Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen, Facebook-Post, SS-Vergleich, Polizei, Beleidigung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Urt. v. 27.06.2023 - 4 ORs 46/23

Eigener Leitsatz:

1. Zur Verwendung verbotener Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
2. Zur Beleidigung eines Polizeibeamten durch Gleichstellung seiner Person mit der SS.


In pp.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 29. November 2022 im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte eines Verstoßes gegen das Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie in Tateinheit mit Beleidigung sowie in Tateinheit mit dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen schuldig ist.
Die Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, die durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten sowie die dem Adhäsionskläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Paderborn hat den Angeklagten mit Urteil vom 11. April 2022 wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt. Ferner hat es ihn verurteilt, an den Adhäsionskläger 650 Euro nebst Zinsen "in Höhe von fünf Prozentpunkten" ab Rechtskraft der Entscheidung zu zahlen.

Die gegen dieses Urteil form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat das Landgericht Paderborn mit Urteil vom 29. November 2022 mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte wegen Verstoßes gegen das Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu jeweils 10 Euro verurteilt worden ist. Ferner hat es den Angeklagten verurteilt, an den Adhäsionskläger 650 Euro zu zahlen.

Zur Sache hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:

"Der Angeklagte veröffentlichte am 19.11.2020 gegen 20:24 Uhr in A auf seiner öffentlich einsehbaren Facebook-Seite eine Bildmontage, um seiner kritischen Meinung gegenüber der Corona-Politik der Bundesrepublik Ausdruck zu verleihen. Diese Bildmontage ist überschrieben mit "..."wes Brot ich ess, des Lied ich sing", war so, ist so, und bleibt auch so! ... Ich führe nur [es folgt die Bildmontage, Anm. des Unterzeichners] Befehle aus". Außerdem beinhaltet dieser Post zwischen den Worten "Ich führe nur" und "Befehle aus" eine Bildmontage, welche halbseitig ein Foto des SS-Obersturmbandführers J. H. in Uniform, mit "Totenkopfemblem" an der Mütze und mit der "Doppel -Siegrune" auf dem Kragen und auf der anderen Seite den uniformierten Adhäsionskläger und Zeugen Polizeihauptmeister B. zeigt. Der Angeklagte, der diese Fotomontage aus dem Internet entnommen hat, hat dabei die naheliegende Möglichkeit erkannt, dass der Zeuge B. keine Einwilligung zur Verwendung seines Bildnisses erteilt hat und nahm dies jedenfalls billigend in Kauf.

Nachdem dem Angeklagten bekannt wurde, dass gegen ihn strafrechtliche Ermittlungen wegen dieses Posts geführt werden, hat er den Post am 14.10.2021 gelöscht und ein Entschuldigungsschreiben auf seiner Facebookseite veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem: "Das in diesem Beitrag von mir geteilte Bild (aus Unkenntnis der Rechtslage), verstößt gegen den § 86a StGB [...] Bedauerlicherweise wurde es von Facebook gelöscht, daher entferne ich es heute am 14. Oktober 2021 selber". ("Auslassungen" durch den Unterzeichner).

Der Zeuge B. hat in der Hauptverhandlung vom 29.11.2022 einen Adhäsionsantrag gestellt, mit dem er von dem Angeklagten die Zahlung eines Betrages in Höhe von 650,00 EUR fordert. Zinsen macht er nicht (mehr) geltend. Er wurde am 19.11.2020 von einem Kollegen auf die Bildmontage aufmerksam gemacht und hat unter dem 20.11.2020 eine Strafanzeige erstattet. Das Originalfoto des Zeugen B. entstand im Rahmen des G-20 Gipfel im Jahr 2017. Es ist im Internet frei zugänglich. Aufgrund des o.g. Posts wurde der Zeuge B. teilweise in Anwesenheit seiner Familie privat belästigt und hat aufgrund des dadurch bedingten Stresses seine Mitgliedschaft in der Polizeigewerkschaft aufgegeben."

Eine Verurteilung des Angeklagten wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB hat das Landgericht mit der Begründung verneint, die Handlung des Angeklagten laufe ersichtlich nicht dem Schutzzweck dieser Vorschrift zuwider. Eine Strafbarkeit nach § 185 StGB scheide aus, da die Meinungsfreiheit bei der vorzunehmenden Güterabwägung zwischen dem Ehrenschutz einerseits und dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit andererseits überwiege.

