Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

StPO

Beschwerde, Anfechtungswille

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Hechingen, Beschl. v. 28.03.2022 - 3 Qs 7/22

Eigener Leitsatz: Eine Erklärung kann nur als Rechtsmittel ausgelegt werden, wenn aus ihr ein Anfechtungswille hervorgeht Aus der abgegebenen Erklärung muss deutlich zum Ausdruck kommen, dass der Erklärende sich mit einer ihn beschwerenden gerichtlichen Entscheidung nicht abfinden will.


3 Qs 7/22

Landgericht Hechingen

Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Verteidiger:
Rechtsanwalt Stefan Kabus, Kaiserstraße 57, 88348 Bad Saulgau, Gz.: 22/0092-SK
wegen Trunkenheit im Verkehr

hat das Landgericht Hechingen - 3. große Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 28. März 2022 beschlossen:

1. Eine Entscheidung der Kammer ist nicht veranlasst.
2. Die Sache wird zur weiteren Veranlassung an die Staatsanwaltschaft Hechingen zurück
gegeben.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Hechingen führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 13. Januar 2022 hat das Amtsgericht Hechingen dem Beschuldigten mit Beschluss vom 20. Januar 2022 nach § 111a StPO die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen.

Mit Schriftsatz vom 11. Februar 2022, der in der Adresszeile an die Staatsanwaltschaft Hechingen adressiert und in der Anrede an den „Herr Leitendern] Oberstaatsanwalt G." gerichtet ist, trägt der Beschuldigte im Wesentlichen vor, dass nach Aktenlage keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Feststellung relativer Fahrunsicherheit bestehen. Jedenfalls dürfte das Übersehen eines Fußgängers an einem Zebrastreifen kein konkreter, alkoholtypischer Fahrfehler sein. Insofern solle es insgesamt bei einer Ordnungswidrigkeit verbleiben.

Die Staatsanwaltschaft Hechingen legte die Ermittlungsakte mit Verfügung vom 14. Februar 2022 dem Amtsgericht Hechingen vor und beantragte, der „Beschwerde vom 11.02.2022" gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hechingen vom 20. Januar 2022 nicht abzuhelfen und die Akte unmittelbar dem Landgericht Hechingen (Strafkammer) vorzulegen, wo beantragt wurde, die „Beschwerde" aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zu verwerfen.

Das Amtsgericht Hechingen half der „Beschwerde des Beschuldigten pp. (Blatt 24 f. d.A.) vom 11.02.2022" gegen den Beschluss vom 20. Januar 2022 mit Beschluss vom 15. Februar 2022 nicht ab. Hierauf fragte der Beschuldigte mit Schriftsatz vom 2. März 2022, auf welche „Beschwerde des Beschuldigten" Bezug genommen werde. Mit Verfügung vom 3. März 2022 bat das Amtsgericht Hechingen den Beschuldigten sodann um Mitteilung, ob der Schriftsatz vom 11. Februar 2022 eine Beschwerde darstellen soll. Hierauf trägt der Beschuldigte mit Schriftsatz vom 23. März 2022 vor, dass eine Beschwerde gegen den Beschluss vom 20. Januar 2022 nicht eingelegt worden sei. Er habe vielmehr lediglich gegenüber der Staatsanwaltschaft zur Sach- und Rechtslage Stellung genommen.

Bei dem Schriftsatz des Beschuldigten vom 11. Februar 2022 handelt es sich nicht um eine Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hechingen vom 20. Januar 2022.

