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Entscheidungen

OWi

Akteneinsicht, Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Unzulässigkeit, Erlass des Bußgeldbescheides

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Bamberg, Beschl. v. 01.12.2021 - 23 OWi 1318 Js 16568/21

Eigener Leitsatz: Die Rechtswirkungen einer Versagung der Einsicht in die Daten der gesamten Messreihe durch die Verwaltungsbehörde entfallen nicht allein nachträglich durch eine Übersendung der Akten an das Gericht. Der Betroffene hat vielmehr auch noch im gerichtlichen Verfahren ein nachwirkendes berechtigtes Interesse an der richterlichen Kontrolle der Entscheidung der Verwaltungsbehörde.


In pp.

1. Der Bußgeldbehörde wird aufgegeben, dem Verteidiger Einsicht in die gesamte Messreihe der streitgegenständlichen Messung der VPI XXX vom 02.07.2021 (Messung-Nr.: pp.) zu gewähren.
2. Die diesbezüglichen Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Antragstellers hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe

I.

Dem Verfahren liegt ein mit dem Messgerät ES 3.0 festgestellter Geschwindigkeitsverstoß zugrunde. Dieses Messverfahren ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung als zuverlässiges standardisiertes Messverfahren anerkannt.

Auf dessen Antrag auf Akteneinsicht hin hat die Verwaltungsbehörde dem Betroffenen die gesamte Akte sowie die Rohmessdaten zur Verfügung gestellt. Der Verteidiger begehrt mit seinem Antrag vom 29.10.2021 gerichtliche Entscheidung wegen der Weigerung der Verwaltungsbehörde gemäß deren Schreiben v. 05.10.2021, ihm Einsicht in die Daten der gesamten Messreihe zu gewähren.

Bereits am 05.11.2021 hat die Staatsanwaltschaft Bamberg dem Gericht die Bußgeldakte übersendet.

II.

Der Antrag ist nach § 62 OWiG statthaft, unter Beachtung des § 62 Abs. 1 S. 2 OWiG zulässig und auch begründet.

Das Gericht geht nicht von einer prozessualen Überholung aus, die bereits zur Unzulässigkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung führt (vgl. zur prozessualen Überholung allgemein: Göhler, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 62 Rn. 10; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 296 Rn. 17). Die Rechtswirkungen der Versagung durch die Verwaltungsbehörde sind nicht allein durch die Übersendung der Akten an das Gericht nachträglich weggefallen oder sonst durch das weitere Verfahren überholt. Jedenfalls hat der Betroffene wegen seines Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG auch noch im gerichtlichen Verfahren ein nachwirkendes berechtigtes Interesse an der richterlichen Kontrolle der Entscheidung der Verwaltungsbehörde.

Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12.11.2020 (BVerfG [3. Kammer des 2. Senats], Beschluss vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18 = NJW 2021, 455), folgt aus dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG grundsätzlich ein “Anspruch” des Betroffenen auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen und zum Zwecke der Ermittlungen entstandenen Informationen. Voraussetzung des Anspruchs ist, dass der Betroffene rechtzeitig geltend macht, er wolle sich selbst und eigenständig Gewissheit darüber verschaffen, dass sich aus den dem Gericht nicht vorgelegten Inhalten keine seiner Entlastung dienenden Tatsachen ergeben.

Das BayObLG (Beschluss vom 4.1.2021 – 202 ObOWi 1532/20) hat im Anschluss an den Beschluss des BVerfG zwar ausgeführt, dass aus der Betrachtung der gesamten Messreihe ohnehin keine für die Beurteilung der Verlässlichkeit der den Betroffenen betreffenden Messung relevanten Erkenntnisse gezogen werden können. Die gesamte Messreihe bringe selbst dann keine verwertbare Aussage, wenn eine Einzelmessung deutlich außerhalb des Bereiches von Geschwindigkeiten fällt, die üblicherweise am jeweiligen Messort gefahren werden (vgl. BayObLG München, Beschluss v. 04.01.2021 – 202 ObOWi 1532/20 = BeckRS 2021, 1).

Ein entsprechendes Rügevorbringen wurde vom BayObLG im Rahmen einer Rechtsbeschwerde zurückgewiesen, da es nicht den Begründungsanforderungen der §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 StPO entspreche.

Das Thüringer OLG (Beschluss vom 17.3.2021 – 1 OLG 331 SsBs 23/20) und das OLG Stuttgart (Beschluss vom 03.08.2021 – 4 Rb 12 Ss 1094/20) haben ein Einsichtsrecht in die gesamte Messreihe jedoch bejaht.

Das OLG Zweibrücken (Beschluss vom 04.05.2021 – 1 OWi 2 SsRs 19/21) hat dem Bundesgerichtshof die Sache gemäß §§ 121 Abs. 2 GVG, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG zur Entscheidung vorgelegt.

Ein Abwarten der Entscheidung des BGH ist nach Einschätzung des Gerichts nicht geboten.

Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht bejaht, Kenntnis von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden. Dies gilt nach Überzeugung des Gerichts auch für die Daten der gesamten Messreihe.

III.

Dieser Beschluss ist gemäß § 62 Abs. 2 S. 3 OWiG unanfechtbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 62 Abs. 2 S. 2 OWiG, § 465 Abs. 1 S. 1 StPO.


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Anmerkung:


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