Gericht / Entscheidungsdatum: AG Frankfurt am Main, Urt. v. 17.11.2023 – 971 OWi 916 Js 59363/23
Eigener Leitsatz:
Für die Annahme eines besonderen Ausnahmefalles, der zum Absehen von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot führt, reicht es nicht aus, wenn der Betroffene etwa sechs Wochen vor dem zur Verurteilung anstehenden Vorfall an der gleichen Messstelle einen gleichartigen Verkehrsverstoß begangen hat, der mit einem Fahrverbot geahndet worden ist, das zwischen hiesiger Tatbegehung und der Aburteilung im vorliegenden Verfahren verbüßt wurde.
In pp.
Gegen den Betroffenen wird wegen fahrlässigen Nichteinhaltens des erforderlichen Abstandes, wobei der Abstand weniger als 3/10 des halben Tachowertes betrug eine Geldbuße von 300,00 Euro festgesetzt.
Dem Betroffenen wird für die Dauer von 1 Monat untersagt, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.
Das Fahrverbot wird wirksam, wenn der Führerschein nach Rechtskraft der Entscheidung in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.
Der Betroffene hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Angewendete Vorschriften: §§ 4 Abs. 1, 49 StVO, 24 Abs. 1, 3 Nr. 5. 25 StVG
Ziff. 12.6.3 BKat, § 4 Abs., 1 BKatV
Gründe
I.
Der Betroffene ist Jurist, selbständig tätig und lebt in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen. Der Fahreignungsregisterauszug des Betroffenen enthält folgende Eintragungen:
Der Betroffene hielt am 28.09.2021 bei einer Geschwindigkeit von 112 km/h den erforderlichen Abstand von 46,6 m (weniger als 5/10 des halben Tachowertes) zum vorausfahrenden Fahrzeug nicht ein. Gegen ihn wurde deshalb mit Entscheidung vom 12.11.2021 ein Bußgeld in Höhe von 75,00 Euro festgesetzt. Rechtskraft der Entscheidung ist am 07.12.2021 eingetreten.
Der Betroffene hielt am 20.04.2021 bei einer Geschwindigkeit von 118 km/h den erforderlichen Abstand von 59,0 m (weniger als 5/10 des halben Tachowertes) zum vorausfahrenden Fahrzeug nicht ein. Gegen ihn wurde deshalb mit Entscheidung vom 24.06.2021 ein Bußgeld in Höhe von 75,00 Euro festgesetzt. Rechtskraft der Entscheidung ist am 26.08.2021 eingetreten.
Der Betroffene hielt am 09.02.2023 bei einer Geschwindigkeit von 125 km/h den erforderlichen Abstand von 52,0 m (weniger als 3/10 des halben Tachowertes) zum vorausfahrenden Fahrzeug nicht ein. Gegen ihn wurde deshalb mit Entscheidung vom 13.06.2023 ein Bußgeld in Höhe von 260,00 Euro sowie ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt. Rechtskraft der Entscheidung ist am 15.08.2023 eingetreten. Das Fahrverbot wurde mit Ablaufdatum zum 05.11.2023 verbüßt.
II.
Der Betroffene befuhr am 28.03.2023 um 11:21 Uhr in Frankfurt die pp. (Messstelle) als Führer des Pkw mit dem Kfz-Kennzeichen pp.. Hierbei geriet er in eine durch den bei der Hess. Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit vom 21.02.2022 bis 25.02.2022 zum Einsatz des Gerätes sowie Auswertung der Verstöße geschulten Messbeamten pp. vorgenommene Abstandsmessung. Dieser führte die Messung mit dem vom Landesamt für Mess- und Eichwesen Rheinland-Pfalz am 12.01.2023 geeichten (Eichende: 31.12.2023) Messgerät Verkehrs-Kontrollsystem 4.5 mit der Anlagennummer pp. durch.
