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Entscheidungen

StPO

Rechtsstaatswidrige Tatprovokation, Aufstiftung, Verfahrenseinstellung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Halle, Beschl. v. 14.12.2022 - 16 KLs 540 Js 1704921 (16/21)

Eigener Leitsatz:

Eine Straftat kann auch dann auf einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation beruhen, wenn sich der Täter aufgrund der Einwirkung des Verdeckten Ermittlers auf die ihm angesonnene Intensivierung der Tatplanung einlässt oder hierdurch seine Bereitschaft wecken lässt, eine Tat mit einem erheblich höheren Unrechtsgehalt zu begehen ("Aufstiftung"). In einem solchen Fall kommt es darauf an, ob der Täter auf die ihm angesonnene Intensivierung der Tatplanung ohne Weiteres eingeht, beziehungsweise sich geneigt zeigt, die Tat mit dem höheren Unrechtsgehalt zu begehen oder an ihr mitzuwirken, Geht die qualitative Steigerung der Verstrickung des Täters mit einer Einwirkung durch die Ermittlungsperson einher, die von einiger Erheblichkeit ist, so liegt ein Fall der unzulässigen Tatprovokation vor.


Landgericht Halle
16. große Strafkammer
16 KLs 540 Js 17049121 (16/21)

Im Namen des Volkes

Urteil

Verteidiger:

wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG u. a.

hat die 16. große Strafkammer des Landgerichts Halle in der Hauptverhandlung vom
15.08.2022, 25.08.2022, 08.09.2022, 29.09.2022, 17.10.2022, 21.10.2022, 14.11.2022, 29.11.2022 und 14.12.2022, an der teilgenommen haben:

durch pp.

für Recht erkannt

Der Angeklagte ist des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln schuldig.
Er wird deshalb zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt.
Im Übrigen wird das Verfahren eingestellt.
Die Einziehung der sichergestellten Betäubungsmittel wird angeordnet.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens, soweit er verurteilt wurde. Soweit das Verfahren eingestellt wurde, werden die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Landeskasse auferlegt.
Es wird dem Grunde nach festgestellt, dass die Landeskasse verpflichtet ist, den Angeklagten zu entschädigen für:
- den Vollzug der Untersuchungshaft in der Zeit vom 20.05.2021 bis zum 28.06.2021;
- die ihm im Rahmen der Außervollzugsetzung des Haftbefehls vom 28.06.2021 bis zum 14.12.2022 auferlegten Maßnahmen sowie
- die Durchsuchungsmaßnahmen vom 20.05.2021, soweit keine Anrechnung auf die ausgeurteilte Geldstrafe erfolgt.

Angewendete Vorschriften:

§§ 1, 3 Abs. 1, 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG, §§ 206a, 260 Abs. 3 StPO

Gründe:

(abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 StPO)

Der zur Tatzeit 37 Jahre alte Angeklagte wurde in Sangerhausen geboren. Er wuchs zusammen mit einer Schwester bei seinen inzwischen geschiedenen Eltern auf. Nach dem Besuch der Grund- und Sekundarschule in Sangerhausen beendete er seine schulische Laufbahn mit dem Abschluss der 9. Klasse. Im Anschluss absolvierte der Angeklagte eine Ausbildung zur Fachkraft für Lagerwirtschaft, die er erfolgreich abschloss. Nach seiner Ausbildung war er zunächst arbeitssuchend und leistete dann für die Dauer von neun Monaten den Grundwehrdienst bei der Bundeswehr. Danach arbeitete er bei verschiedenen Unternehmen als Lagerarbeiter, u. a. bei der inzwischen insolventen Anton Schlecker e. K. sowie sieben Jahre lang bei der pp AG (nunmehr pp.) in Eisleben. Im Jahr 2015 eröffnete der Angeklagte einen Online-Handel und betrieb für etwa neun Monate einen eBay-Shop, über welchen er in China hergestelltes und gefälschtes Zubehör für iPhones des Unternehmens Apple Inc., auf welchem sich unrechtmäßig das Markenzeichen der Apple Inc. befand, vertrieb. Wegen des Vertriebs dieser Plagiate wurde der Angeklagte am 24.01.2018 vom Amtsgericht Halle (Saale) wegen gewerbsmäßiger strafbarer Verletzung der Gemeinschaftsmarke in 321 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Außerdem wurden mit vorstehendem Urteil die durch den Angeklagten aus den Verkäufen erlangten Erlöse in Höhe von 17.806,33 Euro eingezogen. Den daraus resultierenden staatlichen Zahlungsanspruch hat der Angeklagte noch nicht vollständig erfüllt.
Der Angeklagte hat keine Kinder. Er hat seit ca. 1,5 Jahren eine Freundin, mit der er seit Anfang 2022 zusammenlebt.

