zeitpunkt der Zustellung an den Bevollmächtigten des Beklagten zu 2) in den Ausgangsverfahren, den Entschädigungskläger, waren zudem bereits weitere umfangreiche Schriftsätze des Beklagten zu 1) in den Ausgangsverfahren eingegangen. Auch war über das Prozesskostenhilfegesuch des Beklagten zu 1) im Ausgangsverfahren zu entscheiden. Die jeweils knapp 50-seitigen Klageerwiderungen des hiesigen Klägers zu den neun Ausgangsverfahren gingen Ende Januar bis Anfang Februar 2008 beim Landgericht ein. Auch diese waren nicht nur inhaltlich umfassend und rechtlich komplex, sondern ebenfalls mit einem umfangreichen Anlagenkonvolut versehen.

In der Folge musste sich die seinerzeit allein zuständige 2. Zivilkammer auch eine Meinung hinsichtlich der beantragten Abtrennung des Verfahrens gegen den dort Beklagten zu 1) aufgrund entsprechender Anregungen der Kläger in den Ausgangsverfahren und darauf eingeholter Stellungnahmen bilden, wobei den Anregungen letztlich betreffend eine Abtrennung nicht, betreffend eine Wiederaufnahme in Teilen gefolgt wurde.

Daneben, und dies erhellt aus den Kammerhinweisen vom November 2009, beobachtete die Kammer den Fortgang des Verfahrens 3 U 120/08 beim Oberlandesgericht Braunschweig (vorgehend: Landgericht Göttingen 2 O 583/07), und reagierte auf den dort unter dem 20.08.2009 ergangenen Hinweisbeschluss ebenfalls mit einem umfangreichen eigenen Hinweisbeschluss, jeweils vom 11.11.2009, der die seinerzeitige Rechtsauffassung der Kammer darlegte.

Nicht unberücksichtigt bleiben kann, gerade in der Konstellation der „Massenverfahren“ wie vorliegend, dass unabhängig von einer förmlichen oder faktischen „Pilotierung“ von Verfahren eine Interdependenz zwischen allen Verfahren besteht. Dies erhellt vorliegend in aller Deutlichkeit aus den Vermerken der beiden Kammervorsitzenden vom Dezember 2011, in denen die Schwierigkeiten bei der Terminierung auch nur ausgewählter Verfahren unter Berücksichtigung des Parteiverhaltens geschildert werden. Selbst wenn, was zutreffend ist, zur Begründung einer Verzögerung nicht auf einen hypothetischen Kausalverlauf abzustellen ist (BFH, Urteil vom 20. November 2013 – X K 2/12 –, Rn. 38, juris), ist die logistische Auswirkung solcher Verzögerungen in ähnlich gelagerten Verfahren beachtlich. Hierzu zählen neben dem Vorgang der Aufhebung von Terminen insbesondere die Fertigung von dienstlichen Stellungnahmen, zumal davon nach dem Inhalt der genannten Vorsitzendenvermerke mindestens 92 Verfahren betroffen waren. Daneben tritt unwidersprochen der Eingang von rund 1.600 neuen Klagen zum Ende des Jahres 2010, zudem in anderer Konstellation auf Passivseite mit teilweise vier Beklagten und auf der Basis von abweichendem Vortrag, die ebenfalls von derselben Kammer logistisch, inhaltlich und rechtlich zu bearbeiten waren.

Hinzu kommt vorliegend entscheidend, und auch dies betrifft alle neun Ausgangsverfahren, die Tatsache, dass infolge einer vollständigen personellen Neubesetzung zum 01.01.2011, die zu überprüfen nicht Aufgabe des Senats ist, die bereits angesprochene Änderung der Rechtsauffassung der 2. Zivilkammer gegenüber derjenigen der vorherigen Besetzung tritt. Diese Änderung der Auffassung fällt in die Zeit, in der jedenfalls in der Außenwirkung in den vorliegenden Verfahren keine Verfahrensförderung zu erkennen war. Allerdings ist naturgemäß eine solche veränderte rechtliche Würdigung kein singulärer Akt, sondern ebenfalls ein Vorgang, der neben einer intensiven Einarbeitung in den Sach- und Streitstand eine umfassende Auswertung der Akten und Anlagen sowie der Entwicklungen in der Rechtsprechung voraussetzt. So benötigt das Gericht vor einer verfahrensfördernden Handlung oder Entscheidung zur Sache Zeit zur rechtlichen Durchdringung, um dem rechtstaatlichen Anliegen zu genügen, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands vorzunehmen (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 – 5 C 1/13 D –, juris, Rn. 28; BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2015 – 5 C 5/14 D –, juris, Rn. 43).

Angesichts des in diesem Zeitraum weiter angewachsenen Umfangs der Akten, der weiteren erheblichen Neueingänge in den Kammern, notwendiger Abstimmungsprozesse zur Vorgehensweise innerhalb der Kammern und weiterhin fortbestehender logistischer Herausforderungen bei der Umsetzung eines solchen Vorgehens, welches rein technisch-faktisch erhebliche Auswirkungen auf die Bearbeitung zeitigt, erkennt der Senat – mit den Parteien des vorliegenden Entschädigungsverfahrens – keine nach den obigen Kriterien schlichtweg unvertretbare oder willkürliche Handhabung seitens des Landgerichts.

