Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.8.2022 1 OLG 53 Ss 65/22
Leitsatz des Gerichts: 1. Die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung kann als selbständiger Teil des Urteilsspruchs isoliert angefochten werden, wenn sich die ihr zugrunde liegenden Erwägungen von denen der Strafzumessung trennen lassen. An der Trennbarkeit fehlt es nicht schon dann, wenn sich die bei der Strafzumessung und bei der Aussetzungsentscheidung zu berücksichtigenden Tatsachen überschneiden.
2. 2. Liegen beim Angeklagten zahlreichen einschlägige Verurteilungen, ein häufiges und ausschließliches Bewährungsversagen, hohe Rückfallgeschwindigkeit und erneute einschlägige Straffälligkeit nach den dem zugrunde liegenden Verfahren begangenen Straftaten vor, sind an die Begründungstiefe für eine positive Legalprognose nach § 56 Abs. 1 StGB hohe Anforderungen zu stellen.
In pp.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Potsdam wird das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 04. April 2022 im Rechtsfolgenausspruch insoweit aufgehoben, als die Vollstreckung der gegen den Angeklagten erkannten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung auch zu den Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere Berufungskammer des Landgerichts Potsdam zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Brandenburg a. d. H. verurteilte den vielfach, auch zahlreich einschlägig vorbestraften und hafterfahrenen Angeklagten am 07. Oktober 2021 wegen zweifachen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis im Sinne des § 21 Abs. 1 StVG zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung es für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung aussetzte. Die Einzelstrafe lauteten auf jeweils sechs Monate Freiheitsstrafe; zugleich wurde eine Sperrfrist von zwölf Monaten für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis gemäß § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB angeordnet.
Den Feststellungen des Amtsgerichts zufolge hatte der Angeklagte am 21. April 2020 gegen 10:29 Uhr mit dem fahrerlaubnispflichtigen Pkw, amtliches Kennzeichen: ..., unter anderem die Bundesautobahn A 2 auf Höhe des Kilometers 9,8 in Fahrtrichtung des Autobahndreiecks Werder (Havel) und am 14. Juni 2020 gegen 10:06 unter anderem die Bundesautobahn A 10 auf Höhe des Kilometers 84 in Fahrtrichtung Autobahndreieck Nuthetal befahren, obwohl er, wie er gewusst hatte, nicht im Besitz der hierfür erforderlichen Fahrerlaubnis gewesen war.
Die hiergegen gerichtete, auf den Rechtsfolgen- und Maßregelausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft Potsdam verwarf die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam mit ihrem Urteil vom 04. April 2022 als unbegründet.
Gegen dieses Urteil richtet sich die am 05. April 2022 bei Gericht angebrachte Revision der Staatsanwaltschaft Potsdam, die ihr Rechtsmittel nach am 03. Mai 2022 erfolgter Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe unter dem 19. Mai 2022 begründet hat. Die Strafverfolgungsbehörde rügt mit näheren Ausführungen die Verletzung materiellen Rechts und beschränkt ihr Rechtsmittel auf die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg tritt der Revision bei. Sie macht geltend, das Urteil erweise sich hinsichtlich der Aussetzungsentscheidung als rechtsfehlerhaft, weil seine Gründe die erforderliche Auseinandersetzung mit den Vortaten des Angeklagten und deren Begleitumständen vermissen ließen. Die angefochtene Entscheidung teile rechtsfehlerhaft das jeweilige Tatgeschehen und die Hintergründe der Vortaten des Angeklagten nicht mit. Dessen hätte es bedurft, um eine wesentliche Änderung der strafursächlichen Faktoren zu belegen, die trotz der vielfachen Vorstrafen des Angeklagten, der in der Vergangenheit fünf ihm gewährte Bewährungschancen nicht genutzt und zur Tatzeit sowohl unter Bewährung als auch unter Führungsaufsicht gestanden habe, eine neuerliche Strafaussetzung rechtfertigten. Zudem setze sich das Berufungsurteil rechtsfehlerhaft nicht mit den Voraussetzungen des § 56 Abs. 3 StGB auseinander. Die Entscheidung beruhe auf beiden Rechtsfehlern.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in der Revisionshauptverhandlung beantragt, das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 04. April 2022 aufzuheben, soweit die Vollstreckung der erkannten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Berufungskammer des Landgerichts Potsdam zurückzuverweisen.
Die Verteidigerin des Angeklagten hat beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.
II.
1. a) Die Revision ist gemäß § 333 StPO statthaft und entsprechend §§ 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden, sonach zulässig.
b) Gegenstand der revisionsgerichtlichen Überprüfung ist allein die Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen. Die seitens der Staatsanwaltschaft erklärte Berufungsbeschränkung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung ist nicht nur formell (§§ 302 Abs. 2, 303 StPO), sondern auch materiell wirksam.
