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Entscheidungen

StPO

Auskunftsverweigerungsrecht, frühere Aussage, Zeugnisverweigerung, Verlöbnis

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 11.07.2022 – 3 Ws 176/22121 AR 134/22

Leitsatz des Gerichts:

1. Bloße, nicht durch konkrete Umstände belegte Vermutungen oder die rein denktheoretische Möglichkeit, eine frühere Aussage könnte falsch gewesen sein, begründen keinen prozessual ausreichenden Anfangsverdacht für eine strafbare Handlung und folglich auch kein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO.
2. Bei einem Verlöbnis handelt es sich um ein (nicht notwendig öffentliches) gegenseitiges und von beiden Seiten ernst gemeintes Eheversprechen.
3. Zu den konkreten Darlegungsvoraussetzungen für ein Verlöbnis


3 Ws 176/22121 AR 134/22

In dem Strafverfahren
wegen gefährlicher Körperverletzung

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts am 11. Juli 2022 beschlossen:

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftbefehl des Landgerichts Berlin vom 21. März 2022 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Dem Beschwerdeführer wird mit vom Landgericht zugelassener Anklage vorgeworfen, am 16. November 2020 gemeinschaftlich mit dem gesondert verfolgten und bereits abgeurteilten D. ein Vergehen der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des C. begangen zu haben. Die beiden Täter sollen dem Geschädigten nächtens aufgelauert und ihm, einem gemeinsamen Tatplan folgend, Messerstiche in ein Bein und das Gesäß versetzt haben. Auch sollen sie ihn mit einer Eisenstange vielfach geschlagen haben. Durch die Tat soll die Fermoralaterie des Geschädigten perforiert worden sein, und er soll einen Armbruch erlitten haben. Durch weitere offene Verletzungen (z. B. Durchspießung einer Kniekehlenschlagader und Verletzung einer Schienbein- und einer Wadenbeinschlagader) soll er so viel Blut verloren haben, dass akute Lebensgefahr bestand. Der Geschädigte soll nur überlebt haben, weil eine Notoperation durchgeführt werden konnte.

Gegen den Angeklagten ist auf der Grundlage der Anklage am 22. November 2021 wegen Verdunkelungsgefahr Haftbefehl erlassen worden. Der Haftbefehl ist am 2. Dezember 2021 vollstreckt worden. Mit Beschluss vom 20. Dezember 2021 hat das Landgericht den Haftbefehl aufgehoben, weil es den Angeklagten nicht mehr für dringend tatverdächtig gehalten hat. Am 21. März 2022 hat die Strafkammer wiederum auf Flucht- und Verdunkelungsgefahr gründenden Haftbefehl erlassen. Der Angeklagte ist am 1. April 2022 festgenommen worden und befindet sich seither wieder in Untersuchungshaft. Eine noch am selben Tag gegen den Haftbefehl eingelegte Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 2. Mai 2022 verworfen.

Mit Verteidigerschriftsatz vom 13. Juni 2022 legt der Angeklagte wiederum Beschwerde gegen den Haftbefehl vom 21. März 2022 ein. Die Strafkammer hat der gegen den Haftbefehl gerichteten Beschwerde des Angeklagten nicht abgeholfen. Auf Nachfrage der Vorsitzenden hat der Kammervorsitzende bekundet, am 5. September 2022 mit der Hauptverhandlung beginnen zu wollen. In den folgenden neun Tagen können vier Fortsetzungstermine folgen.

Die erneute Beschwerde ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.

I. Der Angeklagte ist der vorgeworfenen Tat dringend verdächtig.

1. Nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand ist noch davon auszugehen, dass der Angeklagte durch seine frühere Lebensgefährtin X. belastet wird. Die Zeugin hatte zunächst von einem (angeblich bestehenden) Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, den Angeklagten aber schwer belastet, nachdem sie von diesem mit dem Tode bedroht worden war. Die hierbei geäußerten Bekundungen waren detailreich und nach vorläufiger Würdigung überzeugend und glaubhaft. Wegen des Inhalts der Zeugenaussage und ihrer Bewertung wird auf den dem Beschwerdeführer bekannten Senatsbeschluss vom 2. Mai 2022 (3 Ws 101/22) verwiesen.

Die Erklärung, die Rechtsanwalt B. unter dem 31. Mai 2022 als Bevollmächtigter der Zeugin abgegeben hat, ändert an dieser Bewertung nichts.

a) Unbehelflich ist zunächst die Ankündigung, die Zeugin werde vom Auskunftsverweigerungsrecht des § 55 StPO Gebrauch machen, weil der Rechtsanwalt „nicht ausschließen“ könne, „dass Frau X. in ihrer polizeilichen Vernehmung am 15. März 2022 nicht die Wahrheit mitgeteilt hat“.

