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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Straßenverkehrsgefährdung, Urteilsfeststellungen, Gefährdungsschaden

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 12.04.2024 – 3 ORs 31/24161 SRs 21/24

Leitsatz des Gerichts:

1. Der Umstand, dass sich die einzig ausgeführte Rüge auf die Rechtsfolgen bezieht, gibt keinen Anlass dazu, von einer auf diese beschränkten Revision auszugehen, wenn zugleich die allgemeine Sachrüge erhoben ist.
2. Die Feststellung eines nach § 315c StGB tatbestandlichen Gefährdungsschadens erfordert zwei Prüfschritte: Zunächst ist zu fragen, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert gehandelt hat. Wird dies bejaht, so ist weiter zu prüfen, ob ihr auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, wobei ein tatsächlich entstandener Schaden geringer sein kann als der allein maßgebliche „überschießende“ Gefährdungsschaden.
3. Befassen sich die Urteilsgründe entgegen § 267 Abs. 3 Satz 4 StPO nicht mit der vom Verteidiger beantragten Möglichkeit der Verwarnung mit Strafvorbehalt, so liegt eine mit der Verfahrensrüge geltend zu machende Verletzung dieser Vorschrift auch dann vor, wenn das sachliche Recht die Prüfung des § 59 StGB keinesfalls nahelegt (Anschluss OLG Hamm, Beschl. v. 4.9.2008 – 3 Ss 370/08 – und vom 9.11.1985 – 4 Ss 1328/85).


3 ORs 31/24161 SRs 21/24

In der Strafsache
gegen pp.

wegen Gefährdung des Straßenverkehrs u.a.

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 12. April 2024 einstimmig beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 1. November 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit versuchter Sachbeschädigung (Fall 1) sowie wegen Nötigung in Tateinheit mit fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (Fall 2) zu einer Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 70 Euro verurteilt und gegen ihn ein sechsmonatiges Fahrverbot verhängt, das durch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis abgegolten war. Nach den Urteilsfeststellungen wollte der infolge einer Blutalkoholkonzentration von zumindest 0,61 Promille (relativ) fahrunsichere Angeklagte am Tattag ausparken, wobei er gegen einen hinter ihm parkenden PKW stieß. Von der anwesenden Fahrerin dieses Fahrzeugs angesprochen, soll der Angeklagte erwidert haben, sie sei selbst schuld, wenn sie so „bescheuert und so nah“ parke. Hiernach soll der Angeklagte, nunmehr mit bedingtem Schädigungsvorsatz, noch zwei weitere Male gegen das Fahrzeug gefahren sein, ohne dass es durch einen der Anstöße zu einem Schaden gekommen sei. In einer neuen selbstständigen Tat soll der Angeklagte, seine Fahrunsicherheit sorgfaltswidrig missachtend, nach dem Ausparken auf eine mit ihrem Kleinkind auf der Fahrbahn stehende Zeugin zugefahren sein, um diese zu einem ruckartigen Verlassen der Fahrbahn zu veranlassen.

Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat in Bezug auf den Schuldspruch mit der allgemeinen Sachrüge und zudem hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs mit einer ausgeführten Verfahrensrüge Erfolg.

1. Allerdings besteht auch in Bezug auf die Verurteilung wegen versuchter Sachbeschädigung kein Verfahrenshindernis. Zwar teilt der Senat die Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft, dass die insoweit Geschädigte ihren zunächst gestellten Strafantrag mit der Äußerung, sie stelle keinen Strafantrag, in der Hauptverhandlung zurückgenommen hat (Bd. I Bl. 157). Die Generalstaatsanwaltschaft hat jedoch in ihrer Zuschrift das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Diese Erklärung war auch noch in der Revisionsinstanz möglich (vgl. BGHR § 303c StGB, öffentliches Interesse, 1; Fischer, StGB 71. Aufl., § 303c Rn. 7), weshalb sie wirksam ist.

2. Der Senat überprüft das angefochtene Urteil sowohl im Schuld- als auch im Rechtsfolgenausspruch. Die Einschätzung der Generalstaatsanwaltschaft, der Angeklagte habe die Revision auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt, teilt der Senat nicht. Eine solche Beschränkung ist nicht erklärt worden, und sie ergibt sich auch nicht durch Auslegung. Bereits nach dem Wortlaut ist die Revision unbeschränkt eingelegt worden. Der Revisionsführer beantragt zudem, das Urteil „mitsamt den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben“ und die Sache zurückzuverweisen. Er rügt – ohne erkennbare Begrenzung – „die Verletzung sachlichen Rechts“. Schließlich beanstandet er die Verletzung des § 267 Abs. 3 Satz 4 StPO, wobei die weiteren Ausführungen belegen, dass es sich um eine die Rechtsfolgen betreffende Verfahrensrüge handelt (dazu unten 4). Der Umstand, dass sich die einzig ausgeführte Rüge auf die Rechtsfolgen bezieht, gibt keinen Anlass dazu, von einer auf diese beschränkte Revision auszugehen. Hiergegen sprechen sowohl der unbeschränkt gestellte Antrag als auch die allgemein und damit gleichfalls nicht beschränkt erhobene Sachrüge.

