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Entscheidungen

Gebühren

Pflichtverteidiger, Aufhebung der Bestellung, Gebührenanspruch

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Nürnberg, Beschl. v. 18.07.2023 - Ws 133/23

Leitsatz des Gerichts:

1. Die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft führt nicht dazu, dass die Bestellung von Anfang an entfällt. Vielmehr tritt diese Wirkung erst zu dem Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung ein.
2. Damit hat der Rechtsanwalt gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 RVG Anspruch auf Vergütung seiner Tätigkeit aus der Landeskasse mit der Konsequenz, dass gemäß § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG auch die Tätigkeiten vor seiner Bestellung zu vergüten sind.


Oberlandesgericht Nürnberg
Ws 133/23

In dem Strafverfahren
gegen pp.

wegen Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornografischer Inhalte
hier: weitere Beschwerde des Pflichtverteidigers

erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg - Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 18.07.2023 folgenden

Beschluss

1. Auf die weitere Beschwerde des Pflichtverteidigers werden der Beschluss des Landgerichts Amberg vom 05.12.2022 und die Beschlüsse des Amtsgerichts Amberg vom 21.04.2021 und 12.10.2021 aufgehoben.
2. Zu Gunsten des Pflichtverteidigers wird eine Vergütung von 545,02 Euro festgesetzt, im Übrigen wird sein Vergütungsfestsetzungsantrag vom 12.08.2021 zurückgewiesen.
3. Die Staatskasse trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht Amberg und dem Oberlandesgericht Nürnberg sowie die dem Pflichtverteidiger dabei entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe:

I.

Mit Schreiben vom 23.02.2021 beantragte der bis dahin als Wahlverteidiger des Beschuldigten in dem von der Staatsanwaltschaft Amberg geführten Ermittlungsverfahren tätige Beschwerdeführer seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Es liege ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO vor, da der Beschuldigte nur über seinen Verteidiger Einsicht in die auf dem Smartphone des Beschuldigten aufgefundenen und von der Polizei als jugendpornographisch eingestuften Bilddateien nehmen könne. Der Verteidiger kündigte an, für den Fall der Beiordnung das Wahlmandat niederzulegen.

Mit Verfügung vom 03.03.2021 hat die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt und die Akte dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Amberg zur Entscheidung über den Beiordnungsantrag vorgelegt.

Das Amtsgericht Amberg hat mit Beschluss vom 08.03.2023 den Beschwerdeführer als Pflichtverteidiger beigeordnet und in den Beschlussgründen ausgeführt, dass dies zur Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts erforderlich sei.

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Amberg mit Beschluss vom 08.04 2021 den Beschluss des Amtsgerichts Amberg vom 08.03.2023 aufgehoben und den Antrag des Beschuldigten auf Bestellung seines Verteidigers als Pflichtverteidiger abgelehnt, da eine nachträgliche rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung für ein abgeschlossenes Verfahren nicht möglich sei. Den dagegen gerichteten Antrag des Beschuldigten auf Nachholung rechtlichen Gehörs hat das Landgericht Amberg mit Beschluss vom 29.04.2023 als unzulässig verworfen.

Mit Schreiben vom 12.08.2021 hat der Verteidiger bei dem Amtsgericht Amberg die Festsetzung seiner Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 491 € zuzüglich Umsatzsteuer beantragt. Diesen Antrag hat die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Amberg mit Beschluss vom 21.04.2022 zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte Erinnerung des Verteidigers hat das Amtsgericht Amberg mit Beschluss vom 12.10.2022 zurückgewiesen.

Der dagegen mit Schreiben vom 02.11.2022 eingelegten Beschwerde des Verteidigers hat das Amtsgericht Amberg nicht abgeholfen und das Landgericht Amberg hat diese nach Übertragung der Sache auf die Kammer mit Beschluss vom 05.12.2022 als unbegründet verworfen und die weitere Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen.

Gegen die Verwerfung seiner Beschwerde wendet sich der Pflichtverteidiger mit der weiteren Beschwerde. Mit der Pflichtverteidigerbestellung sei der Gebührenanspruch gemäß § 45 Abs. 3 S. 1 RVG gegenüber der Staatskasse entstanden und mit der Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung auch nicht wieder entfallen. So bestimme § 15 Abs. 4 RVG, dass die Beendigung des Auftrags ohne Einfluss auf bereits entstandene Gebühren sei.

Das Landgericht Amberg hat der weiteren Beschwerde mit Beschluss vom 09.01.2023 nicht abgeholfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die weitere Beschwerde kostenfällig als unbegründet zu verwerfen. Hierzu hat der Verteidiger mit Schreiben vom 17.02.2023 Stellung genommen. Der beigeordnete Pflichtverteidiger müsse darauf vertrauen können, dass entstandene Gebührenansprüche nicht wieder entfallen.

II.

Die gemäß §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1, Abs. 6 S. 1 RVG statthafte und auch sonst zulässige weitere Beschwerde hat in der Sache überwiegend Erfolg, so dass der Beschluss des Landgerichts Amberg vom 05.12.2023 und die Beschlüsse des Amtsgerichts Amberg vom 21.04.2021 und 12.10.2021 aufzuheben sind und Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 545,02 Euro festzusetzen sind. Der Pflichtverteidiger hat gemäß § 45 Abs. 3 S. 1 RVG Anspruch auf Erstattung der angefallenen Pflichtverteidigergebühren.