Der Senat teilt aus vorgenannten Gründen deshalb auch nicht die Einschätzung aus einer früheren Entscheidung des 6. Zivilsenats im Urteil vom 11. April 2014 (OLG Braunschweig, 6 SchH 1/14 – juris, Rn. 39 f.), der in einem ähnlich gelagerten Verfahren aus dem Komplex „G. Gruppe“ noch eine unangemessene Verzögerung von Anfang März 2010 bis Ende August 2011, mithin von 18 Monaten, angenommen hatte.

Eine vertretbare Rechtsauffassung des Gerichts oder eine nach der Zivilprozessordnung vertretbare Verfahrensleitung begründen auch dann keinen Entschädigungsanspruch, wenn sie zu einer Verlängerung des Gerichtsverfahrens geführt haben. Ein Anspruch des Rechtsuchenden auf „optimale“ Verfahrensförderung besteht nicht (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 –, BGHZ 199, 190 ff., Rn. 46, juris; OLG Oldenburg, Urteil vom 15. Dezember 2016 – 15 EK 14/16 –, juris, Rn. 19; vgl. auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Dezember 2010 – 1 BvR 404/10 –, Rn. 16, juris).

In der Folge ist in allen vorliegenden Ausgangsverfahren eine Terminierung auf Mitte August 2012 erfolgt. Alle Termine fanden statt und führten zu den Beweisbeschlüssen vom September 2012.

Nach alledem ist für den vom Senat gebildeten ersten Verfahrensabschnitt bis zum Erlass der genannten Beweisbeschlüsse eine unangemessene Verzögerung nicht nur vom Kläger nicht geltend gemacht worden, sondern auch nicht anhand des Parteivortrags und des Akteninhalts der Ausgangsverfahren festzustellen.

(6) Eine solche liegt auch nicht in der Anordnung der Beweisaufnahme selbst, mithin in der „Zäsur“ als solcher.

Der Kläger rügt vorliegend die Fortführung des Verfahrens ohne sachliche Endentscheidung, weil er meint, dass schon vor den mündlichen Verhandlungen vom August 2012 und den Beweisbeschlüssen die Klagen gegen ihn ohne Beweisaufnahme abweisungsreif gewesen seien. In erster Linie hält er den Erlass der Beweisbeschlüsse vom September 2012, mit denen von Amts wegen ein Sachverständigengutachten eingeholt wurde, für unvertretbar.

Entgegen der Ansicht des Klägers bestehen insoweit vorliegend jedoch keine Anhaltspunkte für eine schlechterdings unvertretbare Verfahrensweise der Kammern durch den (angekündigten) Erlass der Beweisbeschlüsse im September 2012.

(a) Soweit sich der Kläger auf den Standpunkt stellt, dass die Klagen des Ausgangsverfahrens unschlüssig gewesen seien, sodass sich der Eintritt in die Beweisaufnahme verboten habe, stellt er damit seine eigene rechtliche Einschätzung an die Stelle derjenigen des Ausgangsgerichts. Auch dem Entschädigungsgericht steht die Beurteilung dieser Frage aus den dargelegten Gründen der richterlichen Unabhängigkeit jedoch nicht an.

Die Beurteilung der Schlüssigkeit gehört zum privilegierten Kernbereich der richterlichen Tätigkeit mit Blick auf die Schaffung der Entscheidungsgrundlagen. Von daher ist es auch unerheblich, ob die 2. Zivilkammer in anderer Besetzung im Jahre 2009 bereits einen Hinweis dahingehend erteilt hatte, dass die Klagen als unschlüssig anzusehen seien. Daran waren die Kammern in späterer Besetzung aus Gründen der richterlichen Unabhängigkeit jedenfalls nicht gebunden.

Das Entschädigungsgericht prüft grundsätzlich nicht, ob die Richter im Ausgangsverfahren richtig entschieden haben (OLG Braunschweig, Urteil vom 11. April 2014 – 6 SchH 1/13 –, juris, Rn. 43). „Führt […] zum Beispiel die Anordnung einer Beweisaufnahme oder die Erteilung von Hinweisen und Auflagen zu einer Verlängerung des gerichtlichen Verfahrens, ist dies – vorbehaltlich der Grenze der Rechtsbeugung (§ 839 Abs. 2 Satz 1 BGB) – ohne Belang, auch wenn nach Auffassung des zur Entscheidung des Amtshaftungsprozesses berufenen Gerichts die Beweisaufnahme oder der Hinweis bzw. die Auflage überflüssig gewesen sind und ein der Klage stattgebendes sowie einen Vollstreckungsschaden vermeidendes Urteil deshalb früher hätte ergehen können. Gleiches gilt für sonstige prozessleitende Maßnahmen, die darauf abzielen, die Grundlagen für die Entscheidung zu gewinnen“ (BGH, Urteil vom 4. November 2010 – III ZR 32/10 –, Rn. 13, juris).

(b) Auch kann dem Kläger nicht dahingehend gefolgt werden, dass alle Tatsachen- und Rechtsfragen bereits durch Gutachten in vorangegangenen Verfahren, Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft, etc. geklärt gewesen und deswegen gleichsam auf der Hand gelegen hätten.