3. Die allgemeine Sachrüge dringt durch, weil die Feststellungen den zum Fall 1 getroffenen Schuldspruch der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB) nicht tragen. Sie belegen nicht, dass der Angeklagte die Tat vorsätzlich begangen hat (a), und sie zeigen auch nicht auf, dass einer fremden Sache von bedeutendem Wert ein bedeutender Schaden gedroht hat (b).

a) Das Amtsgericht hat den Angeklagten nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB, also wegen alkoholbedingter vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, verurteilt. Nach den Feststellungen hätte der Angeklagte aber seine Fahrunsicherheit „erkennen können und müssen“ (UA S. 3). Dies belegt nur Fahrlässigkeit.

b) § 315c StGB erfordert zum sog. Gefährdungsschaden zwei Prüfschritte, zu denen im Strafurteil in aller Regel Feststellungen zu treffen sind: Zunächst ist zu fragen, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert gehandelt hat, was etwa bei älteren oder bereits vorgeschädigten Fahrzeugen fraglich sein kann. Handelt es sich um eine Sache von bedeutendem Wert, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ihr auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, wobei ein tatsächlich entstandener Schaden geringer sein kann als der allein maßgebliche „überschießende“ Gefährdungsschaden. Der Wert der Sache ist hierbei nach dem Verkehrswert und die Höhe des (drohenden) Schadens nach der am Marktwert zu messenden Wertminderung zu berechnen (vgl. BGH NStZ 2019, 677 m. w. N.).

Hier ist schon nicht festgestellt, dass es sich bei dem gefährdeten Fahrzeug um einen Gegenstand von bedeutendem Wert gehandelt hat, wobei die Wertgrenze noch immer bei 750 Euro liegen dürfte (vgl. BGH NStZ-RR 2019, 125; NJW 2017, 743; zuletzt BayObLG, Beschluss vom 27. November 2023 – 203 StRR 381/23 – [juris]). Dass das im Urteil lediglich als PKW Audi bezeichnete Fahrzeug (UA S. 3) überhaupt diesen Wert hatte, mag naheliegen, versteht sich aber nicht von selbst. Selbst wenn man diesen Wert unterstellte, fehlten Ausführungen zum zweiten Prüfschritt, ob dem Fahrzeug nämlich ein bedeutender Schaden gedroht hat. Dies liegt bei dem festgestellten Fahrverhalten keinesfalls nahe: Es ging um einen Ausparkvorgang mit ersichtlich üblich geringer Geschwindigkeit, bei dem trotz dreifachen Anstoßes kein Schaden entstanden ist. Die Feststellungen belegen daher die konkrete Gefährdung nicht.

Auch die Beweiswürdigung und die rechtliche Würdigung enthalten keine Ausführungen dazu, warum das Tatgericht bei dem festgestellten Sachverhalt von einer konkreten Gefährdung und einem drohenden bedeutenden Schaden ausgegangen ist.

4. Auch die Verfahrensrüge dringt durch.

a) Die Revision beanstandet eine Verletzung des § 267 Abs. 3 Satz 4 StPO, indem sie behauptet, die Verteidigerin habe im Schlussantrag eine Verwarnung mit Strafvorbehalt nach § 59 StGB gefordert. Da das Urteil zu § 59 StGB nichts enthält, ist die Verfahrensrüge zulässig erhoben.

b) Dass die Verteidigerin einen entsprechenden Antrag gestellt hat, wird durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen (Bd. I Bl. 160). Damit liegt eine Verletzung des § 267 Abs. 3 Satz 4 StPO vor, denn nach dieser Vorschrift müssen die Urteilsgründe ergeben, warum nicht auf Verwarnung mit Strafvorbehalt erkannt wurde, wenn ein entsprechender Antrag gestellt worden ist.

c) Tatsächlich dürfte bei dem festgestellten Sachverhalt mit durchaus gravierenden Verkehrsverfehlungen eine Verwarnung mit Strafvorbehalt fernliegen. Daher stellt es sich auch nicht als sachlich-rechtlicher Fehler dar, dass das Urteil keine Ausführungen zu § 59 StGB enthält. Dass „die Fallgestaltung die Prüfung des § 59 StGB nicht unbedingt nahe legt“, entbindet das Tatgericht allerdings nicht von Ausführungen zu § 59 StGB, wenn in der Hauptverhandlung ein dahingehender Antrag gestellt worden ist (vgl. OLG Hamm Beschlüsse vom 4. September 2008 – 3 Ss 370/08 – und vom 9. November 1985 – 4 Ss 1328/85 – [jeweils juris]). Dass Ausführungen sachlich-rechtlich erlässlich waren, berührt damit den Erfolg der Verfahrensrüge nicht.

5. Da von den zu 3. bezeichneten sachlich-rechtlichen Mängeln unmittelbar lediglich der Fall 1 betroffen ist, hat der Senat erwogen, neben dem gesamten Rechtsfolgenausspruch nur den diesen Fall betreffenden Schuldspruch aufzuheben. Hiervon hat er aber abgesehen, weil es möglich und gegebenenfalls naheliegend erscheint, dass der neue Tatrichter das gesamte Tatverhalten – mitsamt der Gefährdung der auf der Straße mit einem Kleinkind stehenden Zeugin – als eine einheitliche alkoholbedingte Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB bewertet. Hierdurch könnte der Revisionsführer bei den Rechtsfolgen besser gestellt sein als bei der Bewertung des Geschehens als zwei sachlich-rechtlich selbstständige Taten.

6. Daher hebt der Senat das Urteil mit den Feststellungen insgesamt auf und verweist die Strafsache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zu neuer Verhandlung und Entscheidung.


Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin

Anmerkung:


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