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Entscheidungen

StPO

Videokonferenz, Unterbringung, Entlassung, Anhörung, Videokonferenz, Bild- und Tonübertragung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bremen, Beschl. v. 26.04.2022 - 1 Ws 32/22

Leitsatz des Gerichts: 1. In Fällen der Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist mit der Neuregelung des § 463e Abs. 1 S. 3 StPO seit dem 1. Juli 2021 die Durchführung einer mündlichen Anhörung im Wege einer Videokonferenz grundsätzlich ausgeschlossen.
2. Der Ausschluss der Durchführung einer mündlichen Anhörung im Wege einer Videokonferenz nach § 463e Abs. 1 S. 3 StPO gilt auch dann, wenn der Untergebrachte dieser Form der Anhörung zugestimmt hat.
3. Die Durchführung einer mündlichen Anhörung im Wege einer Videokonferenz kann ungeachtet des § 463e Abs. 1 S. 3 StPO auch in den dort geregelten Fällen im Interesse bestmöglicher Sachaufklärung ausnahmsweise dann zulässig bleiben, wenn eine Anhörung in persönlicher Anwesenheit des Untergebrachten nicht erfolgen kann, stattdessen aber zumindest eine Anhörung unter Einsatz von Videokonferenztechnik möglich ist. Eine solche Ausnahme kann aber nicht bereits mit Erwägungen des Infektionsschutzes in Pandemiezeiten, mit der Vermeidung von Flucht- und sonstigen Sicherheitsrisiken für den Fall einer persönlichen Anhörung oder mit dem Ziel einer effizienteren Verfahrensgestaltung begründet werden.
4. Die Neuregelung des § 463e StPO ändert nichts daran, dass weiterhin in Ausnahmefällen auch bei Entscheidungen über die Fortdauer einer Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik eine Anhörung durch den beauftragten Richter zulässig sein kann.


In pp.

Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten vom 24.02.2022 wird der Beschluss der Strafkammer 70 (Große Strafvollstreckungskammer) des Landgerichts Bremen vom 15.02.2022 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung – auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens – an die Strafkammer 70 des Landgerichts Bremen zurückverwiesen.

Gründe

I.

Mit Urteil vom 12.06.2015, rechtskräftig seit dem 20.06.2015, ordnete das Landgericht Bremen im Wege des Sicherungsverfahrens die Unterbringung des Untergebrachten in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Nach den Urteilsfeststellungen stach der Untergebrachte am 19.11.2014 in einer Obdachlosenunterkunft in Bremen mit Tötungsvorsatz mit einem Küchenmesser mindestens fünf Mal auf den Oberkörper sowie Bauch seines Zimmermitbewohners ein, wodurch dieser lebensbedrohliche Verletzungen davontrug, sodass der Untergebrachte durch sein Handeln den Tatbestand des versuchten Totschlages in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verwirklichte. Die Kammer stellte auf der Grundlage einer Begutachtung des Untergebrachten durch die Sachverständige A. fest, dass der Untergebrachte zum Tatzeitpunkt an hochakuten produktiv psychotischen Symptomen einer paranoiden Schizophrenie litt und seine Steuerungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat nicht ausschließbar aufgehoben war. Der Untergebrachte befindet sich seither seit dem 29.01.2015 im Klinikum Bremen-Ost, zunächst in vorläufiger Unterbringung und seit der Rechtskraft des Urteils vom 12.06.2015 sodann in der Unterbringung nach § 63 StGB, die im Zeitraum vom 20.05.2015 bis zum 12.04.2016 wegen des Vollzugs einer in einem anderen Verfahren angeordneten Unterbringung nach § 64 StGB unterbrochen wurde.