Eine Erklärung kann nur als Rechtsmittel ausgelegt werden, wenn aus ihr ein Anfechtungswille hervorgeht (Löwe-Rosenberg/Jesse, StPO, 26. Aufl. 2014, § 300 Rn. 5; KK/Paul, StPO, 8. Aufl. 2019, § 300 Rn. 2). Der Anfechtungswille beschreibt hierbei den Willen, ein zulässiges Rechtsmittel gegen eine bestimmte Entscheidung einzulegen (Löwe-Rosenberg/Jesse, StPO, 26. Aufl. 2014, § 300 Rn. 4). Aus der abgegebenen Erklärung muss also deutlich zum Ausdruck kommen, dass der Erklärende sich mit einer ihn beschwerenden gerichtlichen Entscheidung nicht abfinden wolle (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 4. April 2013 - 2 Ws 86/13, BeckRS 2013, 15473; OLG Bamberg, Beschluss vom 8. September 2016 - 3 OLG 7 Ss 78/16, BeckRS 2016, 111077). Maß-gebend sind stets der Gesamtinhalt der Verfahrenserklärungen und die Erklärungsumstände (BGH, Beschluss vom 25. Januar 1952 - 2 StR 3/52, BGHSt 2, 41 (43)), wobei jedoch nur solche Erklärungen relevant sind, die innerhalb der Anfechtungsfrist abgegeben werden (BeckOK/Cirener, StPO, 42. Ed. 1. Januar 2022, § 300 Rn. 2; Löwe-Rosenberg/Jesse, StPO, 26. Aufl. 2014, § 300 Rn. 8). Für die Auslegung der Erklärung sind zudem die Rechtskenntnisse des Erklärenden beachtlich (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2019 - 5 StR 499/18, BeckRS 2019, 1966). Ein Anfechtungswille wird indes nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass die sprachliche Form der abgegebenen Erklärung ihrerseits missverständlich oder uneindeutig ist (LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 24. Juni 2021 - 12 Qs 39/21, BeckRS 2021, 15647). Bleibt auch nach der Auslegung der Erklärung der Anfechtungswille unklar, sind verbleibende Zweifel durch eine Nachfrage zu klären (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 1951 — 3 StR 691/51, BGHSt 2, 63 (67); BayObLG, Beschluss vom 28. November 1994 - 2 St RR 221/94, NJW 1995, 1230; KK/Paul, StPO, 8. Aufl. 2019, § 300 Rn. 2).

Ausgehend hiervon war der Kammer bei Anwendung der herkömmlichen Auslegungsmethoden unklar, ob sich der Beschuldigte gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hechingen vom 20. Januar 2022 mittels einer Beschwerde erwehren wollte, ob also ein Anfechtungswille vorlag. Hierfür könnte zwar auf den ersten Blick sprechen, dass der Beschuldigte in seinem Schriftsatz betont, dass nach Aktenlage keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Feststellung relativer Fahrunsicherheit bestünden und es jedenfalls an einem Regelfall für die Entziehung der Fahrerlaubnis fehle. Insoweit wollte er zum Ausdruck bringen, dass er die Sach- und Rechtslage anders als das Amtsgericht Hechingen mit seinem Beschluss vom 20. Januar 2022 bewertet. Bei näherer Betrachtung der schriftsätzlichen Erklärung war das Anliegen des Beschuldigten jedoch dahingehend gerichtet, lediglich zur Sach- und Rechtslage gegenüber der Staatsanwaltschaft Hechingen Stellung zu nehmen. Dies ergibt sich zum einen bereits aus der Angabe der Staatsanwaltschaft Hechingen in der Adresszeile und der konkret gewählte Anrede ("Sehr geehrter Herr Leitender Oberstaatsanwalt G."). Zum anderen verwendet der Beschuldigte in dem gesamten Schriftsatz das Wort „Beschwerde" oder einen entsprechenden Begriff, der auf die Einlegung eines Rechtsmittels hindeuten könnte, nicht. Es fehlt zudem an einer ausdrücklichen Bezugnahme auf die amtsgerichtliche Entscheidung vom 20. Januar 2022. Unter Berücksichtigung der Rechtskenntnisse des erklärenden Verteidigers ist dem gewählten Wortlaut insoweit auch eine entscheidende Bedeutung beizumessen (vgl. KK/Paul, StPO, 8. Aufl. 2019, § 300 Rn. 2). Verbleibende Zweifel über das Vorliegen eines Anfechtungswillens konnten schließlich durch Nachfrage seitens des Amtsgerichts Hechingen mit Verfügung vom 3. März 2022 und hierauf erfolgter schriftsätzlicher Antwort des Beschuldigten vom 23. März 2022 ausgeräumt werden.

Nach alledem war eine Sachentscheidung der Kammer nicht veranlasst.


Einsender: RA S. Kabus, Bad Saulgau

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".