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Entscheidungen

StPO

Durchsuchung, Gefahr im Verzug, Beweisverwertungsverbot

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Hamburg, Urt. v. 02.11.2022 - 711 Ns 45/22

Eigener Leitsatz:

Ist noch nicht einmal der Versuch unternommen worden ist, an einem Werktag zu dienstüblichen Zeiten eine richterliche Entscheidung betreffend eine Durchsuchung zu erlangen, ist für die bei der dennoch durchgeführten Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel von einem Beweisverwertungsverbot auszugehen. Der Aspekt eines möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs kann bei solcher Verkennung des Richtervorbehalts keine Bedeutung zukommen.


Landgericht Hamburg

711 Ns 45/22

Urteil

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Strafverfahren
gegen pp.

wegen Verbrechens nach § 29a BtMG

hat das Landgericht Hamburg - Kleine Strafkammer 11 - auf die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des AG Hamburg-St. Georg vom 19.04.2022 in der Sitzung vom 26.10.2022 und 02.11.2022, an der teilgenommen haben:
als Vorsitzender
als Schöffe
als Schöffin
als Vertreter der Staatsanwaltschaft
RA pp. als Verteidiger
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

für Recht erkannt:

Die Berufung der Staatsanwaltschaft Hamburg gegen das Urteil des AG Hamburg-St. Georg vom 19.04.2022 wird auf Kosten der Staatskasse verworfen. Diese trägt auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten

Angewendete Vorschriften:
§ 467 StPO

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Hamburg-St.Georg hat den Angeklagten mit Urteil vom 19. April 2022 vom Vorwurf des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auf Grund eines angenommenen Beweisverwertungsverbotes freigesprochen.

Dem - nicht vorbestraften - Angeklagten war in der Anklage vom 10. Juni 2021 vorgeworfen worden, durch dieselbe Handlung unerlaubt Betäubungsmittel in nicht geringer Menge sowie unerlaubt eine Waffe besessen zu haben, indem er bei der Durchsuchung am
30. Juni 2020 in seinem Zimmer in der in Hamburg in der obersten Schublade seines Sideboards 76,22 g MDMA mit einem Wirkstoffgehalt von 71,2 % (entspricht 54,27 Gramm MDMA-Base) sowie acht Ecstasy Tabletten zum Zwecke des Eigenkonsums vorrätig gehalten und in einem weiteren Fach der Schublade einen Schlagring verwahrt haben soll ohne im Besitz einer betäubungsmittel- oder waffenrechtlichen Erlaubnis gewesen zu sein, Verbrechen und Vergehen nach §§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, 52 Abs. 3 WaffG, 52 StGB.

Gegen das Urteil richtet sich die von der Staatsanwaltschaft form- und fristgerecht eingelegte Berufung

II.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg gehabt.

Auf Grund der durchgeführten Hauptverhandlung steht insbesondere nach den Angaben der Zeuginnen Dr. pp. und pp. sowie der in Augenschein genommenen Fotos und Skizzen zur Überzeugung der Kammer der folgende Sachverhalt fest:

Die Beamtin pp. vollstreckte am Donnerstag, den 30. Juni 2020 um 10:10 Uhr gemeinsam mit 12 weiteren Beamten gegen die gesondert Beschuldigten pp. und pp. einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss vom 30. März 2020 wegen des Verdachts des unerlaubten gemeinschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln durch Anbau von Cannabispflanzen, Verarbeitung zu Marihuana und Verkauf des Marihuanas. Es war bekannt, dass die beiden genannten Beschuldigten zusammen mit dem Angeklagten in einer WG wohnten. Dessen Zimmer sollte ausdrücklich nicht durchsucht werden und war vom Durchsuchungsbeschluss auch nicht umfasst.