Gegen dieses Urteil wendet sich zunächst die Staatsanwaltschaft Paderborn mit ihrer mit Schreiben vom 1. Dezember 2022, bei Gericht eingegangen am selben Tage, eingelegten Revision, die sie mit Schreiben vom 20. Dezember 2022 begründet hat. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts. Sie ist der Ansicht, das Persönlichkeitsrecht des Adhäsionsklägers überwiege bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung die Meinungsfreiheit des Angeklagten, weshalb der Angeklagte auch wegen Beleidigung zu bestrafen sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich auch der Angeklagte mit seiner am 6. Dezember 2022 eingelegten Revision, die er mit Schriftsatz vom 16. Januar 2023, bei Gericht eingegangen am selben Tage, begründet hat. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Im Hinblick auf die erhobene Verfahrensrüge führt er aus, die Kammer habe ihn zwar auf eine Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie im Rahmen der Hauptverhandlung hingewiesen. Allerdings sei ihm keine Beratungsmöglichkeit eingeräumt worden, da sofort der Zeuge vernommen worden sei. Eine Strafbarkeit nach dem KunstUrhG scheide aus, weil das Foto des Adhäsionsklägers einen zeitgeschichtlichen Hintergrund habe, da es im Rahmen des G-20 Gipfels im Jahr 2017 entstanden sei. Es hätte eine Güterabwägung zwischen der Kunstfreiheit und der Meinungsfreiheit sowie dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Adhäsionsklägers erfolgen müssen. Dabei hätte die Kammer beachten müssen, dass die Polizei als Institution angegriffen werde und nicht die Privatperson.

Der Angeklagte beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils ihn freizusprechen, hilfsweise das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Kammer des Landgerichts Paderborn zurückzuverweisen. Ferner beantragt er, die Revision der Staatsanwaltschaft als unbegründet zu verwerfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Revision der Staatsanwaltschaft Paderborn beigetreten. Sie beantragt, auf die Revision der Staatsanwaltschaft Paderborn das angefochtene Urteil im Schuldspruch dahingehend zu berichtigen, dass der Angeklagte wegen Verstoßes gegen das Urhebergesetz in Tateinheit mit Beleidigung sowie in Tateinheit mit dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt wird und die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen. Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Ansicht, der Angeklagte habe auch den Straftatbestand des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB verwirklicht.

II.

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten sind zulässig. In der Sache hat jedoch nur die Revision der Staatsanwaltschaft Erfolg. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.

a) Das Landgericht hat zu Unrecht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB verneint.

Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich bei der auf dem Kragen des halbseitig abgebildeten SS-Obersturmbandführers J. H. befindlichen Sig-Rune in ihrer doppelten Darstellung um ein Kennzeichen im Sinne des § 86a StGB (vgl. Brandenburgisches OLG, Urteil v. 12. September 2005 - 1 Ss 58/05; OLG Bamberg, Urteil v. 18. September 2007 - 2 Ss 43/07; Paffgen/Klesczewski in NK-StGB, 6. Aufl. 2023, StGB, § 86a, Rn. 10). Dieser Doppel Sig-Rune hat sich die "Schutzstaffel" (SS) der NSDAP bedient und sie verkörpert die Zugehörigkeit zu dieser Organisation.

Auch bei dem auf der Mütze des SS-Obersturmbandführers J. H. befindlichen Totenkopf handelt es sich um ein Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen im Sinne des § 86a StGB. Mit seinem stark ausgeprägten Kiefer mit zwei vollständig großen Zahnreihen sowie den Schädelöffnungen im Bereich der Augen und der Nase stellt er das spezifische Totenkopfsymbol, das Uniformabzeichen der SS-Verbände der NSDAP und damit ein verfassungswidriges Kennzeichen dar (vgl. OLG Jena, Urteil v. 1. Juni 2006 - 1 Ss 79/06 in BeckRS 2006, 9085).