Diese vagen Ausführungen sind ungeeignet, dem Senat die Überzeugung zu verschaffen, die Zeugin dürfe die Auskunft nach § 55 Abs. 1 StPO verweigern. Denn bloße, nicht durch konkrete Umstände belegte Vermutungen oder die rein denktheoretische Möglichkeit, eine frühere Aussage könne falsch gewesen sein, begründen keinen prozessual ausreichenden Anfangsverdacht für eine strafbare Handlung und folglich auch kein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO (vgl. BGH NStZ 1999, 415; OLG Hamm NStZ-RR 2015, 49; OLG Köln, Beschluss vom 4. März 2013 – 3 Ws 120/13 -, Beschluss 2013, 8021; OLG Koblenz, StV 1986, 474). Anderenfalls hätte es jeder Zeuge, der einen anderen zunächst be- oder entlastet hat, in der Hand, allein mit dem bloßen Einwand, die ursprüngliche Aussage könnte falsch gewesen sein, jede weitere Auskunft zu verweigern (vgl. Bader in Karlsruher Kommentar, StPO 8. Aufl., § 55 Rn. 9 [unter Hinweis auf BGH NStZ 1999, 415]). Die Aussage vom 15. März 2022, auf welche sich der Rechtsanwalt ausdrücklich bezieht, hat auch nur eine Stoßrichtung, sie belastet den Beschwerdeführer. Keineswegs macht der Rechtsanwalt geltend, die Zeugin habe sich angesichts sich widersprechender Aussagen notwendigerweise strafbar gemacht, weshalb sie nun gar nicht anders agieren könne, als sich zu belasten.

Prägnant und anschaulich formuliert die Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme auch, dass sich „die Angaben der Zeugin X. derart in das Ergebnis der Ermittlungen“ einfügen, „dass derzeit keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Zeugin ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO zusteht“. Dem folgt der Senat.

b) Auch die Ankündigung des (Interessen-) Vertreters der Zeugin, diese werde ein „Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO“ geltend machen, ist nicht geeignet, die bisherige Bewertung der Beweislage nachhaltig zu erschüttern. Die Ankündigung wird mit folgenden beiden Sätzen begründet:

„Darüber hinaus hat sie sich mit Herrn A. ausgesprochen. Man möchte nach der Haftentlassung nun doch wieder heiraten.“

aa) Die Formulierung, „man möchte nach der Haftentlassung nun doch wieder heiraten“, ist gänzlich unverbindlich und erfüllt die Voraussetzungen eines nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO bestehenden (und nach § 56 StPO auf Verlangen glaubhaft zu machenden) Verlöbnisses nicht.

aaa) Die Wahl des unpersönlichen Indefinitpronomens „man“ lässt bereits offen, ob es sich um einen Wunsch der Zeugin oder des Angeklagten handelt oder ob es um einen übereinstimmenden Wunsch geht.

bbb) Aber selbst wenn letzteres feststünde, wäre kein Verlöbnis dargelegt. Denn bei einem Verlöbnis handelt es sich um ein (nicht notwendig öffentliches) gegenseitiges und von beiden Seiten ernst gemeintes Eheversprechen (vgl. BGH NJW 1972, 1334). Die vom Rechtsanwalt gewählte Formulierung legt unter keinem Gesichtspunkt nahe, dass es hier um mehr als ein unverbindliches Anliegen geht. Die Unverbindlichkeit wird sprachlich noch dadurch gesteigert, dass ausgeführt wird, die Protagonisten wollten „nun doch wieder heiraten“, als ob der Verwender selbst nicht an die Richtigkeit der Bekundung glaubte, nachdem sich die Beteiligten mehrfach umentschieden hätten. Dass sich zwei Menschen ein ernsthaftes gegenseitiges Eheversprechen gegeben haben, ist der Formulierung jedenfalls nicht zu entnehmen.

ccc) Nicht befassen muss sich der Senat somit zum gegenwärtigen Zeitpunkt damit, ob es sich bei dem – behaupteten – Eheversprechen um eine wirksame und damit strafprozessual zu beachtende Vereinbarung handelt. Zweifel daran könnten sich dadurch ergeben, dass die Zeugin bekundet hat, der Angeklagte habe sie für den Fall einer belastenden Aussage mit dem Tode bedroht. In diesem Zusammenhang könnte auch zu prüfen sein, ob ein polizeilicher Vermerk vom 10. Juni 2022 Bedeutung erlangt. In diesem heißt es, eine Person, der Geheimhaltung zugesichert worden sei, habe angegeben, der Beschwerdeführer beabsichtige, die Zeugin X. zu töten. Dies könnte Zweifel daran begründen, dass die Zeugin ihren Wunsch zu heiraten freiwillig geäußert hat. Gleichzeitig entstünden Zweifel an der Ernstlichkeit des (möglicherweise) vom Angeklagten geäußerten Heiratswunsches.