Der Untergebrachte wurde am 16.01.2021 im Hinblick auf eine Entscheidung nach § 67e StGB angehört und es wurde im Rahmen dieser Anhörung die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Gefährlichkeit des Untergebrachten für den Fall seiner Entlassung aus dem Maßregelvollzug in Auftrag gegeben; der von der Kammer bestellte Sachverständige B. erstattete sein schriftliches Gutachten unter dem 20.08.2021 und führte darin aus, dass es bei einer Entlassung des Untergebrachten zum derzeitigen Zeitpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder zu einem wahnhaften psychotischen Zustand kommen werde und dass schwere Körperverletzungsdelikte zu erwarten wären. Der Sachverständige sah eine Vollzugsaussetzung zum derzeitigen Zeitpunkt als verfrüht an. Der Untergebrachte wurde daraufhin am 26.10.2021 durch die Strafkammer 70 (Große Strafvollstreckungskammer) des Landgerichts Bremen in der Besetzung mit drei Richtern (Vorsitzender Richter am Landgericht C., Richter am Landgericht D., Richterin E.) sowie im Beisein seiner Verfahrensbevollmächtigten angehört; der Sachverständige, auf dessen Anhörung der Untergebrachte nicht verzichtet hatte, wurde zu dem Anhörungstermin per Videokonferenz hinzugeschaltet. Im Hinblick auf ein neues gegen den Untergebrachten anhängiges Ermittlungsverfahren wegen des Tatvorwurfes des Diebstahls im besonders schweren Fall (Tatzeit 16.07.2021) holte die Strafkammer 70 eine ergänzende schriftliche Stellungnahme des Sachverständigen vom 14.01.2022 ein, worin der Sachverständige ausführte, dass für den Fall einer tatsächlichen Begehung dieser Tat die Absprachefähigkeit und die mittel- bis langfristige Motivation des Untergebrachten zum Aufbau einer straffreien und sozialintegrierten Lebensperspektive in Frage gestellt werden müssten. Die Staatsanwaltschaft Bremen sowie der Untergebrachte und dessen Verfahrensbevollmächtigte verzichteten auf die Anhörung des Sachverständigen.

Am 14.02.2022 wurde der Untergebrachte per Videokonferenz unter Teilnahme seiner Verfahrensbevollmächtigten und des Sachverständigen durch die Strafkammer 70 in der Besetzung mit drei Richtern (Vorsitzender Richter am Landgericht C., Richter am Landgericht D., Richter F.) erneut angehört. Nach dem Protokollvermerk zur Anhörung erklärten sich alle Beteiligten mit deren Durchführung im Wege der Videokonferenz einverstanden. Die Kammer brachte in dieser Anhörung zum Ausdruck, dass derzeit eine Entlassung nicht erfolgen könne. Es sei einerseits das offene Ermittlungsverfahren im Auge zu behalten, andererseits aber auch die Gewährung von weiteren Lockerungen nicht zu restriktiv zu handhaben, und es sollte eine weitere ergänzende Begutachtung erfolgen. Mit Beschluss vom 15.02.2022, dem Untergebrachten zugegangen am 18.02.2022 und seiner Verfahrensbevollmächtigten zugestellt am 21.02.2022, ordnete die Strafkammer 70 sodann die Fortdauer der Unterbringung des Betroffenen an, wobei die Kammer zur Begründung dabei auch auf die Feststellungen in der ergänzenden schriftlichen Stellungnahme des Sachverständigen vom 14.01.2022 verwies.

Mit Schriftsatz vom 24.02.2022 hat der Untergebrachte gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde erhoben, die er mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigen vom 25.03.2022 begründet hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft Bremen hat am 29.03.2022 Stellung genommen und beantragt, auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten vom 24.02.2022 den Beschluss der Strafkammer 70 vom 15.02.2022 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Strafkammer 70 des Landgerichts Bremen zurückzuverweisen. Der Untergebrachte hatte Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu.

II.

Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§§ 463 Abs. 3 S. 1, 454 Abs. 3 S. 1 StPO), form- und fristgerecht eingelegt (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) und damit zulässig. Sie erweist sich auch als begründet und führt zur Aufhebung und Zurückweisung an das Landgericht.

1. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 15.02.2022 hat die Strafkammer 70 des Landgerichts Bremen als Große Strafvollstreckungskammer im Rahmen der nach § 67e Abs. 1 und 2 StGB gebotenen periodischen Überprüfung während der Vollstreckung einer Unterbringung deren Fortdauer angeordnet und damit zugleich eine Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung nach § 67d Abs. 2 S. 1 StGB wie auch deren Erledigterklärung nach § 67d Abs. 6 S. 1 StGB abgelehnt. Der angefochtene Beschluss des Landgerichts war aufzuheben, da die Entscheidung der Großen Strafvollstreckungskammer an dem Verfahrensfehler einer nicht ordnungsgemäß erfolgten mündlichen Anhörung des Betroffenen leidet, da die mündliche Anhörung nicht in persönlicher Anwesenheit der Beteiligten durchgeführt wurde, sondern im Wege einer Videokonferenz. Dies ist nach der seit dem 01.07.2021 geltenden Neuregelung des § 463e StPO im Fall der Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus grundsätzlich ausgeschlossen und auch nicht bei Vorliegen einer Zustimmung des Untergebrachten zulässig (siehe unter 2.) und es ist vorliegend kein Grund ersichtlich, wonach ausnahmsweise von der demnach erforderlichen Durchführung der mündlichen Anhörung in persönlicher Anwesenheit der Beteiligten abgesehen werden durfte (siehe unter 3.).

2. Nach den §§ 454 Abs. 1 S. 3, 463 Abs. 3 S. 1 StPO ist vorgesehen, dass der Untergebrachte vor einer Entscheidung nach § 67d Abs. 2 und 3 StGB mündlich zu hören ist. Zur Durchführung der mündlichen Anhörung ist die Neuregelung des § 463e StPO zu beachten, welcher durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25.06.2021 (BGBl. I 2021, S. 2099) eingeführt wurde und am 01.07.2021 in Kraft getreten ist. Nach § 463e Abs. 1 S. 1 StPO kann das Gericht, wenn ein Verurteilter vor einer nach dem Abschnitt der StPO über die Strafvollstreckung (§§ 449-463e StPO) zu treffenden gerichtlichen Entscheidung mündlich gehört wird, bestimmen, dass er sich bei der mündlichen Anhörung an einem anderen Ort als das Gericht aufhält und die Anhörung zeitgleich in Bild und Ton an den Ort, an dem sich der Verurteilte aufhält, und in das Sitzungszimmer übertragen wird. § 463e Abs. 1 S. 3 StPO wiederum bestimmt aber, dass die Regelung des § 463e Abs. 1 S. 1 StPO nicht gilt, wenn der Verurteilte zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt oder die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist. Im vorliegenden Fall der Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus findet daher die Ausschlussvorschrift des § 463e Abs. 1 S. 3 StPO Anwendung und die Durchführung einer mündlichen Anhörung im Wege einer Bild- und Tonübertragung wie bei der vorliegend verwendeten Videokonferenztechnik ist grundsätzlich ausgeschlossen und dieser generelle Ausschluss gilt auch dann, wenn – wie vorliegend – der Untergebrachte dieser Form der Anhörung zugestimmt hat.

