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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, rückwirkende Bestellung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Aurich, Beschl. v. 07.06.2022 - 12 Qs 93/22

Eigener Leitsatz: Für eine nachträgliche rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist nach einer Einstellung des Verfahrens kein Raum mehr. Das gilt auch dann, wenn der Beiordnungsantrag rechtzeitig vor der Einstellung gestellt worden ist.


Landgericht Aurich

Beschluss
12 Qs 93/22

In der Strafsache
gegen pp.

Verteidiger:

wegen Hausfriedensbruch:

hier: Beschwerdeverfahren

hat das Landgericht Aurich — 3. Große Strafkammer — durch die unterzeichnenden Richterinnen 07.06.2022 beschlossen:

Die sofortige Beschwerde vom 17.05.2022 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Aurich vom 11.05.2022 wird auf Kosten des ehemals Beschuldigten zurückgewiesen.

Gründe

Gegen den ehemals Beschuldigten wurde am 27.03.2022 ein Verfahren wegen Hausfriedensbruchs gem. § 123 StGB eingeleitet. Der ehemals Beschuldigte wurde mit Schreiben vom 28.03.2022 durch die Polizei vorgeladen. Mit Fax vom 31.03.2022, bei der Polizeiinspektion Aurich/Wittmund am 01.04.2022 eingegangen, meldete sich Herr Rechtsanwalt pp. für den Beschuldigten als Verteidiger und beantragte zugleich die Gewährung von Akteneinsicht und die Beiordnung als Pflichtverteidiger. Nachdem dem Verteidiger Akteneinsicht gewährt wurde, stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren mit Verfügung vom 23.04.2022 gem. § 154 Abs. 1 StPO ein und beantragte gegenüber dem Amtsgericht Aurich den Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger gem. § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO abzulehnen.

Mit Beschluss vom 11.05.2022, auf dessen Inhalt verwiesen wird, wies das Amtsgericht Aurich den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung zurück.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde vorn 17.05.2022, auf deren Inhalt Bezug genommen wird,

Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Verfahren wurde durch die Einstellung gem. § 154 Abs. 1 StPO zunächst abgeschlossen, sodass für eine nachträgliche und daher gleichsam rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers kein Raum mehr ist. Dies gilt auch dann, wenn wie es hier der Fall ist, der Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger bereits vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vorn 15.07.2014 — Az.: 1 Ws 322/14). Die Beiordnung dient nicht dem Kosteninteresse des Beschuldigten und seines Verteidigers, sondern allein dem Zweck, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Betroffene in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet ist, welcher aber nachträglich nicht mehr beeinflusst werden kann (vgl. OLG Oldenburg a.a.O.; OLG Hamm NStZ-RR 2009, 113; OLG Stuttgart NStZ-RR 2008, 21; OLG Bamberg NJW 2007, 3796; KG Beschl. v. 12.1.2011 — 3 Ws 13/11; und 11.5.2009 — 4 Ws 44/09; Senat StV 2007, 372 = StraFo 2006, 200 und Beschl. v. 18.5.2011 —2 Ws 121-122/11; und 27.12.2010 — 2 Ws 660/10; KG Beschl. v. 8.3.2013 — 2 Ws 86/13; OLG Brandenburg NStZ 2020, 625 Rn. 7, beck-online). Dies überzeugt auch im Hinblick auf die neue Gesetzeslage der §§ 140 ff StPO, welche die Schutzrichtung der Normen nicht dahingehend verschoben hat (LG Darmstadt Beschl. v. 11.1.2022 — 3 Qs 15/22, BeckRS 2022, 909 Rn. 4, beck-online; LG Bielefeld Beschl. v. 6.10.2021 — 02 Qs 354/21, BeckRS 2021, 32488 Rn. 5, beck-online).

Eine nachträgliche Beiordnung würde zudem die Umwandlung eines privatrechtlichen Mandatsverhältnisses in ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis darstellen, obwohl die daraus erwachsenen Pflichten rückwirkend nicht mehr erfüllt werden könnten. Denn eine für den Betroffenen wirkende Tätigkeit des Verteidigers ist nur solange denkbar, bis das Verfahren, für das die Beiordnung erfolgen soll, noch nicht abgeschlossen ist. Ansonsten scheidet eine dem Zweck der Pflichtverteidigung entsprechende Tätigkeit aber aus. Insofern kann eine nachträgliche Bestellung ausschließlich dem Verfahrensfremden Zweck dienen, dem Verteidiger für ein abgeschlossenes Verfahren einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen, während eine Verteidigung des Beschuldigten nicht mehr möglich ist (vgl. BGH-NStZ-RR 2009, 348, OLG Bamberg NJW 2008, 3796).

An diesem Umstand ändert auch der Zeitpunkt der Stellung des Beiordnungsantrages bzw. dessen Bescheidung nichts. Die Maßgabe des § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO, wonach unverzüglich ein Verteidiger zu bestellen ist, richtet sich, wie oben dargestellt, nach dem Interesse des Beschuldigten an einer effektiven Verteidigung. Insbesondere gilt sie für solche Fälle, in denen der einer Tat Beschuldigte noch keinen Verteidiger hat. Soweit in Teilen der Rechtsprechung eine andere Auffassung vertreten wird bzw. wurde, überzeugt dies aus Sicht der Kammer nach den obigen Ausführungen nicht.


Einsender: Rechtsanwalt Arno Saathoff, Julianenburger Straße 25, 26603 Aurich

Anmerkung:


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