Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 11.07.2023 – 2 ORs 23/23
Leitsatz des Gerichts:
1. Das besondere subjektive Merkmal der Täuschungsabsicht im Sinne des § 273 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter eine andere Person zu einem irrtumsbedingten rechtserheblichen Verhalten veranlassen will. Daran fehlt es, wenn die Übermalung des Fotos eines Personalausweises derart offensichtlich ist, dass angesichts dieser niemand eine entsprechende Fehlvorstellung hätte entwickeln können.
2. Für eine Strafbarkeit wegen Sachbeschädigung durch Unterlassen durch das Zulassen des Bemalens des Ausweises fehlt es an einer Rechtspflicht des Ausweisinhabers zur Tatbestandsverhinderung. Eine solche folgt insbesondere nicht aus § 27 PAuswG, der die Pflichten des Ausweisinhabers regelt.
2 ORs 23/23 – 121 Ss 100/23
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Veränderns von amtlichen Ausweisen
hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 11. Juli 2023 einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten werden die Urteile des Landgerichts Berlin vom 3. Mai 2023 sowie des Amtsgerichts Tiergarten vom 18. Oktober 2021 aufgehoben.
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich derjenigen des Revisionsverfahrens und die dem Angeklagten jeweils entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse Berlin.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin verurteilte den Angeklagten am 18. Oktober 2021 wegen Veränderns von amtlichen Ausweisen zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 13,00 Euro. Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Berlin mit Urteil vom 3. Mai 2023 mit der Maßgabe verworfen, dass er unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Düren vom 21. August 2020 – 117 Cs 563/19 – zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 13 Euro verurteilt wurde. Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen und formellen Rechts rügt.
II.
Das zulässige Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die ebenfalls erhobene Verfahrensrüge nicht mehr ankommt.
1. Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
„In der Nacht vom 22. zum 23.3.2021 hielten sich der Angeklagte, der Zeuge N und andere Freunde des Angeklagten in wechselnder Besetzung lange in einer der Wohnungen der Teilnehmer (nicht des Angeklagten) auf und tranken erhebliche, nicht näher zu ermittelnde Mengen Alkohol. Der Angeklagte betrachtet Ausweisdokumente als Bestandteil eines Systems, das täglich Menschen kontrolliert, diskriminiert und tötet. Er ließ es als Teil des gemeinsamen Herumalberns in der Gruppe zu, dass er oder einer der anderen Anwesenden auf seinem Personalausweis mit der unter I. angegebenen Nummer mit einem schwarzen alkohollöslichen Stift das Lichtbild bis auf die Augenpartie unkenntlich machte; sofern dies durch eine andere Person geschah, billigte er dies. Er wusste, dass der Ausweis in diesem Zustand seine Funktion, seine optische Identifizierung zu ermöglichen, verloren hatte. Er steckte den Ausweis in seinem betrunkenen Zustand lediglich wieder in seine Hosentasche. Zu diesem Zeitpunkt war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht ausschließbar erheblich vermindert, aber nicht aufgehoben. Als der Angeklagte am nächsten Tag an einer Demonstration teilnahm und die Polizei die vom Angeklagten mündlich angegebenen Personalien überprüfen wollte, fand der Zeuge PM O bei einer Durchsuchung den unverändert beschmierten Personalausweis in der Hosentasche des Angeklagten.“
2. Die auf diese Feststellungen gestützte Verurteilung des Angeklagten wegen Veränderns von amtlichen Ausweisen gemäß § 273 Abs. 1 Nr. 1 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat in ihrer Stellungnahme vom 23. Juni 2023 dazu folgendes ausgeführt:
„1.