Bei Betreten der Wohnung saß der Angeklagte im vom Durchsuchungsbeschluss erfassten Wohnzimmer an einem Rechner. Auf dem Tisch, auf dem sich der Rechner befand an dem der Angeklagte saß, lagen ein Grinder sowie ein Glas, in dem sich Marihuana befand. Wem der drei Bewohner der Wohnung diese Gegenstände gehörten war unbekannt. Der Angeklagte sowie der Beschuldigte, der auch anwesend war und den Beamten die Tür geöffnet hatte, wurden beide aufgefordert, sich auf das Sofa im Wohnzimmer zu setzen. Beide kamen der Aufforderung nach und verhielten sich kooperativ. Der Polizeibeamte pp. betrat das von dem Angeklagten alleine bewohnte an das Wohnzimmer angrenzende Zimmer, das über eine Glastür verfügte und damit von außen vollständig einsehbar war und relativ klein und damit mit einem Blick einzusehen war, zum Zwecke der Eigensicherung und schaute sich um, ob Personen im Zimmer waren. Hierbei sah er je einen Grinder auf einem Nachttisch und einem Sideboard. Die Zimmertür des Zimmers des Angeklagten wurde von dem Beamten Apostel geschlossen. Der Angeklagte machte keinerlei Anstalten, sein Zimmer betreten zu wollen, sondern verhielt sich weiterhin kooperativ und blieb auf dem Sofa sitzen. Aus Sicht der Beamten vor Ort bestand keine Gefahr eines Beweismittelverlustes.

Die Beamtin pp. hatte auf Grund des Umstandes, dass auf dem Tisch, an dem der An-geklagte saß, Marihuana stand und in seinem Zimmer zwei Grinder lagen, den Verdacht, dass auch der Angeklagte mit Marihuana Handel treiben könnte und versuchte, die zuständige Staatsanwältin zu erreichen, um auch einen Durchsuchungsbeschluss für dessen Zimmer zu erwirken, was ihr aber nicht gelang. Sie rief deshalb die Abteilungsleiterin OStAin pp. an. Diese ordnete um 10.39 Uhr wegen Gefahr im Verzug die Durchsuchung auch des Zimmers des Angeklagten an, weshalb sein Zimmer im Folgenden durchsucht wurde. Der Angeklagte war bei der Durchsuchung anwesend und hielt sich nach der Durchsuchung in seinem Zimmer auf.

Ob die Polizeibeamtin pp. die Situation vor Ort, nach der kein Beweismittelverlust drohte, ausreichend klar geschildert hatte oder nicht, konnte nicht festgestellt werden, genau so wenig, ob OStAin pp. zwei Mal mit der Beamtin pp. telefonierte und diese zurückrief oder es lediglich ein einziges Telefonat gab.

Fest steht allerdings, dass nicht versucht wurde, die zuständige Ermittlungsrichterin zu erreichen.

OStAin pp. verfasste zur Anordnung der Durchsuchung des Zimmers des Angeklagten wegen Gefahr im Verzug am 30. Juni 2020 folgenden Vermerk:

„Das LKA68 pp. teilte gegen 10.40 Uhr telefonisch mit, dass derzeit auf Grund des vorliegenden Durchsuchungsbeschlusses im Verfahren pp. in der Wohnung der beiden bislang Beschuldigten pp und der pp. durchsucht werde.

Nachdem die eingesetzten Beamten die Wohnung betreten und zur Personensicherung einmal alle Zimmer in Augenschein genommen hatten, konnte der nunmehr ebenfalls als Beschuldigter dieses Verfahrens zu führende pp. im Wohnzimmer sitzend mit einem Grinder vor sich und einem offenen Vorratsglas mit Marihuana in unmittelbarer Nähe wahrgenommen werden.

Bei der ersten Durchsicht der Räumlichkeiten zur Sicherung konnte in dem vom Beschuldigten pp. genutzten Zimmer bereits ein Grinder auf den ersten Blick wahrgenommen werden. Gemeldet ist in der Wohnung keiner der nunmehr drei Beschuldigten dieses Verfahrens, auf dem Klingelschild fanden sich aber alle drei Namen.

