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Entscheidungen

Haftfragen

Eigengeld, Auskunft, Herausgabe, Verjährung, Auszahlungsanspruch

Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 03.01.2023 - 203 StObWs 412/22

Leitsatz des Gerichts:

1. Hat die Justizvollzugsanstalt auf eine Aufforderung des Berechtigten auf Auskunft über Eigengeld hin den Einwand der Verjährung erhoben, steht die Regelung von § 112 StVollzG einer gerichtlichen Geltendmachung des Zahlungsanspruchs nicht entgegen.
2. Dem Strafgefangenen steht ab dem Zeitpunkt der Gutschrift von Eigengeld gegen das Land als Träger der Justizvollzugsanstalt ein schuldrechtsähnlicher Anspruch auf Auszahlung seines Eigengeldguthabens nach § 700 Abs. 1 Satz 2, § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB analog zu.
3. Der Lauf der Fristen nach Art. 71 BayAGBGB und §§ 195, 199 BGB wird weder mit der Einzahlung noch mit der Entlassung aus der Haft, sondern gemäß § 695 S. 2 BGB analog mit einem Zahlungsverlangen des Berechtigten ausgelöst.


In dem Verfahren nach § 109 StVollzG der Antragsteller

1) A
Antragstellervertreter:
Rechtsanwalt Dr. jur. R…
2) J
Antragstellervertreter:
Rechtsanwalt Dr. jur. R…
3) K
Antragstellervertreter:
Rechtsanwalt Dr. jur. R…

wegen Rechtsbeschwerde (Antrag auf Auszahlung von Eigengeld)

erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht - 3. Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 3. Januar 2023 folgenden

Beschluss

I. Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluss des Landgerichts Bamberg vom 12. August 2022 aufgehoben. Der Antragsgegner wird verpflichtet, das Eigengeld des Erblassers A in Höhe von 130.338,88 Euro an die Antragstellerinnen als Gesamtgläubiger zu zahlen. Im Übrigen wird der Antrag als unbegründet zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens und die den Antragstellerinnen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
III. Der Beschwerdewert wird auf 134.529,70 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der im April 2021 verstorbene, von den drei Antragstellerinnen beerbte Erblasser war in den Jahren 2013 und 2019 bis 2020 mehrmals kurzzeitig in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bamberg inhaftiert. Beim Zugang am 4. März 2013 zahlte der Erblasser, der nach dem Vortrag der Antragstellerinnen über kein Konto verfügte und sein gesamtes Vermögen in bar verwahrte, nach der von den Antragstellerinnen nicht in Frage gestellten Darstellung des Antragsgegners bei der JVA Bamberg einen Betrag von 10.465,75 Euro in bar ein; das Guthaben wurde einen Tag später auf dem Gefangenengeldkonto gutgeschrieben. Nach seiner Entlassung verweigerte er es, den Empfang des verbleibenden Betrages von 8.557,25 Euro zu quittieren, woraufhin ihm der Geldbetrag nicht ausgehändigt wurde (Anlage B 4). Einer anschließenden schriftlichen Aufforderung, ein Konto zu benennen oder das Geld abzuholen, kam er nicht nach (Anlage B 5). Anlässlich des Zugangs am 1. August 2013 zum Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe zahlte er bei der JVA Bamberg auf das Gefangenengeldkonto einen Bargeldbetrag in Höhe von 125.105,13 Euro ein, der am Folgetag als Guthaben des Strafgefangenen gebucht wurde. Nach seiner Entlassung am 7. August 2013 nahm der Gefangene das verbleibende Geld in Höhe von 121.781,63 Euro nicht an sich, woraufhin ein Mitarbeiter der JVA unterschriftlich auf einem Ausdruck mit der Bezeichnung „Kontenabschluss“ vermerkte: „Geld wurde von Herrn A… nicht mitgenommen. Geld wieder auf Konto gutgeschrieben“ (Anlage B 8). Am 28. Oktober 2013 löste die JVA ohne weitere Kontaktaufnahme mit dem Erblasser das interne Gefangenenkonto auf und zahlte das Eigengeld des Erblassers in Höhe von 130.338.88 Euro bei der Landesjustizkasse Bamberg zur Verwahrung ein (Anlagen B 7, B 9). Anlässlich eines Zugangs am 13. Mai 2019 zahlte der Erblasser bei der JVA Bamberg einen Betrag von 22,70 Euro ein, nach der Unterbrechung der Vollstreckung wurde das Guthaben am 4. November 2019 ebenfalls bei der Landesjustizkasse gebucht. Das bei einer weiteren Inhaftierung im Jahr 2019 einbezahlte Gefangenengeld wurde dem Erblasser bei seiner Entlassung am 10. Januar 2020 in bar ausgehändigt, bei seiner letzten Inhaftierung im Jahr 2020 zahlte er kein Bargeld ein.

