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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Volksverhetzung, Auslegung einer Äußerung, Freispruch aus tatsächlichen Gründen

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.11.2022 - 3 Ss 123/22

Eigener Leitsatz:

1. Bei einem Freispruch aus rechtlichen Gründen müssen sich die Urteilsgründe dazu verhalten, warum das Gericht die für erwiesen erachtete Tat in rechtlicher Hinsicht als nicht strafbar erachtet. Um dies zu ermöglichen, muss die in der Anklageschrift vorgeworfene Tat (§ 264 StPO) hinreichend konkret dargestellt werden. Denn weird den Adressaten der Urteilsgründe schon der Tatvorwurf nicht hinreichend verständlich gemacht, kann auch nicht nachvollziehbar werden, warum von diesem Vorwurf von Rechts wegen freigesprochen wurde.
2. Bei der Auslegung und Anwendung von § 130 StGB sind zudem die aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten, damit die besondere wertsetzende Bedeutung des Grundrechts auf der Normanwendungsebene des einfachen Rechts zur Geltung kommt. Ist eine Äußerung mehrdeutig, so müssen, soll die zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung der rechtlichen Würdigung zu Grunde gelegt werden, andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen ausgeschlossen werden


In pp.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Stadt3 - Strafrichter - vom 25.03.2022 aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Stadt3 zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Stadt3 - Strafrichter - hat den Angeklagten am 25.03.2022 vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen.

Zum Tatvorwurf hat der Vorderrichter im Abschnitt "I." seines Urteils folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

"Dem Angeklagten wird in der Anklage der Staatsanwaltschaft Stadt1 vom 21.01.2021 vorgeworfen, am XX.XX.2020 in Stadt2 und andernorts durch dieselbe Handlung in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, gegen eine nationale rassische religiöse oder durch ihre ethische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufgestachelt zu haben, sowie die Menschenwürde anderer dadurch angegriffen zu haben, dass er eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet."

Unter "II." folgt der vom Gericht als erwiesen erachtete Sachverhalt. In diesem findet sich das wörtliche Zitat aus einer Videoaufnahme des Angeklagten. Die Äußerungen werden zusammen mit den vom Angeklagten ergänzten Zitaten dargestellt.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrem am 29.03.2022 eingelegten "Rechtsmittel", welches sie in ihrer Begründung vom 03.05.2022 als Sprungrevision konkretisiert hat. Sie rügt die Verletzung sachlichen Rechts.

II.

Die zulässige (§ 335 Abs. 1 StPO) Sprungrevision der Staatsanwaltschaft führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des freisprechenden Urteils (§ 354 Abs. 1 StPO), weil es den Mindestanforderungen an die Darstellung nicht genügt.

1. Der Tatrichter hat die Vorgaben des § 267 Abs. 5 S. 1 StPO nicht beachtet.

Dieser sieht bei einem Freispruch aus rechtlichen Gründen vor, dass sich die Urteilsgründe dazu verhalten, warum es die für erwiesen erachtete Tat in rechtlicher Hinsicht als nicht strafbar erachtet. Um dies zu ermöglichen, muss die in der Anklageschrift vorgeworfene Tat (§ 264 StPO) hinreichend konkret dargestellt werden. Wird den Adressaten der Urteilsgründe schon der Tatvorwurf nicht hinreichend verständlich gemacht, kann auch nicht nachvollziehbar werden, warum von diesem Vorwurf von Rechts wegen freigesprochen wurde (vgl. BGHSt 52, 314, 315 Tz. 12 m. zust. Anm. Jahn JuS 2008, 930, 931; BGHSt 37, 21, 22).