Die Beschränkung der Revision auf bestimmte Beschwerdepunkte (vgl. § 344 Abs. 1 StPO inwieweit) ist nach der so genannten Trennbarkeitsformel insoweit wirksam, als sie dem Rechtsmittelgericht die Möglichkeit eröffnet, den angefochtenen Teil des Urteils losgelöst vom nicht angegriffenen Teil der Entscheidung nach dem inneren Zusammenhang rechtlich und tatsächlich zu beurteilen, ohne die Prüfung des übrigen Urteilsinhalts notwendig zu machen. Die den Rechtsmittelberechtigten eingeräumte Macht zum unmittelbaren Eingriff in die Gestaltung des Rechtsmittels (RGSt 69, 110, 111; vgl. auch BGHSt 14, 30, 36) gebietet es, den in Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck gekommenen Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren. Das Rechtsmittelgericht kann und darf diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird, wenn und soweit der angegriffene Entscheidungsteil trennbar ist, also losgelöst vom übrigen Urteilsgehalt selbständig geprüft und beurteilt werden kann (siehe schon: RGSt 65, 296; RGSt 69, 110, 111; ebenso: BGHSt 19, 46, 48; BGHSt 24, 185, 187; BGH NJW 1981, 589, 590, jeweils m.w.N.).
Die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung ist ein selbständiger Teil des Urteilsspruchs (§ 260 Abs. 4 S. 4 StPO). Sie kann isoliert angefochten werden, wenn sich die ihr zugrunde liegenden Erwägungen von denen der Strafzumessung trennen lassen (BGH NStZ 1994, 449; KG, Urteil vom 13. Dezember 2006, (5) 1 Ss 305/06 (49/06) m. w. N., Juris; OLG Dresden NStZ-RR 2012, 289; OLG Hamburg NStZ-RR 2006, 18, StraFo 2016, 518; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, zu § 318, Rz. 20a m. w. N.). An der Trennbarkeit fehlt es nicht schon dann, wenn sich die bei der Strafzumessung und bei der Aussetzungsentscheidung zu berücksichtigenden Tatsachen überschneiden (KG a. a. O.; OLG Frankfurt VRS 59, 106, 108). Insoweit doppelt relevante Feststellungen verknüpfen diese Entscheidungen regelmäßig miteinander; vom Gesetzgeber ist in § 46 Abs. 2 StGB und § 56 Abs. 1 S. 2 StGB vorgesehen, dass diejenigen Tatsachen, welche die Zumessung der Strafe im engeren Sinn mitbestimmen, auch für die Aussetzungsentscheidung wesentliche Bedeutung erlangen (KG a. a. O. m. w. N.).
Die Beschränkung der Revision auf die Aussetzungsentscheidung ist nur dann unwirksam, wenn die Tatsachenfeststellungen und Erwägungen zum Strafmaß so unzulänglich sind, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Aussetzungsentscheidung bilden (KG a. a. O.; OLG Köln NStZ 1989, 90, 91; VRS 61, 365, 567; OLG Frankfurt VRS 59, 106, 107), die Entscheidung über die Bewährung an einem Fehler leidet, der zugleich die Strafzumessung betrifft (KG a. a. O.; OLG Frankfurt a. a. O., S. 110; OLG Köln VRS 61, 365, 367), der Anfechtende sich gegen die Feststellung oder Nichtfeststellung einer doppeltrelevanten Tatsache wendet (BGH NJW 2001, 3134; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 309; KG a. a. O.) oder eine unzulässige Verknüpfung von Strafmaß- und Aussetzungsentscheidung hergestellt worden ist (BGH NStZ 2001, 311; OLG Frankfurt VRS 59, 106, 109; OLG Köln VRS 61, 365, 367; KG a. a. O.). Stets muss gewährleistet sein, dass das stufenweise entstehende Urteil frei von inneren Widersprüchen bleibt (BGHSt 29, 359, 365; NJW 2001, 3134; NStZ-RR 1999, 359; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 309, 310; KG a. a. O.).
Hieran gemessen, erweist sich die Beschränkung der Revision auf die Entscheidung über die Strafaussetzung als wirksam. Das Landgericht hat die Strafzumessung getrennt von der Strafaussetzung begründet und auch inhaltlich nicht unzulässig miteinander verknüpft. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Kammer wegen der Bewilligung der Strafaussetzung auf höhere oder niedrigere Einzelstrafen oder eine hieran angepasste Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hat oder bei Versagung der Bewährung die Einzelstrafen oder die Gesamtstrafe niedriger festgesetzt hätte. Die Tatsachenfeststellungen und Erwägungen zur Strafzumessung bilden auch eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung. Die Revision rügt ausschließlich Rechtsfehler bei der Anwendung des § 56 StGB, die das Strafmaß nicht berühren.