Nach dem Tod ihres Vaters baten die drei mit Erbschein ausgewiesenen Miterbinnen in einem an die JVA Bamberg gerichteten Schreiben vom 15. Juni 2021 um Prüfung, ob noch Forderungen gegen den Freistaat bestünden. Daraufhin teilte die JVA Bamberg den drei Miterbinnen mit Schreiben vom 7. September 2021 mit, dass aus den Inhaftierungen des Erblassers im Jahre 2013 resultierend aus Bargeldeinzahlungen auf das Gefangenengeldkonto ursprünglich ein Betrag von 130.338,88 Euro offen gewesen, der Rückforderungsanspruch jedoch mittlerweile verjährt wäre; aus der Inhaftierung im Jahr 2019 bestünde noch ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von 22,70 Euro. Die drei Miterbinnen traten dem entgegen und verlangten unter Vollmachtsanzeige mit anwaltlichem Schreiben vom 7. Oktober 2021 von der JVA nähere Auskünfte zu den Einzahlungen, den Verfügungen und dem Verbleib des Geldes sowie Einsicht in den Vollzugsplan. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2021 erteilte die JVA weitere Auskünfte zu den Vollzugszeiten, den Einzahlungen, den Buchungsvorgängen und den jeweiligen Guthaben des Erblassers und wiederholte ihre Rechtsansicht, dass bezüglich eines Betrages von 130.338,88 Euro zum Ende des Jahres 2016 Verjährung eingetreten sei. Daraufhin widersprach der anwaltliche Vertreter der Antragstellerinnen unter Bezugnahme auf das Schreiben der JVA vom 25. Oktober 2021 mit Schreiben vom 2. November 2021 den Ausführungen zur Verjährung und forderte von der JVA Bamberg die Auszahlung des „Restbetrags“ unter Fristsetzung bis zum 15. November 2021. Nachdem die JVA auf die Zahlungsaufforderung nicht reagierte, reichten die Miterbinnen mit anwaltlichem Schriftsatz am 21. Dezember 2021 Klage auf Zahlung von 130.338,88 Euro nebst Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten zum Landgericht Bamberg ein.

Das Landgericht Bamberg – 4. Zivilkammer - hat sich mit Beschluss vom 11. Mai 2022 für funktionell unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Kläger an die Strafvollstreckungskammer abgegeben. Die Strafvollstreckungskammer hat mit Beschluss vom 12. August 2022 „den Antrag“ auf gerichtliche Entscheidung vom 21. Dezember 2021 wegen der Versäumung der Frist von § 112 StVollzG als unzulässig verworfen. Mit der Frage der Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat sich die Strafvollstreckungskammer nicht befasst.

Gegen diese Entscheidung wenden sich die Antragstellerinnen mit ihrer Rechtsbeschwerde und beantragen, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Antragsgegner zur Zahlung von 130.338,88 Euro zu verpflichten, hilfsweise die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen. Zur Begründung führen sie an, dass §§ 109, 112 StVollzG nicht anwendbar und der auf sie übergegangene Anspruch auf die Zahlung des Eigengelds nicht verjährt sei. Zu den ursprünglich in der Klageschrift geltend gemachten Rechtsanwaltskosten verhalten sie sich nicht ausdrücklich. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist in der gesetzlich vorgeschriebenen Form und Frist eingelegt und begründet worden. Sie ist zulässig auch in Ansehung von § 116 Abs. 1 StVollzG, da es geboten ist, die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen. Fragen der Verjährung und des Erlöschens des Auszahlungsanspruchs von Eigengeld sind bislang nicht obergerichtlich entschieden worden.

