Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 17.11.2022 - 5 Ws 289/22
Eigener Leitsatz:
Ein Strafbefehl ist selbst bei fehlender Unterzeichnung wirksam, wenn sich die entsprechende Willensäußerung des Richters aus den Akten ergibt und die entscheidende Person hinreichend zuverlässig dem Vorgang entnommen werden kann.
In pp.
Auf die sofortige Beschwerde wird der angefochtene Beschluss aufgehoben.
Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Mit Verfügung vom 17.01.2022 stellte die Staatsanwaltschaft Arnsberg gegen den Angeklagten einen Antrag auf Erlass eines Strafbefehls wegen versuchten Diebstahls und Hausfriedensbruchs mit einer beantragten Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu 80 €, nachdem der Direktor des Amtsgerichts T. ihren Antrag vom 17.12.2021 unter Hinweis auf die - nach seiner Ansicht - zu niedrige Tagessatzhöhe (20 €) zur Stellungnahme zurückgegeben hatte.
In der Akte befindet sich das mit Aktenzeichen des Amtsgerichts und dem Datum 25.01.2022 versehene Strafbefehlsformular, bei dem im Unterschriftsfeld Streichungen derart vorgenommen sind, dass die Dienstbezeichnung "Direktor des Amtsgerichts" verbleibt; das Unterschriftsfeld selbst ist leer. Auf der übernächsten Seite der Akte befindet sich eine Verfügung von demselben Tag, mit der die förmliche Zustellung des Strafbefehls an den Angeklagten durch den Direktor des Amtsgerichts T. angeordnet ist.
Nach Zustellung des Strafbefehls am 29.01.2022 hat der Angeklagte am 12.02.2022 Einspruch eingelegt. Gegen das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts Schmallenberg vom 27.04.2022, mit dem der Angeklagte wegen versuchten Diebstahls in Tateinheit mit Nötigung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt worden war, legte er mit elektronischem Dokument seines Verteidigers vom 02.05.2022 Berufung ein. Mit angefochtenem Beschluss hob die 3. Kleine Strafkammer das erstinstanzliche Urteil auf und stellte das Verfahren ein. Zur Begründung führte die Kammer aus, dass der nicht unterzeichnete Strafbefehl ein Verfahrenshindernis darstelle.
Gegen den ihr am 23.09.2022 zugestellten Beschluss hat die Staatsanwaltschaft Arnsberg mit Verfügung vom 27.09.2022 (per Fax) "Beschwerde" eingelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, auf die sofortige Beschwerde den angefochtenen Beschluss aufzuheben.
II.
Die zulässige sofortige (§ 206a Abs. 2 StPO) Beschwerde ist begründet.
1. Dabei kann dahinstehen, ob ein nicht unterschriebener Strafbefehl einem fehlenden Eröffnungsbeschluss gleichsteht (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Dezember 1992 - 2 Ss 155/92 -, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, 65. Auflage, § 409, Rn. 13) oder bereits der Antrag der Staatsanwaltschaft die ausreichende Verfahrensgrundlage bildet (vgl. BayObLG, Beschluß vom 30. 5. 1961 - RReg. 4 St. 147/61 = NJW 1961, 1782, beckonline).
2. Denn selbst bei fehlender Unterzeichnung ist ein Strafbefehl wirksam, wenn sich die entsprechende Willensäußerung des Richters aus den Akten ergibt und die entscheidende Person hinreichend zuverlässig dem Vorgang entnommen werden kann (vgl. BayObLG StV 1990, 397; OLG Düsseldorf StV 1983, 408; OLG Hamm JR 1982, 389; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 21.12 .1981 - 3 Ws 368/81; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Dezember 1992 - 2 Ss 155/92, Rn. 2, juris; Brauer in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2019, § 409, Rn. 15; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Rn. 13; BeckOK StPO/Temming, 44. Ed. 1.7.2022, StPO § 409 Rn. 12; MüKoStPO/Eckstein, 1. Aufl. 2019, StPO § 409 Rn. 34).
3. Zwar trägt der hiesige Strafbefehl keine Unterschrift. Allerdings wird aus den aus der Akte ersichtlichen Begleitumständen bei einer Gesamtwürdigung ausreichend deutlich, dass nicht bloß ein Strafbefehlsentwurf vorliegt. Für den Willen zum Erlass des Strafbefehls spricht, dass auf dem übersandten Strafbefehlsformular das gerichtliche Aktenzeichen nebst Datum und die Dienstbezeichnung des erkennenden Richters vermerkt sind. Anders als der ursprüngliche - bis auf die Tagessatzhöhe gebilligte - Strafbefehlsentwurf der Staatsanwaltschaft ist das Formular auch nicht durch diagonalen Strich zum Entwurf degradiert worden. Zudem wird aus der - mit Schriftzeichen des erkennenden Richters versehenen - vom Datum und Inhalt korrespondierenden Begleitverfügung offenkundig, dass eine Willensäußerung nach Außen vorliegt.
4. Die Argumentation der Kammer in der angefochtenen Entscheidung in Anlehnung an § 275 Abs. 2 StPO, dass die fehlende Unterzeichnung einer auch nicht durch eine vom erkennenden Richter unterzeichnete Verfügung ersetzt werden könne, verfängt nicht. Bei der von der prozessualen Situation vergleichbaren Konstellation der fehlenden Unterschrift unter einem Eröffnungsbeschluss ist allgemein anerkannt, dass die fehlende Unterschrift keinen gravierenden Mangel darstellt (vgl. BeckOK StPO/Ritscher, 44. Ed. 1.7.2022, StPO § 207 Rn. 13; KG Urt. v. 27.7.1998 - (3) 1 Ss 118-98(57/98) = BeckRS 2014, 11690, m.w.N.). Der hiesige Verfahrensablauf nach dem Einspruch in Anwendung von § 411 Abs. 1 S. 2 StPO ist eben nicht mit dem - so die Argumentation der Kammer in der angefochtenen Entscheidung - rechtskräftigen Strafbefehl im Sinne von § 410 Abs. 3 StPO gleichzusetzen. Zudem stellt die Vorschrift des § 409 StPO nicht die gleichen Anforderungen an den Strafbefehl wie § 275 Abs. 2 StPO an die Urteilsurkunde.
5. Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben, da diese bei richtiger Sachbehandlung durch die Kammer nicht angefallen wären (§ 21 Abs. 1 S. 1 GKG).
Einsender:
Anmerkung: Aufhebung von LG Arnsberg, Beschl. v. 16.09.2022 – 3 Ns-110 Js 1471/21-92/22
Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.
Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".