Die Unterzeichnerin ordnete die Durchsuchung des Zimmers des Beschuldigten pp in der oben bezeichneten Wohnung wegen Gefahrs im Verzug an und teilte dies dem LKA68 fernmündlich mit, weil bereits die mit dem Versuch, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, verbundene zeitliche Verzögerung den Erfolg der Durchsuchung gefährdet hätte. Der Beschuldigte pp. war anwesend, die Maßnahme damit offen, ein Warten auf einen weiteren Durchsuchungsbeschluss hätte unmittelbare Gefahr eines Beweismittelverlustes bedeutet."

Die anordnende Staatsanwältin ist dabei vom Verdacht des Besitzes von Betäubungsmitteln ausgegangen.

Der Angeklagte hat sich zu den Tatvorwürfen nicht eingelassen. Der Verteidiger hat Namens und in Vollmacht des Angeklagten der Verwertung der aufgefundenen Beweismittel ausdrücklich widersprochen

Die Feststellungen zum Inhalt des von der OStAin pp. angefertigten Vermerkes ergeben sich aus dem verlesenen Vermerk, auf eine erneute Wiedergabe des Inhaltes wird insoweit verzichtet.

Die PBin pp. hat zum Geschehen folgende Angaben gemacht: Es habe ein ursprüngliches Verfahren wegen des Verdachts des unerlaubten Handeltreibens mit Marihuana im Zusammenhang mit möglicherweise aufgezogenen Pflanzen gegen zwei Beschuldigte pp.
und pp. gegeben. Beide seien vorher mit einem Fahrzeug aufgefallen und angehalten worden. Es sei durch eine Observation herausgekommen, dass diese gemeinsam mit dem Angeklagten in einer WG wohnten und es sei ein Durchsuchungsbeschluss nur für die beiden Beschuldigten beantragt und für die Räume der beiden Beschuldigten und die Gemeinschaftsräume der pp. in Hamburg von der Richterin erlassen worden. Sie hätten gegen 10 Uhr am Donnerstag, den 30. Juni 2020 die Räume betreten, nachdem ihnen von dem Beschuldigten-die Tür geöffnet worden sei. Es seien viele Beamte vor Ort gewesen, aus dem Kopf wisse sie nicht mehr wie viele, aber wenn sie in dem Vermerk zwölf weitere Namen genannt habe, werden es so viele Personen gewesen sein. Sie selber habe die Durchsuchung geleitet und sich im Wohnzimmer aufgehalten. Dort habe sie auch den Angeklagten an einem Rechner arbeitend angetroffen. Auf demselben Schreibtisch hätten offen ein Glas mit Marihuana und ein Grinder gestanden. Ob dies dem Angeklagten zuzurechnen sei oder nicht, habe sie nicht sagen können. Sie habe den Angeklagten und den Beschuldigten pp. aufgefordert, sich auf das Sofa zu setzen. Beide hätten dies getan und sich sehr kooperativ verhalten. Keiner habe aufstehen wollen, der Angeklagte habe auch zu keinem Zeitpunkt in sein Zimmer gehen wollen. Der Beamte pp. habe das Zimmer des Angeklagten, obgleich dies nicht vom Durchsuchungsbeschluss