Es kann dahinstehen, ob die Strafvollstreckungskammer in Anlehnung an die herrschende Meinung zu Aufrechnungsfragen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 9. Mai 2003 – 5 Ws 135/03 Vollz –, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 25. Juni 2020 – 4 Ws 310/20 Vollz –, juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 12. Juli 2004 – 1 Ws 259/04 (Vollz) –, juris; Baier/Laubenthal in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl. 2020, 4. Kapitel Arbeit und Bildung H VI Rn. 115 und Laubenthal a.a.O. 12. Kapitel Rechtsbehelfe B § 109 StVollzO Rn. 15; Arloth/Krä StVollzG 5. Aufl. § 109 StVollzG Rdn. 3; a.A. OLG Nürnberg, Beschluss vom 29. Januar 1999 – Ws 1531/98 –, juris, ebenfalls zur Aufrechnung) zu Recht die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges bejaht hat oder ob nicht vielmehr der Zivilrechtsweg eröffnet war. Für die Annahme, dass es sich bei dem streitigen Anspruch der Erben nicht um die Überprüfung einer eine einzelne Angelegenheit regelnden Maßnahme auf dem Gebiete des Strafvollzuges (§ 109 Abs. 1 StVollzG) handelt, könnte sprechen, dass sich eine Verweigerung der Auszahlung von Geldmitteln eines bereits seit geraumer Zeit entlassenen Gefangenen nicht mehr als eine vollzugsregelnde Verfügung darstellt. Der Senat ist indes an einer Prüfung der Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs gemäß § 17a Abs. 5 GVG gehindert, da er über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache zu befinden hat. Ein Ausnahmefall, in dem die Beschränkung der Prüfungskompetenz wegen Nichteinhaltung des in § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG vorgesehenen Verfahrens entfiele, liegt hier nicht vor.

III.

1. Die Anträge waren entgegen der Rechtsansicht der Strafvollstreckungskammer nicht wegen der Versäumung der Frist nach § 112 StVollzG unzulässig.

a) Der Senat kann offen lassen, ob die Regelung von § 112 StVollzG nach dem Ende des Vollzugs auf einen von einem Erben geltend gemachten Zahlungsanspruch überhaupt anwendbar ist (vgl. zur grundsätzlichen Anwendung des Verfahrensrechts der Gerichtsbarkeit des durch Verweisung zuständig gewordenen Gerichts Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 17 Rn. 53). Jedenfalls hat die Vorschrift die Zulässigkeit der Anträge hier nicht ausgeschlossen. Denn nach gefestigter Rechtsprechung ist es einem Gefangenen nicht verwehrt, einen abgelehnten Antrag später zu wiederholen mit der Folge, dass die neue Entscheidung anfechtbar ist; das Recht auf Wiederholung findet seine Grenze erst bei einer rechtsmissbräuchlichen Ausübung (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 18. Juli 2001 - Ws 765/01, ZfStrVo 2002, S. 180, 181 für die Gewährung von Vollzugslockerungen; OLG Bamberg, Beschluss vom 29. Juni 2017 – 1 Ws 283/2017- BeckRS 2017, 154819; Laubenthal a.a.O. 12. Kapitel Rechtsbehelfe B § 109 StVollzG Rn. 12; Arloth/Krä, a.a.O. § 109 StVollzG Rn. 9).

