Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.05.2024 – 2 ORs 370 SRs 247/24
Leitsatz des Gerichts:
1. Beim Handeltreiben mit Cannabis steht der Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung auf den Strafausspruch nicht das zwischenzeitliche Inkrafttreten des Cannabisgesetzes entgegen, wenn die Tat auch nach neuem Recht strafbar ist (entgegen BayObLG).
2. Bei der rechtlichen Beurteilung durch das Berufungsgericht findet jedoch § 354a StPO entsprechende Anwendung.
3. Bezüglich des Handeltreibens mit Cannabis sind die Regelungen im Konsumcannabisgesetz gegenüber den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes regelmäßig das mildere Gesetz im Sinn des § 2 Abs. 3 StGB.
In pp.
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 5.1.2024
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Cannabis in sechs Fällen, in einem Fall (Tat 6) in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, sowie des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und mit Körperverletzung schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit Ausnahme der zugrundeliegenden Feststellungen und der für die Tat 7 festgesetzten Einzelfreiheitsstrafe von neun Monaten aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer beim Landgericht Heidelberg zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Amtsgericht Heidelberg verurteilte den Angeklagten mit Urteil vom 14.6.2023 wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sechs Fällen, davon in einem Fall in nicht geringer Menge, sowie wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und mit Körperverletzung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Sichergestellte Rauschmittel (Marihuana und Amfetamin) und das Mobiltelefon des Angeklagten wurden eingezogen, in Höhe von 350 € die Einziehung von Wertersatz angeordnet.
Nach den im amtsgerichtlichen Urteil getroffenen Feststellungen hatte der Angeklagte in einem Wohnheim in X. bei sechs Gelegenheiten zwischen September und Dezember 2022 Marihuana in Gewinnerzielungsabsicht an eine Vertrauensperson der Polizei veräußert, wobei es vier Mal um Mengen um fünf, einmal um eine Menge um zehn Gramm ging. Bei der letzten Tat verfügte der Angeklagte über eine Verkaufsmenge von ca. 85 Gramm Marihuana mit einem Mindestgehalt von 13,22 Gramm Tetrahydrocannabinol sowie über etwas mehr als hundert Gramm Amfetamingemisch mit einem Gehalt von weniger als 1,31 Gramm Amfetaminbase, die ebenfalls zur gewinnbringenden Veräußerung bestimmt waren. Im zeitlichen Zusammenhang mit dieser Tat widersetzte sich der Angeklagte während der Durchsuchung bei einem Mitbewohner polizeilichen Anweisungen, wobei er einen Polizeibeamten schmerzhaft von sich weg schubste und ihm gegen das Bein trat.
Die Staatsanwaltschaft beschränkte ihre dagegen eingelegte Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch mit dem Ziel einer Straferhöhung. Auch der Angeklagte beschränkte seine Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch, nahm jedoch die Einziehungsentscheidung vom Rechtsmittelangriff aus.
Unter Verwerfung im Übrigen änderte das Landgericht Heidelberg, das die Berufungsbeschränkungen für wirksam erachtete, das amtsgerichtliche Urteil auf die Berufung des Angeklagten dahingehend ab, dass die Gesamtstrafe auf drei Jahre ermäßigt wurde.
Hiergegen richtet sich die mit der allgemeinen Sachrüge begründete Revision des Angeklagten.
Mit seiner Entscheidung folgt der Senat nach einstimmig getroffener Entscheidung (§ 349 Abs. 2 und 4 StPO) im Wesentlichen dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe in ihrer Antragsschrift vom 22.4.2024, auf die deshalb zunächst Bezug genommen wird.