umfasst gewesen sei, betreten und geschaut, ob dort noch Personen seien. Dabei habe er zwei Grinder entdeckt und ihr das mitgeteilt. Sie habe daher den Verdacht gehabt, dass auch der Angeklagte gemeinsam mit den Beschuldigten mit Marihuana Handel treiben würde. Die Tür zum Zimmer des Angeklagten sei geschlossen worden. Es seien genügend Beamte vor Ort gewesen, um den Tatort zu sichern, auch nach dem Bemerken der Grinder in seinem Zimmer sei der Angeklagte ruhig und kooperativ gewesen. Sie habe zu keinem Zeitpunkt den Eindruck gehabt, dass dieser etwaige Beweise würde vernichten können, es habe kein Beweismittel-verlust gedroht. Der Angeklagte habe sich in der Wohnung nicht frei bewegen dürfen, es seien auch immer Beamte bei den beiden Bewohnern gewesen, es habe aber keinen An-lass gegeben, ihn darauf hinzuweisen, weil er die ganze Zeit auf dem Sofa sitzen geblieben sei. Sie sei auf den Balkon gegangen, um die zuständige Staatsanwältin anzurufen, um einen Durchsuchungsbeschluss zu bekommen. Sie habe die zuständige Staatsanwältin nicht erreicht, weshalb sie OStAin pp. als Abteilungsleiterin über deren Büronummer angerufen habe. Dieser habe sie den Sachverhalt geschildert und auf einen Rückruf gewartet. Was sie genau gesagt habe, wisse sie nicht mehr. Sie wisse auch nicht mehr, welchen Tatverdacht sie geschildert habe. Sie sei davon ausgegangen, dass die Staatsanwältin nach ihrem Anruf die zuständige Richterin anrufen würde, da hierfür noch ausreichend Zeit gewesen sei. Ob sie das der Staatsanwältin so deutlich geschildert habe, wisse sie nicht mehr, es sei ihr aber klar gewesen, dass die Richterin mit der Sache befasst werden sollte. Sie habe auf dem Balkon im Rahmen des Telefonates auch eine Marihuana-Pflanze entdeckt und dies den Kollegen mitgeteilt. Eine Zuordnung zu einer bestimmten Person habe nicht erfolgen können. Einige Zeit später sei der Rückruf von der Staats-anwältin erfolgt, diese habe ihr dann gesagt, dass die Durchsuchung wegen Gefahr im Verzug angeordnet werde. Sie habe das nicht in Frage gestellt sondern diese Information an die Kollegen weitergegeben, die dann das Zimmer des Angeklagten durchsucht hätten. Es sei dort kein Marihuana gefunden worden, wohl aber eine größere Menge MDMA und ein Schlagring. Sie sei sich ganz sicher, dass sie zwei Mal mit der Oberstaatsanwältin telefoniert habe, weil sie sich an die Wartezeit erinnere und es sei für sie auch klar gewesen, dass die Staatsanwältin erst einmal versuchen müsste, die Ermittlungsrichterin zu sprechen. Ob sie den Angeklagten vor dem Anrufen der Staatsanwältin gefragt habe, ob sie sich sein Zimmer anschauen dürften, wisse sei nicht mehr.