Das erkennende Gericht ist an die in anderen Verfahren erhobenen Entscheidungsgrundlagen nicht gebunden, sondern entscheidet in richterlicher Unabhängigkeit, welche Teile des Sachverhalts es als streitig und beweisbedürftig ansieht. Ebenso ist es Sache des erkennenden Gerichts, den Prozessstoff – erschöpfend – auszuwerten (vgl. etwa BGH, Urteil vom 15. März 2004 – II ZR 136/02 –, Rn. 5 ff., juris).

Insbesondere ist der Hinweis des Klägers auf das Urteil des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 2. Mai 2012 (3 U 120/08, juris) der Untermauerung der von ihm eingenommenen Position unbehelflich. Dieses Urteil war Berufungsurteil zu dem Rechtsstreit 2 O 583/07 des Landgerichts Göttingen, bei dem es sich gerade nicht um das designierte Muster- bzw. Pilotverfahren der hier in Rede stehenden Hauptserie handelte. Überdies war der Beklagte zu 2) des Ausgangsverfahrens und Kläger des Entschädigungsverfahrens in diesem Rechtsstreit nach seinem eigenen Vortrag schon nicht (mehr) selbst Beklagter, da das Verfahren gegen ihn zuvor abgetrennt worden war.

(c) Dass das Landgericht Göttingen die Verjährungseinrede jeweils unbeachtet gelassen bzw. offenbar als nicht durchgreifend erachtet hat, führt ebenfalls nicht zur Unvertretbarkeit des Erlasses des Beweisbeschlusses.

Denn auch die Prüfung des Eintritts der Verjährung zählt als rechtliche Würdigung zum Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit. Anders als der Kläger meint, steht damit im Übrigen auch nicht eine Frage im Raume, deren Beantwortung für jedermann ersichtlich auf der Hand liegt, sodass ein Anhaltspunkt dafür gegeben sein könnte, dass der Erlass eines Beweisbeschlusses als vollkommen unverständlich und geradezu willkürlich zu bewerten wäre. Denn vorliegend ging es um den Fristbeginn der kenntnisabhängigen Verjährungsfrist des § 199 Abs. 1 BGB, bei der sich komplexe Fragen dahingehend stellen können, welche Tatsachen dem Einredeführer zu welchem Zeitpunkt bekannt gewesen sein müssen.

(d) Auch die konkrete Anwendung des § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F. durch beide Kammern erfolgte nicht in unvertretbarer, an Willkür grenzender Weise.

Zwar ist dem Kläger insbesondere dahingehend Recht zu geben, dass das Gericht üblicherweise – im Lichte des den Zivilprozess beherrschenden Grundsatzes der Parteiherrschaft – vor der Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen gemäß § 139 ZPO zur Klärung angehalten ist, ob (gegebenenfalls warum nicht) der Beweisbelastete die Initiative ergreift (Zöller/Greger, a.a.O., § 144 ZPO Rn. 1).

Da das beklagte Land dem klägerischen Vortrag im Entschädigungsverfahren dahingehend, dass das Landgericht Göttingen jeweils nicht auf die Stellung eines Beweisantrages hingewirkt habe, nicht entgegengetreten ist, gilt der entsprechende Vortrag des Klägers im Entschädigungsverfahren gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.

Gleichwohl bestand zu einer solchen weitergehenden Aufklärung nach dem eigenen Vortrag des Klägers im Entschädigungsverfahren deshalb kein Anlass, weil die Kläger der zugehörigen Pilotverfahren in den mündlichen Verhandlungen nach seiner Behauptung erklärt hätten, dass alle Ausgangsklagen „auch unabhängig von der Frage nach der Tragfähigkeit des Beteiligungssystems begründet seien“ und die „darlegungs- und beweisbelasteten Klägerparteien Verzichtserklärungen als verbindliche Prozesshandlungen […] abgegeben“ hätten.

Das beklagte Land hat im Übrigen nicht in Abrede genommen, dass die Kläger der Ausgangsverfahren erklärten, dass ihrer Ansicht nach die Ausgangsklagen ohnehin begründet seien.

Zum einen wären die Kammern des Landgerichts Göttingen bei Anwendung des § 144 Abs. 1 ZPO a.F. selbst an einen etwaigen Verzicht nicht gebunden gewesen. Denn bereits bei Parteivereinbarungen gilt, dass diese mit Blick auf die Beweisbedürftigkeit zwar zulässig sind, eine zulässige Beweiserhebung von Amts wegen jedoch nicht hindern können (Zöller/Greger, a.a.O., Vorbemerkungen zu § 284 ZPO Rn. 2b).

Zum anderen haben die Kläger in den Pilotverfahren entgegen der Behauptung des Klägers unter Berufung auf die in seiner Klageschrift (Rn. 184) bezeichnete Anlage EK 5B keinen „Verzicht“ erklärt. Die vom Kläger genannte Anlage EK 5B steht vielmehr im Widerspruch zum diesbezüglichen eigenen Vortrag des Klägers.