Um 11:22:56 Uhr fuhr der Betroffene, der die erforderliche Sorgfalt außer Acht ließ, in die Messstelle mit einer unter Abzug von Toleranz vorwerfbaren Geschwindigkeit von 129 km/h ein, wobei er es unterließ, den erforderlichen Abstand von 53,7 m zum vorausfahrenden Fahrzeug einzuhalten. Der Abstand betrug (nach Toleranzabzug) 18,5 m.
Die erfolgte Messung des Verkehrsverstoßes wurde durch das Messgerät mittels Übersichtsfotos dokumentiert, der Verkehrsverstoß wurde mit dem genannten Gerät fotografisch festgehalten und unter Verwendung einer vom Dipl.-Ing. Verm. pp. am 08.12.2021 an der Messstelle eingemessenen Messstellendatei von dem Messbeamten pp. ausgewertet.
III.
Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen beruhen auf seinen Angaben. Die Feststellungen zu den Voreintragungen beruhen auf der Verlesung des Fahreignungsregisterauszugs vom 25.10.2023.
Die Feststellungen zur Sache stehen zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme.
Der Betroffene räumte seine Fahrereigenschaft zum Tatzeitpunkt ein. Die Identität zwischen dem Betroffenen und der Fahrzeugführer ergibt sich zudem aufgrund eines Vergleichs der in Bezug genommenen Identifikationslichtbilder, auf deren Einzelheiten gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug genommen wird, und dem Aussehen des in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen. Das Identifikationslichtbild ist – trotz der vorhandenen Teilüberdeckung des Haaransatzes sowie Kinnpartie – von sehr guter Qualität, so dass eine ausreichende Anzahl von (Gesichts-)Merkmalen, die sämtlich eine Übereinstimmung zur Person des Betroffenen aufzeigen, zu erkennen sind.
Hinsichtlich des vorgeworfenen Abstandsverstoßes beruht die Überzeugung des Gerichts auf den verlesenen Urkunden und Inaugenscheinnahme der Lichtbilder, auf deren Inhalt gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug genommen wird.
Aus dem in der Hauptverhandlung verlesenen Messprotokoll ergibt sich, dass das Messgerät zum Zeitpunkt der Messung gültig geeicht war und dass keine Fehler vorlagen. Ausweislich des verlesenen Eichscheins wurde dieses Gerät am 12.01.2023 geeicht und die Eichung hat noch eine Gültigkeit bis Ende 2023. Die dazugehörige Messstellendatei wurde ausweislich des Messstellenprotokolls am 08.12.2021 eingemessen. Ebenfalls wurden die Eich- und Sicherungsmarken vor dem Einsatz geprüft und das Gerät durch den geschulten Messbeamten gemäß der Gebrauchsanweisung in Betrieb genommen, was dieser auf dem verlesenen Messprotokoll durch seine Unterschrift bestätigt hat.
An der Richtigkeit der Messung bestehen keine Zweifel. Bei dem hier eingesetzten Abstandsmessverfahren VKS (Verkehrskontrollsystem) der Herstellerfirma Vidit Systems GmbH handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 08.04.2016 – 3 (4) SsBs 121/16). Ein solches liegt dann vor, wenn es sich um ein durch Normen vereinheitlichtes technisches Verfahren handelt, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (vgl. BGH, Beschl. v. 30.10.1997 – 4 StR 24/97 –, BGHSt 43,277). Ist ein Messgerät von der PTB zugelassen und ist das Messgerät im Rahmen der Zulassungsvorgaben verwendet worden, ist das Tatgericht grundsätzlich von weiteren technischen Prüfungen, insbesondere zu Funktionsweisen des Messgeräts, enthoben. Die Zulassung durch die PTB ersetzt diese Prüfung. Damit soll erreicht werden, dass bei den Masseverfahren im Bußgeldbereich nicht jedes Amtsgericht bei jedem einzelnen Verfahren die technische Richtigkeit der Messung jeweils neu überprüfen muss. Ist die Messung im Rahmen der Zulassung erfolgt, kann das Gericht grundsätzlich von der Richtigkeit der Messung ausgehen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 04.12.2014 – 2 Ss-OWi 1041/14).