1. Der Beschwerdeführer wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Amberg vom 08.03.2021 wirksam als Pflichtverteidiger gemäß § 142 Abs. 2 StPO bestellt.

a) Für die Wirksamkeit der Bestellung kommt es nicht darauf an, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bestellung vorliegen. Wird die Bestellung angeordnet, ist diese, jedenfalls zunächst, wirksam.

b) Mit der Bestellung wird eine öffentlich-rechtliche Pflicht des Verteidigers zur sachgerechten Mitwirkung am Strafverfahren begründet (KK-StPO/Willnow, 9. Aufl. 2023, StPO § 142 Rn. 18), und zwar unabhängig davon, ob die Bestellungsentscheidung rechtskräftig wird. § 307 Abs. 1 StPO ordnet an, dass durch Einlegung der Beschwerde der Vollzug der angefochtenen Entscheidung nicht gehemmt wird. Es liegt auch kein Fall vor, in dem gesetzlich ausnahmsweise die aufschiebende Wirkung angeordnet wird.

Dies entspricht im Übrigen auch den Praxisanforderungen bei der Pflichtverteidigerbestellung: Nach §§ 141, 141a StPO ist in den Fällen der notwendigen Verteidigung bei verschiedenen Maßnahmen die oftmals kurzfristige Bestellung eines Pflichtverteidigers erforderlich, deren Rechtskraft nicht abgewartet werden kann. Entsprechend darf der Pflichtverteidiger darauf vertrauen, für solche Tätigkeiten auch vergütet zu werden.

2. Die spätere Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft führt nicht dazu, dass die Bestellung von Anfang an entfällt. Vielmehr tritt diese Wirkung erst zu dem Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung ein.

Grundsätzlich hat die Aufhebung einer angefochtenen Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht zur Folge, dass diese seit dem Zeitpunkt ihres Erlasses, also rückwirkend, keine Wirkung entfaltet. Zwar hat der Gesetzgeber in § 142 Abs. 7 StPO keine davon abweichende Regelung für den Fall getroffen, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers auf ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft aufgehoben wird. Nach dem Sinn und Zweck der in § 141 Abs. 1 und 2 StPO angeordneten unverzüglichen oder kurzfristigen Verpflichtung zur Bestellung eines Pflichtverteidigers und der Regelung in § 307 Abs. 1 StPO, dass durch Einlegung der Beschwerde der Vollzug der angefochtenen Entscheidung nicht gehemmt wird, ist § 142 Abs. 7 StPO aber ergänzend dahingehend auszulegen, dass der wirksam, aber nicht rechtskräftig bestellte Pflichtverteidiger erst zu dem Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung durch das Beschwerdegericht entpflichtet wird. So besteht zum einen kein Zweifel an der Wirksamkeit der bis dahin vorgenommenen Handlungen des Pflichtverteidigers und zum anderen wird so das Vertrauen des Pflichtverteidigers in seine Bestellung und damit die Begründung eines Vergütungsanspruchs gegen die Staatskasse geschützt (vgl. Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Auflage, Teil A Vergütungs-ABC Rn 2400).

b) Diese Auslegung ist nicht auf die Fälle beschränkt, in denen der Pflichtverteidiger im Vertrauen auf die Bestellung tatsächlich tätig wird. Auch wenn der Pflichtverteidiger zwischen Bestellung und Entpflichtung durch das Beschwerdegericht nicht tätig wird, liegt für diesen Zeitraum eine wirksame Bestellung vor.

3. Damit hat der Beschwerdeführer gemäß § 45 Abs. 3 S. 1 RVG Anspruch auf Vergütung seiner Tätigkeit aus der Landeskasse mit der Konsequenz, dass gemäß § 48 Abs. 6 S. 1 RVG auch die Tätigkeiten vor seiner Bestellung zu vergüten sind. Dies ist Folge der wirksamen Pflichtverteidigerbestellung durch das Amtsgericht, ohne dass es darauf ankommt, ob diese geboten war.

4. Zur Höhe der festzusetzenden Gebühren

Dem Antragsteller stehen für seine Tätigkeit als Pflichtverteidiger im nach seinem Antrag gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellten Ermittlungsverfahren folgende gesetzlichen Gebühren zu:
Grundgebühr (Nr. 4100 VV RVG) 160,00 €
Verfahrensgebühr (Nr. 4104 VV RVG) 132,00 €
Zusätzliche Gebühr (Nr. 4141 Abs. 1 Z. 1, 4106 VV RVG) 132,00 €
Dokumentenpauschale 14,00 €
Auslagenpauschale 20,00 €
Zwischensumme 458,00 €
Umsatzsteuer 19 % 87,02 €
Gesamtsumme 545,02 €

Da der Antragsteller mit Antrag vom 12.08.2021 ausdrücklich die Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren geltend gemacht hatte, kann hinsichtlich der zusätzlichen Gebühr (Nr. 4141 Abs. 1 Z. 1, 4106 VV RVG) die Pflichtverteidigergebühr in Höhe von 132 € festgesetzt werden, nicht die überschießende Wahlverteidigergebühr in Höhe von 165 €. Deshalb wurde die Pflichtverteidigervergütung nicht wie beantragt auf die Gesamtsumme von 584,29 € festgesetzt, sondern auf 545,02 €. Im Übrigen war der Antrag zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 StPO. Da davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer sein Rechtsmittel nicht eingelegt hätte, wenn bereits die Erstentscheidung in der vorliegenden Form getroffen worden wäre, ist es unbillig, ihn mit den Verfahrenskosten zu belasten.


Einsender: Strafsenat des OLG Nürnberg

Anmerkung: Aufhebung von LG Amberg 11 Qs 79/22


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