a) Bereits vor Einführung des § 463e Abs. 1 StPO ist in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte vielfach vertreten worden, dass es jedenfalls bei Vorliegen der Zustimmung eines Verurteilten oder Untergebrachten zulässig sein kann, wenn das Gericht seine Anhörung vor einer Entscheidung über die Strafvollstreckung nach den §§ 449 ff. StPO statt in gleichzeitiger persönlicher Anwesenheit aller Beteiligten auch im Wege einer Videokonferenz vornimmt (siehe OLG Brandenburg, Beschluss vom 23.09.2020 – 1 Ws 87/20, juris Rn. 6, StV 2021, 57 (Ls.); OLG Celle, Beschluss vom 22.06.2021 – 2 Ws 154/212 Ws 158/21, juris Rn. 37, NStZ-RR 2021, 243; OLG Frankfurt, Beschluss vom 31.08.2006 – 3 Ws 811/06, juris Rn. 4, NStZ-RR 2006, 357; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.07.2005 – 3 Ws 218/05, juris Rn. 14, NJW 2005, 3013; OLG Stuttgart, Beschluss vom 03.05.2012 – 4 Ws 66/12, juris Rn. 7, StV 2012, 613; Beschluss vom 15.12.2020 – 4 Ws 267/20, juris Rn. 16, NStZ-RR 2021, 126; zustimmend Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, 26. Aufl., § 454 StPO Rn. 36 (anders nunmehr in der 27. Aufl. zu § 463e StPO Rn. 9); Meyer-Goßner/Schmitt, 64. Aufl., § 463 StPO Rn. 12; MK-Nestler, § 454 StPO Rn. 37; einschränkend KK-Appl, 8. Aufl., § 454 StPO Rn. 17a). Dieser Grundsatz ist auch in Fällen der Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bzw. in der Sicherungsverwahrung angewandt worden (siehe OLG Brandenburg, a.a.O.; vgl. auch die bisherige Rechtsprechung des Senats, siehe zuletzt Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 22.10.2021 – 1 Ws 116/21 (n.v.) betreffend eine Anhörung vor Inkrafttreten des § 463e Abs. 1 StPO). Der Senat ist aber – ebenso wie Stimmen aus der Literatur (siehe Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, 27. Aufl., § 463e StPO Rn. 9) – der Auffassung, dass in Fällen der Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus mit der Neuregelung des § 463e Abs. 1 S. 3 StPO die Durchführung einer mündlichen Anhörung im Wege einer Videokonferenz nunmehr grundsätzlich ausgeschlossen ist und dass dieser Ausschluss auch dann gilt, wenn – wie vorliegend – der Untergebrachte dieser Form der Anhörung zugestimmt hat.

b) In der Literatur wird dagegen teilweise auch eine entgegenstehende Auffassung vertreten, wonach die Neuregelung des § 463e Abs. 1 StPO und insbesondere die Bestimmung des § 463e Abs. 1 S. 3 StPO einschränkend auszulegen sein und einer mit Zustimmung des Untergebrachten erfolgenden mündlichen Anhörung unter Einsatz von Videokonferenztechnik nicht entgegenstehen sollen (so BeckOK-Coen, 42. Ed. 1.1.2022, § 463e StPO Rn. 7; Frommeyer, StraFo 2022, 96 f.). Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die Zielsetzung des Gesetzgebers bei Einführung des § 463e StPO gewesen sei, den Gerichten eine umfassendere Nutzung der mittlerweile weit fortgeschrittenen Videokonferenztechnik bei mündlichen Anhörungen im Vollstreckungsverfahren zu ermöglichen, um damit insbesondere Flucht- und sonstige Sicherheitsrisiken und damit einhergehende Belastungen für den Verurteilten, die sich bei einer persönlichen Anhörung stellen könnten, verringern und in Fällen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite wie der derzeitigen COVID-19-Pandemie das Infektionsrisiko senken zu können, und generell zu einer effizienteren Verfahrensgestaltung beizutragen (siehe die Begründung des Regierungsentwurfs zum Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 17.03.2021, BT-Drucks. 19/27654, S. 114). Es wird argumentiert, dass es vor diesem Hintergrund widersinnig wäre, wenn der neu eingeführte § 463e Abs. 1 S. 3 StPO zu einer Beschränkung bisher nach Auffassung der Rechtsprechung bestehender Möglichkeiten des Einsatzes von Videokonferenztechnik führen würde (so BeckOK-Coen, a.a.O.; Frommeyer, a.a.O.).