b) Die Begehren der Antragstellerinnen in ihren Schreiben vom 15. Juni 2021 und vom 7. Oktober 2021 waren auch nach der Beurteilung der Justizvollzugsanstalt zunächst nur auf eine Auskunftserteilung zu möglichen Forderungen gerichtet (vgl. Bl. 66, 70, 72 d.A.). Den mit anwaltlichen Schreiben vom 2. November 2021 erstmalig geltend gemachten Antrag auf Auszahlung des Eigengelds mit Fristsetzung hat die Justizvollzugsanstalt vor der Klageerhebung nicht verbeschieden. Die Argumentation der Strafvollstreckungskammer, bei dem Schreiben der Justizvollzugsanstalt vom 25. Oktober 2021 handle es sich um die Ablehnung eines Auszahlungsantrags, trägt daher nicht. Die Anfechtungsfrist von § 112 StVollzG wurde nach dem 2. November 2021 bezüglich der Hauptforderung nicht ausgelöst, der Antrag auf Erstattung der außergerichtlichen Kosten wurde erstmals in der Klage geltend gemacht.

2. Die Anträge waren, die Anwendbarkeit der Vorschrift unterstellt, auch nicht nach § 113 StVollzG unzulässig. Grundsätzlich kann vor Ablauf von drei Monaten seit einem an die Leitung der Vollzugseinrichtung gerichteten und von dieser nicht verbeschiedenen Antrag auf Vornahme einer Maßnahme gemäß § 113 Abs. 1 StVollzG der Antrag auf gerichtliche Entscheidung prinzipiell nicht gestellt werden. Jedoch kann dann eine kürzere Frist an die Stelle der Drei-Monatsfrist treten, wenn eine frühere Anrufung des Gerichts wegen besonderer Umstände des Falles geboten ist (Laubenthal a.a.O. 12. Kapitel Rechtsbehelfe § 113 StVollzG Rn. 2). Nachdem sich die JVA auf eine Verjährung des Anspruchs berief und eine solche aus der Sicht der Antragstellerinnen auch drohte, war dies hier der Fall. Für den gleichzeitig in der Klage geltend gemachten Antrag auf Zahlung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten bedurfte es, da dieser zivilrechtlich vom Hauptantrag abgeleitet ist, keines gesonderten Antrags an die JVA.

IV.

Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache auch überwiegend Erfolg. Der Senat geht nach sachgerechter Auslegung der Anträge in der Rechtsbeschwerde aufgrund der uneingeschränkten Anfechtung des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer zugunsten der Antragstellerinnen davon aus, dass diese auch die Versagung des Anspruchs auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten zur Überprüfung stellen. Den Antragstellerinnen als Erben des ehemaligen Strafgefangenen steht gegen das Land ein Anspruch auf Auszahlung des Eigengelds, nicht jedoch auf eine Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu.

1. Der Antragsgegner war auch nach der letzten Inhaftierung des Erblassers verpflichtet, diesem das bis dahin gutgeschriebene Eigengeld auszuzahlen. Dieser Anspruch war vererbbar; er ist nach dem Tod des Erblassers auf dessen Erbinnen übergegangen.

a) Nach der gesetzlichen Regelung von Art. 52 Abs. 1 BayStVollzG werden im Strafvollzug eingebrachtes Geld, Bezüge der Gefangenen, die nicht als Hausgeld, Haftkostenbeitrag oder Überbrückungsgeld in Anspruch genommen werden, sowie Geld, das für die Gefangenen eingezahlt wird, als Eigengeld gutgeschrieben. Nach Abs. 2 der Regelung können die Gefangenen über ihr Eigengeld verfügen, soweit dieses nicht als Überbrückungsgeld notwendig ist. Bei Eigengeld handelt es sich demnach um ein auf einem Konto gutgeschriebenes Geldvermögen des Strafgefangenen, das die Justizvollzugsanstalt für ihn bis zur Auszahlung des Guthabens verwaltet; sie führt dafür ein Konto für den Gefangenen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2004 – IXa ZB 287/03 –, BGHZ 160, 112-120, juris Rn. 7 zu § 52 StVollzG; Stöber/Rellermeyer Forderungspfändung 17. Aufl., Teil A. 185; Galli in Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 8. Aufl., Teil II § 56 LandesR Rn. 3 m.w.N.; Baier/Laubenthal a.a.O. 4. Kapitel Arbeit und Bildung H VI Rn. 103; Harrendorf/Ullenbruch in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl. 2020, 11. Kapitel Sicherheit und Ordnung C Rn. 17). Die Verwaltung des Kontos begründet ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis; dabei handelt es sich nicht um ein Verwahrungsverhältnis im eigentlichen Sinne (vgl. BGHZ a.a.O. Rn. 7; OLG Hamm, Beschluss vom 29. März 1988 – 1 Vollz (Ws) 367/87 –, juris Rn. 8), vielmehr gleicht die Kontoführung einem privaten, von der Justizvollzugsanstalt geführten Sparkonto (vgl. Marschner in Kammeier/Pollähne, Maßregelvollzugsrecht, 4. Aufl. 2018, E. Rehabilitation VI E 70 zum Eigengeld von Untergebrachten) mit Zügen einer Kontokorrentsituation. Der Gefangene kann vorbehaltlich von gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen bereits während des Strafvollzugs über sein Eigengeld frei disponieren, etwa Geld außerhalb der Anstalt anlegen oder für Verwendungen innerhalb der Einrichtung nutzen (Baier/Laubenthal a.a.O. Rn. 103).

