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Entscheidungen

StPO

Terminierung, Terminsverfügung, Ermessen des Vorsitzenden

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.09.2022 - 4 Ws 403/22

Eigener Leitsatz:

1. Beschwerden gegen die Anberaumung von Hauptverhandlungsterminen oder gegen die Ablehnung eines Antrags auf Terminsverlegung sind ausnahmsweise zulässig, wenn der angefochtenen (Termins)Entscheidung gewichtige und offensichtliche Ermessensfehler zugrunde liegen.
2. Eine rechtsfehlerfreie Ermessensausübung setzt voraus, dass der Vorsitzende des Gerichts bei der Terminierung neben der Belastung des Gerichts auch berechtigte Wünsche der Prozessbeteiligten, insbesondere des Verteidigers, berücksichtigt. Insbesondere muss er sich ernsthaft bemühen, dem Recht des Angeklagten, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens vertreten zu lassen, soweit wie möglich Geltung zu verschaffen und einem nachvollziehbaren Begehren dieses Verteidigers bezüglich der Terminierung im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten der Strafkammer und anderer Verfahrensbeteiligter sowie des Gebots der Verfahrensbeschleunigung Rechnung zu tragen. Das gilt (nachträglich) auch dann, wenn eine Verteidigungsanzeige aus dem Verteidiger nicht anzulastenden Gründen zunächst nicht zur Akte gelangt ist.


4 Ws 403/22

Oberlandesgericht Stuttgart

4. STRAFSENAT

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp.

wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.
hat das Oberlandesgericht Stuttgart - 4. Strafsenat - am 14. September 2022 beschlossen:

1. Auf die Beschwerde des Angeklagten pp. werden die Hauptverhandlungstermine vom 8. November 2022, 14. November 2022 und vom 17. November 2022
aufgehoben.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit angefallenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

1. Gegen den Angeklagten pp. sowie gegen zwei weitere Angeklagte wird ein Strafverfahren wegen des Verdachts des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a. geführt.

Nach Abschluss der Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft am 21. Juli 2022 Anklage zum Landgericht Tübingen erhoben, wo die Anklageschrift am 29. Juli 2022 einging. In der Folge wurden mit der Pflichtverteidigerin des Angeklagten, Rechtsanwältin E sowie mit den Verteidigern der beiden Mitangeklagten mögliche Hauptverhandlungstermine abgestimmt.

Vor dem Eingang der Anklageschrift beim Landgericht hatte sich am 25. Juli 2022 Rechtsanwalt B. gegenüber der Staatsanwaltschaft für den Angeklagten pp. legitimiert und Akteneinsicht beantragt. Eine Weiterleitung des Schriftsatzes an das Landgericht im Nachgang zur Anklage durch die Staatsanwaltschaft ist nicht erfolgt. Auch wurden weder Rechtsanwalt B. noch der Angeklagte auf die bereits erhobene Anklage hingewiesen. Infolgedessen blieb Rechtsanwalt B. bei der Abstimmung der möglichen Hauptverhandlungstermine mit den Verfahrensbeteiligten unberücksichtigt.

2. Mit Verfügung vom 22. August 2022 hat der Vorsitzende für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens Hauptverhandlungstermine auf den 8. November, 14. November, 17. November sowie weitere Fortsetzungstermine bestimmt.

Tags darauf hat sich Rechtsanwalt B. telefonisch an die Geschäftsstelle des Landgerichts gewandt und in der Folge per Fax seine verfügbaren Termine übermittelt.

Am 24. August 2022 hat der Vorsitzende Rechtsanwalt B. mitteilen lassen, dass die Kammer für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens bereits vor dem Erhalt seines Schreibens vom Vortag Termine bestimmt habe. Sein Legitimationsschreiben habe sich nicht bei der Akte befunden. Ebenfalls am 24. August 2022 hat das Landgericht die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen.

3. Gegen die Terminsverfügung des Vorsitzenden hat der Angeklagte pp. mit Schriftsatz vom 29. August 2022 Beschwerde eingelegt und beantragt, die Hauptverhandlungstage am 8., 14. und am 17. November 2022 aufzuheben.

Der Vorsitzende der Strafkammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen und dem Senat die Akten zur Entscheidung über das Rechtsmittel vorgelegt. Eine nachträgliche Berücksichtigung der von Rechtsanwalt B: mitgeteilten möglichen Termine sei nicht möglich gewesen. Außerdem habe Rechtsanwältin E. die Strafkammer nicht darüber informiert, dass Rechtsanwalt B. zwischenzeitlich auch für den Angeklagten pp. tätig sei. Dies wäre jedoch zu erwarten gewesen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart hat beantragt, die Beschwerde zu verwerfen.