c) Der letztgenannten Auffassung vermag sich der Senat im Hinblick auf die eindeutige Zielsetzung der Neuregelung des § 463e Abs. 1 StPO und insbesondere der Bestimmung des § 463e Abs. 1 S. 3 StPO nicht anzuschließen. Zwar könnte der Wortlaut des § 463e Abs. 1 S. 3 StPO dahingehend verstanden werden, dass in den von dieser Vorschrift erfassten Fällen lediglich die nach § 463e Abs. 1 S. 1 StPO ermöglichte Bestimmung der Vornahme einer Anhörung unter Einsatz von Videokonferenztechnik auch ohne den Willen des Verurteilten bzw. Untergebrachten keine Anwendung finden soll, während es im Übrigen bei der von der früheren Rechtsprechung als zulässig erachteten einverständlichen Anwendung von Videokonferenztechnik verbleiben soll. Dem steht aber entgegen, dass nach der Begründung des Regierungsentwurfs mit der Neuregelung des § 463e Abs. 1 StPO wegen des besonderen Gewichts der Vollstreckungsentscheidung in den Fällen der Entscheidung über die weitere Vollstreckung einer unbefristeten Freiheitsentziehung eine Anhörung bei gleichzeitiger persönlicher Anwesenheit der Beteiligten im selben Raum generell geboten sein soll und dass daher eine Vollstreckungsanhörung in Form einer Videokonferenz ausgeschlossen sein soll (siehe die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 19/27654, S. 115). Der Gesetzgeber hat sich damit auch ausdrücklich gegen einen alternativen Regelungsvorschlag entschieden, wonach ohne einen dem § 463e Abs. 1 S. 3 StPO entsprechenden Ausschlusstatbestand die Anhörung von Verurteilten im Strafvollstreckungsverfahren im Wege der Videokonferenztechnik generell zulässig sein sollte, sofern der Verurteilte dem nicht widerspricht (siehe den Entwurf für einen neuen § 453 Abs. 2 StPO-E im Gesetzentwurf des Bundesrats für ein Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung vom 12.08.2020, BT-Drucks. 19/21612, S. 10). Dieser Vorschlag ist im Gesetzgebungsverfahren mit der Begründung abgelehnt worden, dass hierin keine Unterscheidung nach dem Gewicht der in Rede stehenden gerichtlichen Entscheidung vorgesehen war (siehe die Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drucks. 19/21612, S. 12). Dies lässt erkennen, dass die gesetzgeberische Intention nicht allein auf die von der Gegenauffassung zitierte Absicht der erweiterten Zulassung der Nutzung von Videokonferenztechnik beschränkt war und dass vielmehr auch das Regelungsziel verfolgt wurde, dass auch für den Fall der Zustimmung des Verurteilten eine Anhörung im Wege der Videokonferenztechnik in Fällen besonders gewichtiger Entscheidungen wie insbesondere der nunmehr in § 463e Abs. 1 S. 3 StPO gesondert angesprochenen Anordnung der weiteren Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zulässig sein sollte.

3. Es durfte vorliegend auch nicht ausnahmsweise von der nach den vorstehenden Ausführungen erforderlichen Durchführung der mündlichen Anhörung in persönlicher Anwesenheit des Untergebrachten abgesehen werden. Weder benennt der angefochtene Beschluss das Vorliegen eines entsprechenden Sonderfalls, noch ist ein solches im Übrigen aus der Akte ersichtlich.

