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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Verbotenes Rennen, Begriff des Rennens, Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Hamburg-Bergedorf, Beschl. v. 29.11.2022 – 419a S 17/22

Eigener Leitsatz:

Demonstrationen individuellen Fahrkönnens werden bereits begrifflich nicht als Rennen im Sinn des § 315d StGB erfasst, es sei denn, es geht auch hier um die Erzielung von Bestzeiten, Höchstgeschwindigkeiten oder höchsten Durchschnittsgeschwindigkeiten.


Amtsgericht Hamburg-Bergedorf
419a Ds 17/22 jug. 4100 Js 804/21

In dem Strafverfahren
gegen pp.

wegen Teilnahme an nicht genehmigtem Straßenrennen

beschließt das Amtsgericht Hamburg-Bergedorf - Abteilung 419a - durch den Richter am Amtsgericht Plambeck am 29.11.2022:

1. Die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich des Vorwurfs aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hamburg vom 05.04.2022 wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeschuldigten trägt die Staatskasse.

Gründe:

I,

Die Angeschuldigten sind der ihnen mit der Anklage der Staatsanwaltschaft Hamburg vom 05.04.2022 zur Last gelegten Tat des verbotenen Kraftfahrzeugrennens aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht hinreichend verdächtig im Sinne des § 203 StPO.

Den Angeschuldigten wird vorgeworfen, am 08.10.2021 gegen 23:55 Uhr von der BAB 25 kommend den zweispurigen Zubringer zur BAB 1 befahren zu haben, wobei der Angeschuldigte pp. mit dem PKW Mazda MX5 mit dem amtlichen Kennzeichen pp. und der Angeschuldigte pp. den PKW Mazda MX5 mit dem amtlichen Kennzeichen pp. geführt haben, der Angeschuldigte pp. den mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h ausgeschilderten Kurvenbereich des Zubringers auf der linken Fahrspur mit einer Geschwindigkeit von 98 km/h, der Angeschuldigte auf der rechten Fahrspur den Bereich mit einer Geschwindigkeit von 90 km/h befahren habe, um die in diesem Bereich mögliche Maximalgeschwindigkeit zu erreichen, wobei ihnen eine mögliche Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer gleichgültig gewesen sei, und der Angeschuldigte pp. die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren habe, das über beide Fahrspuren geschleudert und zweifach mit der rechten Leitplanke kollidiert sei.

Mit den vorhandenen Beweismitteln und aus Rechtsgründen wird sich die Tat voraussichtlich nicht nachweisen lassen.

1. Die Staatsanwaltschaft hat beide Angeschuldigte wegen eines Verstoßes gegen § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB angeklagt. Die Tatbestandsalternative des § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist erst im Zuge der Gesetzesberatungen in die zur Pönalisierung verbotener Kraftfahrzeugrennen neu geschaffene Strafvorschrift des § 315 d StGB eingefügt worden. Der Gesetzgeber wollte neben den Rennen mit mehreren Kraftfahrzeugen auch Fälle des schnellen Fahrens mit nur einem einzigen Kraftfahrzeug strafrechtlich erfassen, die über den Kreis alltäglich vorkommender, wenn auch erheblicher Geschwindigkeitsüberschreitungen hinausragen, weil der Täter mit einem Kraftfahrzeug in objektiver und subjektiver Hinsicht ein Kraftfahrzeugrennen nachstellt (vgl. Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz [6. Ausschuss], BT-Drs. 18/12964, 5 f.), hierzu BGH, NJW 2021, 1173. Gegen die Verwirklichung dieser angeklagten Tatvariante - mit der diejenigen Fälle erfasst werden sollen, in denen nur ein einziges Fahrzeug objektiv und subjektiv ein Kraftfahrzeugrennen nachstellt (Schönke/Schröder/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 315d Rn. 8) - spricht hier, dass zwei Angeschuldigte in zwei Fahrzeugen angeklagt sind, die nach dem konkreten Anklagevorwurf zusammengefahren sein sollen.

Im Übrigen werden sich nach der Aktenlage die erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB voraussichtlich nicht nachweisen lassen. Nach der als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestalteten Begehungsalternative des § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB macht sich strafbar, wer sich im Straßenverkehr als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Grob verkehrswidrig handelt der Täter, wenn er einen besonders schweren und gefährlichen Verstoß gegen Verkehrsvorschriften begeht, der nicht nur die Sicherheit des Straßenverkehrs erheblich beeinträchtigt, sondern auch schwerwiegende Folgen zeitigen kann. Es muss sich mithin um einen besonders schweren Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften handeln. Bereits hieran bestehen Zweifel. Zwar haben die Angeschuldigten jeder für sich die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h nach dem schlüssigen Sachverständigengutachten um 38 km/h (der Angeschuldigte pp) und um 30 km/h (der Angeschuldigte pp) überschritten. Gegen die Annahme eines besonders schweren Verstoßes gegen die Verkehrsvorschriften spricht jedoch, dass nach der zur Tatzeit geltenden BKatV diese Zuwiderhandlung mit einer geringen Geldbuße von 120,00 € bzw. 80,00 €, jeweils ohne Regelfahrverbot, zu ahnden gewesen wäre. Zudem liegen nach Aktenlage keine Anhaltspunkte für eine rücksichtslose Tatbegehung vor. Rücksichtslos handelt, wer sich im Bewusstsein seiner Verkehrspflichten aus eigensüchtigen Gründen über diese hinwegsetzt oder sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten als Fahrzeugführer besinnt und unbekümmert um die Folgen seines Verhaltens drauflos fährt (vgl. KG Beschl. v. 29.4.2022 - (3) 161 Ss 51-22 (15-22), BeckRS 2022, 14327). Erforderlich ist ein Defizit, das - geprägt von Leichtsinn, Eigennutz oder Gleichgültigkeit - weit über das hinausgeht, was normalerweise jedem - häufig aus Gedankenlosigkeit oder Nachlässigkeit - begangenen Verkehrsverstoß innewohnt. Umstände, die auf ein solches Defizit schließen würden - wie z. B. Beschleunigungen mit durchdrehenden Rädern oder quietschenden Reifen, rasche, ruckartige Wechsel der Fahrstreifen ohne Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers oder ähnliche Fahrweisen - sind aus der Akte nicht ersichtlich. Außer der Spurenlage am Unfallort liegen keine Erkenntnisse über das Fahrverhalten der Angeschuldigten vor (BI. 131).