Die Erklärung eines „Verzichts“ ist auch weder den beigezogenen Akten zu entnehmen noch führte eine dahingehende „Behauptung“ des Klägers, da nicht ausdrücklich vom beklagten Land bestritten, zu einer relevanten Unstreitigkeit im Rechtssinne. § 402 ZPO, der für den Sachverständigenbeweis ergänzend auf die Vorschriften über den Zeugenbeweis und damit auch auf § 399 ZPO mit dem darin geregelten „Verzicht“ verweist, führt dazu, dass allenfalls ein „Verzicht“ auf die Vernehmung des Sachverständigen möglich ist; nicht geregelt ist indessen ein „Verzicht“ im Rahmen des § 411 ZPO betreffend die schriftliche Begutachtung. Diese Regeln sind auch über § 144 Abs. 3 ZPO auf den Fall der amtswegigen Beweisaufnahme anwendbar.

Die Anwendung des § 144 Abs. 1 ZPO a.F. war – im privilegierten Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit liegend – nach dem im Entschädigungsverfahren anzuwendenden Prüfungsmaßstab auch vorliegend im Ergebnis jedenfalls nicht grob fehlerhaft.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO in der im Herbst 2012 gültigen Fassung konnte das Gericht die „Begutachtung durch Sachverständige“ anordnen (die seit dem 01.01.2020 gültige Fassung des § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO lautet demgegenüber: „Das Gericht kann die Einnahme des Augenscheins sowie die Hinzuziehung von Sachverständigen anordnen“, Hervorhebung durch den Senat).

Die seinerzeit in Geltung stehende Fassung der Vorschrift erlaubte die Einholung eines Sachverständigengutachtens ohne Beweisantritt der beweisbelasteten Partei; sie schränkte insofern den Beibringungsgrundsatz ein (Zöller/Greger, a.a.O., § 144 ZPO Rn. 1).

Zum anderen gaben die Kläger der Ausgangsverfahren mit ihren von dem Kläger des Entschädigungsverfahrens behaupteten Äußerungen nach verständiger Auslegung dem Gericht gegenüber vielmehr ihre Rechtsauffassung zu erkennen, dass sie ihre jeweilige Klage auch unabhängig von einer sachverständigen Bestätigung ihrer Behauptungen für begründet hielten. Keinesfalls aber wollten sie mit einem etwaigen Verzicht auf ein Sachverständigengutachten bei verständiger Würdigung deshalb selbst eine Klageabweisung in Kauf nehmen, sondern haben ausdrücklich sogar ihren Vortrag präzisiert. Von daher unterscheidet sich die vorliegende Konstellation bereits von derjenigen, über die der Bundesgerichtshof in dem Urteil vom 27. Februar 2019 – VIII ZR 255/17 –, juris, zu befinden hatte und auf die der Kläger sich stützt.

In der von dem Bundesgerichtshof entschiedenen prozessualen Konstellation hatte die letztlich unterlegene und beweisbelastete Klägerin auf Nachfrage des Berufungsgerichts ausdrücklich mitgeteilt, einen Beweisantrag gerichtet auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht stellen zu wollen. Der Bundesgerichtshof hält zwar weiterhin fest, dass bei dieser Sachlage das Berufungsgericht nicht „verpflichtet“ war, nach § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO von Amts wegen ein Sachverständigengutachten einzuholen. Damit ist jedoch keine Aussage über die hier gegenständliche Konstellation verbunden, ob die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus „eigenem Antrieb“ des Gerichts willkürlich ist.

Dass das Landgericht in allen neun Verfahren das ihm eingeräumte Ermessen überhaupt nicht erkannt hätte, ist zudem nicht ersichtlich.

Ein Ermessensfehler ist auch nicht etwa darin zu erblicken, dass das Gericht eine Beweiserhebung von Amts wegen angeordnet hat, obwohl ein entsprechender Beweisantrag (z.B. als Ausforschungsbeweis) zurückzuweisen wäre (vgl. hierzu Zöller/Greger, a.a.O., § 144 ZPO Rn. 1).

Die Kammern haben sich bei der Formulierung der Beweisfragen – wie ausgeführt – maßgeblich an den Behauptungen der Kläger der Ausgangsverfahren orientiert und auch Nachfrage gehalten.

Entgegen der Ansicht des Klägers des Entschädigungsverfahrens war das Landgericht auch nicht gehalten, den jeweiligen Erlass des Beweisbeschlusses gesondert zu begründen, zumal dieser angekündigt war und auch in den mündlichen Verhandlungen jeweils über dessen Notwendigkeit, wie den Protokollen zu entnehmen ist, verhandelt wurde. Denn mit dieser verfahrensleitenden Handlung gaben die Kammern denknotwendig zu erkennen, dass sie die jeweils vorliegenden Klagen nunmehr als schlüssig bewerteten und nicht von einer Verjährung der geltend gemachten Ansprüche ausgingen.

In der Zusammenschau bleibt deshalb nur zu konstatieren, dass der Senat „nicht zu untersuchen [hat], ob dem Landgericht ein Rechtsfehler unterlaufen ist, als es sich gegen den Willen der Parteien des Ausgangsverfahrens entschieden hat, ein Sachverständigengutachten einzuholen, um das Konzept der Gesellschaften der ,G. Gruppe‘ zu untersuchen“ (OLG Braunschweig, Urteil vom 11. April 2014 – 6 SchH 1/13 –, Rn. 45, juris; bestätigt durch BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – III ZR 141/14 –, Rn. 36, juris).