1. Nach Auffassung des Senats sind die von beiden Seiten erklärten Beschränkungen auf den Strafausspruch - auch die seitens der Staatsanwaltschaft erklärte Beschränkung war nach dem Inhalt der Begründung in diesem Sinn auszulegen - wirksam.
a) Der Wirksamkeit der Beschränkung stand hinsichtlich der Taten 1 bis 5 (Handeltreiben mit Betäubungsmitteln) nicht entgegen, dass weder das Amtsgericht noch das Landgericht, das an ergänzenden Feststellungen hierzu durch die Beschränkung nicht gehindert war, Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des gehandelten Marihuana getroffen haben (OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 23; OLG Oldenburg NStZ-RR 2008, 117; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22.11.2023 – 1 Ss 23/23, juris).
b) Entgegen der vom Bayerischen Obersten Landesgericht (Beschluss vom 12.4.2024 - 206 StRR 122/24 = BeckRS 2024, 7422; vgl. auch NJW 1962, 2213) vertretenen Auffassung ergibt sich auch nichts anderes durch das zwischenzeitliche Inkrafttreten des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz - CanG) vom 27.3.2024 (BGBl. 2024 I Nr. 109), nach dem Cannabis nicht mehr dem Betäubungsmittelgesetz unterfällt, das Handeltreiben mit Cannabis aber weiterhin nach § 34 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz - KCanG) - bei herabgesetztem Strafrahmen - unter Strafe gestellt ist.
Der Bundesgerichtshof war bereits mehrfach (NJW 1965, 453; Urteile vom 22.1.1974 - 1 StR 490/73 und vom 12.2.1974 - 1 StR 610/73, jeweils juris) mit Konstellationen wie der vorliegenden befasst, in denen der nicht angefochtene Schuldspruch auf einem Gesetz beruhte, das zwischenzeitlich weggefallen war, aber durch ein anderes Gesetz ersetzt wurde, nach dem das abgeurteilte Verhalten strafbar blieb. Der Bundesgerichtshof hat in keiner dieser Entscheidungen die Auffassung vertreten, dass deshalb eine - nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung wirksame - Beschränkung nachträglich ihre Wirksamkeit verliert. Vielmehr führt die Änderung der Rechtslage nur dazu, dass die mit der Beschränkung eingetretene Teilrechtskraft nach dem in § 354a StPO niedergelegten Grundsatz dahingehend durchbrochen wird, dass die geänderte Rechtslage zu berücksichtigen ist. Handelt es sich dabei um das mildere Gesetz, ist dieses gemäß § 2 Abs. 3 StGB mit der Folge anzuwenden, dass der Schuldspruch umzustellen und die Strafe dem geänderten Strafrahmen zu entnehmen ist. Nachdem die maßgebliche Rechtsfrage durch den Bundesgerichtshof bereits entschieden ist, liegen die Voraussetzungen für eine Divergenzvorlage gemäß § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG nicht vor.
2. Die Anwendung des vorstehend wiedergegebenen Maßstabs führt dazu, dass die Taten 1 bis 6 nach dem Konsumcannabisgesetz zu beurteilen sind, da es gegenüber den bisherigen Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes das mildere Gesetz ist.
a) Das diesbezüglich festgestellte Verhalten des Angeklagten erfüllt den Tatbestand des Handeltreibens mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG.
Bei Marihuana handelt es sich um ein Produkt der Cannabispflanze, das nach den Begriffsbestimmungen des KCanG als „Cannabis“ erfasst wird (§ 1 Nr. 4 KCanG). Die Tathandlungen nach § 34 Abs. 1 KCanG hat der Gesetzgeber ausdrücklich an die Begrifflichkeiten des BtMG angelehnt (vgl. BT-Drucks. 20/8704 S. 94). Hinsichtlich der in § 34 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG beschriebenen Tathandlung des „Handeltreibens“ hat der Gesetzgeber darüber hinaus auf die hierzu ergangene Rechtsprechung ausdrücklich Bezug genommen (vgl. BT-Drucks. 20/8704 S. 94), so dass die zu den in §§ 29 ff. BtMG unter Strafe gestellten Handlungsformen entwickelten Grundsätze auf § 34 Abs. 1 KCanG zu übertragen sind (BGH, Beschluss vom 18.4.2024 - 1 StR 106/24, juris).
b) Das Konsumcannabisgesetz stellt sich bei der Strafzumessung bezüglich des zu den Taten 1 bis 6 festgestellten Verhaltens im Vergleich mit den vorher geltenden Strafnormen des Betäubungsmittelgesetzes als das mildere Gesetz dar.