Der Angeklagte befand sich in dieser Sache aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 20.05.2021, der mit Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 28.06.2021 außer Vollzug gesetzt wurde, vom 20.05.2021 bis zum 29.06.2021 in Untersuchungshaft. Nach seiner Entlassung war er zunächst für eine Zeitarbeitsfirma in Sangerhausen tätig. Seit Anfang November 2022 ist er im Rahmen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses bei dem Unternehmen pp. als Gabelstapler tätig und erzielt einen monatlichen Nettolohn in Höhe von ca. 1.300 Euro.

Mit Drogen kam der Angeklagte zum ersten Mal im Alter von etwa 16 bzw. 17 Jahren in Kontakt. Damals konsumierte er ausschließlich Cannabis. Später konsumierte er gelegentlich auch andere Betäubungsmittel wie Kokain und Methamphetamin. Seit etwa zwei Jahren vor seiner Inhaftierung im Mai 2021 konsumierte der Angeklagte regelmäßig, meist täglich, 0,5 g Methamphetamin. Dieses wirkte bei ihm leistungssteigernd und aufputschend, was unter anderem zur Folge hatte, dass er mitunter mehrere Nächte in Folge nicht schlief.

Seit Beginn der Untersuchungshaft nimmt der Angeklagte keine Drogen mehr. Im Januar 2022 machte er eine dreiwöchige Entgiftungsbehandlung. Ab dem 24.01.2022 befand sich der Angeklagte für eine stationäre Entwöhnungsbehandlung im Therapiezentrum pp. in Göttingen, aus der er regulär am 13.06.2022 entlassen wurde. Seither absolviert er erfolgreich die Nachsorgebehandlung und nimmt einmal monatlich einen Gesprächstermin bei der Sucht- und Drogenberatungsstelle drobs in Sangerhausen wahr.

Strafrechtlich ist der Angeklagte bisher zweimal in Erscheinung getreten:

Wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr (Tatzeitpunkt: 30.10.2014) verhängte das Amtsgericht Sangerhausen (Az.: 3 Cs 540 Js 41623/14) gegen den Angeklagten am 14.07.2015 rechtskräftig eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15 Euro.

Mit vorstehend bereits erwähntem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 24.01.2018 (Az.: 323 Ds 970 Js 38892/15) wurde der Angeklagte wegen gewerbsmäßiger strafbarer Verletzung der Gemeinschaftsmarke in 321 Fällen, begangen bis zum 17.12.2015, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde und die sodann mit Wirkung vorn 19.06.2020 erlassen wurde. Außerdem wurden die durch den Angeklagten aus den Verkäufen erlangten Erlöse in Höhe von 17.806,33 Euro eingezogen.

Der Angeklagte, der bislang mit Methamphetamin im einstelligen Grammbereich Handel trieb, wurde von der bei der Kriminalpolizeiinspektion (KPI) Jena geführten Vertrauensperson "Maik" dazu bewegt, 300 g Methamphetamin an sie zu verkaufen. Dem Angeklagten, der diese Betäubungsmittelmenge nicht über seine bisherigen Lieferanten beschaffen konnte, gelang es schließlich, die von der Vertrauensperson nachgefragte Menge zu beschaffen. Bei der Übergabe der Betäubungsmittel an die Vertrauensperson griffen die Polizeibeamten zu.

