Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 31.07.2024 - 202 ObOWi 742/24
Eigener Leitsatz:
Bei einem standardisierten Messverfahren müssen sich aus den Urteilsgründen Angaben zum Messverfahren und zum Toleranzwert ergeben. Auf die Angaben kann nur im Falle eines glaubhaften Geständnisses des Betroffenen verzichtet werden.
Bayerisches Oberstes Landesgericht
202 ObOWi 742/24
In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht - 2. Senat für Bußgeldsachen - durch die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht als Einzelrichterin am 31. Juli 2024 folgenden
Beschluss
I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Pfaffenhofen a.d. Ilm vom 27.03.2024 mit den zugehörigen Feststellungen - ausgenommen die Feststellungen zur Fahrereigenschaft des Betroffenen - aufgehoben.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Pfaffenhofen a.d. Ilm zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen mit Urteil vom 27.03.2024 wegen eines am 22.06.2023 begangenen „Abstandsverstoßes von weniger als 3/10 des halben Tachowertes“ zu einer Geldbuße von 240 EUR verurteilt und gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG verhängt.
Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
„Der Betroffene fuhr am 22.06.2023 um 09:38 Uhr mit dem Pkw Skoda, amtliches Kennzeichen pp. auf der Bundesautobahn A9 in Richtung München. Im Gemeindebereich von Reichertshofen im Abschnitt 980, Kilometer 4.625 hielt der Betroffene bei einer Geschwindigkeit von 139 km/h lediglich einen Abstand von 15,0 m zu einem vorausfahrenden Fahrzeug ein. Dies entspricht weniger als 3/10 des halben Tachowertes. Bei der genannten Geschwindigkeit wäre der erforderliche Abstand 69,5 m gewesen.“
Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung sachlichen Rechts.
II.
Die gem. § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie hat mit der Sachrüge - zumindest vorläufigen - Erfolg. Die Feststellungen des Amtsgerichts zum festgestellten Abstandsverstoß sind lückenhaft und entsprechen nicht den Mindestanforderungen der §§ 261, 267 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG. In den Urteilsgründen wird zwar mitgeteilt, mit welchem konkreten Messverfahren die Abstandsunterschreitung festgestellt worden ist. Das Amtsgericht unterlässt es aber mitzuteilen, ob und in welcher Höhe von den mitgeteilten Messwerten ein Toleranzabzug in Ansatz gebracht wurde, so dass das Rechtsbeschwerdegericht die rechtsfehlerfreie Rechtsanwendung in diesem Punkt nicht nachprüfen kann.
Bei dem verwendeten Abstandssystem VKS 3.0 (für die jetzige Softwareversion 4.5 kann nichts anders gelten) handelt es sich allerdings um ein standardisiertes Messverfahren, wovon auch die Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Stellungnahme vom 09.07.2024 ausgeht. Von der Zuverlässigkeit der Messung muss sich das Gericht nur überzeugen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind. Solche Anhaltspunkte bestanden für das Gericht nach den Urteilsfeststellungen nicht. Die Angaben zum Messverfahren und zum Toleranzwert würden in diesem Fall die Grundlage einer ausreichenden, nachvollziehbaren Beweiswürdigung (vgl. BGHSt 39, 291; speziell zum Abstandsmessverfahren VKS zuletzt: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.09.2019 - 1 Rb 10 Ss 618/19, bei juris Rn. 12) bilden. Auf die Angaben kann nur im Falle eines glaubhaften Geständnisses des Betroffenen verzichtet werden, von dem hier nach den Urteilsgründen nicht ausgegangen werden kann.
Das OLG Bamberg (Beschl. v. 19.07.2017 – 3 Ss OWiG 836/17, bei juris; vgl. auch Gieg/Krenberger in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl., Rn. 130) hat - noch weitergehend - ausgeführt, dass bei einer im standardisierten Messverfahren erfolgten Abstandsmessung wenn sich aus den Urteilsgründen zweifelsfrei ergibt, dass ein Toleranzabzug vorgenommen wurde, es der Mitteilung des konkreten Toleranzwertes nicht mehr bedarf, da ohne weiteres davon ausgegangen werden könne, dass die nach der Gebrauchsanweisung des Herstellers vorgesehenen systemimmanenten Verkehrsfehlergrenzen bereits vom Rechenprogramm abgezogen und damit im Ergebnis berücksichtigt wurden.
Den vorgenannten Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Den Urteilsgründen lässt sich nicht zweifelsfrei entnehmen, dass es sich bei dem zugrunde gelegten Geschwindigkeitswert von 139 km/h um den nach Abzug der (systemimmanent ermittelten) Toleranzen ermittelten Wert handelt und der Toleranzabzug dem Grunde nach auch berücksichtigt wurde.
III.
Aufgrund des aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mangels ist das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 353 StPO). Hiervon auszunehmen waren die Feststellungen zur Fahrereigenschaft des Betroffenen, welche von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Pfaffenhofen a.d. Ilm zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).
IV.
Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter
Einsender: RA P. Lange, Leipzig
Anmerkung:
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