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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Bestellung nach § 408b StPO, Dauer der Bestellung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Karlsruhe, Beschl. v. 26.07.2022 - 16 Qs 59/22

Eigener Leitsatz: Der Wortlaut des § 408b StPO enthält keine Beschränkung auf das schriftliche Strafbefehlsverfahren.


16 Qs 59/22

Landgericht Karlsruhe
- auswärtige Strafkammern Pforzheim -

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger:
Rechtsanwalt
wegen Bedrohung

hat das Landgericht Karlsruhe - 16. große Strafkammer (auswärtige Strafkammer Pforzheim) -durch die unterzeichnenden Richter am 26. Juli 2022 beschlossen:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten Ali El Abdallah wird der Beschluss des Amtsgerichts Pforzheim vom 04.07.2022 aufgehoben.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.

Gründe:

Das Amtsgericht Pforzheim hat gegen den Angeklagten am 26.04.2022 einen Strafbefehl wegen Bedrohung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, erlassen. Mit Beschluss vom 12.04.2022 war bereits „für das Strafbefehlsverfahren gem. § 408b StPO" Rechtsanwalt pp. aus Pforzheim als Pflichtverteidiger bestellt worden.

Nach Einspruchseinlegung beantragte der Pflichtverteidiger seine Beiordnung auch für das Hauptverfahren. In der Hauptverhandlung vom 04.07.2022 wurde der Antrag abgelehnt.

Der Angeklagte wurde wegen Bedrohung zu der Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10,- € verurteilt.

Am 07.07.2022 legte der Verteidiger „Beschwerde" gegen die Ablehnung seiner Beiordnung auch für das Hauptverfahren ein.

II.

Das als sofortige Beschwerde (§ 143 Abs. 3 StPO) zu behandelnde Rechtsmittel des Angeklagten ist zulässig und begründet.

Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach § 408b StPO ist nicht auf das schriftliche Verfahren bis zur Einlegung des Einspruchs gegen den Strafbefehl beschränkt, sondern gilt bis zur Einlegung des Rechtsmittels gegen das auf den Einspruch hin ergangene amtsgerichtliche Urteil fort (OLG Oldenburg StV 2018, 152; OLG Köln NStZ-RR 2010, 30; OLG Celle StraFo 2011, 291; LR-Gössel, StPO, § 408b Rn 12, 13; KK-StPO-Maur, StPO, § 408b Rn 8; a.A. OLG Düsseldorf NStZ 2002, 390; KG Berlin, Beschluss v. 29.05.2012, 1 Ws 30/12, bei juris; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 17.09.2014, 1 Ws 126/14, bei juris).

Der Wortlaut des § 408b StPO enthält keine Beschränkung auf das schriftliche Strafbefehlsverfahren. Die besondere prozessuale Situation, die durch die Beiordnung nach § 408b StPO kompensiert werden soll, besteht zudem in veränderter Form auch nach Erlass des Strafbefehls fort.

Nach § 411 Abs. 2 S. 2 StPO gelten für das weitere Verfahren die Regeln des § 420 StPO. Im beschleunigten Verfahren werden diese erleichterten Regeln der Beweisaufnahme dadurch ausgeglichen, dass nach § 418 Abs. 4 StPO dem Angeklagten, der eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten zu erwarten hat, ein Verteidiger beizuordnen ist. Die Parallele spricht in systematischer Hinsicht für eine Geltung der Pflichtverteidigerbeiordnung nach § 408b StPO auch für das Hauptverfahren (OLG Celle StraFo 2011, 291 m.w.N.).

Wie sich aus § 143 Abs. 2 S. 1 StPO ergibt, kann die Beiordnung allerdings aufgehoben werden. Das ist vorliegend geschehen.

Die Aufhebungsmöglichkeit steht im Ermessen des Gerichts. Allerdings sind insoweit Vertrauensgrundsätze zu beachten. Ist die Frage der Notwendigkeit der Verteidigung in irgendeinem Verfahrensstadium positiv beantwortet worden, gebietet der Grundsatz des prozessualen Vertrauensschutzes grundsätzlich, hieran weiter festzuhalten (BeckOK StPO/Krawczyk StPO § 143 Rn. 7, 8 m.w.N.). eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung kommt dann in Betracht, wenn das Gericht die Bestellung in grob fehlerhafter Verkennung der Voraussetzungen des § 140 StPO vorgenommen hat oder sich die für die Bestellung maßgeblichen Umstände wesentlich geändert haben (BeckOK StPO/Krawczyk a.a.O.).

Zwar weicht das Urteil hinsichtlich rechtlicher Würdigung und Rechtsfolgen von dem ursprünglichen Strafbefehl erheblich ab, es lässt sich aber weder den Urteilsgründen noch dem Hauptverhandlungsprotokoll entnehmen, dass bereits zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Beschlusses eine solche wesentliche Änderung der Umstände vorlag.

Der Übergang vom Strafbefehlsverfahren in das Hauptverfahren als solcher ist nach obigen Ausführungen kein solcher Umstand.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 465 StPO analog.


Einsender: Sascha Keck, Am Hohen Markstein 3, 75177 Pforzheim, Gz.: 91/22

Anmerkung:


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