Die Feststellungen tragen entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht die Annahme, dass der Angeklagte zur Täuschung im Rechtsverkehr im Sinne von § 273 Abs. 1 StGB handelte.
a) Neben dem Vorsatz im Hinblick auf die objektiven Tatbestandsmerkmale verlangt § 273 Abs. 1 StGB das besondere subjektive Merkmal der Täuschungsabsicht. Täuschung im Rechtsverkehr ist dabei im Ausgangspunkt zu verstehen wie bei § 267 StGB. Vor dem Hintergrund der Rechtsgutskonzeption ist aber zu verlangen, dass durch den Gebrauch des Ausweises bei einem Amtsträger ein Irrtum herbeigeführt und dieser dadurch zu einem rechtserheblichen Verhalten veranlasst werden soll (vgl. Zieschang in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage 2023, § 273 Rn. 26). Es ist erforderlich, dass der Adressat einer unmittelbaren Vorlage des Ausweises über den Umstand getäuscht werden soll, dass sich im Ausweis die nunmehr unterdrückte Eintragung befunden hatte, um ihn hierdurch zu einer rechtlich erheblichen Disposition zu veranlassen (vgl. MüKoStGB/Erb, 4. Aufl. 2022, StGB § 273 Rn. 6).
b) So liegt der Fall hier gerade nicht. Das Landgericht erblickt in der Beeinträchtigung oder Aufhebung der ‚Identifizierungsfunktion als Beweiszweck‘ durch die festgestellte Übermalung des Ausweisfotos eine Eignung zur Täuschung, ohne jedoch darlegen zu können, worüber hierdurch konkret getäuscht werden sollte. Das ist auch nicht möglich, denn die Veränderung am Ausweis ist derart offensichtlich, dass angesichts dieser niemand eine entsprechende Fehlvorstellung hätte entwickeln können. Dass – worauf das Landgericht abstellt – eine Täuschung im Rechtsverkehr (in der zitierten Kommentierung heißt es: ‚Täuschungsabsicht‘) stets gegeben ist, wenn der Täter sich der Beweiswirkung der Urkunde auf seine Person entziehen will (vgl. UA, S. 4), steht dem nicht entgegen, denn gleichwohl ist immer erforderlich, dass der Täter eine andere Person zu einem irrtumsbedingten rechtserheblichen Verhalten veranlassen will (vgl. Fischer, StGB, 70. Auflage, § 267 Rn. 42 m. w. N.). Bei der Übermalung des Ausweisfotos ist es indes schlicht unmöglich, einen Irrtum in diesem Sinne zu erzeugen.
2. Die Feststellungen tragen vorliegend auch keine Verurteilung wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 2 StGB.
a) Zwar handelt es sich bei dem Personalausweis um eine fremde Sache (§ 4 Abs. 2 PAuswG).
b) Auch handelt es sich bei der festgestellten teilweisen Übermalung des Ausweisfotos ‚mit einem schwarzen alkohollöslichen Stift‘ (UA, S. 2) um eine unbefugte, nicht unerhebliche und nicht nur vorübergehende Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes des Ausweises.
c) Das Landgericht musste jedoch offenlassen, ob der Angeklagte selbst oder eine dritte Person die Veränderungen an dem Ausweis vorgenommen haben, wobei der Angeklagte im letzteren Fall die [Veränderungen] ‚gebilligt‘ habe. Eine mittäterschaftliche Begehungsweise ist damit indes nicht festgestellt, zumal das Gericht in seiner Beweiswürdigung darauf abstellt, der Angeklagte habe die Veränderung an dem Ausweis ‚zugelassen‘ (UA, S. 3). Auch eine Sachbeschädigung durch Unterlassen kommt nicht in Betracht, weil es insoweit an einer Rechtspflicht des Angeklagten zur Tatbestandsverhinderung fehlt. Insbesondere folgt diese nicht aus dem Gesetz. § 27 PAuswG regelt die Pflichten des Ausweisinhabers. Gegen keine der dort bezeichneten Pflichten hat der Angeklagte im Zuge des verfahrensgegenständlichen Tatgeschehens verstoßen. Auch andere gesetzliche oder sonstige Garantenpflichten sind vorliegend nicht gegeben.“
Diese Ausführungen treffen zu, weshalb sie sich der Senat zu eigen macht.
3. Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen zum Tatgeschehen zu erwarten sind. Gemäß § 345 Abs. 1 StPO hat er daher in der Sache selbst zu entscheiden und spricht den Angeklagten auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts aus tatsächlichen Gründen vom Vorwurf des Veränderns von amtlichen Ausweisen frei.
III.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 464, § 467 Abs. 1 StPO.
Einsender: RiKG D. Neumann, Berlin
Anmerkung:
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