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft Potsdam hat auch in der Sache Erfolg.
Die Erwägungen, mit denen das Landgericht in Übereinstimmung mit der erstinstanzlichen Entscheidung die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung begründet hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand; die Urteilsgründe erweisen sich in wesentlichen Aspekten als lückenhaft.
a) Die Frage, ob zu erwarten ist, dass sich der Angeklagte schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 Abs. 1 StGB), hat der Tatrichter unter Berücksichtigung aller dafür bedeutsamen Umstände im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu entscheiden. Bei dieser Prognose steht ihm ein weiter Bewertungsspielraum zu (BGH, Urteil vom 10. Juni 2010, 4 StR 474/09, Rz. 34, Juris; NStZ 2007, 303, 304; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23. Januar 2008, 1 Ss 19/07, Rz. 5, Juris; NStZ-RR 2005, 200, 201; Fischer, StGB, 69. Auflage, zu § 56, Rz. 11). Die Prognoseentscheidung des Tatrichters ist vom Revisionsgericht grundsätzlich bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen (BGH a. a. O.; OLG Karlsruhe a. a. O.) und nur darauf zu überprüfen, ob sie rechtsfehlerhaft ergangen ist, der Tatrichter also Rechtsbegriffe verkannt oder seinen Bewertungsspielraum fehlerhaft ausgefüllt hat (BGHSt 6, 298, 300; 6, 391, 392, OLG Düsseldorf NStZ 1988, 325, 326; KG a. a. O.).
Um dem Revisionsgericht diese Prüfung zu ermöglichen, muss der Tatrichter seine Erwägungen im Urteil in einem die Nachprüfung ermöglichenden Umfang darlegen (OLG Düsseldorf a. a. O.; KG a. a. O. m. w. N.; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., zu § 337, Rz. 34). Seine Feststellungen müssen eine tragfähige Grundlage für die Überprüfung der Rechtsanwendung bilden (Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., zu § 337, Rz. 21).
Der Umfang der Darlegungen und deren Begründungstiefe hängt maßgeblich davon ab, ob und ggf. in welchem Umfang der Angeklagte strafrechtlich vorbelastet ist. Bei einem mehrfach und einschlägig vorbestraften Angeklagten, der ggf. schon frühere Bewährungschancen nicht bestanden hat, setzt eine günstige Legalprognose bzw. die Strafaussetzung zur Bewährung eine besonders eingehende und vertiefte Begründung voraus.
b) Im vorliegenden Fall ist hinsichtlich der erforderlichen Begründungstiefe zu berücksichtigen, dass der Angeklagte ganz erheblich vorbestraft ist. Der Auszug aus dem Bundeszentralregister weist 19 Eintragungen aus. Der Angeklagte ist elf Mal, teilweise in Tatmehrheit mit anderen Delikten, wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis einschlägig vorbestraft. In der Vergangenheit hat der Angeklagte bei sämtlichen ihm eingeräumten Bewährungschancen versagt; fünf Mal musste eine ihm gewährte Vollstreckungsaussetzung zur Bewährung widerrufen werden. Erst sechs Monate vor der ersten im hiesigen Verfahren festgestellten Straftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (21. April 2020) war der Angeklagte durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Brandenburg am 29. Oktober 2019 (24 Ds 22/19) ebenfalls wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung bis zum 28. Oktober 2021 ausgesetzt wurde. Selbst diese nach § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB kürzest denkbare Bewährungszeit hat der Angeklagte nicht ohne Begehung neuer, einschlägiger Straftaten überstanden. Er ist Bewährungsversager. Zur Tatzeit stand der Angeklagte zudem infolge des Urteils des Amtsgerichts Brandenburg a.d.H. vom 25. März 2014 (21 Ls 7/14) unter Führungsaufsicht, die noch bis zum 20. November 2022 fortdauert. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Angeklagte den Gründen des angefochtenen Urteils zu Folge bereits im März 2022 wegen einer am 23. Juli 2021 erneut begangenen einschlägigen Straftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt wurde (S. 3 UA). Zwar ist dieses Urteil noch nicht in Rechtskraft erwachsen, es kann aber dennoch zur Prognoseentscheidung berücksichtigt werden, da diese Verurteilung ausweislich der Urteilsgründe auf einem Geständnis des Angeklagten beruht. Der Angeklagte hat die erneute Straftat am 23. Juli 2021 begangen, obwohl die ihm im hiesigen Verfahren am 27. Oktober 2020 förmlich zugestellte Anklageschrift vom 7. November 2020 eine deutliche Appellfunktion entfaltete.