Im Einzelnen:

1. Tat 1 der Anklage

Der Angeklagte erwarb in der Vergangenheit kleinere Mengen Methamphetamin zwischen 10 bis 15 g, wobei er stets einen Teil der Betäubungsmittel (etwa 6 g) zum gewinnbringenden Weiterverkauf und den restlichen Teil zum Eigenkonsum bestimmte. Durch den gewinnbringenden Weiterkauf an im Einzelnen unbekannt gebliebene Abnehmer wollte er sich eine dauerhafte, zusätzliche Einnahmequelle verschaffen, um insbesondere seinen Eigenkonsum von Betäubungsmitteln zu finanzieren.

In Kenntnis des Umstands, dass er nicht über die zum Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte verfügte, kam es im Mai 2021 zu folgendem Betäubungsmittelgeschäft mit der bei der KPI Jena geführten Vertrauensperson "Maik", die der Angeklagte für einen Betäubungsmittelabnehmer hielt:

Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im März 2021 fragte pp, ein
Bekannter des Angeklagten, bei diesem nach, ob er Methamphetamin besorgen könne. An dem Methamphetamin habe ein Bekannter (des pp.) namens "Maik" Interesse.

Daraufhin vermittelte pp ein Treffen, an welchem der Angeklagte, "Maik" und pp. teilnahmen. Das Treffen fand an einem nicht mehr genau feststellbaren Tag im März 2021 in der Lengefelder Straße in Sangerhausen unweit einer Spielothek statt. Bei dem Treffen erklärte "Maik" dem Angeklagten unvermittelt, dass er mit Drogen Geld verdienen wolle und er deshalb daran interessiert sei, dass der Angeklagte ihm ein Kilogramm Methamphetamin besorge. Daraufhin erwiderte der Angeklagte, dass das "nicht seine Preisklasse bzw. Liga" sei und er eine so große Menge Methamphetamin nicht besorgen könne. Aufgrund der ablehnenden Reaktion des Angeklagten war das Treffen bereits nach wenigen Minuten beendet und "Maik", pp. sowie der Angeklagte gingen ohne Vereinbarung auseinander.

Da sich pp. eine Provision für die Vermittlung des Geschäfts zwischen dem Angeklagten und "Maik" erhofft hatte, fragte er in der Folgezeit wiederholt mit Nachdruck beim Angeklagten wegen des Geschäfts nach, der aber stets ablehnend reagierte. An einem ebenfalls nicht mehr genau feststellbaren Tag im März 2021 suchte pp. den Angeklagten in dessen Gartenlaube auf, insistierte abermals und erklärte aber nunmehr, dass "Maik" auch mit einer Lieferung von "nur" 300 g Methamphetamin einverstanden sei. Dieses Mal ließ sich der Angeklagte von pp. überreden und gab diesem zu verstehen, dass er 300 g Methamphetamin für "Maik" besorgen könne.

Am 19.05.2021 rief "Maik" um 17:30 Uhr beim Angeklagten an und teilte diesem mit, dass er dessen Telefonnummer kurz zuvor von pp. erhalten habe. Außerdem fragte er den Angeklagten, ob dieser noch am selben Abend die 300 g Methamphetamin besorgen und ihm übergeben könne. Daraufhin kontaktierte der Angeklagte den inzwischen rechtskräftig verurteilten pp. aus Halle, der dem Angeklagten noch am selben Abend gegen 22:00 Uhr 300 g Methamphetamin lieferte. Um 22:14 Uhr rief "Maik" beim Angeklagten an und vereinbarte mit diesem als Übergabeort den Bahnhof in Sangerhausen. Nachdem der Angeklagte den Parkplatz am Bahnhof in Sangerhausen erreicht hatte, stieg er zwischen 22:15 Uhr und 22:30 Uhr in das dort abgestellte Auto des "Maik", setzte sich auf den Beifahrersitz und holte aus seiner Unterhose eine bunte Papiertüte, in welcher sich drei Folientüten mit jeweils 99,5 g, 99, 4 g und 99,3 g Methamphetamin mit einer Gesamtmasse von 243 g reiner Methamphetamin-Base befanden. Beim Verwiegen der einzelnen Folientüten durch "Maik" erfolgte der Zugriff durch die Polizeibeamten.

