Gericht / Entscheidungsdatum: OVG Münster, Beschl. v. 08.08.2022 - 8 B 691/22
Eigener Leitsatz: 1. Wer Halter eines Fahrzeugs im Sinne des Straßenverkehrsrechts und damit richtiger Adressat einer Fahrtenbuchauflage ist, beurteilt sich nach einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise.
2. Bei Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte kann die Bußgeldbehörde grundsätzlich davon ausgehen, dass die im Fahrzeugregister als Zulassungsinhaber eingetragene Person auch tatsächlich der Halter ist, und sich zum Zwecke einer Anhörung des Halters im Rahmen eines verkehrsrechtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahrens auf die Anhörung dieser Person beschränken.
In pp.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 20. Mai 2022 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.400,- Euro festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, stellt den angegriffenen Beschluss nicht durchgreifend in Frage.
Die Fahrtenbuchauflage findet ihre rechtliche Grundlage in § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Hiernach kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Dies ist dann der Fall, wenn die Bußgeldbehörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Zu den angemessenen Ermittlungsmaßnahmen gehört grundsätzlich, dass der Halter möglichst umgehend - im Regelfall innerhalb von zwei Wochen - von dem mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß benachrichtigt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten kann und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann.
Vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 7. Dezember 2021 - 8 B 1475/21 -, juris Rn. 3 f., m. w. N.
Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht maßgeblich darauf abgestellt, dass der Fahrer, der unter Verwendung des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen XX-XX 000, dessen wirtschaftliche Halterin die Antragstellerin sei, am 8. Oktober 2021 einen Geschwindigkeitsverstoß begangen habe, nicht vor Eintritt der Verfolgungsverjährung habe ermittelt werden können. Ein für die Unmöglichkeit der Fahrerfeststellung ursächliches Ermittlungsdefizit ergebe sich nicht aus dem Umstand, dass die Bußgeldbehörde unter dem 12. November 2021 nicht sie, die Antragstellerin, sondern ihren Vater - den im Register eingetragenen Halter des Tatfahrzeugs - als Fahrer zu dem Verkehrsverstoß angehört habe. Die Antragstellerin habe aus Kostengründen die Konstruktion einer Haltertrennung gemeinsam mit ihrem Vater bewusst gewählt. Sie müsse sich daher zurechnen lassen, dass ihr Vater seine nur formale Haltereigenschaft nicht schon nach Erhalt des Anhörungsschreibens offenbart habe. Darüber hinaus sei ihr jedenfalls nach Treu und Glauben der Einwand verwehrt, sie selbst sei nicht zur Mitwirkung aufgefordert worden, nachdem ihr Vater die wahre Halterstellung erst nach Eintritt der Verfolgungsverjährung offenbart habe.
Diesen Erwägungen setzt das Beschwerdevorbringen nichts Durchgreifendes entgegen.
1. Die Rüge der Antragstellerin, der Landkreis I. als zuständige Bußgeldbehörde habe keine der Antragstellerin zurechenbare Pflicht des Vaters zur Mitwirkung an der Aufklärung der Zuwiderhandlung begründet, stellt den angefochtenen Beschluss im Ergebnis nicht infrage.
Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO setzt, wie sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, nicht voraus, dass der Halter eine Obliegenheit zur Mitwirkung an der Aufklärung eines Verkehrsverstoßes verletzt hat. Der Fahrtenbuchauflage kommt eine präventive und keine strafende Funktion zu. Sie stellt eine der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs dienende Maßnahme der Gefahrenabwehr dar, mit der dafür Sorge getragen werden soll, dass künftige Feststellungen eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ohne Schwierigkeiten möglich sind.
Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 7. Februar 2017 - 8 A 671/16 -, juris Rn. 28, und vom 11. November 2013 - 8 B 1129/13 -, juris Rn. 12 f., m. w. N.
Darauf, ob die Antragstellerin von der Anhörung ihres Vaters und damit von den Ermittlungen der Bußgeldbehörde wusste oder sie (sonst) ein Verschulden an der Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers trifft, kommt es daher ebenso wenig an wie auf die Frage, ob der Antragstellerin eine Pflichtverletzung ihres Vaters zugerechnet werden kann. Entscheidend ist vielmehr, dass die Feststellung des Fahrzeugführers trotz zureichender Ermittlungsbemühungen der zuständigen Behörde unmöglich war.