Die Angaben der Beamtin waren in sich schlüssig, klar und widerspruchsfrei und sie hat auch Erinnerungslücken eingeräumt. Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben hatte die Kammer keine.

Die Zeugin OStAin pp. hat folgende Angaben gemacht: Sie habe an dem Tag keinen Tagesdienst gehabt, sondern sei ihrer Arbeit im Dezernat nachgegangen, als sie an-gerufen worden sei. Sie bearbeite in der Regel Fälle umfangreichen BtM-Handels, es habe sie jemand aus dem LKA angerufen, die für Straßendeals zuständig sei. Sie sei in Vertretung für eine Kollegin angerufen worden. Welche Mitarbeiterin sie angerufen habe, wisse sie heute nicht mehr, sie habe das aber in ihrem Vermerk notiert. Mit dem LKA68 arbeite sie nicht regelmäßig zusammen, auch habe sie den Fall nicht gekannt. Ihr sei dann der Sachverhalt geschildert worden. Sie erinnere noch, dass es um eine Durchsuchung auf Grund eines bestehenden Beschlusses gegen zwei Beschuldigte gegangen sei und nun bei einem dritten Bewohner auch der Verdacht bestanden hätte, er würde Marihuana besitzen. Diese Person habe einen Grinder und Marihuana „vor der Nase" gehabt und es sei auch ein Grinder in seinem Zimmer gewesen, die Polizei habe sein Zimmer daher auch durchsuchen wollen. Sie habe den Anfangsverdacht des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gesehen und wegen Gefahr im Verzug angeordnet, dass die Polizei auch sein Zimmer durchsuchen dürfe. Da er nicht Beschuldigter gewesen sei, habe die Polizei ihn nicht aufhalten können, in sein Zimmer zu gehen und dieses zu schließen, wenn er das denn gewollt hätte und er hätte dann ggf. etwas herunterschlucken können, weshalb Gefahr im Verzug gewesen sei. Der Angeklagte sei nicht in Gewahrsam, sondern vor Ort gewesen. Wie groß die Wohnung gewesen sei, könne sie nicht sagen. Sie wisse auch nicht, mit wie vielen Beamten die Polizei vor Ort gewesen sei, das habe sie auch nicht nachgefragt. Sie habe nach dem Telefonat den Vermerk über das Telefonat aufgeschrieben. Sie habe nicht versucht, einen Ermittlungsrichter zu erreichen, da bereits dieser Versuch zu ihrer Überzeugung dazu geführt hätte, dass Beweismittel hätten vernichtet werden können. Sie meine auch, dass sie gleich im ersten Anruf entschieden und nicht zurückgerufen habe, es also nur ein Telefonat gegeben habe.

Auch die Angaben der Zeugin pp. waren in sich schlüssig, nachvollziehbar und soweit erwartbar auch detailliert und deckten sich mit den Angaben aus dem verlesenen Vermerk bis auf die Frage der Straftat, derer der Angeklagte verdächtig war, weil sich der Vermerk dazu gar nicht verhält. Zwar fällt ein Widerspruch auf zu den Angaben der Zeugin pp., jedoch hält die Kammer trotzdem auch die Angaben der Zeugin pp. für glaubhaft.

Insoweit vermochte die Kammer nicht festzustellen, ob es ein oder zwei Telefonate gab.

Die Feststellungen zu den Örtlichkeiten ergeben sich aus der in Augenschein genommenen Skizze und den in Augenschein genommenen Fotos.

Aus der Skizze ergibt sich, dass man vom Treppenhaus direkt ins Wohnzimmer kommt, von dem rechts von der Eingangstür aus gesehen das längliche Zimmer des Angeklagten abgeht als auch eine Küche auf der linken Seite. Über einen Flur auf der Küchenseite
erreicht man das Zimmer des Beschuldigten pp. zwei Bäder, eine Dachterrasse sowie das Zimmer des Beschuldigten pp. am Ende der Wohnung. Ergänzend wird wegen der Einzelheiten auf die Skizze Blatt 84 d.A. verwiesen.

Auf den Übersichtsfotos des Zimmers des Angeklagten sieht man auf dem oberen Foto mit Blickrichtung von der Tür ins Zimmer hinein, dass es sich um ein kleines Zimmer handelt, dass von einem Bett dominiert wird und das auf den ersten Blick zu überblicken ist, die linken 2/3 des Zimmers - mit einer Dachschräge und einem großen Fenster versehen — werden von einem Doppelbett mit zwei schmalen Matratzen eingenommen und in der Mitte des Zimmers ist ein Pfeiler. Neben dem Bett auf dem Boden vor dem Pfeiler steht eine gelbe Plastikkiste, dahinter ein kleiner Nachttisch, hinten rechts steht ein kleines Sideboard, auf dem diverse Gegenstände liegen, u.a. Bücher, kleine Tüten, eine Lavalampe.

Auf dem unteren Foto mit der Blickrichtung zur Tür sieht man neben dem Bett, das 2/3 des Bodens zur rechten Seite einnimmt, in einer kleinen Nische neben der Tür einen Fern-seher auf einem Fernsehtisch. Von den beiden Doppeltüren des Zimmers ist die linke geöffnet, die rechte geschlossen, man sieht einen großen Fenstereinsatz mit einem durchsichtigen Fenster in der geschlossenen Türhälfte. Auf dem Nachttisch stehen mehrere Gegenstände, unter anderem ein silbernes Tablett und eine Ja!-Tüte mit einer Nussmischung.