2. Taten 2 und 3 der Anklage

Bei der anschließenden Durchsuchung der Gartenlaube des Angeklagten in der Gartenanlage "Weinlager" in der pp. in Sangerhausen wurden in einem Tresor 3,6 g Methamphetamin (Tat 2 der Anklage) sowie eine Ecstasytablette (Tat 3 der Anklage) aufgefunden. Bei den 3,6 g Methamphetamin handelt es sich um eine Restmenge von ursprünglich 4 g Methamphetamin, die der Angeklagte am 17.05.2021 von einem Betäubungsmittelhändler, an dessen Namen sich der Angeklagte nicht mehr zu erinnern vermochte, nicht jedoch von pp. zu einem Preis von 200 Euro erworben hatte und die für seinen Eigenkonsum bestimmt waren. Einen kleinen Anteil (0,4 g) der ursprünglichen Gesamtmenge von 4 g Methamphetamin hatte der Angeklagte zwischen dem 17.05.2021 und dem 19.05.2021 bereits selbst konsumiert. Die Ecstasytablette hatte der Angeklagte noch im Besitz, da er früher gelegentlich auch Ecstasy konsumierte.

Die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war bei Begehung der Taten weder aufgehoben noch erheblich eingeschränkt.


Dem Urteil liegt keine Verständigung im Sinne des § 257c StPO zugrunde.

IV.

Hinsichtlich der Tat II. 1. der Urteilsgründe sowie der Anklage war das Verfahren gemäß §§ 206a, 260 Abs. 3 StPO einzustellen. Insoweit stand dem Verfahren wegen Verletzung von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK ein — von Amts wegen zu beachtendes — Verfahrenshindernis entgegen, da das Tatgeschehen von einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation geprägt war.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Gebot des fairen Verfahrens gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK durch eine polizeiliche Tatprovokation verletzt, wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person durch einen Amtsträger oder eine von diesem geführte Vertrauensperson in einer dem Staat zurechenbaren Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt. Ein in diesem Sinne tatprovozierendes Verhalten ist anzunehmen, wenn ein Verdeckter Ermittler oder eine polizeiliche Vertrauensperson mit dem Ziel, eine Tatbereitschaft zu wecken oder die Tatplanung zu intensivieren, über das bloße "Mitmachen" hinaus mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt. Auch bei bereits bestehendem Anfangsverdacht kann die Rechtsstaatswidrigkeit einer Tatprovokation dadurch begründet sein, dass die Einwirkung im Verhältnis zum Anfangsverdacht "unvertretbar übergewichtig" ist. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung sind insbesondere Grundlage und Ausmaß des gegen den Betroffenen bestehenden Verdachts, aber auch Art, Intensität und Zweck der Einflussnahme sowie die eigenen, nicht fremdgesteuerten Aktivitäten des Betroffenen in den Blick zu nehmen (BGH, Urteil vorn 16.12.2021 —1 StR 197/21 m. w. N. juris).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verletzt eine polizeiliche Provokation Art. 6 Abs. 1 EMRK, wenn sich die Ermittlungsperson nicht auf eine "weitgehend passive" Strafermittlung beschränkt hat (EGMR, Urteile vom 15.10.2020 —40495/15, 40913/15, 37273/15 — und vom 23.10.2014 — 54648/09 —, jeweils juris). Dabei ist zu prüfen, ob es objektive Anhaltspunkte für den Verdacht gab, dass der Täter an kriminellen Aktivitäten beteiligt oder tatgeneigt war (EGMR, Urteile vom 15.10.2020 — 40495/15, 40913/15, 37273/15 — und vom 23.10.2014 — 54648/09 —, jeweils juris). Für die Frage, ob eine Person tatgeneigt war, sind im Einzelfall u. a. die erwiesene Vertrautheit des Betroffenen mit aktuellen Preisen von Betäubungsmitteln, dessen Fähigkeit, solche kurzfristig zu beschaffen, sowie seine Gewinnbeteiligung bedeutsam (EGMR, Urteile vom 23.10.2014 — 54648/09 — und vom 15.10.2020 —40495/15, 40913/15, 37273/15 —, jeweils juris). Bei der Differenzierung zwischen einer rechtmäßigen Infiltrierung durch eine Ermittlungsperson und der (konventionswidrigen) Provokation einer Straftat ist weiterhin maßgeblich, ob auf den Angeklagten Druck ausgeübt wurde, die Straftat zu begehen. Dabei ist unter anderem darauf abzustellen, ob die Ermittlungsperson von sich aus Kontakt zu dem Täter aufgenommen, ihr Angebot trotz anfänglicher Ablehnung erneuert oder den Täter mit den Marktwert übersteigenden Preisen geködert hat (EGMR, Urteile vom 23.10.2014 — 54648/09 — und vom 15.10.2020 — 40495/15, 40913/15, 37273/15 —, jeweils juris).