Im Gegensatz zu dem Überbrückungsgeld, das dem Gefangenen erst bei Entlassung in die Freiheit ausgezahlt wird (Art. 51 Abs. 2 S. 1 BayStVollzG), ist eine Verfügung über das Eigengeld nicht von dem Ende des Strafvollzugs oder der Entlassung des Gefangenen abhängig. Dem Strafgefangenen steht bereits ab dem Zeitpunkt der Gutschrift gegen das Land als Träger der Justizvollzugsanstalt ein schuldrechtsähnlicher Anspruch (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 14. Dezember 2004 – 1 Ss 81/04 –, juris Rn. 12) auf Auszahlung seines Eigengeldguthabens nach § 700 Abs. 1 Satz 2, § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB analog zu (vgl. BGHZ a.a.O. Rn. 7; Baier/Laubenthal a.a.O. 4. Kapitel Arbeit und Bildung H VI Rn. 103; Stöber/Rellermeyer a.a.O.).

b) Der Anspruch ist als Forderung gegen das Land nach § 1922 BGB auf die Erbinnen übergegangen.

c) Der Anspruch ist nicht gemäß § 378 BGB erloschen. Ein Fall der Hinterlegung nach §§ 372, 376 Abs. 2 Nr. 1 BGB liegt nicht vor. Dass die JVA das Gefangenenkonto aufgelöst und das Eigengeld im Jahr 2013 zur Verwahrung an die Landesjustizkasse umgebucht hat, führt nicht zum Erlöschen des Auszahlungsanspruchs.

d) Der Auszahlungsanspruch der Erben ist weder nach Art. 71 BayAGBGB erloschen noch nach §§ 195, 199 BGB verjährt. Denn der Lauf beider Fristen wurde erst mit dem Zahlungsverlangen der Miterbinnen ausgelöst.

Nach Art. 71 Abs. 1 BayAGBGB erlöschen die auf eine Geldzahlung gegen den Freistaat Bayern gerichteten öffentlich-rechtlichen Ansprüche, soweit nicht anderes bestimmt ist, in drei Jahren. Die Frist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Berechtigte von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Verpflichteten Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, jedoch nicht vor dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Nach §§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB beginnt die regelmäßige Verjährung mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder sich dieser Kenntnis grob fahrlässig verschlossen hat. Nach § 199 Abs. 4 BGB ist für die 10-jährige absolute Verjährungsfrist nur die objektive Entstehung des Anspruchs erforderlich.

