Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 30.11.2022 – (3) 121 Ss 147/22 (63/22)
Leitsatz des Gerichts:
1. Der Angeklagte ist durch eine Entscheidung auch dann beschwert, wenn das Berufungsgericht den Freispruch des Angeklagten aufhebt und die Sache nach § 328 Abs. 2 StPO (hier zwecks Prüfung einer Unterbringung nach § 63 StGB) an die große Strafkammer verweist.
2. Ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen von § 328 Abs. 2 StPO zu Recht als erfüllt angesehen hat, prüft das Revisionsgericht nur, wenn eine entsprechende Verfahrensrüge (zulässig) erhoben worden ist.
In der Strafsache
gegen pp.
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.
hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts am 30. November 2022 beschlossen:
1. Auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Berlin wird das Verfahren betreffend den Anklagevorwurf des Erschleichens von Leistungen aus der Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin vom 29. April 2020 abgetrennt und im Hinblick auf die übrigen Anklagevorwürfe gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt.
2. Soweit das Verfahren vorläufig eingestellt worden ist, werden die Kosten des Verfahrens der Landeskasse Berlin auferlegt. Davon ausgenommen bleiben die notwendigen Auslagen des Angeklagten, die dieser selbst zu tragen hat (§ 467 Abs. 1, Abs. 4 StPO).
3. Im Übrigen wird die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. Juni 2022 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet verworfen.
4. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Ergänzend merkt der Senat an:
1. a) Soweit die Berufung des Angeklagten verworfen worden ist, hat der Senat das Verfahren auf den in ihrer Zuschrift vom 25. Oktober 2022 gestellten und dem Angeklagten bekannten Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 2 SPO im Hinblick auf die übrigen Tatvorwürfe aus prozessökonomischen Gründen eingestellt. Denn die Verwerfung der Berufung hätte sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht standgehalten. Einerseits führt das Landgericht aus, der Zeuge U. habe die getroffenen Feststellungen, wonach der Angeklagte am 26. März 2019 vorsätzlich ohne gültigen Fahrausweis mit der Straßenbahn fuhr, bestätigt (UA S. 7 letzter Absatz). Andererseits teilt es mit, der Zeuge habe sich nicht mehr daran erinnern können, ob der Angeklagte ein erhöhtes Beförderungsentgelt habe entrichten müssen (UA S. 8 oben). Diese Ausführungen lassen sich nicht miteinander in Einklang bringen, weswegen sich das hinsichtlich dieses Vorwurfs allein auf die Bekundungen des Zeugen U. gestützte Urteil als widersprüchlich erweist.
b) Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Urteilstenor des Landgerichts widersprüchlich ist. Denn das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten gegen das amtsgerichtliche Urteil, die sich nur gegen die Verurteilung wegen des Vorwurfes des Erschleichens von Leistungen richtete, verworfen und zugleich dieses Urteil aufgehoben. Damit hat es der Verurteilung wegen Erschleichens von Leistungen die Vollstreckungsgrundlage entzogen. Nachdem jedoch das Verfahren insoweit abgetrennt und nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt worden ist, bedurfte es keiner entsprechenden Klarstellung mehr.
2. a) Die nach Teileinstellung des Verfahrens nur noch gegen die Verweisungsentscheidung des Landgerichts gerichtete Revision ist zulässig (vgl. BGHSt 26, 106). Insbesondere ist der Angeklagte durch die auf § 328 Abs. 2 StPO gestützte Entscheidung beschwert. Wenngleich keine Sachentscheidung getroffen worden ist, liegt die Beschwer darin, dass das Berufungsgericht nicht die vom Angeklagten erstrebte günstigste Sachentscheidung getroffen hat, nämlich die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das freisprechende Urteil des Amtsgerichts zu verwerfen, sondern die Sache an ein anderes Gericht zwecks Prüfung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB verwiesen hat (vgl. BGH NJW 1975, 1237; OLG Hamm NStZ-RR 2009, 379; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 208).
b) Die Revision hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Auf die allein erhobene Sachrüge des Angeklagten hatte der Senat im Hinblick auf die vom Berufungsgericht getroffene Verweisungsentscheidung von Amts wegen im Freibeweisverfahren (vgl. BGHSt 10, 74; 18, 79: Senat, Urteil vom 30. September 2020 - (3) 161 Ss 49/20 (48 - 49/20) -, juris m.w.N.) lediglich zu prüfen, ob die kleine Strafkammer ihre sachliche Zuständigkeit als Verfahrensvoraussetzung zu Recht bejaht hat. Daran bestehen im vorliegenden Fall keine Bedenken. Sie war nach Maßgabe von §§ 74 Abs. 3, 76 Abs. 1 Satz 1, zweiter Halbsatz GVG für die Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts zuständig und hat im Hinblick auf die zu treffende Entscheidung über eine Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB ihre gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 GVG fehlende sachliche Zuständigkeit beachtet, insoweit von einer eigenen Sachentscheidung über die Berufung der Staatsanwaltschaft abgesehen und die Sache folgerichtig nach Aufhebung des durch das Amtsgericht ausgeurteilten (Teil-) Freispruchs gemäß § 328 Abs. 2 StPO an die sachlich zuständige große Strafkammer verwiesen.
3. Ob das sachlich zuständige Berufungsgericht die Voraussetzungen von § 328 Abs. 2 StPO beachtet hat, entzieht sich der Prüfungskompetenz des Senats, denn dazu hätte es einer entsprechenden - hier nicht erhobenen - Verfahrensrüge bedurft (vgl. BGH NJW 1997, 204). Diese Frage betrifft nicht die sachliche Zuständigkeit des Gerichts, dessen Urteil mit der Revision angefochten ist, sondern das Problem, ob das sachlich zuständige Berufungsgericht die Verfahrensvorschrift des § 238 Abs. 2 StPO richtig angewendet hat. Dies hat das Revisionsgericht nur auf eine den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügende Verfahrensrüge zu prüfen (vgl. BGH a.a.O.).
Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin
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