Eine Straftat kann auch dann auf einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation beruhen, wenn sich der Täter aufgrund der Einwirkung des Verdeckten Ermittlers auf die ihm angesonnene Intensivierung der Tatplanung einlässt oder hierdurch seine Bereitschaft wecken lässt, eine Tat mit einem erheblich höheren Unrechtsgehalt zu begehen ("Aufstiftung"). In einem solchen Fall kommt es darauf an, ob der Täter auf die ihm angesonnene Intensivierung der Tatplanung ohne Weiteres eingeht, beziehungsweise sich geneigt zeigt, die Tat mit dem höheren Unrechtsgehalt zu begehen oder an ihr mitzuwirken, Geht die qualitative Steigerung der Verstrickung des Täters mit einer Einwirkung durch die Ermittlungsperson einher, die von einiger Erheblichkeit ist, so liegt ein Fall der unzulässigen Tatprovokation vor (BGH, Urteil vom 16.12.2021 —1 StR 197/21 m. w. N. juris).

An diesen Maßstäben gemessen überschritt die der KPI Jena zuzurechnende Einflussnahme der Vertrauensperson "Maik" auf das als Tat 1 angeklagte Geschehen die durch den Grundsatz des fairen Verfahrens und das Rechtsstaatsprinzip gezogenen Grenzen.