Durch das "Posten" auf seinem Facebook-Profil, das nach den - nicht zu beanstandenden - Feststellungen des Landgerichts öffentlich und für jedermann einsehbar war, hat der Angeklagte dieses Bild wissentlich und willentlich für eine nicht überschaubare Anzahl von Personen wahrnehmbar gemacht und somit im Sinne des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB verwendet.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts unterfällt die verwendete Fotomontage auch dem Schutzzweck des § 86a StGB. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs richtet sich die Vorschrift des § 86a StGB gegen eine Wiederbelebung verfassungswidriger Organisationen und der von ihnen verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen, auf die das Kennzeichen symbolhaft hinweist. Es soll bereits jeder Anschein vermieden werden, in der Bundesrepublik Deutschland gebe es eine rechtsstaatswidrige politische Entwicklung in dem Sinne, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen in der durch das Kennzeichen symbolisierten Richtung geduldet werden (vgl. BGH, Urteil v. 15. März 2007 - 3 StR 486/06 in NJW 2007,1602). § 86a StGB soll auch verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen - ungeachtet der damit verbundenen Absichten - sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in Deutschland grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können (BGH, a.a.O.).

Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die weite Fassung des § 86a StGB eine Restriktion des Tatbestands in der Weise erfordert, dass solche Handlungen, die dem Schutzzweck der Norm eindeutig nicht zuwiderlaufen oder sogar in seinem Sinne wirken, nicht dem objektiven Tatbestand unterfallen (vgl. BGH, Beschl. v. 1. Oktober 2008 - 3 StR 164/08; BGH, Urteil v. 15. März 2007 - 3 StR 486/06, zitiert nach juris). Dies ist für Fälle anerkannt, in denen das Kennzeichen in einer Weise dargestellt wird, die offenkundig gerade zum Zweck der Kritik an der verbotenen Vereinigung oder der ihr zu Grunde liegenden Ideologie eingesetzt (vgl. BGH, Urteil v. 15. März 2007 - 3 StR 486/06, zitiert nach juris) oder erkennbar verzerrt, etwa parodistisch verwendet wird (vgl. BGH, Urteil v. 14. Februar 1973 - 3 StR 3/72 in NJW 1973, 766 f.). Mit dieser Rechtsprechung wird einerseits dem Anliegen, verbotene Kennzeichen grundsätzlich aus dem Bild des politischen Lebens zu verbannen, andererseits den hohen Anforderungen, die das Grundrecht der freien Meinungsäußerung an die Beurteilung solcher kritischen Sachverhalte stellt, Rechnung getragen (vgl. BGH, Beschl. v. 1. Oktober 2008 - 3 StR 164/08 in NStZ 2009, 88 ff.).

Unter Zugrundelegung dessen handelt es sich vorliegend nicht um einen Ausnahmefall der zulässigen Verwendung verbotener Kennzeichen.

Aus Sicht eines objektiven Betrachters ist die Fotomontage in Form einer halbseitigen Abbildung des Adhäsionsklägers in Uniform und einer halbseitigen Abbildung des SS-Obersturmbandführers J. H. mit der Überschrift "Ich führe nur Befehle aus" als Protest gegen das polizeiliche Handeln zu verstehen. Durch die Zusammenfügung der beiden Fotos zu einem Foto wird zum Ausdruck gebracht, dass das Handeln der heutigen Polizei an die Methoden der SS erinnere und das Vorgehen der Polizei mit den Methoden des NS-Staats vergleichbar sei.

Zweck der Fotomontage war eine Kritik an der Polizei. Es ging demnach nicht um eine Kritik an der verbotenen Vereinigung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sollen jedoch nur solche Handlungen nicht vom Tatbestand des § 86a StGB erfasst werden, in denen das Kennzeichen offenkundig gerade zum Zweck der Kritik an der verbotenen Vereinigung oder der ihr zu Grunde liegenden Ideologie eingesetzt wird. Dies ist - wie ausgeführt - vorliegend nicht der Fall.

Zudem wird durch den Vergleich der heutigen Polizei mit der SS das von der SS begangene Unrecht relativiert, weil Organisation und Handlungen der Polizei in keiner Weise mit denjenigen des verbrecherischen Nazi-Regimes und insbesondere auch der SS vergleichbar sind. Das Handeln der SS, welches untrennbar mit der Massenvernichtung von Juden verbunden ist, wird durch den Vergleich mit dem Handeln der Polizei verharmlost und das von der SS begangene schwerste Unrecht in keiner Weise als solches anerkannt.