Nach der mangels spezialgesetzlicher Regelungen auch auf die Verwaltung des Eigengelds anwendbaren Auslegungsregel des § 700 Abs. 1 S. 3 BGB richten sich Zeit und Ort der Rückgabe nach den §§ 695-697 BGB über den Verwahrungsvertrag. Nach § 695 S. 1 BGB kann der Hinterleger die hinterlegte Sache jederzeit zurückfordern, auch wenn für die Aufbewahrung eine Zeit bestimmt ist. Grundsätzlich entsteht der Rückforderungsanspruch damit bereits im Zeitpunkt der Hinterlegung. Damit würde die Verjährungsfrist von drei Jahren bereits mit Ende des Jahres der Hinterlegung (hier der Einzahlung) beginnen. Dies hätte zur Folge, dass die Justizvollzugsanstalt nach Ablauf von drei Jahren die Auszahlung der von ihr verwalteten Guthaben verweigern könnte, selbst wenn die Haft andauert. Indes ist auf den Auszahlungsanspruch auch § 695 S. 2 BGB entsprechend anzuwenden.

Bei dem Anspruch auf Auszahlung von Eigengeld eines Strafgefangenen nach § 700 BGB analog handelt es sich wegen des in entsprechender Anwendung von § 700 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 695 S. 1 BGB normierten jederzeitigen Rückforderungsrechts (vgl. Staudinger/Bieder (2020) BGB § 700 Rn. 31; MünchKommBGB/Henssler, 9. Aufl., § § 700 Rn. 13) wie bei den Rückforderungsansprüchen aus Leihe, Hinterlegung oder Verwahrung um einen sogenannten verhaltenen Anspruch, der zwar jederzeit, aber nur auf Verlangen des Berechtigten zu erfüllen ist (zu § 700 BGB als einem zwischen Verwahrung und Darlehen stehenden, typengemischten Vertrag eigener Art vgl. Zetzsche in Erman BGB, Kommentar, § 700 Unregelmäßiger Verwahrungsvertrag Rn. 1, 4; Staudinger/Bieder a.a.O. Rn. 2, 7; MünchKommBGB Henssler a.a.O.). Bei verhaltenen Ansprüchen besteht in der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Literatur im Ergebnis Übereinstimmung darin, dass die Verjährung entsprechend § 695 S. 2 BGB seit der Schuldrechtsreform nicht mehr sofort beginnt, sondern erst, wenn der Gläubiger den Schuldner erstmals zur Leistungserbringung auffordert (vgl. etwa Lakkis in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 199 BGB (Stand: 01.05.2020) Rn. 31; MünchKommBGB/Grothe, 6. Aufl., § 199 Rn. 7; im Erg. ebenfalls MünchKommBGB/Henssler a.a.O. § 695 Rn. 14; Jülch in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 695 BGB (Stand: 01.02.2020) Rn. 15; Schmidt-Räntsch in Erman BGB, 16. Aufl., § 199 Rn. 4a; Staudinger/Peters/Jacoby (2019) BGB § 199 Rn. 12; BGH, Urteil vom 3. November 2011 – III ZR 105/11 –, juris Rn. 29 zum Anspruch auf Rechnungslegung; BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - III ZR 71/11 – , juris Rn. 13; BGH, Urteil vom 4. Mai 2017 - I ZR 113/16 –, juris Rn. 22 f.; BGH, Urteil vom 25. März 2021 – VII ZR 94/20 –, juris Rn. 26 zum Anspruch auf Stellung einer Bauhandwerkersicherung). Dies beruht auf der Überlegung, dass der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes von der Schaffung einer allgemeinen Verjährungsregelung für verhaltene Ansprüche im Hinblick auf deren Ausnahmecharakter bewusst abgesehen und stattdessen den Verjährungsbeginn einzelner, von ihm als "verhalten" identifizierter Ansprüche aus dem Leih- und Verwahrungsvertragsrecht (§ 604 Abs. 3, § 695 Satz 1 und § 696 Satz 3 BGB) einer gesonderten Regelung zugeführt hat, um einen von ihm - angesichts der durch die Gesetzes-Novelle erfolgten Verkürzung der regelmäßigen Verjährungsfrist von 30 auf 3 Jahre - als nicht angemessen empfundenen Verjährungsbeginn nach § 199 Abs. 1 BGB zu vermeiden (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 258 zu § 604 Abs. 5 BGB; S. 258, 269 zu § 695 und § 696 BGB). Diese Gesetzeshistorie rechtfertigt es, den Beginn der Verjährungsfrist verallgemeinernd für andere verhaltene Ansprüche, für die der Verjährungsbeginn nicht ausdrücklich geregelt ist, anknüpfend an das Erfüllungsverlangen des Gläubigers zu bestimmen (BGH, Urteil vom 25. März 2021, a.a.O. Rn. 26).