(e) Auch die Ausgestaltung der jeweiligen Beweisbeschlüsse beider Kammern in allen neun Verfahren ist nicht unvertretbar, namentlich die Verbindung ausschließlich zum Zwecke der Einholung des schriftlichen Gutachtens und die Verbindung „über die Kammergrenze“ hinweg mit demselben Ziel.

Wie die 14. Zivilkammer in den seinerzeitigen Beschlüssen vom 05. bzw. 11.09.2012 und die 2. Zivilkammer in ihren Beschlüssen vom 13.09.20212 zutreffend festgestellt haben, ist eine solche Verbindung unabhängig von § 147 ZPO (vgl. Zöller/Greger, a.a.O., § 147 ZPO Rn. 5) möglich und lässt die Verfahren als selbstständig fortbestehen (BGH, Urteil vom 30. Oktober 1956 – I ZR 82/55 – juris).

Nicht nur angesichts der Vielzahl ähnlich gelagerter Rechtsstreite vor der 2. und der 14. Zivilkammer – die nicht zuletzt aufgrund der Vielzahl von Verfahren aus dem Komplex „G. Gruppe“ zur Entlastung der bis dahin allein zuständigen 2. Zivilkammer gegründet worden war – war eine solche Verbindung unterhalb der Schwelle des § 147 ZPO nicht nur sachlich und rechtlich zulässig, sondern aus Sicht des Senats zur Beschleunigung aller Verfahren insgesamt und gerade auch angesichts der zu erwartenden Kosten der Beweisaufnahme – vgl. hierzu nur die Kostenentscheidung im vorliegenden Verfahren in Anlage EK A-1 mit Beschluss vom 28.02.2020 mit seinerzeit bereits 1.596.312,25 € – im wirtschaftlichen Interesse der Parteien und aus prozessökonomischen Gründen geboten.

Es war, wie auch der Bundesgerichtshof in weiteren Verfahren denselben Komplex betreffend festgestellt hat, sachgerecht, „Pilotverfahren" auszuwählen und vorrangig zu betreiben, während die übrigen gleich oder ähnlich gelagerten Verfahren einstweilen zurückgestellt blieben (siehe auch BGH, Beschluss vom 21. November 2013 – III ZA 28/13 –, Rn. 9, juris). Dadurch konnten und können Rechtsfragen von zentraler Bedeutung verfahrensübergreifend auf besonders prozessökonomische Weise geklärt werden.

Darauf, ob sich die Zurückstellung anderer Verfahren oder die Auswahl der Pilotverfahren – ex post betrachtet – als förderlich erwiesen hat, kommt es nicht an. Maßgebend ist vielmehr, dass die Entscheidungen des Landgerichts aus der Sicht ex ante vernünftig und zweckmäßig waren (vgl. BVerfG, NVwZ 2013, 789, 791; BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – III ZR 141/14 –, Rn. 34, juris).

Dass nunmehr, noch deutlich vor Abschluss der beiden relevanten Pilotverfahren, alle gegenständlichen Ausgangsverfahren durch Klagrücknahme beendet worden sind, ändert vor dem Hintergrund der genannten Erwägungen im Hinblick auf die gebotene ex ante-Sicht nichts.

Dabei ist es für die hier zu beurteilende Frage der überlangen Verfahrensdauer im Sinne des § 198 GVG unerheblich, aus welchen, im Übrigen dem Senat nicht bekannten, Gründen, sich die Kläger der gegenständlichen neun Ausgangsverfahren zur Beendigung durch Rücknahme veranlasst sahen. Die vom hiesigen Kläger geäußerte Vermutung, die Rücknahmen seien darauf zurückzuführen, dass die Prozessbevollmächtigten im Ausgangsverfahren seit Herbst 2019 zu der Erkenntnis gelangt seien, die von ihnen für die jeweiligen Kläger geführten Klage seien unschlüssig, ist spekulativ und widerspricht im Übrigen der Fortführung einer Vielzahl weiterer Klagen in ähnlich gelagerten Fällen durch dieselben Bevollmächtigten. Selbst die Vermutung als wahr unterstellt, würde dies bei gebotener ex ante-Sicht keinerlei Einfluss darauf nehmen können, ob das jeweilige Ausgangsverfahren überlang i.S.d. § 198 GVG war.

Es ist weder Aufgabe noch Sinn des Entschädigungsverfahrens, rechtliche Einschätzungen, Überlegungen oder Entscheidungen im Ausgangsverfahren zu überprüfen. Auf das Ergebnis des Verfahrens, etwa im Sinne eines Erfolgs oder Misserfolgs, kommt es dabei nicht an (OLG Karlsruhe, Urteil vom 30. Juni 2020 – 16 EK 16/19 –, Rn. 139, juris). Dasselbe gilt entsprechend für einen „Erfolg“ im Sinne einer Klagrücknahme der Gegenseite. Im Entschädigungsprozess kann deshalb nicht einmal die Verfahrensführung des Richters im Ausgangsverfahren, nicht zuletzt aufgrund des verfassungsrechtlichen Grundsatzes richterlicher Unabhängigkeit, auf ihre Richtigkeit überprüft werden (Zöller/Lückemann, a.a.O., § 198 GVG Rn. 4).