Unter Berücksichtigung der vorgenannten zahlreichen einschlägigen Verurteilungen, dem häufigen und ausschließlichen Bewährungsversagen, der hohen Rückfallgeschwindigkeit und der erneuten einschlägigen Straffälligkeit nach den im hiesigen Verfahren begangenen Straftaten sind an die Begründungstiefe für eine positive Legalprognose nach § 56 Abs. 1 StGB hohe Anforderungen zu stellen. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Soweit das Tatgericht die positive Legalprognose damit zu begründen versucht, dass der Angeklagte bereits seit 2017 in der Gastronomie beruflich eingebunden und sich zum Schichtleiter hochgearbeitet hat (S. 10 UA), vermag dies schon deswegen nicht zu verfangen, da ihn die berufliche Einbindung vor der Begehung neuer einschlägiger Straftaten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis jedenfalls bis zum Juli 2021 nicht abhalten konnte. Das Argument, dass der Angeklagte seinen Wohnsitz an den Ort seines Arbeitsplatzes, nach Berlin, verlegt hat, um den Weg zur Arbeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen zu können (S. 10 UA), überzeugt ebenfalls nicht. Dies könnte nur dann maßgeblich sein, wenn Motiv des Fahrens ohne Fahrerlaubnis die Bewältigung der Strecke zum Arbeitsplatz gewesen wäre. Dies scheint aber nach den Urteilsgründen nicht gegeben zu sein. Danach arbeite der Angeklagte regelmäßig von 16 Uhr nachmittags bis 4 Uhr nachts. In den beiden hier festgestellten Fällen wurde das Fahren ohne Fahrerlaubnis um 10:29 Uhr und um 10:06 Uhr festgestellt und dürfte gerade keinen Bezug zur beruflichen Tätigkeit des Angeklagten gehabt haben. Dass der Angeklagte in einer stabilen Beziehung lebt, ist nach den Urteilsgründen nicht hinreichend unterlegt. Zum einen wird nur die Heirat im Jahr 2020 erwähnt, ohne dass erkennbar ist, wie lange die Beziehung zu diesem Zeitpunkt bereits bestanden hat. Zum anderen hat der Angeklagte die Straftaten gerade während des Bestehens der genannten Beziehung begangen, so dass nicht nachvollziehbar ist, worin der Wechsel in der Einstellung des Angeklagten nach Tatbegehung begründet sein kann. Dass der Angeklagte im Verfahren vom Juli 2021 auf die Herausgabe des beschlagnahmten Autos verzichtet hat (S. 4 UA), kann nicht entscheidend zu seinen Gunsten gewertet werden, da es ohnehin der Einziehung unterlegen hätte. Dasselbe gilt für den vom Tatgericht hervorgehobenen Umstand, dass der Angeklagte sich kein neues Auto mehr angeschafft habe (S. 9 UA), was bei Fehlen einer Fahrerlaubnis eher selbstverständlich sein dürfte.
Zu Gunsten des Angeklagten spricht, dass er eigeninitiativ eine Verhaltenstherapie aufgenommen und fünf Probestunden absolviert hat. Die Urteilsgründe verhalten sich jedoch nicht zu den Inhalten und einem möglichen (Zwischen-) Ergebnis der bisherigen Therapie, so dass sie sich insoweit als lückenhaft erweisen.
Das erst zwei Wochen vor der Berufungshauptverhandlung eröffnete Insolvenzverfahren dokumentiert die Höhe der mit den Betrugsstraftaten einhergehenden Schäden. Die Hintergründe des damit zusammenhängenden Verhaltens des Angeklagten, auch die Frage, ob möglicherweise damit prozesstaktische Ziele erreicht werden sollten, erörtert das Berufungsgericht nicht.
Am Rande sei bemerkt, dass sich das Berufungsgericht - wie von der Staatsanwaltschaft zutreffend beanstandet - nicht hinreichend mit den strafrechtlichen Vorbelastungen und auch nicht mit § 56 Abs. 3 StGB auseinandergesetzt hat (vgl. BGHSt 24, 40, 46; BHG wistra 2000, 96 f.; BGH NStZ 1985, 165; BGH NStZ 2018, 29); für die Prognoseentscheidung nicht uninteressant könnte auch die Frage sein, in welchem Zusammenhang das Fahren ohne Fahrerlaubnis auf einer Autobahn festgestellt worden war.
Nach alledem werden die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil zur positiven Legalprognose sowohl jeweils für sich betrachtet als auch in einer Gesamtbetrachtung, der im vorliegenden Fall erforderlichen besonderen Begründungstiefe nicht gerecht, so dass das Urteil insoweit der Aufhebung unterliegt.
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