Es gibt keine konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit der Messung begründen könnten. Das Messgerät war für die Abstandsüberwachung gültig geeicht, zurzeit der Messung intakt und die Messung wurde fehlerfrei durchgeführt.
Das bei der Messung gefertigte Übersichtsfoto zeigt ausweislich des dort befindlichen Auswerteaufdrucks eine gemessene Geschwindigkeit vom 133 km/h an. Den bei der Messung möglicherweise zu verzeichneten Ungenauigkeiten ist durch Abzug einer Toleranz von 4 km/h von dem Messwert ausreichend Rechnung getragen worden, so dass von einem vorwerfbaren Wert von 129 km/h auszugehen ist.
Zweifel an der Richtigkeit der Auswertung der Messung, die, wie aus einer Vielzahl der verhandelten Verfahren wegen Abstandsunterschreitung im Stadtgebiet von Frankfurt am Main dem Gericht bekannt ist, im betreffenden Tatzeitpunkt in allen Fällen ausschließlich durch den Messbeamten pp. erfolgt, bestehen ebenfalls nicht.
Gemessen wurde der Abstand zwischen dem Vorderreifenauftrittspunkt des vorausfahrenden Fahrzeuges und dem Vorderreifenauftrittspunkt des Fahrzeuges der Betroffenen. Dieser Abstand betrug bei der ersten Messung um 11:21:55 Uhr 20,9 m und bei der zweiten Messung um 11:21:56 Uhr, zwei Sekunden später, 19,7 m, wobei für den vorliegenden Tatvorwurf der günstigere Wert zugrunde gelegt wurde. Da es für die Bestimmung des Abstandes von zwei Fahrzeugen auf den Abstand zwischen der Front des Nachfahrenden und dem Heck des vorausfahrenden Fahrzeuges ankommt, ist die Länge des vorausfahrenden Fahrzeuges abzuziehen, welche hier von dem auswertenden Beamten hinsichtlich des vorausfahrenden Pkws mit 2,6 m angenommen wurde.
Auch der Abstand zwischen dem eigenen Reifenauftrittspunkt und der Front des Fahrzeuges des Betroffenen bleibt zu dessen Gunsten unberücksichtigt. Schließlich wurde der so ermittelte Wert (20,9 m – 2,6 m = 18,3 m) zu Gunsten des Betroffenen noch auf 18,5 m aufgerundet, was zutreffend weniger als 3/10 des halben Tachowertes entspricht.
Soweit das Setzen der Messlinien an den jeweiligen Auftrittspunkten der Vorderreifen des vorausfahrenden Fahrzeuges und des Fahrzeuges der Betroffenen „von Hand“ erfolgt, wodurch geringfügige Abweichungen denkbar sind, sind etwaige Ungenauigkeiten, die aus der Setzung der Messlinien resultieren könnten, durch die großzügigen Toleranzen, die zu Gunsten des Betroffenen berücksichtigt wurden, mehr als ausglichen. Soweit der Betroffene durch seinen Verteidiger pauschal nicht näher dargelegte Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messlinie einzuwenden wusste, teilt das Gericht diese nicht.
Der Messbeamte war ausweislich des Schulungsnachweises für den Einsatz und die Auswertung ausreichend geschult.
Anhaltspunkte dafür, dass es sich lediglich nur um eine kurzfristige (unverschuldete) Abstandsunterschreitung gehandelt haben könnte, haben sich auch nach der Inaugenscheinnahme des Messvideos nicht ergeben. Letzteres zeigt über die gesamte Laufzeit von 11 s eine in Geschwindigkeit durchgehend gleichbleibende Fahrzeugbewegung des vorausfahrenden und des Tatfahrzeugs, wobei es über die gesamte Dauer zu keinen augenscheinlich wahrnehmbaren Abstandsveränderungen kommt.