Der wegen Betäubungsmitteldelikten polizeibekannte, allerdings nicht wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz vorbestrafte Angeklagte handelte zwar bereits vor dem als Tat 1 angeklagten Verkaufsvorgang mit Methamphetamin, dies aber nur in Mengen, die den Grenzwert der nicht geringen Menge nicht überstiegen. Er war damit zwar bereits auf unterer Ebene des Vertriebsgeschehens in den Betäubungsmittelhandel verstrickt, weshalb insoweit auch ein Anfangsverdacht weiterer Tatneigung bestand, dies aber bis zum Eingreifen der Vertrauensperson "Maik" nur bezüglich überschaubarer Betäubungsmittelmengen im untersten zweistelligen Grammbereich, wobei ein Teil dieser geringen Mengen auch noch zum Eigenkonsum bestimmt war. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte auch hinsichtlich deutlich oberhalb der geltenden Grenzwerte für nicht geringe Mengen, insbesondere um einen "Quantensprung" über den bisher gehandelten Mengen liegender und damit qualitativ gänzlich anders einzuordnender Geschäfte tatgeneigt gewesen sein könnte, als die Vertrauensperson "Maik" ihn erstmals darauf ansprach, ob er auch ein Kilogramm Methamphetamin verkaufen könne, hat die Kammer nicht festzustellen vermocht. Im Gegenteil zeigt die sehr deutliche ablehnende Reaktion des Angeklagten auf die erste Anfrage der Vertrauensperson "Maik", wonach das Geschäft "nie im Leben" zustande komme, weil das nicht seine "Preisklasse" bzw. "Liga" sei, dass der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt hinsichtlich einer ganz erheblich über dem Grenzwert der nicht geringen Menge liegenden Lieferung von mehreren Hundert Gramm Methamphetamin nicht tatgeneigt war. Der Angeklagte kam nach dem Scheitern des Geschäfts über ein Kilogramm Methamphetamin auch nicht etwa selbst auf das von der Vertrauensperson "Maik" bekundete Erwerbsinteresse größeren Umfangs zurück und schlug diesem ein Geschäft über eine deutlich geringere, aber immer noch erheblich über der bisher von ihm gehandelte Menge vor. Vielmehr war es die Vertrauensperson "Maik", die den Angeklagten vermittels des gemeinsamen Bekannten pp. auf die Möglichkeit der Abwicklung eines größeren Betäubungsmittelgeschäfts in der Größenordnung von 300 g Methamphetamin ansprach, woraufhin sich der Angeklagte im Ergebnis erst nach mehrfachem Drängen zur Verschaffung dieser Menge Methamphetamin bereit erklärte.

In der Gesamtschau stellt sich die Einwirkung der Vertrauensperson "Maik" als "Aufstiftung" des Angeklagten zur Begehung einer Drogenstraftat, die dieser sonst nicht begangen hätte, und nicht mehr als "weitgehend passive Ermittlungstätigkeit" im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesgerichtshofs dar.

2. Hinsichtlich der Tat II. 2. der Urteilsgründe sowie der Anklage hat sich der Angeklagte gemäß § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG wegen des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln strafbar gemacht, indem er das aufgefundene Methamphetamin ohne Erlaubnis zwecks Eigenkonsums angekauft hatte und aufbewahrte.

Für die unter II. 2. festgestellte Tat ist die Kammer vom Strafrahmen des § 29 Abs. 1 S. 1 BtMG ausgegangen.

Bei der konkreten Strafzumessung fiel erheblich zu Gunsten des Angeklagten ins Gewicht, dass er sich in der Hauptverhandlung vollumfänglich geständig eingelassen hat und er nicht einschlägig vorbestraft ist. Strafmildernd wirkte sich weiterhin aus, dass die hier in Rede stehenden Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten, nicht in den Verkehr gelangt sind und es sich auch nur um eine vergleichsweise geringe Menge an Betäubungsmitteln handelte. Außerdem sprach für den Angeklagten, dass er in der Hauptverhandlung auf die Herausgabe der bei ihm sichergestellten Gegenstände, Betäubungsmittel und des Bargeldes verzichtet hat.

Zu Lasten des Angeklagten wertete die Kammer, dass es sich bei Methamphetamin um eine sog. harte Droge handelt.

Nach Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hat die Kammer eine Geldstrafe vön 60 Tagessätzen zu je 40,00 EUR für tat- und schuldangemessen gehalten.

VI.

Eine Maßregel gemäß § 64 StGB war nicht anzuordnen, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Die Kammer hat eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht erwogen, da vergleichbare strafbare Handlungen des Angeklagten in Zukunft nicht zu erwarten sind. Der Angeklagte lebt seit mehr als 1,5 Jahren drogenabstinent, hat eine stationäre Entwöhnungsbehandlung absolviert und seit ca. 1,5 Jahren eine feste Beziehung mit seiner Freundin, mit der er seit Anfang 2022 zusammenwohnt und die ihn bei der Nachsorgebehandlung unterstützt.

VII.