2. Auch der Nachweis einer Strafbarkeit gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB, der Teilnahme als Kraftfahrzeugführer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen, wird sich voraussichtlich nicht erbringen lassen.

Rennen im Sinne dieser Norm sind Wettbewerbe oder Teile eines Wettbewerbs sowie Veranstaltungen zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten oder höchsten Durchschnittsgeschwindigkeiten mit mindestens zwei teilnehmenden Kraftfahrzeugen. Zwar kommt es grundsätzlich weder auf eine besondere Länge der gefahrenen Strecke an, noch bedarf es einer vorherigen Absprache der Beteiligten. Jedoch sind Demonstrationen individuellen Fahrkönnens bereits begrifflich nicht als Rennen erfasst, es sei denn, es geht auch hier um die Erzielung von Bestzeiten, Höchstgeschwindigkeiten oder höchsten Durchschnittsgeschwindigkeiten (Schönke/Schröder/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 315d Rn. 3). Nach der Aktenlage ist der Nachweis, dass es den Angeschuldigten um die Erzielung von Bestzeiten, Höchstgeschwindigkeiten oder höchsten Durchschnittsgeschwindigkeiten ging, voraussichtlich nicht mit der erforderlichen Verurteilungswahrscheinlichkeit zu führen. Auch unter Berücksichtigung der sportlichen Fahrzeuge und des Umstandes, dass sie sich zuvor auf einem „Cruiser Treffen" befunden haben, spricht gegen diese Absicht die von den Angeschuldigten gefahrenen Geschwindigkeiten, die „nur" 30 bzw. 38 km/h über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h lagen. Bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen sollen nicht von der Strafbarkeit erfasst werden. Die Straßenführung am Tatort und die Wetterverhältnisse (siehe im Sachverständigengutachten Ziffer II. Bilder von der Unfallstelle) hätten höhere Geschwindigkeiten der Angeschuldigten vermuten lassen, wenn es ihnen um die Erzielung von Bestzeiten oder Höchstgeschwindigkeiten gegangen wäre.

Gegen diese Absicht sprechen zudem die Angaben der Angeschuldigten am Tatort, unabhängig davon, dass an ihrer Verwertbarkeit Zweifel bestehen könnten. Denn beide Angeschuldigte sind im Bericht zum Verkehrsunfall als Beschuldigte bezeichnet worden (BI. 11 f.), ihre Belehrung erfolgte gemäß Aktenlage aber erst nach ihren Sachverhaltsschilderungen als Beschuldigte (BI. 12). Der Angeschuldigte pp. schilderte, dass er im Bereich der Geraden wieder beschleunigen wollte, als das Heck seines Autos ausgebrochen sei urid er die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren habe (BI. 11). Der Angeschuldigte pp. gab an, leicht versetzt hinter dem Fahrzeug des Angeschuldigten pp. gefahren zu sein (BI. 12). Ein Rennen ist aus diesen Schilderungen nicht zwingend zu schließen; naheliegend kann der Unfall ebenso wegen eines Fahrfehlers des Angeschuldigten entstanden sein. Die Angaben der Angeschuldigten finden insbesondere Bestätigung in den schlüssigen Bekundungen des Zeugen (BI. 113),
dem Beifahrer des Angeschuldigten pp. Danach habe er eine Bewegung des Fahrzeughecks bemerkt, ohne zuvor eine Beschleunigung des Autos wahrgenommen zu haben. Der Angeschuldigte pp. sei zudem immer hinter ihnen und nicht neben ihnen gefahren.

Da, wie ausgeführt, keine weiteren Erkenntnisse zum Fahrverhalten und zur Fahrweise der Angeschuldigten bestehen, wird vor diesem Hintergrund der Nachweis eines Kraftfahrzeugrennens voraussichtlich nicht zu führen sein.

3. Nach der Aktenlage bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Strafbarkeit gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB. Die Verwirklichung eines Verstoßes der enumerativ aufgeführten Verstöße liegt nicht vor. Die erforderliche rücksichtslose Tatbegehung würde zudem aus den obigen Erwägungen voraussichtlich nicht nachzuweisen sein.

4. Verkehrsordnungswidrigkeiten der Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften gemäß §§ 41 i. V. m. Anlage 2, 49 StVO, 24 StVG und betreffend den Angeschuldigten der Inbetriebnahme eines Fahrzeugs, für das die Betriebserlaubnis erloschen war, gemäß §§ 19 Abs. 5, 69a StVZO, 24 StVG waren nach der Aktenlage zwar verwirklicht. Es ist jedoch Verfolgungsverjährung gemäß § 26 Abs. 3 StVG eingetreten, die nicht gemäß § 33 OWiG unterbrochen wurde.

Il.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.


Einsender: RA M. Rakwo, Rostock

Anmerkung:


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