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Entscheidungen

StPO

Verfahrensrügen, Stoßrichtung, Begründung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 16.10.2023 – 3 ORs 22/23

Leitsatz des Gerichts:

Zur Abgrenzung und zur jeweiligen Stoßrichtung der Rüge eines Verstoßes gegen die richterliche Aufklärungspflicht gem. § 244 Abs. 2 StPO einerseits und der Inbegriffsrüge gem. § 261 StPO andererseits betreffend Feststellungen zum Nettoeinkommen des Angeklagten.


In pp.

1. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Gießen - 4. kleine Strafkammer - vom 23.03.2023 wird als unbegründet verworfen, weil die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf das Revisionsvorbringen hin keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat. Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
2. Die sofortige Beschwerde der Angeklagten gegen die Kostenentscheidung des Urteils des Landgericht Gießen vom 23.03.2023 wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Friedberg (Hessen) - Strafrichterin - hat die Angeklagte am 05.05.2022 wegen Körperverletzung in einem minder schweren Fall in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in einem besonders schweren Fall und Beleidigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50,00 € verurteilt. Auf ihre Berufung hin hat das Landgericht Gießen - 4. kleine Strafkammer - die Angeklagte am 23.03.2023 zu einer Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 100,00 € verurteilt.

Gegen das Urteil des Landgerichts Gießen vom 23.03.2023 richtet sich nunmehr die auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision der Angeklagten vom 28.03.2023. Der Angriff der Revision ist auf die Höhe der im Urteil verhängten Tagessätze beschränkt. Des Weiteren greift die Angeklagte mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 28.03.2023 die Kostenentscheidung in diesem Urteil an.

II.

Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der statthaften (§ 333 StPO) sowie form- und fristgerecht eingelegten und begründeten (§§ 341, 344, 345) Revision deckt keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf. Die Verfahrensrüge ist nicht ordnungsgemäß ausgeführt (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO) und die Sachrüge deckt keinen revisiblen Rechtsfehler auf, so dass sich die Revision insgesamt als unbegründet erweist (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Soweit der Angeklagte das Verfahren beanstandet, wird eine den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügende Rüge nicht ausgeführt.

a) Die Revision vermag mit der Rüge eines Verstoßes gegen die richterliche Aufklärungspflicht gem. § 244 Abs. 2 StPO bzw. mit einer Inbegriffsrüge gem. § 261 StPO nicht durchzudringen, denn sie entspricht nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Kommt nach den vorgetragenen Tatsachen mehr als ein Verfahrensmangel in Betracht, muss die Angriffsrichtung der Rüge bestimmt werden. Es muss im Revisionsvortrag eindeutig konkretisiert werden, welcher behauptete Verfahrensmangel mit welcher Begründung angegriffen wird (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 09.05.2018 - 5 StR 17/18, NJW 2018, 2279, 2280 Tz. 10; Herb, NStZ-RR 2023, 33, 34 f. m.w.N.).

Für den Senat ist schon die Stoßrichtung der Rüge nicht erkennbar. In Betracht käme die - in die Gestalt einer Sachrüge des § 40 Abs. 2 S. 2 StGB gekleidete - Verfahrensrüge, dass das Landgericht seine Feststellungen zum Nettoeinkommen nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewonnen hat (§ 261 StPO), da ein Nettoverdienst von 3.600 € sich nicht aus der Vernehmung der Angeklagten herleiten lasse. Der Vortrag lässt sich aber auch so verstehen, dass die fehlende Aufklärung des Nettoeinkommens gerügt wird. Allerdings setzte das ausgebliebene „Hinterfragen“ des Nettoeinkommens zunächst einmal voraus, dass die Angeklagte tatsächlich gerade ihr Nettoeinkommen gegenüber dem Landgericht beziffert hätte; das wird aber nicht mit Bestimmtheit behauptet. Es bleibt somit schon unklar, ob die Angeklagte bei der Vernehmung über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse durch den Vorderrichter ihr Gehalt als brutto, netto oder ohne eine diesbezügliche Klarstellung angeben haben will.

b) Abgesehen hiervon würden beide Stoßrichtungen der Verfahrensrüge nicht zum Erfolg verhelfen.