Soweit schließlich durch die Verteidigung das Fehlen einer Konformitätserklärung moniert wurde, liegt dies neben der Sache. Eine solche (Eigen-)Erklärung des Herstellers ist ausschließlich dazu bestimmt, beim erstmaligen Inverkehrbringen eines technischen Geräts die Einhaltung von grundlegenden – normativ festgelegten – Sicherheitsanforderungen nachzuweisen. Für das in casu verwendete Messgerät ist die Einhaltung der – messrelevanten und durch den Regelermittlungsausschuss festgelegten – Anforderungen durch die Physikalisch Technische Anstalt des Bundes (PTB) mittels des Baumusters für das Urgerät respektive durch die amtliche Eichurkunde des konkret in Verkehr gebrachten Messgeräts sichergestellt.
IV.
Der Betroffene hat sich demnach der im Urteilstenor bezeichneten Verkehrsordnungswidrigkeiten schuldig gemacht. Das Gericht geht hierbei davon aus, dass der Betroffene fahrlässig handelte.
V.
Die Verhängung einer Geldbuße in Höhe von 300,00 Euro ist hinsichtlich der hier zu beurteilenden Verkehrsordnungswidrigkeit tat- und schuldangemessen. Angesichts der vorhandenen (durchweg einschlägigen) Voreintragung war die Regelbuße von 160,00 Euro angemessen zu erhöhen, um auf den Betroffenen wegen dessen wiederholt zutage getretener grob mangelhafter Verkehrsdisziplin nachhaltig einzuwirken.
Daneben ist gegen den Betroffenen nach § 25 Abs. 1 StVG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 BKatV ein Fahrverbot von einem Monat in der Regel zu verhängen, das auch tat- und schuldangemessen ist.
Das Gericht ist sich insoweit auch bewusst, dass es unter Erhöhung der Geldbuße von einer Anordnung eines Fahrverbotes hätte absehen können, hält dies jedoch nicht für geboten. Von der Verhängung eines Fahrverbotes kann, wenn wie hier ein Regelfall vorliegt, nur abgesehen werden, wenn entweder Tatumstände äußerer oder innerer Art oder eine erhebliche Härte die Ausnahme von der Anordnung eines Fahrverbotes rechtfertigen. Für die Annahme eines besonderen Ausnahme- respektive Härtefall der Fahrverbotsverbüßung, also erhebliche Abweichungen vom Normalfall, gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte.
Ein entsprechender Umstand ist auch nicht etwa darin zu sehen, dass der Betroffene etwa sechs Wochen vor dem hiesigen Vorfall an der gleichen Messstelle bereits wegen einer gleichgelagerten Abstandsunterschreitung mit einem Fahrverbot geahndet worden ist, das zwischen hiesiger Tatbegehung und der Aburteilung verbüßt wurde. Das Fahrverbot soll hinsichtlich der zu beurteilenden Verkehrsverstöße seiner Funktion nach als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme individuell spezialpräventiv wirken. Diese Wirkung würde verfehlt, wenn hier vom Fahrverbot abgesehen würde. Zwar ist im Ansatz zutreffend, dass im Falle einer gemeinsamen Aburteilung von zwei fahrverbotsbewerten Verstößen durch das Gericht nur ein einziges Fahrverbot zu verhängen wäre (vgl. grundlegend BGH, Beschl. v. 16.12.2015 – 4 StR 227/15 – NJW 2016, 1188). Der Betroffene ist hierdurch indessen nicht schlechter gestellt, da im Falle einer einheitlichen Aburteilung angesichts der besonders beharrlichen Delinquenz des Betroffenen ein über das Regelfahrverbot hinausgehendes zweimonatiges Fahrverbot allein tat- und schuldangemessen wäre. Eine nachträgliche „Gesamtstrafenbildung“ ist insoweit nicht vorgesehen.
Da gegen den Betroffenen in den letzten zwei Jahren vor Begehung der hier zu beurteilenden Verkehrsordnungswidrigkeit kein Fahrverbot verhängt worden ist und auch nicht bekannt ist, dass danach ein solches angeordnet wurde, war abweichend von § 25 Abs. 2 Nr. 1 StVG zu bestimmen, dass das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft der Entscheidung in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft § 25 Abs. 2 StVG.
VI.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 46 OWiG in Verbindung mit § 465 Abs. 1 StPO.
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