Da vorliegend keine der von dem Bundesgerichtshof entwickelten Fallgruppen der Tatbestandsrestriktion eingreift, ist der Tatbestand des § 86a StGB erfüllt. Die vorliegende Verwendung der Kennzeichnung ist gerade das, was die Vorschrift des § 86a StGB verhindern soll, denn sie soll einer Gewöhnung an bestimmte Kennzeichen zuvorkommen, indem diese aus allen Kommunikationsmitteln verbannt werden (sogenanntes "kommunikatives Tabu").

b) Ebenfalls hat das Landgericht zu Unrecht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB verneint.

Zutreffend hat das Landgericht das "Posten" der Fotomontage noch als tatbestandsmäßige Beleidigung angesehen. Dahinstehen kann, ob die Polizei als Kollektiv beleidigungsfähig ist, denn durch die Verwendung des Fotos des Adhäsionsklägers erfolgt auch eine Gleichstellung seiner Person mit der SS. Dies hat unzweifelhaft eine ehrverletzende Wirkung.

Allerdings sind die Erwägungen und Wertungen des Landgerichts, mit denen es seine Auffassung begründet, die beleidigenden Äußerungen des Angeklagten seien wegen der Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt gewesen, unvollständig und nicht frei von Rechtsfehlern.

Nach gefestigter verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung erfordert das Grundrecht der Meinungsfreiheit als Voraussetzung einer strafgerichtlichen Verurteilung nach § 185 StGB regelmäßig auf der Grundlage der konkreten Umstände einer Äußerung und ihrer Bedeutung eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen. Nur in den (Ausnahme-) Fällen, in denen die Äußerungen die Menschenwürde eines anderen antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, tritt die Meinungsfreiheit hinter den Ehrenschutz zurück, ohne dass es einer Einzelfallabwägung bedarf (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19. Mai 2020 - 1 BvR 2397/19; 1 BvR 2459/19 in NJW 2020, 2629; BVerfG, Beschl. v. 19. Mai 2020 - 1 BvR 1094/19 in NJW 2020, 2631). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben.

Die veröffentlichte Fotomontage stellt zunächst keine Schmähkritik dar. Eine solche liegt dann vor, wenn die Äußerung keinen nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19. Mai 2020 - 1 BvR 2397/19 in NJW 2020, 2622 ff.). Da vorliegend mit der Fotomontage das Handeln der Polizei kritisiert werden soll, liegt kein gänzlich grundloses Verächtlichmachen vor.

Auch liegt keine Formalbeleidigung, welche bei besonders krassen, aus sich heraus herabwürdigenden Schimpfwörtern - etwa aus der Fäkalsprache - angenommen wird, vor (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19. Mai 2020 - 1 BvR 2397/19 in NJW 2020, 2622 ff.).

Schließlich verletzt die Fotomontage auch nicht die Menschenwürde des abgebildeten Adhäsionsklägers. Dies wäre nur dann der Fall, wenn diesem der seiner menschlichen Würde ausmachende Kern der Persönlichkeit abgesprochen würde (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19. Mai 2020 - 1 BvR 2397/19 in NJW 2020, 2622 ff.). Trotz des deutlich überzogenen Vergleichs liegt noch keine Verletzung der Menschenwürde in diesem Sinne vor.

Da kein die Abwägung entbehrlich machender, von vorneherein die Meinungsfreiheit verdrängender Ausnahmetatbestand erfüllt ist, bedarf es einer Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Schutz der Persönlichkeit. Nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz ist eine umfassende und einzelfallbezogene Güter- und Pflichtenabwägung vorzunehmen. Da diese Abwägung eine reine Rechtsfrage ist, kann sie - bei wie vorliegend ausreichender Tatsachengrundlage - auch vom Revisionsgericht vorgenommen werden (vgl. OLG Stuttgart, Urteil v. 7. Februar 2014 - 1 Ss 599/13, zitiert nach juris).

Zu Gunsten der Meinungsfreiheit ist vorliegend, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, zu berücksichtigen, dass der Adhäsionskläger dem Angeklagten weder persönlich noch namentlich bekannt war und er sein Foto lediglich als Symbol für die Polizei im Allgemeinen benutzt hat. Es ging nicht um Kritik an dem konkreten Verhalten des einzelnen Polizisten, sondern um Kritik an der Polizei im Allgemeinen, auch wenn dies Kritik an dem Adhäsionskläger beinhaltet. Ferner war zu Gunsten der Meinungsfreiheit zu berücksichtigen, dass der Angeklagte die Fotomontage nicht selbst gefertigt und damit nicht mit einem langen Vorbedacht ausgewählt hat, wie das etwa bei einem eigenständigen Erstellen der Fotomontage der Fall gewesen wäre. Einschränkend muss in diesem Zusammenhang jedoch auch berücksichtigt werden, dass bei schriftlichen Äußerungen ein höheres Maß an Bedacht und Zurückhaltung erwartet werden kann als bei Beiträgen etwa im Rahmen einer hitzigen Diskussion (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 2021 - 1 BvR 1073/20 in NJW 2022, 680 ff.). Dies gilt grundsätzlich auch für textliche Äußerungen in den "sozialen Netzwerken" im Internet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19. Mai 2020 - 1 BvR 1094/19 in NJW 2020, 2631 ff.).