Soweit dem Angeklagten mit der Anklageschrift vorgeworfen wurde, unerlaubt eine Ecstasytablette besessen zu haben (Tat 3 der Anklageschrift), hat die Kammer das Verfahren in der Hauptverhandlung gemäß § 153 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 StPO eingestellt.

VIII.

Soweit der Angeklagte verurteilt wurde, ergibt sich seine Pflicht zur Kostentragung aus § 465 Abs. 1 S. 1 StPO. Soweit das Verfahren eingestellt wurde, hat gemäß § 467 Abs. 1 StPO die Landeskasse die Verfahrenskosten und notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
IX.

Der Angeklagte hat gegen die Landeskasse einen Anspruch auf Entschädigung für den erlittenen Vollzug der Untersuchungshaft vom 20.05.2021 bis zum 28.06.2021 sowie der übrigen im Tenor aufgelisteten Strafverfolgungsmaßnahmen gemäß § 2 Abs. 1 StrEG.

Nach § 2 Abs. 1 StrEG wird derjenige, der durch den Vollzug der Untersuchungshaft oder einer anderen Strafverfolgungsmaßnahme einen Schaden erlitten hat, aus der Staatskasse entschädigt, soweit er freigesprochen oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird oder soweit das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn ablehnt. Diese Voraussetzung ist infolge der (Teil-) Einstellung des Strafverfahrens im Hinblick auf das dem Angeklagten zur Last gelegte unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG (Tat II. 1. der Urteilsgründe sowie der Anklage) vorliegend erfüllt.
Der Entschädigungsanspruch ist auch nicht nach § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG ausgeschlossen. Dies wäre nur dann anzunehmen, wenn der Angeklagte die Strafverfolgungsmaßnahmen vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hätte. Dabei ist das auf dem Rechtsstaatsprinzip fußende Postulat, dass Feststellungen zur Schuld des Angeklagten nur dann getroffen und Strafen hierfür nur dann ausgesprochen werden dürfen, wenn die Schuld des Angeklagten in einem mit rechtsstaatlichen Verteidigungsgarantien ausgestatteten, bis zum prozessordnungsgemäßen Abschluss durchgeführten Strafverfahren nachgewiesen ist, auch bei der Entscheidung über die Entschädigungspflicht für Strafverfolgungsmaßnahmen zu berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 25.11.1991 — 2 BA 1056/90 —, juris).

Daraus folgt, dass das Verhalten des Angeklagten jedenfalls dann nicht ursächlich im Sinne von § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG geworden ist, wenn die in Rede stehenden Maßnahmen aufgrund eines schwerwiegenden Bearbeitungsfehlers der Strafverfolgungsbehörden angeordnet, vollzogen und aufrechterhalten worden sind (KG Berlin, Beschluss vom 20.06.2011 — 4 Ws 48/11 —, juris). Ein Anspruch ist auch nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil ein nach neuerer höchstrichterlicher Rechtsprechung strafloses Verhalten zur "Tatzeit" — also zum maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung der in Rede stehenden strafprozessualen Maßnahmen — noch als strafbar angesehen wurde (Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., Vorbem. zum StrEG Rn. 1).

Ausgehend hiervon war vorliegend bei der Entscheidung über die Entschädigungspflicht für die vom Angeklagten erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen maßgeblich zu berücksichtigen, dass die dem Angeklagten in der Anklageschrift zur Last gelegte Tat 1 durch das Verhalten der Vertrauensperson "Maik" in rechtsstaatswidriger Weise provoziert worden ist und deshalb zu einem Verfahrenshindernis führte. Diese Bewertung ist auch bei der Beurteilung, ob der Angeklagte die strafprozessualen Maßnahmen im Sinne des § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG in vorwerfbarer Weise verursacht hat, mit zu berücksichtigen und führt dazu, dessen Verhalten nicht als ursächlich im Sinne von § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG anzusehen. Die provozierte Tat ist unmittelbare Folge des rechtsstaatswidrigen Handelns, so dass ein möglicher Verursachungsbeitrag des Angeklagten außer Betracht bleiben muss.