II:

1. Die Beschwerde ist zulässig.

a) Dass in der Beschwerdeschrift nicht ausdrücklich vermerkt ist, dass die Rechtsmittelein-legung namens und im Auftrag des Angeklagten pp. erfolgt, steht der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht entgegen. Dabei kann dahinstehen, ob dem Verteidiger ein eigenes Beschwerderecht zusteht, denn jedenfalls ist die Beschwerde nach dem Gesamtzusammenhang und ihrer Begründung, die insbesondere auf das Recht des Angeklagten auf Verteidigung durch den Verteidiger seines Vertrauens abhebt, als Beschwerde in dessen Namen zu behandeln (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 2. Februar 2015 — 5 Ws 36/15, juris Rn. 11).

b) Das Rechtsmittel ist auch nicht aus anderem Grund unzulässig. Zwar sind Beschwerden gegen die Anberaumung von Hauptverhandlungsterminen oder gegen die Ablehnung eines Antrags auf Terminsverlegung als eine der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung des erkennenden Gerichts nach § 305 Satz 1 StPO grundsätzlich ausgeschlossen (Senat, Beschluss vom 30. November 2020 — 4 Ws 265/20, juris Rn. 4). Hiervon gilt jedoch eine Ausnahme, wenn der angefochtenen Entscheidung gewichtige und offensichtliche Ermessensfehler zugrunde liegen (Senat, aaO). Die bloße Zweckmäßigkeit der Terminsbestimmung einschließlich der Möglichkeit einer anderen Terminierung ist der Nachprüfung des Beschwerdegerichts dagegen entzogen.

Vorliegend hätte die angefochtene Entscheidung zur Folge, dass der Angeklagte pp. an den ersten drei, für den weiteren Verfahrensverkauf wesentlichen Hauptverhandlungstagen zwar von seiner Pflichtverteidigerin, Rechtsanwältin E, vertreten wäre, nicht aber von Rechtsanwalt B, der sein Vertrauen genießt. Hinzu kommt, dass mit Rechtsanwalt B im Gegensatz zu den anderen am Verfahren beteiligten Verteidigern keine Terminsabstimmung erfolgte, obwohl dieser - in unverschuldeter Unkenntnis der bereits erfolgten Anklageerhebung - noch vor Eingang der Anklage beim Landgericht gegenüber der Staatsanwaltschaft seine Mandatierung angezeigt hatte.

Angesichts dieser Umstände kann es dem Angeklagten auch unter Berücksichtigung der nur eingeschränkten Beschwerdefähigkeit von Terminierungsentscheidungen nicht verwehrt werden, die Terminsverfügung durch den Senat überprüfen zu lassen.

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Der Vorsitzende hat das ihm im Rahmen der Terminierung zustehende Ermessen nicht ausgeübt. Die Terminsverfügung ist deshalb rechtsfehlerhaft.

a) Zwar liegt die Terminshoheit beim Vorsitzenden (§ 213 StPO). Sowohl der Angeklagte als auch der Verteidiger haben keinen allgemeinen Rechtsanspruch auf die Anberaumung eines „Wunschtermins", und aus seinem Recht, sich in einem Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, folgt auch nicht, dass bei jeder Ver-hinderung des gewählten Verteidigers eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nicht durchgeführt werden könnte (BGH, NStZ 2007, 163, 164). Der Angeklagte hat im Falle einer Verhinderung seines Verteidigers auch kein Recht, die Aussetzung einer Hauptverhandlung zu verlangen (§ 228 Abs. 2 StPO). Die Entscheidung des Vorsitzenden ist überdies nur eingeschränkt dahingehend überprüfbar, ob die rechtlichen Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens eingehalten und ob das ihm zustehende Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt wurde.

b) Eine rechtsfehlerfreie Ermessensausübung setzt voraus, dass der Vorsitzende neben der Belastung des Gerichts auch berechtigte Wünsche der Prozessbeteiligten, insbesondere des Verteidigers, berücksichtigt. Insbesondere muss er sich ernsthaft bemühen, dem Recht des Angeklagten, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens vertreten zu lassen (Art. 6 Abs. 3c EMRK, § 137 Abs. 1 Satz 1 StPO), soweit wie möglich Geltung zu verschaffen und einem nachvollziehbaren Begehren dieses Verteidigers bezüglich der Terminierung im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten der Strafkammer und anderer Verfahrensbeteiligter sowie des Gebots der Verfahrensbeschleunigung Rechnung zu tragen (BGH, Beschluss vom 21. März 2018 — 1 StR 415/17).

Von dieser Verpflichtung wurde der Vorsitzende vorliegend nicht deshalb frei, weil der Angeklagte in der Hauptverhandlung durch seine Pflichtverteidigerin vertreten sein wird. Die terminliche Verfügbarkeit von Rechtsanwalt B. ist deshalb nicht irrelevant, zumal dessen Mandatierung als Wahlverteidiger auch Anlass gibt, eine Aufhebung der Bestellung gemäß § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO zu prüfen.

c) Ein derartiges Bemühen des Vorsitzenden ist vorliegend weder bei der Bestimmung der Hauptverhandlungstermine noch hinsichtlich des nachfolgenden Schreibens von Rechtsanwalt B. noch im Rahmen der Entscheidung über die Nichtabhilfe ersichtlich. Auch erscheint eine anderweitige Terminierung nicht von vornherein ausgeschlossen, nachdem die übrigen Verteidiger an den von Rechtsanwalt B. vorgeschlagenen Hauptverhandlungsterminen jedenfalls nicht allesamt und nicht durchgängig verhindert sind.