bb) Hinsichtlich des zweiten Verfahrensabschnitts, der auf den Erlass der genannten Beweisbeschlüsse beider Kammern folgend beginnt und währenddessen das Schicksal der gegenständlichen Ausgangsverfahren maßgeblich von den jeweiligen Pilotverfahren abhing, kann im Ergebnis dahinstehen, ob Letztere selbst unangemessen i.S.d. § 198 Abs. 1 GVG verzögert waren. Originäre Verzögerungen der gegenständlichen Ausgangsverfahren selbst sind jedenfalls nicht ersichtlich (1). Etwaige Verzögerungen in dem jeweils zugehörigen Pilotverfahren können dahinstehen, weil sie nicht zu einer Entschädigungspflicht in diesem Verfahren führen können (2).

Im Einzelnen:
(1) Originäre Verzögerungen, die ihren Grund allein in den gegenständlichen neun Ausgangsverfahren haben, sind für den Zeitraum ab Anordnung der Beweisaufnahme weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Verfahren wurden jeweils dem entsprechenden Pilotverfahren folgend, „nachgeführt“. Dies betrifft insbesondere die Neubestellungen der Sachverständigen sowie Ergänzungen und Änderungen der Beweisthemen. Zudem erfolgten alle Nebenentscheidungen, wie etwa über Prozesskostenhilfe und deren Auszahlung, ohne vorgetragene oder erkennbare Verzögerung. Schließlich erfolgten auch jeweils Rückmeldungen aus den Pilotverfahren in die abhängigen Verfahren in Gestalt von Vorsitzendenvermerken.

(2) Etwaige Verzögerungen in dem jeweils zugehörigen Pilotverfahren können im Ergebnis dahinstehen, weil sie nicht zu einer Entschädigungspflicht in diesem Verfahren führen können.

Das Zuwarten auf Ergebnisse oder Ermittlungen in einem parallelen Verfahren kommt zwar als sogenannte aktive Bearbeitungszeit in Betracht, wenn zu erwarten ist, dass in einem solchen Verfahren Erkenntnisse gewonnen werden, die auch für das Ausgangsverfahren von unmittelbarer Relevanz sind (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 27. September 2011 – 1 BvR 232/11 – Rn. 31, juris; BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, Rn. 47, juris).

So verhält es sich hier. Aufgrund der Beweisbeschlüsse in den Ausgangsverfahren vom September 2012 förderten die Kammern die gegenständlichen Ausgangsverfahren jedenfalls in der Sache – jenseits der oben genannten Punkte – nicht weiter, wie es auch dem Zweck und letztlich der Natur der gewählten Konstruktion durch Auswahl weniger Pilotverfahren entsprach.

Wäre gedanklich in jedem einzelnen der Ausgangsverfahren ein inhaltlich vergleichbarer Beweisbeschluss nicht nur ergangen, sondern jede Akte für sich an den Sachverständigen übersandt worden, wären allfällige Verzögerungen im Rahmen der Begutachtung, deren Relevanz im Sinne eines Entschädigungsanspruchs infolge Verzögerung unterstellt, in jedem der Ausgangsverfahren einzeln zu beurteilen gewesen.

Daher ist es nicht interessengerecht, worauf der Kläger u.a. auch hinweist, tatsächliche oder behauptete Verzögerungen der beiden relevanten Pilotverfahren losgelöst zu betrachten und somit deren Relevanz für die Ausgangsverfahren auf die bloß faktische Aussetzung zu verneinen, zumal die Aussetzung als solche nicht förmlich angeordnet wurde. Ohnehin käme eine solche nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hier als zurechenbare Verzögerung in Betracht (vgl. Steinbeiß-Winkelmann/Ott, § 198 GVG Rn. 132, m.w.N.).

Die Frage, ob und falls ja, in welchem Umfang es fernwirksame Verzögerungen der Ausgangsverfahren gab, kann indessen dahinstehen.

Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG im Falle unangemessener Verfahrensdauer zwar vermutet. Dabei handelt es sich um eine widerlegliche gesetzliche Tatsachenvermutung im Sinne von § 292 Satz 1 ZPO, die dem Betroffenen die Geltendmachung eines immateriellen Nachteils erleichtern soll, weil in diesem Bereich ein Beweis oft nur schwierig oder gar nicht zu führen ist (BT-Drucks. 17/3802 S. 19, 41). Diese Vermutungsregel entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser nimmt eine starke, aber widerlegbare Vermutung dafür an, dass die überlange Verfahrensdauer einen Nichtvermögensschaden verursacht hat. Er erkennt aber auch an, dass der Nichtvermögensschaden in bestimmten Fällen sehr gering sein oder gar nicht entstehen kann. In diesem Fall müsse der staatliche Richter seine Entscheidung mit einer ausreichenden Begründung rechtfertigen (EGMR, NJW 2007, 1259, Rn. 204).Im Entschädigungsprozess ist die Vermutung widerlegt, wenn der Beklagte das Fehlen eines immateriellen Nachteils darlegt und beweist, wobei ihm, da es sich um einen Negativbeweis handelt, die Grundsätze der sekundären Behauptungslast zugutekommen können (Zöller/Greger, a.a.O, vor § 284 ZPO Rn. 34 und § 292 ZPO Rn. 2).Im Hinblick darauf, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte lediglich eine „ausreichende Begründung" zur Widerlegung verlangt, dürfen insoweit keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Die Vermutung eines auf der Verfahrensdauer beruhenden immateriellen Nachteils ist dann widerlegt, wenn das Entschädigungsgericht unter Berücksichtigung der vom Kläger gegebenenfalls geltend gemachten Beeinträchtigungen nach einer Gesamtbewertung der Folgen, die die Verfahrensdauer mit sich gebracht hat, die Überzeugung gewinnt, dass die (unangemessene) Verfahrensdauer nicht zu einem Nachteil geführt hat (vgl. BFHE 243, 151Rn. 26 ff.; BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – III ZR 141/14 –, Rn. 40 f., juris, zum Verfahren 6 SchH 1/13 des OLG Braunschweig (juris) zu demselben Komplex mit demselben Kläger aus demselben Zusammenhang).Auch vorliegend sind vom Kläger keine konkreten psychischen oder physischen Beeinträchtigungen geltend gemacht worden, die gerade auf die streitgegenständlichen Verfahren zurückzuführen wären. Seine Ausführungen erschöpfen sich darin, die durch den Gesamtkomplex der Verfahren hervorgerufenen Belastungen in allgemeiner Form zu schildern. Macht der Betroffene – wie hier – Entschädigung für einzelne Verfahren aus einem umfangreichen Verfahrenskomplex geltend, muss er die konkreten Nachteile, die gerade durch die Dauer dieser Verfahren verursacht worden sein sollen, positiv behaupten. Nur dann kann der Anspruchsgegner den ihm obliegenden Beweis der Unrichtigkeit der aufgestellten Behauptungen führen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 – XI ZR 261/09, NJW 2011, 2130,Rn. 19 f.; BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – III ZR 141/14, Rn. 43, juris).Diese dem Kläger im Wege der sekundären Darlegungslast obliegende Behauptung hat dieser nicht bzw. nur in nicht einlassungs- und widerlegungsfähiger und somit unbeachtlicher Pauschalierung vorgetragen.Der Kläger trägt als physische Folge der Verfahren den im April 2009 unstreitig erlittenen Herzinfarkt vor. Allerdings macht der Kläger für den Zeitraum bis Herbst 2013 und somit auch für die Zeit, in der er den Herzinfarkt erlitten hatte, weder eine Entschädigung geltend, noch hält er nach seiner eigenen Rechtsauffassung das Ausgangsverfahren für in diesem Zeitpunkt bereits über Gebühr verzögert. Damit entfällt schon eine Zurechnung aufgrund des eigenen Vortrags, unabhängig von der Frage, ob es gerade eines, mehrere oder alle der vorliegenden insgesamt neun Ausgangsverfahren waren, die kausal für den erlittenen Infarkt gewesen sein sollen.Auch betreffend die Belastung durch die Verfahrensführung ist festzustellen, dass jenseits der bloßen Existenz der Verfahren keine relevante Belastung beim Kläger nach eigenem Vortrag eingetreten ist. Der Kläger selbst rügt die langsame Verfahrensführung und die mittelbar fehlende Verfahrensförderung der gegenständlichen neun Ausgangsverfahren. In der Tat führt aber, unabhängig davon, dass der Kläger sich anwaltlicher Hilfe ohne eigene Voraus-Kosten – ratenfreie PKH war jedenfalls im geltend gemachten Zeitraum gewährt – bediente, ein behauptetes Nichtfördern der gegenständlichen Ausgangsverfahren genau dazu, dass in den hiesigen Ausgangsverfahren auch für den Kläger „nichts zu veranlassen“ war.

Nach alledem kann die Belastung des Klägers hinsichtlich der gegenständlichen Ausgangsverfahren allein aus der schieren Zahl und dem Gesamtvolumen der Verfahren resultieren.

Im Entschädigungsverfahren zu dem Aktenzeichen 4 EK 23/20, welches seinerseits ein Pilotverfahren aus der „L.“-Serie zum Gegenstand hat, hat der Senat bereits mit Urteil vom 5. November 2021 (juris) verdeutlicht, dass er den Entschädigungsanspruch des personenidentischen Entschädigungsklägers, der zugleich Partei des Pilotverfahrens war und sich daneben einer Vielzahl davon abhängiger Verfahren ausgesetzt sieht, monatlich spürbar höher beurteilt, als dies der gesetzliche Regelfall vorsieht.

Dem liegt die Auffassung zugrunde, dass in einem Pilotausgangsverfahren die Belastung des Betroffenen im Zusammenhang mit den – in jenem Fall rund 140 – abhängigen Verfahren in Kenntnis der von der Entwicklung des Pilotverfahrens fast vollends determinierten Entwicklung der abhängigen Verfahren deutlich spürbarer ist, wohingegen die vom Pilotverfahren abhängigen Ausgangsverfahren während ihres faktischen Ruhens deutlich weniger „präsent“ sind als das Pilotverfahren selbst. Schließlich sind zuvörderst das Ausgangsgericht, aber auch die Parteien und ihre Bevollmächtigten gehalten, ihre Bemühungen und Anstrengungen zuvörderst auf das Pilotverfahren zu richten.