aa) Zunächst kann die Revision nicht mit Erfolg rügen, der Vorderrichter habe bei der Vernehmung der Angeklagten über ihre persönlichen Verhältnisse bestimmte, sich aufdrängende Vorhalte nicht gemacht oder bestimmte Fragen nicht gestellt. Denn eine Aufklärungsrüge kann nicht erfolgreich allein auf die Behauptung gestützt werden, ein Angeklagter habe in der Hauptverhandlung anders als im Urteil festgestellt ausgesagt und dies habe dem Tatrichter Anlass zu weiterer Beweiserhebung geben müssen (statt Vieler KK-StPO/Krehl, 9. Aufl. 2023, § 244 Rn. 222). Eine solche Rekonstruktion der Beweisaufnahme ist - abgesehen von Ausnahmefällen bestimmter parater Beweismittel (vgl. KK-StPO/Krehl a.a.O., § 244 Rn. 221 m.w.N.) - de lege lata unzulässig. Vorhalte und Nachfragen sind aber nicht protokollierungspflichtig (KK-StPO/Tiemann a.a.O., § 261 Rn. 216). Das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen ist allein Sache des Tatrichters. Der dafür bestimmte Ort ist das Urteil (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 03.07.1991 - 2 StR 45/91, BGHSt 38, 14, 15 f.).

bb) Auch eine Inbegriffsrüge gem. § 261 StPO mit dem Ziel anzugreifen, im Urteil sei die Aussage der Angeklagten unvollständig, unzutreffend oder überhaupt nicht wiedergegeben oder bewertet worden, ist wegen des Rekonstruktionsverbots unbehelflich. Die Rechtsprechung hat Ausnahmen nur dann zugelassen, wenn der Wortlaut einer in der Hauptverhandlung verlesenen Urkunde im Urteil unrichtig wiedergegeben worden ist oder in Fällen der wörtlichen Protokollierung einer Aussage (vgl. BGH, Beschl. v. 03.09.1997 - 5 StR 237/97, BGHSt 43, 212, 214 m.w.N.). So liegt es hier aber nicht. Die Revision trägt vor, dass die mit der Revisionsbegründung vorgelegte Verdienstabrechnung zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch nicht zur Verfügung stand. Mit ihr lässt sich also nicht der Nachweis führen, dass die - nicht wörtlich protokollierte - Einlassung der Angeklagten zu ihrem Einkommen im Urteil unrichtig wiedergegeben ist.

2. Schließlich dringt die Revision auch nicht mit der sachlich-rechtlichen Beanstandung der Verletzung des § 40 Abs. 2 S. 2 StGB durch.

Aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass das Landgericht Gießen bei der Bestimmung der Tagessatzhöhe ein Nettoeinkommen von 3.600 € zugrunde gelegt hat; das Bruttoeinkommen hat der Vorderrichter nicht festgestellt. Das Vorbringen zur Verdienstabrechnung ist urteilsfremd.

III.

Die sofortige Beschwerde der Angeklagten gegen die Kostenentscheidung ist zulässig (§ 311 i.V.m. §§ 464 Abs. 3 S. 1, 304, 306 StPO), bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

1. Der Erfolg des Rechtsmittels ist durch einen Vergleich der angefochtenen Entscheidung, soweit sie der Prüfung des Rechtsmittelgerichts unterstellt war, mit dem Verfahrensergebnis zu ermitteln (KK-StPO/Gieg a.a.O., § 473 Rn. 4). Die Angeklagte hat mit ihrer Berufung zur Strafhöhe teilweise Erfolg gehabt, indem die Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50 € auf 30 Tagessätze zu je 100 € reduziert wurde. Sie hat mit Blick auf die gegen sie verhängte Geldstrafe einen rechnerischen Teilerfolg von 33 % (3.000 € statt 4.500 €) erzielt. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Angeklagte auf die Einlegung der Berufung verzichtet hätte, wenn sie durch das Amtsgericht Friedberg lediglich zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen mit einer Tagessatzhöhe zu je 100 € verurteilt worden wäre. Die Angeklagte begehrte einen Freispruch. Der erzielte Umfang des Teilerfolgs ist auch nicht groß genug, um das Kriterium des hypothetischen Verzichts auf die Berufungseinlegung zurücktreten zu lassen.

2. Die Auferlegung der dem Nebenkläger erwachsenen notwendigen Auslagen nach § 472 Abs. 1 StPO ist nicht zu beanstanden. Dass der Schuldspruch des Landgerichts nunmehr lediglich eine Beleidigung und somit kein ohne Weiteres nebenklagefähiges Delikt (vgl. § 395 Abs. 3 StPO) ausweist, ist nicht entscheidend. Die Vorschrift des § 472 Abs. 1 S. 1 StPO setzt lediglich die Verurteilung wegen einer Tat, „die den Nebenkläger betrifft“ voraus. Erreicht der Angeklagte mit seinem unbeschränkten Rechtsmittel dann nur eine Strafmilderung und wird das vom Nebenkläger verfolgte Interesse durch diese Entscheidung nicht wesentlich berührt, ist es gerechtfertigt, dem Nebenkläger den Anspruch auf Ersatz seiner vollen notwendigen Auslagen zuzubilligen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 04.10.1991 - 4a Ws 184-186/91, NStZ 1992, 250, 251).

IV.

Die Kostenentscheidungen beruhen jeweils auf § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.


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