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Entscheidungen

Corona

Volksverhetzung, Verharmlosung der NS-Verbrechen, Störung des öffentlichen Friedens, gelber Davidstern, Ungeimpft

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Salzgitter, Beschl. v. 17.11.2023 - 8 Cs 802 Js 32987/22 (104/23)

Eigener Leitsatz:

Zur Frage der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB, wenn im sozialen Netzwerk Facebook Profilbild eine Abbildung eines gelben Davidsterns, in dessen Mitte der Schriftzug „UNGEIMPFT" steht sowie am oberen und unteren Bildrand der Zusatz: „Wieder soweit?", verwendet wird.


Amtsgericht Salzgitter

Beschluss

8 Cs 802 Js 32987/22 (104/23)

In der Strafsache
gegen pp.

Verteidiger:


wegen Volksverhetzung
hat das Amtsgericht - Abteilung für Strafsachen - Salzgitter durch die Richterin am Amtsgericht am 17.11.2023 beschlossen:

Der Antrag der Staatsanwaltschaft Göttingen auf Erlass des Strafbefehls wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

Mit Verfügung vom 28.04.2023 hat die Staatsanwaltschaft Göttingen beim Amtsgericht Salzgitter beantragt, einen Strafbefehl gegen den Angeschuldigten wegen des Vergehens der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB zu erlassen. In dem Strafbefehlsentwurf wird dem Angeschuldigten vorgeworfen, am 22.11.2021 und danach im sozialen Netzwerk Facebook auf seinem Profil „pp“ als Profilbild eine Abbildung eines gelben Davidsterns, in dessen Mitte der Schriftzug „UNGEIMPFT" steht sowie am oberen und unteren Bildrand der Zusatz: „Wieder soweit?", verwendet zu haben. Durch die Verwendung dieser Abbildung als Profilbild habe der Angeschuldigte durch den Vergleich der systematischen staatlichen Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung in der NS-Zeit mit der gesellschaftlichen Kritik und den staatlichen Maßnahmen gegenüber nicht gegen das Coronavirus geimpften Personen, ein unter der Herrschaft des Nationalsozialisten begangenes Verbrechen nach § 6 VStGB aufgrund des offenkundigen Ungleichgewichts verharmlost, bzw. diese Verharmlosung billigend in Kauf genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Strafbefehlsentwurf (BI. 74 ff. d.A. verwiesen).

Der Angeschuldigte selbst hat sich über seinen Pflichtverteidiger dahingehend eingelassen (BI. 52 d.A.), dass er keinen Bezug zum Völkermord habe herstellen wollen, sondern auf die eigene Ausgrenzung habe hinweisen wollen. Er habe nicht das Unrecht des Nationalsozialismus bagatellisieren, sondern vielmehr sein eigenes „Leid" dramatisieren wollen.

Mit Verfügung vom 08.06.2023 hat das Amtsgericht Salzgitter die Akte an die Staatsanwaltschaft Göttingen zurückgesandt und Bedenken im Hinblick auf einen hinreichenden Tatverdacht mitgeteilt, da unabhängig von der Frage, ob die Verwendung des „Ungeimpft-Judensterns" unter das Tatbestandsmerkmal der Verharmlosung des Genozids an Jüdinnen und Juden erfülle, zumindest das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens nicht gegeben sein dürfte, weil in der Verwendung des „Ungeimpft-Judensterns" kein Apell festzustellen sei, der geeignet sei bei Dritten deren Handlungsbereitschaft auszulösen, unfriedliche Reaktionen zu provozieren oder deren Hemmschwelle herabzusetzen. Zudem habe das Profilbild des Angeschuldigten - im Gegensatz zu anderen von der Rechtsprechung bereits entschiedenen Sachverhalten - keine besondere öffentliche Aufmerksamkeit erhalten, auch wenn es einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gewesen sei.