Eine für das Rechtsmittelgericht verständliche Darstellung ohne eine Mitteilung des konkreten Anklagesatzes, der den individuellen Anklagevorwurf nach Ort, Zeit, Verantwortungsbereich und Begehungsweise aufzeigt, ist deshalb vorliegend ausgeschlossen. Ohne diese Mitteilung können die Urteilsgründe ihre Aufgabe, dem Rechtsmittelgericht eine umfassende Nachprüfung auch der freisprechenden Entscheidung zu ermöglichen, nicht erfüllen (vgl. nur BGHSt 37, 21, 22; BGH, Urt. v. 1.8.2018 - 5 StR 30/18, Tz. 5 [insoweit in StV 2020, 240 Ls. nicht abgedr.])

2. Diesen Anforderungen genügt das Urteil des Amtsgerichts nicht.

Es gibt unter "I." lediglich den abstrakten Anklagesatz und eine summarische Beschreibung des Tatorts ("Stadt2 und andernorts") wieder. Diese vage Umschreibung ist nicht geeignet, den inkriminierten Sachverhalt von anderen Handlungen des Angeklagten am selben Tag zu unterscheiden.

Das Urteil beruht auf diesem Formalverstoß (§ 337 StPO).

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen, soweit sie sich aus dem (freisprechenden) Urteil zu erschließen vermögen, die Verwirklichung einer Tat nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StGB noch nicht ohne Weiteres erkennbar ist.

Die Äußerungen des Angeklagten richten sich, soweit sie für den Senat angesichts der Urteilsgründe einer Entscheidung mit dem in § 267 Abs. 5 S. 1 StPO genannten Tenor greifbar sind, nach den bisherigen Feststellungen jedenfalls nicht eindeutig gegen eine klar abgrenzbare religiöse Gruppe. Dies können neben den in § 6 VStGB genannten Personenmehrheiten zwar auch Bevölkerungsteile sein, die durch ihre politische oder weltanschauliche Überzeugung als besondere Gruppe erkennbar sind (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 130 Rn. 4).

Da sich die Äußerungen des Angeklagten ihrem Wortlaut nach nicht gegen Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Kultur schlechthin richten, sondern gegen eine Gruppe von von ihm als "Zionisten" bezeichneter Menschen, deren Abgrenzung ihm selbst ersichtlich schwerfällt, wird ein Schwergewicht der erneuten tatrichterlichen Feststellung und Erörterung auch darauf liegen müssen, ob sich die Äußerungen ihrem objektiven Sinngehalt nach gegen Juden im Allgemeinen richten. Insoweit darf sich die Kammer einerseits nicht mit dem bloßen Wortlaut der Äußerungen zufriedengeben. Denn entscheidend ist der objektive Sinngehalt. Wenn die Auslegung einer Erklärung aus der objektiven Sicht eines unvoreingenommenen Dritten und Berücksichtigung des Adressatenkreises der Aussage ergibt, dass der Erklärende den Begriff "Juden" nur deshalb vermeidet, weil er Strafbarkeit befürchtet, seinen Zuhörern aber unmissverständlich vermittelt, dass er nicht nur eine nicht abgrenzbare Teilmenge, sondern "die" Juden meint, ist er auch an diesem Sinngehalt festzuhalten. Denn auch im Rahmen des § 130 StGB können nicht nur ausdrückliche, sondern auch konkludente Äußerungen strafbar sein.

Bei der Auslegung und Anwendung von § 130 StGB sind zudem die aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten, damit die besondere wertsetzende Bedeutung des Grundrechts auf der Normanwendungsebene des einfachen Rechts zur Geltung kommt. Ist eine Äußerung mehrdeutig, so müssen, soll die zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung der rechtlichen Würdigung zu Grunde gelegt werden, andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen ausgeschlossen werden (BVerfGE 82, 43 50 ff.; vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2020, 310 [311] - Wahlkampfplakat "Zionismus stoppen - Israel ist unser Unglück!" neben einer Synagoge; AG Essen, Urt. v. 30.1.2015 - 57 Cs 631/14, juris Tz. 17 - Aufruf "Tod und Hass den Zionisten").


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