Andererseits sind in die vorzunehmende Abwägung die - erheblichen - Umstände einzubeziehen, die für das Persönlichkeitsrecht des Adhäsionsklägers sprechen.

Zu berücksichtigen ist zunächst die anprangernde Wirkung durch die Verwendung des Bildes des Polizisten. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist die beeinträchtigende Wirkung einer Äußerung gesteigert, wenn sie in wiederholender und anprangernder Weise, etwa unter Nutzung der Bildnisse des Betroffenen, oder besonders sichtbar in einem der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Medium getätigt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9. Februar 2022 - 1 BvR 2588/20 in NStZ 2022, 734 ff.). Da es sich vorliegend um ein öffentliches Profil bei Facebook handelte, konnte die Fotomontage von einer unbestimmten Vielzahl von Personen wahrgenommen werden. In den Blick zu nehmen ist ferner die Tatsache, dass im Internet verwendete Bilder nie gänzlich aus dem Internet gelöscht werden können und deswegen die Breitenwirkung gravierend ist.

In die Abwägung einzustellen sind außerdem die Rückwirkungen, die von einer Äußerung auf die persönliche Integrität des Betroffenen ausgehen können. Nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Landgerichts ist der Adhäsionskläger aufgrund der Veröffentlichung dieser Fotomontage - auch im Beisein seiner Familie und seiner Kinder - belästigt worden und hat in der Folge seine gewerkschaftliche Tätigkeit aufgegeben. Er war damit durch die Veröffentlichung in seiner Privatsphäre betroffen.

Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte die Fotomontage veröffentlicht, um seiner kritischen Meinung gegenüber der Corona-Politik der Bundesrepublik Ausdruck zu verleihen. Das bei der Abwägung anzusetzende Gewicht der Meinungsfreiheit ist zwar umso höher, je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 2021 - 1 BvR 1073/20 in NJW 2022, 680 ff.). Im vorliegenden Fall war der Beitrag aus objektiver Sicht jedoch gar nicht geeignet, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung im Hinblick auf die Corona-Politik zu leisten. Denn es ist nicht entscheidend, wie der Erklärende seine Äußerung subjektiv verstanden wissen wollte, sondern maßgeblich ist der Sinn, den die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 2021 - 1 BvR 1073/20 in NJW 2022, 680 ff.). Aus Sicht eines durchschnittlichen Empfängers ist die Fotomontage dahingehend zu verstehen, dass die heutige Polizei mit der SS gleichgesetzt wird. Dass dies aus Anlass der Corona-Politik erfolgt, ergibt sich weder aus der Fotomontage noch aus dem Text, den das Bild enthält.

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass es schonendere Mittel gegeben hätte, um seine Meinung kundzutun. So hätte der Angeklagte das Bild eines fiktiven Polizisten gebrauchen können.

Demnach überwiegen in Abwägung aller Umstände die für den Schutz des Persönlichkeitsrechts sprechenden Gesichtspunkte deutlich gegenüber der Meinungsfreiheit des Angeklagten, sodass dem Persönlichkeitsrecht des Adhäsionsklägers der Vorrang einzuräumen ist. Dabei hat der Senat auch berücksichtigt, dass eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft nur erwartet werden kann, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9. Februar 2022 - 1 BvR 2588/20 in NStZ 2022, 734 ff.).

c) Der Senat hat in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO eine Schuldspruchänderung vorgenommen. Diese lässt den Strafausspruch unberührt. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht bei richtiger Rechtsanwendung zu einer anderen Strafe gekommen wäre. Da die Staatsanwaltschaft gegen das amtsgerichtliche Urteil keine Berufung eingelegt hat, konnte das Landgericht aufgrund des Verschlechterungsverbots von vorneherein keine höhere Strafe verhängen. Eine geringere Strafe ist aufgrund der nunmehr zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigenden tateinheitlichen Verwirklichung mehrerer Delikte ebenfalls ausgeschlossen.