Mit Verfügung vom 19.06.2023 nahm die Staatsanwaltschaft Göttingen Stellung zu den durch das Gericht mitgeteilten Bedenken und führte aus, dass der Beitrag des Angeschuldigten ohne Beschränkungen für jeden Facebook-Nutzer zugänglich gewesen sei und mit Stand vom 23.06.2022 fünf Mal „geliket" worden sei. Wegen der enormen potenziellen der über das soziale Netzwerk Facebook propagierten Hetzbotschaft habe ohne Weiteres die Gefahr bestanden, dass von der Äußerung des Angeschuldigten überzeugte Betrachter diese weitertragen und so dass psychische Klima aufgeheizt und auf diese Weise Unfrieden in der Bevölkerung erregt werde. Daher sei von einer Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens auszugehen.

Am 14.09.2023 übersandte das Amtsgericht Salzgitter die Akte unter Verweis auf die Entscheidung des OLG Braunschweig vom 07.09.2023 (Az.: 1 ORs 10/23) erneut mit der Bitte um Stellungnahme.

In der darauffolgenden Stellungnahme vom 17.10.2023 (BI. 85-86 d.A.) teilte die Staatsanwaltschaft Göttingen mit, dass die Entscheidung des OLG vom 07.09.2023 für das hiesige Verfahren keine Relevanz habe, weil bei der von dem Angeschuldigten verwendeten Abbildung nicht nur der Judenstern selbst, sondern auch KZ-Häftlingskleidung zu sehen sei, wodurch der Angeschuldigte direkt auf die Vernichtung der Juden durch das NS-Regime Bezug nehme. Die Verwendung des „Ungeimpft-Judensterns" sei zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet gewesen, weil der Post weltweit zu sehen gewesen sei und nicht nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich gewesen sei. Durch die nicht ganz unwesentliche Verbreitung des verwendeten Zeichens sei die Hemmschwelle zum Gebrauch des Judensterns herabgesetzt und so antisemitischen Haltungen Vorschub geleistet worden, die als Eignung zur Friedensstörung anzunehmen sei. Der Vergleich zwischen den staatlichen Coronamaßnahmen und dem Unrecht, dass den Juden während des NS-Zeit wiederfahren ist suggeriere, dass die Coronamaßnahmen staatliches Unrecht seien, gegen die man sich gewaltsam zur Wehr setzten müsse. Die Verbreitung eines solchen Inhalts sei - unter Berücksichtigung vergangener Ereignisse wie der Ermordung eines Tankstellenmitarbeiters der auf die Maskenpflicht hingewiesen habe, oder öffentlichen Aufforderungen zur Tötung von Impfbefürwortem - darauf angelegt, dass es zu rechtsgutsgefährdenden Handlungen komme.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die jeweiligen Verfügungen bzw. Stellungnahmen vom 08.06.2023 (BI. 79-80), 19.06.23 (BI. 81-81) sowie vom 17.10.2023 (BI. 85) verwiesen.

II.

Der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls war abzulehnen, da kein hinreichender Verdacht für
eine Straftat gemäß § 130 Abs. 3 StGB besteht.

Unabhängig von der Frage, ob der vorliegende Sachverhalt aufgrund der zusätzlichen Abbildung von KZ-Häftlingskleidung tatsächlich anders zu beurteilen ist, als der Sachverhalt, der der Entscheidung des OLG Braunschweig vom 07.09.2023 (Az.: 1 ORs 10/23) zugrunde lag - woran nach hiesiger Auffassung Zweifel bestehen, weil fraglich ist, ob der Bezug zur KZ-Häftlingskleidung nur eine weitere symbolische Bezugnahme auf die Grausamkeiten des NS-Unrechts darstellen die für einen hinreichenden Tatverdacht gemäß § 130 Abs. 3 StGB nicht ausreichen - sind jedenfalls nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis keine Anhaltspunkte ersichtlich, die eine abweichende Beurteilung des hiesigen Sachverhalts im Hinblick auf das nicht vorliegen des Tatbestandsmerkmals der Störung des öffentlichen Friedens im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB rechtfertigen.