Danach beginnt die Verjährung erst mit dem Rückgabeverlangen. Um den Rückzahlungsanspruch eines Strafgefangenen auch bei mehrjähriger Haft zu sichern, muss entsprechendes auch für den Erlöschenstatbestand des Art. 71 Bay AGBGB in Bezug auf das von der Justizvollzugsanstalt verwaltete Guthaben eines Häftlings gelten. Entgegen der Rechtsansicht des Antragsgegners kommt demzufolge nach der gesetzlichen Regelung dem Zeitpunkt der Entlassung des Gefangenen für die Entstehung des Auszahlungsanspruchs keine maßgebliche Bedeutung zu. Denn der Anspruch auf Auszahlung des Eigengelds knüpft anders als beim Überbrückungsgeld nicht an das Ende des Strafvollzugs an. Indem das Eigengeld auch nach der Entlassung am 7. August 2013 von der JVA auf dem Gefangenenkonto gutgeschrieben wurde, wurde die Verwaltung des Geldes von der JVA auch nach dem Ende des Strafvollzugs fortgesetzt.

e) Dem Zahlungsanspruch kann nicht der Einwand der Verwirkung entgegengesetzt werden. Der Einwand der Verwirkung ist in der Rechtsprechung als Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung für den Fall der verspäteten Geltendmachung eines Anspruchs anerkannt und auf das öffentliche Recht übertragbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 1996 – 2 C 23/95 –, BVerwGE 102, 33-38, juris Rn. 24 m.w.N.). Verwirkt ist ein Anspruch, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die spätere Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen (Umstandsmoment). Das Umstandsmoment ist insbesondere erfüllt, wenn der Schuldner infolge eines bestimmten Verhaltens des Gläubigers darauf vertrauen durfte, dass dieser seinen Anspruch nach längerer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), und wenn er sich infolge seines Vertrauens so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 8 C 4/11 –, BVerwGE 143, 335-363, juris Rn. 86 m.w.N.). Für die Annahme eines Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) reicht demnach der bloße Zeitablauf nicht aus; hinzukommen muss vielmehr, dass der Berechtigte das Recht längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten auch darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (BGH, Urteil vom 16. März 2017 – I ZR 49/15 –, juris Rn. 83). Eine Verwirkung von Ansprüchen, die der regelmäßigen Verjährung von drei Jahren unterliegen und im Zeitpunkt der Klageerhebung unverjährt sind, kommt grundsätzlich nur bei Vorliegen besonderer Umstände in Betracht (BGH, a.a.O. Rn. 83 m.w.N.). Entscheidend für die Annahme einer unzulässigen Rechtsausübung ist, dass sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenseite vorrangig schutzwürdig erscheinen (BGH a.a.O. Rn. 85).

Daran fehlt es hier. Auch nach dem Vorbringen des Antragsgegners hat der Erblasser zu keinem Zeitpunkt gegenüber der JVA zum Ausdruck gebracht oder durch sein Verhalten signalisiert, dass er auf sein nicht unerhebliches Vermögen verzichten wolle. Dass er sich das Guthaben nach seiner Entlassung nicht auszahlen ließ, genügt im Falle einer gesetzlich geregelten Vermögensverwaltung für die Annahme eines Vertrauenstatbestands nicht. Ein Strafgefangener ist nämlich nach Art. 52 BayStVollzG nicht gehalten, sich das Eigengeld unverzüglich auszahlen zu lassen. Hat die JVA als eine öffentliche Einrichtung privates Vermögen zur Verwaltung angenommen, darf der Einzahler auch nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug grundsätzlich mit der Fortsetzung der Vermögensbetreuung rechnen. Darauf, dass im vorliegenden Fall nach der Darstellung der Justizvollzugsanstalt eine geistige Überforderung des Strafgefangenen nicht auszuschließen ist, die der Begründung eines Vertrauenstatbestands ebenfalls entgegenstünde, kommt es daher nicht an.