Die Nachprüfung des Rechtsfolgenausspruchs hat auch im Übrigen keine Rechtfehler ergeben. § 265 StPO steht einer Schuldspruchänderung nicht entgegen, da die Vorschriften des § 86a StGB und § 185 StGB bereits Gegenstand der Anklageschrift waren.

2. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.

a) Die seitens des Angeklagten erhobene Verfahrensrüge, es sei ein Verstoß gegen § 265 StPO gegeben, da auf die Vorschrift des § 33 KunstUrhG zwar hingewiesen worden sei, es aber keine Beratungsmöglichkeit gegeben habe, greift nicht durch. Die Rüge ist zulässig. Insbesondere bedurfte es - entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft - nicht des Vortrages der Strafvorschriften des Anklagesatzes. Der Senat hat den Inhalt der Anklageschrift zur Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen ohnehin zur Kenntnis zu nehmen, so dass er auch aus diesem Grund um den Inhalt des Anklagesatzes weiß (vgl. BGH, Beschl. v. 23. April 2022 - 3 StR 505/01 in BeckRS 2002, 4392). Die Rüge ist jedoch unbegründet. Das Gesetz kennt keinen richtigen Zeitpunkt für die Erteilung eines Hinweises. Es bleibt vielmehr der Reaktion der Verteidigung auf den Hinweis vorbehalten, seine "Unzeit" zum Gegenstand eines Aussetzungsantrages zu machen (vgl. Norouzi in MüKoStPO, 1. Aufl. 2016, StPO, § 265, Rn. 72). Eine Verfahrensrüge, der Hinweis sei verspätet erfolgt, kann daher in aller Regel keinen Erfolg haben, wenn - wie auch hier - kein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gestellt worden war (vgl. BGH, Urteil v. 2. Juni 1982 - 2 StR 182/82 in NStZ 2007, 234).

b) Die erhobene Sachrüge greift ebenfalls nicht durch.

Das Landgericht hat zu Recht eine Strafbarkeit nach § 33 KunstUrhG angenommen. Der Angeklagte hat durch das "Posten" des Bildes des Adhäsionsklägers ohne dessen Einwilligung auf seinem öffentlichen Profil bei Facebook dessen Bildnis öffentlich zur Schau gestellt. Ein Fall des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG, wonach Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte auch ohne die nach § 22 KunstUrhG erforderliche Einwilligung verbreitet und zur Schau gestellt werden dürfen, liegt nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, der Begriff des Zeitgeschehens maßgebend. Dieser darf nicht zu eng verstanden werden. Im Hinblick auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit umfasst er alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse (vgl. BGH, Urteil v. 17. Dezember 2019 - VI ZR 504/18 in GRUR 2020, 555 ff.).

Vorliegend handelt es sich bei dem verwendeten Foto des Adhäsionsklägers schon deshalb nicht um ein Bildnis der Zeitgeschichte, weil es durch die Verwendung im Rahmen der Fotomontage völlig aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Zudem mag zwar der G-20 Gipfel von gesellschaftlichem Interesse gewesen sein, nicht aber die Person des Adhäsionsklägers in seiner Funktion als Pressesprecher der Polizei. Allein die Berufsausübung macht eine Person nicht zu einer Person der Zeitgeschichte (vgl. OLG Celle, Urteil v. 25. August 2010 - 31 Ss 30/10 in BeckRS 2010, 22674).

Dahinstehen kann, ob die von dem Angeklagten nicht selbst angefertigte Fotomontage dem Schutzbereich der Kunstfreiheit i.S.v. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG unterfällt; jedenfalls überwiegt bei der gebotenen Abwägung der widerstreitenden Interessen, nämlich der Kunst- bzw. Meinungsfreiheit auf der einen Seite und dem Persönlichkeitsrecht des Adhäsionsklägers auf der anderen Seite, das Persönlichkeitsrecht des Adhäsionsklägers. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen zu 1b. verwiesen werden.

3. Die Entscheidung über den Adhäsionsantrag ist nicht zu beanstanden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 473 Abs. 1 Satz 1, 472a Abs. 1 StPO.


Einsender:

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".