Auf beiden Fotos sieht man den Angeklagten auf dem Bett hocken sowie im oberen Bild einen, im unteren Bild zwei Polizeibeamte mit Handschuhen an der Wand/Tür stehend. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Fotos BI. 102 d.A. verwiesen.

IV.

Die im Rahmen der Zimmerdurchsuchung aufgefundenen Gegenstände konnten auf Grund eines Beweisverwertungsverbotes nicht zu Lasten des Angeklagten bei den Fest-stellungen berücksichtigt werden, so dass er aus rechtlichen Gründen freizusprechen war.

Die erfolgte Durchsuchung war rechtswidrig. Eine Durchsuchung darf nur mit Zustimmung des Betroffenen oder nach §§ 102, 105 StPO nach richterlichem Beschluss oder bei Gefahr im Verzuge durchsucht werden. Eine gemäß § 105 Abs. 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung lag nicht vor. Die handelnden Beamten haben auch keine Zustimmung des Angeklagten im Vorwege eingeholt. Das bloße Dulden einer Durchsuchung stellt keine konkludente Zustimmung zur Durchsuchung dar (vgl. Urteil des OLG Köln vom 27.10.2009, 81 Ds 65/09, juris).

Die Anordnung der Durchsuchung durch die Staatsanwältin beruhte auch nicht auf einer rechtmäßigen Inanspruchnahme der Eilkompetenz.

Es lag keine Gefahr im Verzug vor, da ein Beweismittelverlust nicht zu befürchten war. Gefahr im Verzug liegt vor, wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährdet hätte (vgl. BVerfGE 103, 142 ff., BGHSt 51, 285ff). Die Ermittlungsbehörden haben dabei grundsätzlich ein eigenes Prüfungsrecht, ob ein angemessener Zeitraum zur Verfügung steht oder nicht, dürfen aber Gefahr im Verzug nicht vor-schnell annehmen, damit bei Wohnungsdurchsuchungen nicht die grundgesetzlich verankerte Regelzuständigkeit des Richters unterlaufen wird. Aus diesem Grund reichen Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder auf Alltagserfahrungen gestützte fallunabhängige Vermutungen nicht aus, Gefahr im Verzug zu begründen. Regelmäßig ist daher der Versuch zu unternehmen, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen.

Gemessen hieran ist die Annahme von Gefahr im Verzug nicht tragfähig begründet. Das Zimmer war gesichert, der Angeklagte machte keinerlei Anstalten, sein Zimmer betreten zu wollen. Auf die Frage, ob der Angeklagte mit Zwangsmitteln an einem Betreten seines Zimmers hätte gehindert werden dürfen oder nicht kommt es daher nicht an. Es handelt sich hierbei um eine nicht durch Tatsachen belegte hypothetische Erwägung, die im Widerspruch zum tatsächlichen Geschehen stand. Es drohte kein Beweismittelverlust, was die Beamtin vor Ort auch so eingeschätzt hat. Die zuständige Ermittlungsrichterin oder ein Vertreter im Amt wäre an einem Donnerstag um 10.30 Uhr unfraglich unverzüglich erreichbar gewesen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass hier keine zügige Entscheidung hätte ergehen können.

Das Fehlen einer richterlichen Durchsuchungsanordnung führt im vorliegenden Fall auch zu einem Beweisverwertungsverbot.