a) Eine Zulässigkeit der Durchführung der Anhörung vom 14.02.2022 im Wege des Einsatzes von Videokonferenztechnik ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass der Untergebrachte bereits am 26.10.2021 in persönlicher Anwesenheit der Kammer und des Untergebrachten mündlich angehört worden war. Rechtliches Gehör in Bezug auf die Erkenntnisse aus der ergänzenden schriftlichen Stellungnahme des Sachverständigen vom 14.01.2022, die auch von der Kammer ihrem Beschluss vom 15.02.2022 zugrunde gelegt wurde, konnte dem Untergebrachten erst in der Anhörung vom 14.02.2022 gewährt werden, so dass die am 26.10.2021 erfolgte Anhörung nicht den Zwecken der Gewährung rechtlichen Gehörs vor der Entscheidungsfindung der Kammer genügen konnte. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren Entscheidung, ob auch deswegen dem Anhörungserfordernis im Hinblick auf den Beschluss vom 15.02.2022 nicht mit der Anhörung vom 26.10.2021 Genüge getan werden konnte, weil sich zwischenzeitlich ein Wechsel in der Zusammensetzung der Kammer ergeben hat und im Hinblick auf die Erkenntnisse aus der ergänzenden schriftlichen Stellungnahme des Sachverständigen vom 14.01.2022 zweifelhaft sein könnte, ob die Anhörung durch nur zwei der an der späteren Entscheidung beteiligten Richter nach den Grundsätzen einer in Ausnahmefällen auch bei Entscheidungen über die Fortdauer einer Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik zulässigen Anhörung durch den beauftragten Richter angesehen werden kann (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 13.09.1978 – StB 187/78, juris Rn. 6, BGHSt 28, 138; OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.11.2009 – 3 Ws 868/09, juris Rn. 3, NStZ-RR 2010, 188; OLG Jena, Beschluss vom 17.10.2016 – 1 Ws 424/16, juris Rn. 36 ff., StV 2018, 376 (Ls.); OLG Nürnberg, Beschluss vom 31.01.2013 – 2 Ws 17/13, juris Rn. 20, OLGSt StPO § 463 Nr 3; siehe auch die Rechtsprechung des Senats, Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 12.05.2014 – 1 Ws 50/14, juris Rn. 19, StV 2015, 231; aus der Literatur siehe Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, 27. Aufl., § 454 StPO Rn. 24 ff.), was dann in Betracht kommen soll, wenn auch im Hinblick auf die Bedeutung der Sache und die Schwierigkeit der zu treffenden Entscheidung dem persönlichen Eindruck des Gerichts eine eher untergeordnete Rolle zukommt, namentlich wenn die Kammer den Untergebrachten in voller und unveränderter Besetzung schon einmal gehört hat, ohne dass sich in der Zwischenzeit die Sachlage wesentlich verändert hätte. An diesen Grundsätzen hat sich auch durch die Einführung des § 463e StPO nicht ersichtlich etwas geändert, wie dadurch bestätigt wird, dass in der Begründung des Regierungsentwurfs auf die Besetzung der Großen Strafvollstreckungskammer mit drei Richtern unter Einschluss des Vorsitzenden nach § 78b Abs. 1 Nr. 1 GVG lediglich zur Betonung der Bedeutung der Vollstreckungsentscheidung in diesen Fällen Bezug genommen wird, ohne dass auch – wie zu erwarten gewesen wäre – die Anhörung unter gleichzeitiger Anwesenheit aller Richter als geboten bezeichnet worden wäre (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs, a.a.O.).

