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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, rückwirkende Bestellung

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Ulm, Beschl. v. 11.10.2022 - 3 Gs 2482/22

Eigener Leitsatz: Die Notwendigkeit einer rückwirkenden Bestellung kann sich mit Blick auf den Grundsatz des fairen Verfahrens ausnahmsweise dann ergeben, wenn ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt, ein Antrag auf Beiordnung rechtzeitig gestellt und das Erfordernis der Unverzüglichkeit der Bestellung nicht beachtet wurde. Dies ist dann der Fall, wenn über einen Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung aus justizinternen Gründen, die der Beschuldigte nicht zu vertreten hat, nicht rechtzeitig entschieden wurde.


3 Gs 2482/22

Amtsgericht Ulm

ERMITTLUNGSRICHTER

Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Verteidiger: Rechtsanwalt Harald Stehr, Friedrich-Ebert-Straße 8, 73033 Göppingen
wegen Betruges

hat das Amtsgericht Ulm durch die Richterin Otterstätter am 11. Oktober 2022 beschlossen:

Dem Beschuldigten wird nachträglich gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO i. V. m. § 142 StPO Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger bestellt.

Gründe:

Wegen des Vorwurfs des Betruges gemäß § 263 StGB wurde durch die Staatsanwaltschaft Ulm gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren geführt. Der Beschuldigte befand sich zu diesem Zeitpunkt im Verfahren 14 Js 2756/22 in Untersuchungshaft in der JVA Ulm.

Mit Schriftsatz vom 12.07.2022 hat RA pp. beantragt dem Beschuldigten als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden.

Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Ulm vom 13.09.2022 wurde das Verfahren gegen den Be-schuldigten nach § 170 Abs.2 StPO eingestellt.

Die Staatsanwaltschaft Ulm hat die Akte sodann mit Verfügung vom 10.10.2022 dem Amtsgericht zur Entscheidung über den Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers vorgelegt. Die Staatsanwaltschaft tritt dem Antrag nicht entgegen.

Dem Beschuldigten war vorliegend nachträglich ausnahmsweise ein Pflichtverteidiger zu bestellen.

Die Notwendigkeit einer rückwirkenden Bestellung kann sich mit Blick auf den Grundsatz des fairen Verfahrens ausnahmsweise dann ergeben, wenn ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt, ein Antrag auf Beiordnung rechtzeitig gestellt und das Erfordernis der Unverzüglichkeit der Bestellung nicht beachtet wurde. Dies ist dann der Fall, wenn über einen Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung aus justizinternen Gründen, die der Beschuldigte nicht zu vertreten hat, nicht rechtzeitig entschieden wurde (vgl. LG Hamburg Beschl. v. 28.3.2018 — 632 Qs 9/18, BeckRS 2018, 15059; LG Mannheim, Beschluss vom 26.03.2020 - 7 Qs 11/20 = BeckRS 2020, 4792, LG Hechingen, Beschluss vom 20. Mai 2020 — 3 Qs 35/20 —, juris; LG Wiesbaden, Beschluss vom 04. März 2020 — 1 Qs 8/20 —, juris; LG Aurich, Beschluss vom 05. Mai 2020 — 12 Qs 78/20 —, juris). Seit der Geltung von § 141 Abs. 1 S. 1 StPO n.F. wird eine der Justiz anzulastende verspätete Entscheidung, die zur Zulässigkeit der nachträglichen Bestellung führen kann, bereits dann vorliegen, wenn über einen Beiordnungsantrag nicht „unverzüglich" entschieden wurde (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 04. Mai 2020 — JKII Qs 15/20 jug juris; LG Bochum, Beschluss vom 18.09.2020, 11-10 Qs-36 Js 596/19 = NStZ-RR 2020, 352). Unverzüglich bedeutet in diesem Zusammenhang allerdings nicht, dass die Pflichtverteidigerbestellung sofort zu erfolgen hat, sondern lediglich so rechtzeitig, dass die Verteidigerrechte gewahrt werden (vgl. BT-Dr. 19/13829, S. 37; LG Bochum a.a.O. und LG Flensburg, Beschluss vom 09. Dezember 2020 — II Qs 43/20 —, juris : Prüfungs- und Überlegungsfrist von 1-2 Wochen). Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Staatsanwaltschaft im vorliegenden Fall gegen die Pflicht aus § 141 Abs. 1 S. 1 StPO zur Herbeiführung einer unverzüglichen Entscheidung verstoßen. Zum Zeitpunkt der Antragsstellung lag ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, da sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befand. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen wurde die Akte dem Amtsgericht jedoch bislang nicht zur Entscheidung vorgelegt, weshalb über den Antrag nicht entschieden wurde, sodass in der vorliegenden Konstellation dem Beschuldigten ausnahmsweise nachträglich ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist.


Einsender: RA H. Stehr, Göppingen

Anmerkung:


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