Grundsätzlich muss im Einzelfall auf Grund einer umfassenden Abwägung des Interesses der Allgemeinheit nach einer wirksamen Strafverfolgung mit dem Interesse des Betroffenen an der Einhaltung der Verfahrensvorschriften geprüft werden, ob eine rechtswidrige Durchsuchung auch eine Unverwertbarkeit der aufgefundenen Beweismittel zur Folge hat. Bei der Abwägung bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall angenommen werden kann. Maßgeblich mit beeinflusst wird das Ergebnis durch das Gewicht des infrage stehenden Verfahrensverstoßes. Dabei ist ein Beweisverwertungsverbot zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen geboten, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen wurden (vgl. Urteil des BGH vom 6.10.2016 mwN, NStZ 2017, S. 367ff.).

Ein solcher schwerwiegender Verfahrensverstoß lag zur Überzeugung der Kammer im vorliegenden Fall vor.

In der vorgenannten Entscheidung vom 6. Oktober 2016 hat der BGH es für einen schwerwiegenden Verstoß ausreichen lassen, dass die Staatsanwältin nach einem Kontakt mit dem Eildienstrichter, der eine Papierlage verlangte, um zu entscheiden, Eilbedürftigkeit angenommen hat. Der BGH hat in einem anderen Fall, in dem ein Angeklagter nachmittags wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln festgenommen wurde, eine Durchsuchung aber erst um 20 Uhr auf Gefahr im Verzuge von der Staatsanwaltschaft angeordnet wurde, einen vergleichbar schwerwiegenden Verstoß angenommen (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2007, BGHSt 51, 285ff.). Danach habe der Staatsanwalt eine Stunde vor Beginn der Nachtzeit nicht einmal erwogen, einen Ermittlungsrichter zu kontaktieren und auch nicht die ihm obliegende Pflicht erfüllt, für die Rechtmäßigkeit des Ermittlungsverfahrens und damit für die Einhaltung des Richtervorbehaltes durch die Polizei Sorge zu tragen, nämlich möglichst frühzeitig auf den Erlass eines Beschlusses hinzuwirken.

Das hier vorliegende Geschehen ist mit dem Verhalten der Staatsanwaltschaft in den vom BGH entschiedenen Fällen vergleichbar, zur Überzeugung der Kammer sogar schwerwiegender. Vorliegend hatte die Staatsanwaltschaft noch nicht einmal versucht, ei-nen Ermittlungsrichter zu erreichen, sondern hatte die Gefahr im Verzug auf eine hypothetische Annahme gestützt. Die Beamtin Noack war nach ihren Angaben in der Hauptverhandlung davon ausgegangen, dass die StAin versucht habe, einen Ermittlungsrichter zu erreichen, dafür sei genügend Zeit gewesen. Die Annahme wegen Gefahr im Verzug wurde im vorliegenden Fall zumindest ohne Nachfrage zur konkreten Situation einfach aus allgemeinen kriminalistischen Überlegungen dahingehend, dass bei einer geplanten Durchsuchung eines bei der Durchsuchung anwesenden Beschuldigten stets ein Beweismittelverlust drohe, getroffen. Würde man dies zulassen, könnte in der Folge in allen Fällen der An-wesenheit des Beschuldigten Gefahr in Verzug angenommen werden. Eine solche generelle Regel wäre aber grob grundrechtswidrig und würde den Richtervorbehalt erheblich aushöhlen.

Im vorliegenden Fall hat die Polizeibeamtin entweder unvollständige oder unklare Angaben gemacht zur Situation, so dass hierin ein erheblicher Verstoß zu liegen wäre oder die Staatsanwältin hat es versäumt, zur konkreten Situation und einem drohenden Beweismittelverlust nachzufragen, was ihr als "Herrin des Verfahrens" oblegen hätte. Bereits bei Nachfrage zur aktuellen Situation wäre der Staatsanwältin von der Beamtin erklärt worden, dass keine Gefahr im Verzug vorlag, so dass die Annahme von Gefahr in Verzug nicht erfolgt wäre. Damit wurde die konkrete Situation nicht ausreichend aufgeklärt, was ein erheblicher Verstoß gegen die notwendige Aufklärungspflicht darstellt.