Insoweit ist auch unerheblich, dass die Strafverfolgungsbehörden zum Zeitpunkt der Anordnung der strafprozessualen Maßnahmen angesichts der damaligen höchstrichterlichen Rechtsprechung möglicherweise noch davon ausgegangen sind, dass rechtsstaatswidrige Tatprovokationen im Wege der sog. "Strafzumessungslösung" kompensiert werden konnten und die Verurteilung des Angeklagten auch wegen der Tat 1 nach damaligen Maßstäben möglicherweise zu Recht erfolgt wäre. Gegenstand des Entschädigungsverfahrens nach dem StrEG ist es nicht, die Anordnung einzelner Strafverfolgungsmaßnahmen ex ante auf ihre damalige Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Vielmehr handelt es sich bei dem Entschädigungsanspruch nach dem StrEG seiner Rechtsnatur nach um einen Aufopferungsanspruch, der allein voraussetzt, dass der Betroffene — ex post betrachtet — ein von ihm nicht veranlasstes Sonderopfer erbracht hat (Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., Vorbem. zum StrEG Rn. 1). Dies ist angesichts der erlittenen Maßnahmen, welche aufgrund der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation nicht hätten erfolgen dürfen, hier der Fall.

Schließlich steht auch § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG einem Entschädigungsanspruch des Angeklagten nicht entgegen. Bei diesem Versagungstatbestand kann die Entschädigung zwar ganz oder teilweise versagt werden, wenn der Angeklagte wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt worden ist, weil ein Verfahrenshindernis bestand. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Schuld des Angeklagten gerichtlich festgestellt worden ist (Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 6 StrEG Rn. 7). Daran fehlt es vorliegend. Die Annahme eines Verfahrenshindernisses hat unter anderem zur Folge, dass alle als Ergebnis der rechtsstaatswidrigen Provokation gewonnenen Beweismittel nicht mehr zulasten des Angeklagten verwertet werden dürfen. Damit ist die Schuld des Angeklagten im Hinblick auf die Tat 1 gerade nicht festgestellt.

Im Hinblick auf den Umfang der Entschädigungspflicht ist § 51 Abs. 1 S. 1 StGB zu berücksichtigen. Danach wird Untersuchungshaft, die ein Verurteilter aus Anlass einer Tat erlitten hat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, auf die verhängte Freiheits- oder Geldstrafe angerechnet. Dabei ist nicht erforderlich, dass die Strafe allein wegen der Tat oder zumindest auch wegen der Tat verhängt worden ist, derentwegen sich der Verurteilte in Untersuchungshaft befunden hat. Vielmehr ist es bei erlittener Untersuchungshaft nach dem Grundsatz der Verfahrensidentität ausreichend, wenn die Freiheitsentziehung aus Anlass einer Tat erfolgt ist, die Gegenstand des Verfahrens ist oder war. Das Verfahren muss sich während irgendeiner Phase auch auf eine Tat bezogen haben, die zumindest einer der Anlässe der Freiheitsentziehung war. So genügt insbesondere die gemeinsame Aburteilung, auch bei Freispruch oder — wie vorliegend — Einstellung hinsichtlich der Tat, die zur Untersuchungshaft führte (Fischer, StGB, 69. Aufl., § 51 Rn. 6 m. w. N.).

Danach ist die vom Angeklagten in der Zeit vom 20.05.2021 bis zum 28.06.2021 erlittene Untersuchungshaft nach § 51 Abs. 1 S. 1 StGB auf die verhängte Geldstrafe von 60 Tagessätzen anzurechnen. Von der Möglichkeit, das Unterbleiben der Anrechnung nach § 51 Abs. 1 S. 2 StGB anzuordnen, hat die Kammer keinen Gebrauch gemacht.


Einsender: RA J.-R. Funck, Braunschweig

Anmerkung:


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