Die Einzelstrafen für die Taten 1 bis 5 hat das Landgericht trotz der Bejahung von Gewerbsmäßigkeit, die nach § 29 Abs. 3 Nr. 1 BtMG ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall darstellt, dem Strafrahmen des § 29 Abs. 1 Satz 1 BtMG - Freiheitsstrafe bis fünf Jahre oder Geldstrafe - entnommen, während der Strafrahmen in § 34 Abs. 1 KCanG bei drei Jahren endet.
Bei der Tat 6 hat der Angeklagte zwar weiterhin - im Hinblick auf den Umgang mit Amfetamin - den Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verwirklicht. Da der Gehalt an Amfetaminbase in der zum Handeltreiben bestimmten Amfetaminmenge unterhalb des Grenzwertes für die nicht geringe Menge von 10 Gramm liegt, erfüllt das Handeln des Angeklagten aber nicht mehr den Qualifikationstatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG. In Bezug auf Marihuana ist dagegen auch nach neuem Recht (dazu BGH, Beschluss vom 18.4.2024 a.a.O.; OLG Hamburg, Beschluss vom 9.4.2024 - 5 Ws 19/24, juris) der Grenzwert zur nicht geringen Menge überschritten, was nach § 34 Abs. 3 Nr. 4 aber nurmehr ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall mit einer Strafdrohung von drei Monaten bis fünf Jahren darstellt. Auch wenn das festgestellte gewerbsmäßige Handeltreiben - sowohl in Bezug auf Betäubungsmittel (§ 29 Abs. 3 BtMG) als auch in Bezug auf Cannabis (§ 34 Abs. 3 Nr. 1 KCanG) - ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall ist, der bezüglich des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zur Anwendung eines mit dem Regelstrafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG identischen Strafrahmen führt, eröffnet das neue Recht unter Berücksichtigung der festgestellten mildernden Umstände jedenfalls die Möglichkeit einer Bestrafung aus dem jeweiligen, gegenüber der bisherigen Rechtslage deutlich milderen Grundstrafrahmen (§ 29 Abs. 1 BtMG bzw. § 34 Abs. 1 KCanG).
c) Die Einziehungsentscheidung wird durch die Gesetzesänderung nicht berührt, da das Konsumcannabisgesetz in § 37 eine § 33 BtMG entsprechende Regelung enthält. Dass das Landgericht insoweit eine eigene Entscheidung getroffen hat, erweist sich im Hinblick darauf als unschädlich, dass diese mit der vom Amtsgericht getroffenen, die mit der Beschränkung der Berufungen rechtskräftig geworden ist, inhaltlich identisch ist.
3. Im Ergebnis führt dies dazu, dass der Schuldspruch wie aus dem Tenor ersichtlich abzuändern ist und die Einzelstrafen für die Taten 1 bis 6 aufzuheben sind, da nicht auszuschließen ist, dass bei der nach der Gesetzesanwendung jedenfalls möglichen Anwendung milderer Strafrahmen auf niedrigere Strafen erkannt worden wäre; dies entzieht auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage (§ 353 Abs. 1 StPO). Dagegen hat die für die Tat 7 rechtsfehlerfrei festgesetzte Einzelstrafe Bestand. Da die zur Teilaufhebung führende Rechtsänderung die tatsächlichen Feststellungen unberührt lässt, können auch diese aufrechterhalten bleiben. Dies umfasst neben den tatsächlichen Grundlagen für die Annahme gewerbsmäßigen Handeltreibens auch die Feststellungen zur nicht geringen Menge Cannabis bei der Tat 6, die nurmehr ein Regelbeispiel für den besonders schweren Fall des Handeltreibens mit Cannabis ist. Ungeachtet der Frage, ob es sich dabei um eine sog. doppelrelevante Feststellung handelt, hat der Angeklagte insoweit durch seine Berufungsbeschränkung eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er die vom Amtsgericht dazu getroffenen Feststellungen, die nach der damaligen Rechtslage Grundlage für die Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG waren, gegen sich gelten lassen will (zum Ganzen BGHSt 29, 359).
Einsender:
Anmerkung:
Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.
Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".