Der Angeschuldigte hat sich dahingehend eingelassen, dass er keinen Bezug zum Völkermord habe herstellen wollen, sondern vielmehr auf seine eigene Ausgrenzung habe aufmerksam machen wollen. Diese Einlassung ist dem Angeschuldigten nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis nicht zu widerlegen und wird insbesondere durch die Verwendung der Aufschrift „Wieso soweit?" gestützt. Dieser Zusatz unterstützt nach Auffassung des Gerichts den von dem Angeschuldigten in seiner Einlassung angeführten vergleichenden Charakter. Der Angeschuldigte muss sich zwar vorhalten lassen, dass er durch den Vergleich zwischen den Einschränkungen die gegen das Coronavirus ungeimpfte Personen hinzunehmen hatten und der Ausgrenzung und Stigmatisierung die der jüdischen Bevölkerung durch die Pflicht zum Tragen eines Judensterns erfahren hat, verharmlost hat, jedoch war diese Handlung ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht geeignet den öffentlichen Frieden zu stören. Für eine Verurteilung nach § 130 Abs. 3 StGB ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung im Hinblick auf die Verharmlosung eigens festzustellen, dass die Äußerung geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu gefährden.

Maßgeblich für die Beurteilung der Eignung zur öffentlichen Friedensstörung ist eine Gesamtwürdigung von Art, Inhalt, Form und Umfeld der konkreten Äußerung. Die Wahrung des öffentlichen Friedens bezieht sich insoweit auf die Außenwirkungen von Meinungsäußerungen etwa durch Apelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte einschüchtern (vgl. BVerfG NJW 2018, 2861 f.). Im Gegensatz zu Sachverhalten, die anderen Entscheidungen zugrunde gelegen haben, bei denen eine Strafbarkeit gemäß § 130 Abs. 3 StGB bejaht worden ist, können keine Feststellungen dahingehend getroffen werden, dass das Facebook-Profil des Angeschuldigten ein erhebliches öffentliches oder mediales Interesse auf sich gezogen hat. Der von dem Angeschuldigten verwendeten Abbildung ist zudem kein Aufruf oder Apell -insbesondere zur Anwendung von Gewalt - der zu einem wie auch immer gearteten Vorgehen gegen Coronamaßnahmen oder deren Verantwortliche zu entnehmen. Weder aus der von dem Angeschuldigten verwendeten Abbildung noch aus seinem übrigen Facebook-Profil lassen sich Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass er die von der Staatsanwaltschaft aufgeführten Ereignisse und Aufrufe unterstützt oder gutheißt, so dass keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass seine Äußerung geeignet war, rechtsgutsgefährdende Handlungen hervorzurufen oder zu fördern, so dass ihr kein unfriedlicher Charakter zukommt (vgl. KG Berlin, Urteil vom 11.05.2023 (4) 121 Ss 124/22 (164/22)). Soweit die Staatsanwaltschaft Göttingen anführt, dass der Vergleich zwischen den staatlichen Coronamaßnahmen und dem Unrecht, dass den Jüdinnen und Juden während der NS-Zeit widerfahren sei suggeriere, dass die Coronamaßnahmen staatliches Unrecht seien, gegen das man sich gewaltsam zu Wehr setzten müsse, entbehrt diese Schlussfolgerung nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis jedweder Grundlage. Ein wie auf immer gearteter Aufruf zu einem gewaltsamen Widerstand ist der von dem Angeschuldigten verwendeten Abbildung, nicht zu entnehmen. Das gilt umso mehr, als dass der Angeschuldigte die Abbildung nicht etwa in einem einschlägigen Telegram-Kanal, sondern auf seinem privaten Facebook-Profil genutzt hat. Mit Blick auf den Inhalt der Äußerung war diese nicht auf Rechtsbruch, aggressive Emotionalisierungen oder die Herabsetzung von Hemmschwellen gegen rechtsgutgefährdende Handlungen angelegt. Der Angeklagte ruft durch die Verwendung der Abbildung in seinem Facebook-Profilbild, dass lediglich fünfmal mit der Bemerkung „gefällt mir" versehen wurde, weder ausdrücklich noch konkludent zur Verherrlichung von Gewalt auf; zudem liegt keine emotionalisierende Präsentation vor, die geeignet wäre, beim Betrachter Hemmschwellen herabzusetzen oder aggressive Emotionalisierungen hervorzurufen (OLG Braunschweig Urt. v. 7.9.2023 -1 ORs 10/23, BeckRS 2023, 24623).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO analog.


Einsender: RA M. Voß, Braunschweig

Anmerkung:


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