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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Bestellung nach § 408b StPO, Dauer der Bestellung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Stade, Beschl. v. 05.08.2022 - 102 Qs 2575 Js 37782/21 (26/22)

Eigener Leitsatz: Die Beiordnung gemäß § 408b StPO wirkt über die Einlegung des Einspruchs hinaus fort. Sie endet im Grundsatz erst mit Eintritt der Rechtskraft. Sie kann allerdings ausnahmsweise gemäß § 143 Abs.2 StPO im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen durch das Gericht aufgehoben werden, wenn kein Fall der notwendigen Verteidigung mehr vorliegt.


Landgericht Stade

Beschluss

102 Qs 2575 Js 37782/21 (26/22)

In der Strafsache
gegen pp.

Verteidiger:

Rechtsanwalt

wegen gefährlicher Körperverletzung

hat die 1. große Strafkammer des Landgerichts Stade durch den Richter am Amtsgericht, den Richter am Landgericht und die Richterin am Landgericht am 05.08.2022 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des Beschuldigten vom 08.06.2022 gegen die Verfügung der Richterin am Amtsgericht pp. vom 30.05.2022 wird festgestellt, dass die Beiordnung des Verteidigers gemäß § 408b StPO auch über die Einlegung des Einspruchs hinaus für das weitere Strafverfahren fortdauert.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten trägt die Staatskasse (§ 467 Abs. 1 StPO).

Die Entscheidung unterliegt keiner weiteren Anfechtung (§ 310 Abs. 2 StPO).

Gründe:

I.

Gegen den Beschuldigten ist ein Strafverfahren wegen des Vorwurfes der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 223 Abs.1, 224 Abs.1 Nr.2 StGB anhängig. Die Staatsanwaltschaft hat bei dem Amtsgericht Stade den Erlass eines Strafbefehls beantragt. Aufgrund der darin verhängten Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden sollte, hat das Amtsgericht dem Beschuldigten gemäß § 408b StPO den von ihm benannten Verteidiger als Pflichtverteidiger beigeordnet. Am 05.01.2022 hat das Amtsgericht Stade den Strafbefehl wie beantragt erlassen. Hiergegen hat der Beschuldigte durch seinen Verteidiger Einspruch eingelegt.

Mit Verfügung vom 30.05.2022, Bl.177, hat die Richterin am Amtsgericht pp. auf die schriftliche Anfrage des Verteidigers vom 18.05.2022, ob seine Beiordnung gemäß § 408b StPO aus ihrer Sicht auch über die Einlegung des Einspruchs hinweg fortdauere, mitgeteilt, dies sei nach ihrer rechtlichen Einschätzung nicht der Fall. Sie verwies für weitere Einwände auf das Kostenfestsetzungsverfahren. Gegen diese Mitteilung hat der Verteidiger für den Beschuldigten am 08.06.2022, 14:29 Uhr, sofortige Beschwerde eingelegt und angegeben, von der Verfügung erst am selben Tage Kenntnis erhalten zu haben. Der zugleich gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde dürfte versehentlich aufrechterhalten worden sein.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig.

In der bloßen Mitteilung einer Rechtsauffassung liegt zwar grundsätzlich keine beschwerdefähige Entscheidung. Nur eine Entscheidung, die insofern Außenwirkung entfaltet, als sie den Betroffenen unmittelbar beschwert, ist auch beschwerdefähig (HK-GS/Edgar Weiler StPO § 142 Rn. 11). Dabei kommt es auf die Form der Entscheidung nicht an. Hätte das Amtsgericht – wie gemäß § 143 Abs.2, Abs.3 StPO vorgesehen – im Beschlusswege entschieden, wäre dem Beschuldigten das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde offen gestanden. Dies wird ihm verwehrt, stellt man allein auf die Form der Entscheidung ab. Maßgeblich ist unter dem Aspekt des effektiven Rechtsschutzes die Wirkung, die die Äußerung gegenüber dem Beschuldigten entfaltet. Durch die Verweisung auf das Kostenfestsetzungsverfahren hat das Amtsgericht deutlich gemacht, dass der Beschuldigte nach Einlegung des Einspruchs im Strafverfahren keinen Pflichtverteidiger mehr zur Seite haben wird. Gegenüber dem Beschuldigten hat es insofern eine verfahrensabschließende Entscheidung getroffen, die ihn auch unmittelbar beschwert. Darum ist hier die sofortige Beschwerde gegen die Verfügung des Amtsgerichts ausnahmsweise statthaft.

2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

Die Beiordnung gemäß § 408b StPO wirkt auch über die Einlegung des Einspruchs hinaus fort (OLG Celle, Beschluss vom 22.02.2011, 2 Ws 415/10; Beck OK StPO, 43. Edition, Stand 01.04.2022, § 408b Rn 5; HK-GS, 5. Auflage 2022, StPO § 408b Rn.4 m.w.N.).

Eine ausdrückliche Regelung über die Geltungsdauer der Beiordnung nach § 408b StPO fehlt, so dass die allgemeinen Regelungen über das Strafverfahren anzuwenden sind. Für das Strafverfahren ist die Dauer der Bestellung in § 143 StPO normiert. Demnach endet die Bestellung im Grundsatz mit Eintritt der Rechtskraft, § 143 Abs.1 StPO. Sie kann allerdings ausnahmsweise gemäß § 143 Abs.2 StPO im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen durch das Gericht aufgehoben werden, wenn kein Fall der notwendigen Verteidigung mehr vorliegt. Rückausnahmen für diese Möglichkeit enthält § 143 Abs.2 Satz 2 StPO, der den Fall der Beiordnung nach § 408b StPO nicht nennt. Es bleibt daher auch hier bei der Möglichkeit des Gerichts, die Beiordnung aufzuheben, wenn kein in § 140 Abs.1 oder Abs.2 StPO genannter Umstand vorliegt (vgl. dazu Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 09.10.2019, BT-Drs. 19/13829, Bl.45). Diese Entscheidung ist durch einen mit Gründen zu versehenden Beschluss zu treffen, wogegen die sofortige Beschwerde statthaft ist, § 143 Abs.3 StPO. Daraus folgt, dass die Beiordnung im Strafbefehlsverfahren solange fortwirkt, wie sie nicht durch Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben worden ist.


Einsender: RA Dr. Dr. S. Ebrahim-Nesbat, Hamburg

Anmerkung:


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