aa) Dabei hat der Senat nicht übersehen, dass die Verhinderungen von Rechtsanwalt B. bei der Anberaumung der Hauptverhandlungstermine vom Vorsitzenden nicht berücksichtigt werden konnte, da ihm der Legitimierungsschriftsatz vom 25. Juli 2022 zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht vorlag und eine ordnungsgemäße Ermessensausübung schon deshalb nicht möglich war. Dies ist indes weder dem Angeklagten noch Rechtsanwalt B, der von der zwischenzeitlich erfolgten Erhebung der Anklage keine Kenntnis hatte und seine Verteidigungsanzeige deshalb zwingend an die Staatsanwaltschaft richten musste, anzulasten.

Vielmehr hätte es der Staatsanwaltschaft oblegen, die Verteidigungsanzeige im Nachgang zur Anklageschrift unmittelbar an das Landgericht weiterzuleiten. Dies ist aus ersichtlich nicht vom Angeklagten oder dessen Verteidigung zu vertretenden Gründen nicht erfolgt. Auch bestand ersichtlich keine Verpflichtung für Rechtsanwältin E. die Strafkammer von der Mandatierung eines zweiten Verteidigers zu informieren und so das Versäumnis der Staatsanwaltschaft auszugleichen.

bb) Es ist jedoch auch nicht erkennbar, dass die berechtigten Belange des Angeklagten im Hinblick auf eine Vertretung (auch) durch Rechtsanwalt B. in der Hauptverhandlung im weiteren Verlauf des Verfahrens oder im Rahmen der Nichtabhilfeentscheidung Berücksichtigung gefunden hätten. Stattdessen wird dort lediglich ausgeführt, dass eine nachträgliche Berücksichtigung der von Rechtsanwalt B. mitgeteilten freien Termine nicht möglich gewesen wäre und die Sache eilbedürftig sei, obwohl die Hauptverhandlung erst in knapp zwei Monaten beginnen soll. Ein deutlich früherer Beginn wurde nicht erwogen, bei den Verteidigern wurden Termine erst ab dem 31. Oktober 2022 abgefragt.

Zudem hätten etwa am 7. November 2022 sämtliche Verteidiger zur Verfügung gestanden, Rechtsanwältin E. und Rechtsanwalt U jeweils ganztags, Rechtsanwalt K zumindest vormittags. Dennoch ist nicht ersichtlich, dass eine anderweitige Terminierung auch nur erwogen wurde, eine Ermessensausübung fand weiterhin nicht statt. Dies zwingt zur Aufhebung der Terminsverfügung im Umfang der Anfechtung.

3. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass der Vorsitzende trotz der nunmehr erfolgten Terminsaufhebungen nicht gezwungen ist, mit der Hauptverhandlung erst Ende November oder gar zu einem noch späteren Zeitpunkt zu beginnen. Auch ist es aufgrund der Entscheidung des Senats nicht von vornherein ausgeschlossen, erneut Hauptverhandlungstermine auf den 8., 14. und 17. November 2022 anzuberaumen.

Denn der Vorsitzende ist lediglich gehalten, sich nach Kräften zu bemühen, eine Verteidigung aller Angeklagter durch die jeweils von ihnen gewünschten Verteidiger zu gewährleisten. Sollte es trotz solcher - bislang gegenüber Rechtsanwalt B. nicht erfolgter - Bemühungen nicht gelingen, Terminkollisionen zu beheben und Alternativtermine abzustimmen, an denen alle vier an dem Verfahren beteiligten Verteidiger zur Verfügung stehen, ohne dass dies zu Verfahrensverzögerungen führen würde, wird im Rahmen der Ermessensausübung insbesondere das Beschleunigungsgebot zu berücksichtigen sein. Dieses steht nicht zur Disposition des Angeklagten (OLG Stuttgart, NStZ 2016, 436). Insoweit wird der Vorsitzende auch bemüht sein — sollte der Senat nach Abschluss der noch ausstehenden Haftprüfung gemäß § 121 Abs. 1, § 122 StPO Haftfortdauer anordnen — eine nochmalige Vorlage nach neun Monaten Untersuchungshaft zu vermeiden.

Darüber hinaus kann im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigt werden, ob an den in Betracht kommenden Hauptverhandlungstagen bei mehreren Verteidigern Terminkollisionen vorliegen oder etwa nur bei einem Verteidiger, zumal wenn dessen Mandant anderweitig anwaltlich vertreten ist.

Soweit an möglichen Terminstagen bereits anderweitige, ebenfalls dem Beschleunigungs-gebot unterliegenden Haftsachen anberaumt sind, kann dies im Rahmen der Ermessens-ausübung ebenfalls in die Erwägungen einbezogen werden.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit angefallenen notwendigen Auslagen des Angeklagten beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.


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