b) Während § 463e Abs. 1 S. 3 StPO in den dort geregelten Fällen unbefristeter Freiheitsentziehung die Vornahme der mündlichen Anhörung des Verurteilten oder Untergebrachten unter Einsatz von Videokonferenztechnik ausschließt, lässt diese Neuregelung die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze dazu unberührt, dass in bestimmten Fällen abweichend von §§ 454 Abs. 1 S. 3, 463 StPO eine mündliche Anhörung gänzlich unterbleiben kann, namentlich wenn der Untergebrachte ausdrücklich und eindeutig auf eine mündliche Anhörung verzichtet oder die Teilnahme daran verweigert (siehe BGH, Beschluss vom 05.05.1995 – StB 15/95, juris Rn. 3, NStZ 1995, 610; Beschluss vom 12.08.2015 – StB 6/15, juris Rn. 2, StV 2018, 345; VerfGH Berlin, Beschluss vom 24.01.2018 – VerfGH 166/16, juris Rn. 25, NJW 2018, 2252) oder wenn aus seinem vorangegangenen eindeutigen Verhalten, insbesondere bei früheren Anhörungen, nichts anderes zu erwarten ist, als dass er den Anhörungstermin missbrauchen wird (siehe Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, 27. Aufl., § 454 StPO Rn. 48 m.w.N.). Ist demnach in bestimmten Fällen das gänzliche Unterbleiben einer Anhörung zulässig, so kann es – schon im Interesse bestmöglicher Sachaufklärung – nicht unzulässig sein, wenn in solchen Fällen, in denen keine Anhörung in persönlicher Anwesenheit des Untergebrachten und der weiteren Beteiligten erfolgen kann, stattdessen zumindest eine Anhörung unter Einsatz von Videokonferenztechnik stattfindet. An die erforderliche Feststellung, dass eine Anhörung nicht in persönlicher Anwesenheit des Untergebrachten und der weiteren Beteiligten, sondern nur unter Einsatz von Videokonferenztechnik durchgeführt werden kann, sind dabei aber hohe Anforderungen zu stellen. Insbesondere solche Argumente können hierfür nicht genügen, die dem Gesetzgeber bei Einführung des § 463e StPO bekannt waren und die nicht zu einer entsprechenden Einschränkung der Ausschlussbestimmung des § 463e Abs. 1 S. 3 StPO führten: Der Einsatz von Videokonferenztechnik zur mündlichen Anhörung eines Untergebrachten vor der Entscheidung über die Anordnung der weiteren Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kann also namentlich nicht mit Erwägungen des Infektionsschutzes in Pandemiezeiten, mit der Vermeidung von Flucht- und sonstigen Sicherheitsrisiken für den Fall einer persönlichen Anhörung und mit dem Ziel einer effizienteren Verfahrensgestaltung begründet werden. Dass in den Fällen des § 463e Abs. 1 S. 3 StPO die Einwilligung des Untergebrachten zur Durchführung der mündlichen Anhörung unter Einsatz von Videokonferenztechnik nicht genügen kann, ist bereits oben dargelegt worden (siehe unter 2.). Eine Ausnahme wäre insoweit allenfalls dann zu begründen, wenn der Untergebrachte selbst eine Teilnahme an einer mündlichen Anhörung in persönlicher Anwesenheit eindeutig und ernsthaft verweigert und er sich allenfalls zu einer Teilnahme an einer Anhörung unter Einsatz von Videokonferenztechnik bereit erklärt. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann aber aus der bloßen Zustimmung zu deren Einsatz nicht gefolgert werden und bedarf im Hinblick auf den Grundsatz der bestmöglichen Sachverhaltsermittlung genauer Prüfung. Im vorliegenden Fall sind diese Voraussetzungen ersichtlich nicht gegeben.

4. Aufgrund dieses Verfahrensfehlers war die Sache zur erneuten Entscheidung an die Strafkammer 70 des Landgerichts Bremen zurückzuverweisen, da das Beschwerdegericht diesen Verfahrensfehler nicht beheben kann und dem Untergebrachten andernfalls auch eine Tatsacheninstanz genommen würde.

Im Rahmen der erneuten Entscheidung wird die Strafkammer 70 zu berücksichtigen haben, dass – wie bereits in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Bremen vom 29.03.2022 ausgeführt – der angefochtene Beschluss auch hinsichtlich der Begründung der Fortdauerentscheidung nicht den hierzu geltenden Anforderungen insbesondere aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügt, da es an jeglicher konkreten Benennung der Art der vom Untergebrachten drohenden Straftaten für den Fall seiner Entlassung aus dem Maßregelvollzug und einer begründeten Darlegung des Risikos des Eintritts einer solchen Straffälligkeit fehlt (siehe hierzu die st. Rechtsprechung des Senats, zuletzt u.a. in Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 10.12.2019 – 1 Ws 124/19, juris Rn. 21, OLGSt StGB § 67g Nr 5; Beschluss vom 22.10.2021 – 1 Ws 116/21 (n.v.)).

5. Eine Kostenentscheidung war wegen des nur vorläufigen Erfolgs des Rechtsmittels nicht veranlasst. Die Strafkammer wird insoweit im Rahmen der erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu befinden haben.


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