2. Der von den Antragstellerinnen geforderte Ersatz weitergehender vorgerichtlicher Anwaltskosten ist hingegen nicht geschuldet.

a) Der Senat kann offen lassen, ob die Verzugsvorschriften von §§ 286 ff. BGB auf das verwaltungsrechtliche Schuldverhältnis der Verwaltung von Eigengeld nach dem Ende des Strafvollzugs entsprechend anwendbar sind oder ob Schäden, die durch eine verspätete Leistung verursacht sind, nur nach den Regelungen über die Amtspflichtverletzung (Art. 34 GG, § 839 BGB) beurteilt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2003 – 7 B 130/02 –, juris Rn. 6; KG Berlin, Urteil vom 30. März 2012 – 9 U 115/11 –, juris allg. zur Anwendbarkeit der Verzugsvorschriften im öffentlichen Recht Staudinger/Feldmann (2019) a.a.O. Vorbemerkung zu §§ 286 ff. Rn. 45, insb. Rn. 48). Denn jedenfalls sind hier die vorgerichtlichen Gebühren des Rechtsanwalts, die zur Geltendmachung der Forderung angefallen sind, nicht ersatzfähig, da sie keinen Verzögerungsschaden darstellen.

aa) In der zivilrechtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Kosten einer „Erstmahnung" nicht als entschädigungspflichtige Verzugsfolgen gelten (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 1984 - VIII ZR 226/83- , juris Rn. 52; Staudinger/Feldmann a.a.O. § 286 Rn. 224; MünchKomm/Ernst BGB, 9. Aufl. 2022, § 286 Rn. 184). Entsprechendes gilt für die Kosten einer außergerichtlichen Zahlungsaufforderung vor Verzugseintritt.

bb) Dafür, dass der Antragsgegner sich hier bei der Beauftragung des gegnerischen Rechtsanwalts bereits im Leistungsverzug befand, ist nichts ersichtlich. Vielmehr erfolgte die Beauftragung des Anwalts im Zusammenhang mit der Geltendmachung eines Auskunftsanspruchs. Den Zahlungsanspruch machten die Antragstellerinnen erstmalig mit Schreiben ihres Rechtsanwalts vom 2. November 2021 geltend. Ein Auskunftsverlangen steht jedoch einem Zahlungsverlangen nicht gleich (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 1984 – IVb ZR 43/83 –, juris Rn. 23). Der Senat sieht daher in den Auskunftsschreiben der JVA vom 7. September und 25. Oktober 2021 noch keine endgültige Leistungsverweigerung, die eine Mahnung nach § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB entbehrlich gemacht hätte.

b) Ein Schadensersatzanspruch wegen Pflichtverletzung nach § 280 Abs 1 BGB analog scheitert bereits daran, dass § 280 Abs. 2 BGB im Falle einer in der Verzögerung bestehenden Pflichtverletzung den Schadensersatz an das Vorliegen der Verzugsvoraussetzungen knüpft (MünchKomm/Ernst a.a.O. Rn. 184).

c) Die Voraussetzungen für eine Amtspflichtverletzung sind ebenfalls nicht dargetan. Auch hier ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerinnen gegenüber der JVA zunächst nur Auskunftsansprüche geltend machten, denen zeitnah nachgekommen wurde.

3. Da die Sache spruchreif ist, konnte der Senat gemäß § 119 Abs. 4 S. 2 StVollzG aussprechen, dass der Antragsgegner zur Auszahlung des Eigengelds verpflichtet ist und der Antrag im übrigen abzuweisen ist.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 1 und 4 StVollzG und einer analogen Anwendung der §§ 467, 473 StPO, wobei der Senat dem geringfügigen Teilunterliegen der Antragstellerinnen unter Kostengesichtspunkten keine Bedeutung beigemessen hat. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 1 Abs. 1 Nr. 8, §§ 52, 60, 65 GKG.


Einsender: 3. Strafsenat des BayObLG

Anmerkung:


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