Letzteres ist hier der Fall. Der für die Zuwiderhandlung vom 8. Oktober 2021 verantwortliche Fahrzeugführer konnte vor Ablauf der Verjährungsfrist nicht festgestellt werden. Hierfür war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, kein Ermittlungsdefizit der Bußgeldbehörde ursächlich. Zwar ist angesichts der vorgelegten Erklärungen nicht zweifelhaft und steht zwischen den Beteiligten auch nicht in Streit, dass die Antragstellerin bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise als Halterin des Tatfahrzeugs anzusehen ist,
zu den rechtlichen Maßstäben vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 1987 - 7 C 14.84 -, juris Rn. 9; OVG NRW, Beschlüsse vom 22. Juli 2020 - 8 B 892/20 -, juris Rn. 7 f., m. w. N., und vom 7. Februar 2017 - 8 A 671/16 -, juris Rn. 16 ff., m. w. N.,
so dass diese richtige Adressatin der angeordneten Fahrtenbuchauflage ist. Gleichwohl kann der Bußgeldbehörde mangels anderweitiger Anhaltspunkte zur Haltereigenschaft nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie anstelle der Antragstellerin ausschließlich deren Vater als eingetragenen Inhaber der Zulassung zu dem Verkehrsverstoß schriftlich angehört hat. Daraus, dass die Bußgeldbehörde es unterlassen hat, die Antragstellerin als Halterin vor Eintritt der Verfolgungsverjährung zu dem mit ihrem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß anzuhören, folgt kein für das negative Ermittlungsergebnis ursächliches Ermittlungsdefizit. Die Bußgeldbehörde durfte bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Ordnungswidrigkeitenverfahrens aufgrund der für sie erkennbaren Umstände davon ausgehen, mit dem Vater der Antragstellerin als eingetragenem Zulassungsinhaber den (alleinigen) Halter des Fahrzeugs angehört zu haben. Gerade die Fahrzeugzulassung ist ein gewichtiges Indiz für die Haltereigenschaft und kann bei der Gesamtwürdigung im Einzelfall - insbesondere bei ungeklärten Verhältnissen - ausschlaggebende Bedeutung haben. Denn der Gesetzgeber misst den im Fahrzeugregister enthaltenen Eintragungen bei der Halterbestimmung erhebliches Gewicht bei. Insbesondere die Bestimmungen in §§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 32 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 StVG legen nahe, dass der Fahrzeughalter mit demjenigen identisch ist, dem ein Kennzeichen für das Fahrzeug zugeteilt oder ausgegeben wird.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. Februar 2017 - 8 A 671/16 -, juris Rn. 20 ff., m. w. N.
Für die Bußgeldbehörde bestand daher keine Veranlassung, den Anhörungsbogen an eine andere Person als den Zulassungsinhaber, mithin den Vater der Antragstellerin, zu senden. Bei Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte kann sie grundsätzlich davon ausgehen, dass die im Fahrzeugregister eingetragene Person auch tatsächlich der Halter ist, und sich auf die Anhörung dieser Person beschränken. Sie ist nicht verpflichtet, die Haltereigenschaft des Zulassungsinhabers von Amts wegen infrage zu stellen und entsprechende Aufklärungsmaßnahmen vorzunehmen. Hierzu bestand auch keine besondere Veranlassung. Aus der Stellungnahme des Vaters der Antragstellerin vom 20. November 2011, in der er lediglich bestritten hat, selbst der verantwortliche Fahrer gewesen zu sein, und ergänzend auf die schlechte Qualität des Fotos verwiesen hat, ergab sich kein Hinweis auf eine abweichende Haltereigenschaft. Der Vater der Antragstellerin hat die wahre Haltereigenschaft gegenüber der Antragsgegnerin erst im Rahmen der Anhörung zu der beabsichtigten Fahrtenbuchauflage gegenüber der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 2. Februar 2022 offengelegt, nachdem bereits die Verjährung eingetreten und somit eine Ahndung des Verkehrsverstoßes unmöglich geworden war.