Soweit der BGH in dem Urteil vom 17. Februar 2016 (2 StR 25/15, juris) angenommen hat, dass trotz Verstoßes gegen den Richtervorbehalt bei einer Durchsuchung kein Verwertungsverbot vorliege, besteht der wesentliche Unterschied darin, dass es hier nicht um die grundgesetzlich geschützte Durchsuchung einer Wohnung ging, sondern um die Durchsuchung eines in einem sichergestellten und zuvor entwendeten Autos befindlichen Rucksackes und einer darin befindlichen Geldkassette zur Identitätsfeststellung.

In dem Beschluss des BGH vom 21. April 2016 (2 StR 394/15, juris) wurde wiederum vom BGH ein Beweisverwertungsverbot angenommen: Die Polizei hatte den dortigen An-geklagten wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung festgenommen und ihm Fahrzeugschlüssel abgenommen und 10 Tage später das passende Fahrzeug auf der Straße abgeparkt entdeckt. Der Staatsanwalt, der nicht wusste, dass die Tat 10 Tage zuvor begangen worden war, ordnete eine Durchsuchung wegen Gefahr im Verzug an ohne auch nur versucht zu haben, einen Ermittlungsrichter zu kontaktieren. Der BGH hat in diesem Verfahren deutlich gemacht, dass es auf die Frage einer etwaigen Fehlvorstellung des Staatsanwaltes nicht ankomme, da diese Fehlvorstellung - wie im vorliegenden Fall - auf nicht nachzuvollziehender unvollständiger Information beruht und diese auch nicht rechtfertige, dass es an einem Werktag zu dienstüblichen Zeiten nicht einmal versucht wurde, eine richterliche Entscheidung zu erlangen. Zwar war im dortigen Fall der An-geklagte in Untersuchungshaft und nicht wie im vorliegenden Fall vor Ort, jedoch bestand dennoch eine damit vergleichbare stabile Situation ohne drohender Gefahr eines Beweismittelverlustes und eine Entscheidung auf unvollständiger Datenbasis.

Insoweit kommt es auch auf die Tatsache, ob bei einem hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlauf ein Durchsuchungsbeschluss erlassen worden wäre und ob es sich bei der Durchsicht des Zimmers des Angeklagten um tatsächlich eine solche handelte, da man bereits von der Tür aus erkennen konnte, ob jemand im Zimmer ist oder nicht, nicht an.

Dem Aspekt des möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufes kommt bei -wie hier - grober Verkennung des Richtervorbehaltes nämlich keine Bedeutung zu. Würde man in solchen Fällen stets anerkennen, dass der hypothetische rechtmäßige Ersatzeingriff eine Rolle spielen dürfte, würde dadurch der Richtervorbehalt unterlaufen werden und auf eine nachträgliche Überprüfung beschränkt werden, was vom Gesetzgeber gerade nicht gewollt war. Es würde sogar ein Ansporn entstehen, die Ermittlungen ohne Einschaltung des Ermittlungsrichters einfacher und möglicherweise erfolgversprechender zu gestalten. Damit würde aber das wesentliche Erfordernis eines rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahrens aufgegeben, dass Beweise nicht unter bewusstem Rechtsbruch oder gleichgewichtiger Rechtsmissachtung erlangt werden dürfen.

Angemerkt sei darüber hinaus, dass die Staatsanwältin vorliegend auch nur von dem Verdacht des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln ausgegangen ist und nicht von einem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und eine Wohnungsdurchsuchung regelmäßig dann nicht rechtmäßig ist, wenn konkrete Hinweise auf größere Mengen von Betäubungsmitteln nicht vorliegen (vgl. Urteil des OLG Hamburg vom 23. März 2007, 3-4/07 (REV) 1 Ss 5/07, juris).

IV.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 467 StPO.


Einsender: RA C. Diedrich, Hamburg

Anmerkung: Berufungsentscheidung zu https://www.burhoff.de/asp_weitere_beschluesse/inhalte/7063.htm


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