2. Indiziell wird der Angeklagte noch immer durch den Geschädigten belastet. Zwar hat der Zeuge C. den Angeklagten in der Tatnacht nicht klar erkannt. Er schildert jedoch, dass dieser ihm im Nachgang der Tat mehrfach aggressiv begegnet sei und einmal zunächst auf seine Armbanduhr gezeigt und hiernach eine waagerechte Handbewegung in Kehlenhöhe gemacht habe. Nachvollziehbar hat der Geschädigte keine andere Erklärung hierfür, als dass er für den Fall einer den Angeklagten belastenden Zeugenaussage getötet werden solle. Das Zeigen der „Halsabschneidergeste“ wird auch vom Zeugen Y. bestätigt. Bisher ist nicht ersichtlich, wie sie anders als eine Drohung zu verstehen sein soll. Eine solche auszusprechen, ergibt aber für denjenigen Sinn, der befürchten muss, durch eine Aussage belastet zu werden.

c) Zwar bestreitet der Zeuge Z., dass der Angeklagte ihm in der Tatnacht (blutige) Kleidung zur Entsorgung gegeben habe. Die Aussage des Zeugen ist aber gespickt mit Unklarheiten und Widersprüchen. So behauptet er zunächst, den Angeklagten eineinhalb Jahre nicht mehr gesehen zu haben, um hiernach auf Rück- und Nachfragen der Vernehmungsbeamten eine Vielzahl von jüngeren Begegnungen und Telefonaten zu bestätigen. Nach längerer Vernehmung räumt der Zeuge sogar ein, dass ihn der Angeklagte erst zehn Tage zuvor aufgesucht habe, um ihn – diffus – vor seiner ehemaligen Lebensgefährtin zu warnen. All dies ist mit der Bekundung der Zeugin X. in Einklang zu bringen, der Angeklagte habe den Zeugen Z. so angeleitet, dass aus ihm nichts mehr „rauszukriegen“ sei. Das Eingeständnis, zehn Tage vor der Vernehmung vom Angeklagten besucht worden zu sein, erweist sich damit als Verifikation der Aussage der Zeugin X., der Angeklagte habe den Zeugen Z. kontaktiert (um ihn für eine Vernehmung zu instruieren).

d) Ein weiteres Geschehen deutet zunächst darauf hin, dass dem Angeklagten Messergewalt nicht fremd ist. Zugleich legt es eine Tatbeteiligung an der angeklagten Tat indiziell nahe: Der Zeuge F. berichtet nämlich, der Angeklagte habe am 9. März 2022 bei einem Streit versucht, ihm Kopfstöße zu versetzen und anschließend gesagt: „Ich werde dich noch abstechen. Du weißt, was mit dem Polen passiert ist. Das Gleiche wird dir auch passieren.“ Zwar ist theoretisch denkbar, dass der Angeklagte hier nur auf die Tat eines Dritten Bezug nimmt. Wahrscheinlicher erscheint es aber, dass er seiner Drohung dadurch Nachdruck verschaffen wollte, dass er seine eigenhändige Tatbegehung insinuierte.

II. Es besteht weiterhin der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3b StPO).

Nach dem Vorgenannten nimmt der Angeklagte auf Zeugen Einfluss.

1. Die Ermittlungen zeigen, dass er den Geschädigten mit dem Tode bedroht hat.

2. Auch die Zeugin X. hat der Angeklagte für den Fall, dass sie gegen ihn aussagt, bedroht. Zum einen hat er ihr eine Pistole an den Kopf gehalten, zum anderen hat er angedroht, sie in die Strafverfolgung „hineinzuziehen“.

3. Den Zeugen Z., der nach den Ermittlungen – gegebenenfalls gutgläubig – Tatkleidung und damit Beweismittel entsorgt hat, hat der Angeklagte offenbar instruiert, wie er im Falle einer Vernehmung aussagen soll.

Es ist zu erwarten, dass der Angeklagte, würde der Haftbefehl aufgehoben, seine Freiheit weiterhin dazu nutzt, die Zeugen durch Drohungen einzuschüchtern und zu unwahren Aussagen zu veranlassen.

III. Auch besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Der Angeklagte hat im Falle einer Verurteilung eine mehrjährige Freiheitsstrafe zu erwarten, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann und Fluchtanreiz begründet. Bereits die Ermittlungen legen nahe, dass der Angeklagte nicht gewillt ist, sich dem Strafverfahren und der möglichen Strafvollstreckung zu stellen. Denn er hat gegenüber der Zeugin X. angegeben, mit einer „halben Million“ nach Frankreich fahren und sich dort einen libyschen Pass besorgen zu wollen.

Soziale Bindungen, die den Fluchtanreiz nennenswert mindern könnten, sind nicht ersichtlich und werden auch durch die Beschwerde nicht dargelegt. Der Kontakt zu seinen Kindern ist dem Angeklagten gerichtlich untersagt, so dass auch eine familiäre Anbindung nicht substantiell zu Buche schlägt. Berufstätig ist der Angeklagte nicht. Zudem war er zuletzt auch melderechtlich nicht erfasst und demzufolge für die Behörden unbekannten Aufenthalts.

IV. Die Vollstreckung der Untersuchungshaft ist angesichts des Tatvorwurfs, der Tatfolgen und der zu erwartenden Strafe ersichtlich verhältnismäßig.

V. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.


Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin

Anmerkung:


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