Zu einer anderen Bewertung führt auch nicht der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand der Antragstellerin, das an ihren Vater gerichtete Anhörungsschreiben der Bußgeldbehörde habe keinen Hinweis auf eine Pflicht zur Benennung des Halters enthalten. Die Bußgeldbehörde hatte keinen Anlass, ihn zur Benennung des Halters aufzufordern. Dem Vater der Antragstellerin musste klar sein, dass die Behörde ihn als (vermeintlichen) Halter des Tatfahrzeugs mit dem begangenen Verkehrsverstoß konfrontierte. Denn das Anhörungsschreiben enthielt im vorletzten Satz den ausdrücklichen Hinweis, dass ihm als Halter des Kraftfahrzeuges gemäß § 31 a StVZO die Führung eines Fahrtenbuches auferlegt werden könne, falls sich nicht feststellen lasse, wer das Fahrzeug zur Tatzeit geführt habe. Die zutreffenden Verhältnisse zur Haltereigenschaft hätte er daraufhin zu erkennen geben können, um der Behörde Anknüpfungspunkte für weiterführende Ermittlungsansätze zu geben. Im Übrigen musste sich dem mit der Haltertrennung hinlänglich vertrauten Vater der Antragstellerin, der die Anmeldung des Fahrzeugs seiner Tochter auf seinen Namen (wiederholt) bewusst zur Nutzung seiner kostengünstigen Zeitwagenversicherung gewählt hat, auch ohne weiteres aufdrängen, dass die Bußgeldbehörde ihn für den Fahrzeughalter hielt. Anderenfalls ist nämlich nicht zu erklären, weshalb das Anhörungsanschreiben sonst an ihn adressiert wurde. Unabhängig davon kommt der Verletzung einer Mitwirkungspflicht für die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage, wie bereits oben dargelegt, eine rechtliche Bedeutung nur insoweit zu, als sich hiernach das Erfordernis weiterer behördlicher Ermittlungsmaßnahmen richten kann.
2. Die weitere Rüge der Antragstellerin, die Bußgeldbehörde habe es fehlerhaft unterlassen, gegenüber dem Vater der Antragstellerin weitere Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen, ist unbehelflich. Der Vater der Antragstellerin hat in seinem Antwortschreiben vom 20. November 2021 lediglich erklärt, dass die Person auf dem übersandten Lichtbild nicht identifizierbar sei, und eine Kopie seines Personalausweises beigefügt; er bitte um Einstellung des Verfahrens. Aufgrund dieser Einlassung ergaben sich für die Bußgeldbehörde keine weiteren erfolgversprechenden Ermittlungsansätze, insbesondere durfte sie in der berechtigten Annahme einer Haltereigenschaft des Vaters der Antragstellerin davon ausgehen, dass dieser keine weiterführende Angaben zur Aufklärung des Verstoßes (etwa die regelmäßig von einem Halter zu erwartende Benennung zumindest eines Kreises nutzungsberechtigter Personen) machen wollte. Weitere Maßnahmen zur Feststellung des verantwortlichen Fahrers waren bei dieser Sachlage aus Sicht der Bußgeldbehörde nicht angezeigt. Gleichwohl handelte die Behörde sogar überobligatorisch, indem sie - erfolglos - das Polizeipräsidium N. am 14. Dezember 2021 um eine Fahrerermittlung ersuchte.
3. Weshalb die Behörde den Vater der Antragstellerin, wie diese schließlich meint, von vornherein nicht hätte anschreiben dürfen, weil dieser schon aufgrund seines erkennbaren Alters nicht als verantwortlicher Fahrer in Betracht gekommen sei, erschließt sich nicht im Geringsten. Eine andere Möglichkeit, als zunächst den eingetragenen und anhand des Fahrzeugkennzeichens zu ermittelnden Zulassungsinhaber anzuschreiben, der regelmäßig zugleich auch Halter des betreffenden Fahrzeugs ist, steht der Behörde in aller Regel nicht zu Gebote.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Dabei legt der Senat für jeden Monat der auf zwölf Monate befristeten Geltungsdauer der Fahrtenbuchauflage einen Betrag in Höhe von 400,- Euro zugrunde (Nr. 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013) und setzt im Hinblick auf die Vorläufigkeit dieses Verfahrens den Streitwert auf die Hälfte des sich daraus ergebenden Betrages fest (vgl. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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