Selbiges gilt auch in vorliegender Konstellation mit insgesamt deutlich mehr abhängigen Verfahren, wobei die Belastung des personenidentischen Entschädigungsklägers, der wiederum auch Partei in den Pilotverfahren ist, auf Grundlage der vorgenannten Ausführungen ausschließlich in den beiden Pilotverfahren zu verorten wäre.

Die durch entschädigungspflichtige Verzögerungen in einem Pilotverfahren verursachten Nachteile manifestieren sich für den personenidentischen Kläger, der auch Partei im Pilotverfahren ist, ausschließlich in den Pilotverfahren, wobei die Anzahl der hiervon abhängigen Verfahren bei der Bemessung der billigen Entschädigung in dem das Pilotverfahren betreffenden Entschädigungsverfahren zu berücksichtigen ist. Dabei ist es ausgeschlossen, dass Existenz und Anzahl der abhängigen Verfahren im Entschädigungsprozess zum jeweiligen Pilotverfahren untergewichtet werden. Die mit zunehmender Anzahl – vom zugehörigen Pilotverfahren – abhängiger Verfahren degressiv abnehmende Belastungswirkung gewährleistet zugleich, dass diese sich – selbst bei endlos fortschreitender Anzahl abhängiger Verfahren – denklogisch allenfalls gegen Null, nicht jedoch auf Null reduzieren kann.

Etwaige Verzögerungen, die bei der Bearbeitung der Pilotverfahren verursacht werden, zeitigen nämlich nur „passive“ Auswirkungen auf die jeweils abhängigen Verfahren, die zur Zeit der Bearbeitung des Pilotverfahrens faktisch ruhen, wie sich auch vorliegend zeigt. Wenn für den Entschädigungskläger in abhängigen Verfahren ausschließlich „passive“ Auswirkungen der Verzögerung der Pilotverfahren zum Tragen kommen, so sind sie deshalb objektiv allein dem Entschädigungsprozess des zugehörigen Pilotverfahrens zurechenbar. In dem Entschädigungsprozess des vom Pilotverfahren abhängigen Verfahrens ist in einem solchen Falle die Persistenz eines immateriellen Nachteils nicht mehr gegeben und die Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG widerlegt.

Nur dann, wenn durch die (Nicht-) Bearbeitung des abhängigen Verfahrens selbst weitere Verzögerungen eintreten, kommt auch im Entschädigungsprozess des abhängigen Verfahrens die Entstehung eines weitergehenden immateriellen Nachteils in Betracht (Senat, Urteil vom 5. November 2021 – 4 EK 23/20 –, Rn. 499, juris). Die Berücksichtigung der abhängigen Verfahren bei der Bemessung der billigen Entschädigung in dem das Pilotverfahren betreffenden Entschädigungsprozess stellt sicher, dass der durch die Überlänge bedingte immaterielle Nachteil (nur) dort bewertet und ausgeglichen wird, wo er auch eintritt, nämlich im Rahmen des Entschädigungsprozesses, der die Verzögerung des Pilotverfahrens behandelt. Die durch die Überlange eines Pilotverfahrens verursachten passiven Auswirkungen auf – vom Pilotverfahren abhängige – Ausgangsverfahren sind für den personenidentischen Entschädigungskläger objektiv dem Pilotverfahren zurechenbar und nicht den davon abhängigen Ausgangsverfahren (Senat, ebenda, Rn. 504).

Nach alledem kann letztlich dahinstehen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang im streitrelevanten Zeitraum die gegenständlichen neun Ausgangsverfahren ausschließlich passiv in Abhängigkeit von den zugehörigen Pilotverfahren 2 O 1802/07 bzw. 14 (2) O 2179/07 im Sinne des § 198 GVG verzögert worden sind.

Unter nochmaliger Berücksichtigung aller vorgenannten und sonstigen Umstände scheidet zur Überzeugung des Senats deshalb auch eine Verfahrensverzögerung mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer, wie sie § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definiert, aus.

2. Die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer i.S.d. § 198 Abs. 4 GVG ist nicht geboten.

Auch diese Frage wäre allenfalls im Rahmen der Beurteilung des jeweils zugehörigen Pilotverfahrens zu beleuchten.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG in Verbindung mit § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG in Verbindung mit § 709 ZPO.

IV.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache sowie zur Fortbildung des Rechts gemäß §§ 201 Abs. 2 Satz 3 GVG, 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zuzulassen.

Es liegt bislang keine höchstrichterliche Grundsatzentscheidung zu der Frage vor, ob im Entschädigungsverfahren betreffend ein vom Pilotverfahren abhängiges Ausgangsverfahren, das während des Pilotverfahrens faktisch ruht, eine Entschädigung des personenidentischen Entschädigungsklägers, welcher zugleich Partei im Pilotverfahren ist, ausscheiden kann, wenn allenfalls Verzögerungen im Pilotverfahren mit ausschließlich passiven Auswirkungen auf das vom Pilotverfahren abhängige Ausgangsverfahren in Betracht kommen.

V.

Die Beschlussfassung über die Festsetzung des Streitwertes folgt aus den § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO.


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