Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 03.06.2024 -203 StRR 172/24
Leitsatz des Gerichts:
Beschränkt sich die Feststellung des erstinstanzlichen Tatrichters darauf, dass der Angeklagte am Tattag in den Geschäftsräumen eines Verbrauchermarkts Lebensmittel im Wert von 34.00 Euro entwendete, um diese ohne Bezahlung für sich zu behalten, erweist sich in der Revision die Beschränkung der Berufung auf die Rechtsfolgen als unwirksam, sofern nicht das Berufungsgericht eigene weitere Feststellungen zum Tatablauf getroffen hat.
Bayerisches Oberstes Landesgericht
203 StRR 172/24
In dem Strafverfahren
gegen pp.
wegen Diebstahls
erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht - 3. Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 3. Juni 2024 folgenden
Beschluss
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 12. Dezember 2023 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Fürth hat den Angeklagten am 29. Juni 2023 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat mit Urteil vom 12. Dezember 2023 die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten als wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt beurteilt und als unbegründet verworfen. Mit der Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt, die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten als offensichtlich unbegründet gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
II.
Die gemäß §§ 333, 341, 344, 345 StPO zulässige Revision des Angeklagten hat mit der erhobenen Sachrüge einen vorläufigen Erfolg. Denn das Landgericht ist rechtsfehlerhaft von der Wirksamkeit der Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch gemäß § 318 StPO ausgegangen, ohne die unerlässlichen Feststellungen zum Tathergang zu treffen.
1. Ob die Beschränkung einer Berufung wirksam ist, hat das Revisionsgericht aufgrund der Sachrüge von Amts wegen zu prüfen (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 09. Februar 2023 - 203 StRR 497/22 -, juris Rn. 3; BayObLG, Beschluss vom 18. März 2021 - 202 StRR 19/21 -, juris Rn. 3).
2. Eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist zwar grundsätzlich zulässig. Die Regelung von § 318 Satz 1 StPO sieht vor, den Gestaltungswillen des Anfechtenden im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren. Sie erweist sich jedoch als unzulässig, wenn die dem Schuldspruch im angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Feststellungen tatsächlicher oder rechtlicher Art unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so knapp sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen und die erstinstanzlichen Feststellungen deshalb keine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Berufungsgerichts sein können oder unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat (st. Rspr., vgl. Senat a.a.O. Rn. 4; BGH, Beschluss vom 27. April 2017 – 4 StR 547/16 –, BGHSt 62, 155, juris Rn. 20 m.w.N.; KK-StPO/Paul, 9. Aufl., § 318 Rn. 7 ff., jeweils m.w.N; Gössel in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 318 Rn. 47 ff.; BeckOK StPO/Eschelbach, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 318 Rn. 21; Quentin in MK-StPO, 2. Aufl., § 318 Rn. 35 ff.).
3. Gemessen daran erweist sich die Beschränkung der Berufung hier als unwirksam. Die Feststellungen des Tatrichters sind zu lückenhaft, um den Schuldspruch des vollendeten Diebstahls zu tragen und die Nachprüfung des Strafausspruchs zu ermöglichen.
a) Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte am Tattag in den Geschäftsräumen der Firma EDEKA in F. Filetsteaks im Wert von 34.00 Euro entwendete, um diese ohne Bezahlung für sich zu behalten. Das Berufungsgericht hat keine eigenen Feststellungen zum Tatablauf getroffen, indes bei der Strafzumessung berücksichtigt, dass der Angeklagte die Tat gestanden hat und die Ware zum weiteren Verkauf im Geschäft verblieb.
b) Die in den Urteilsgründen gewählte Formulierung "entwendete" lässt offen, wie sich die Tat abgespielt hat und ob die Wegnahme im Rechtssinne vollendet wurde (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 19. Juli 2023 - 203 StRR 255/23-, unveröffentlicht; BayObLG, Beschluss vom 27. März 2024 – 204 StRR 103/24-, unveröffentlicht; BayObLG, Beschluss vom 7. April 2021 – 202 StRR 33/21 –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 23. Oktober 2019 – 3 Ss 89/19 –, juris; OLG Dresden, Beschluss vom 12. März 2015 – 2 OLG 22 Ss 14/15 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 6. Mai 2013 – III-5 RVs 38/13 –, juris; Reichenbach in: Gercke/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 7. Auflage 2023, § 318 StPO Rn. 16; Quentin a.a.O. Rn. 39). Für eine vollendete Wegnahme in einem Ladengeschäft ist erforderlich, dass der Täter hinsichtlich der zuzueignenden Sache fremden Gewahrsam gebrochen und neuen begründet hat (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 26. Juni 2008 – 3 StR 182/08 –, juris Rn. 7; Schmitz in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 242 Rn. 83 ff.; Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 242 Rn. 37 ff.). Für die Frage des Wechsels der tatsächlichen Sachherrschaft bei einem Ladendiebstahl ist entscheidend, dass der Täter diese derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben kann und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen (BGH a.a.O.; BGH, Urteil vom 6. März 2019 – 5 StR 593/18 –, juris Rn. 3). Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Anschauungen des täglichen Lebens (BGHSt 23, 254, 255). Einen bereits gesicherten Gewahrsam setzt die Tatvollendung nicht voraus. Maßgeblich sind stets die Umstände des Einzelfalls (vgl. zu den möglichen Fallkonstellationen beim Ladendiebstahl Vogel/Brodowski in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 242 Diebstahl Rn. 100; Bosch a.a.O. Rn. 39). Allein der Umstand, dass die Sache zurückgegeben wurde, lässt noch keinen verlässlichen Schluss auf die Begründung von Gewahrsam von Seiten des Täters zu (vgl. BayObLG, Beschluss vom 7. April 2021 a.a.O. Rn. 5). Auch der Verweis auf ein Geständnis des Angeklagten kann die fehlenden Ausführungen zu den Gewahrsamsverhältnissen nicht kompensieren (vgl. Senat a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 6. Mai 2013 – III-5 RVs 38/13 –, juris).
c) Die tatrichterlichen Feststellungen ermöglichen daher dem Revisionsgericht auch in der gebotenen Gesamtschau nicht die Beurteilung, ob der bisherige Gewahrsam des Berechtigten aufgehoben wurde, ob es lediglich zu einer bloßen Gewahrsamslockerung gekommen war und unter welchen Bedingungen die entwendete Sache zurückgelangte. Das Revisionsgericht ist nicht berechtigt, die im Urteil fehlenden Feststellungen unter Rückgriff auf die übrigen Aktenbestandteile zu ergänzen. Demgemäß sind die erstinstanzlichen Feststellungen keine ausreichende Grundlage für den Strafausspruch des Berufungsgerichts mit der Folge, dass die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 27. März 2024 – 204 StRR 103/24-, unveröffentlicht; KG Berlin, Beschluss vom 23. Oktober 2019 a.a.O. Rn. 11).
III.
Wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers beim Schuldspruch ist das Urteil des Landgerichts einschließlich der entsprechenden Feststellungen aufzuheben (§ 349 Abs. 4 StPO) und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-F. zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
Einsender: 3. Strafsenat des BayObLG
Anmerkung:
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