Gericht / Entscheidungsdatum: AG Dortmund, Urt. v. 11.07.2024 - 729 OWi-257 Js 630/24 -58/24
Leitsatz des Gerichts:
1. Auch wenn die Ladungssicherungsmittel nicht ordnungsgemäß (VDI-richtlinienkonform) eingesetzt sind, stellt dies keine Ordnungswidrigkeit nach §§ 49, 22 StVO dar, wenn die Ladung gleichwohl ausreichend hierdurch gesichert ist (konkret: ablegereife Sicherungsgurte und möglicherweise ablegereife Sicherungsketten).
2. Die Formulierung des § 22 Abs. 1 S. 2 StVO dahin, dass die anerkannten Regeln der Technik bei der Ladungssicherung zu beachten sind (hier also der VDI-Richtlinie 2700) hat keinen eigenständigen Regelungsgehalt, der durch einen Ordnungswidrigkeitentatbestand abgesichert wird. Vielmehr bezieht sich die Ordnungswidrigkeitenvorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 21 StVO nur auf die „Ladung nach § 22“. Eine eigenständige Ahndung von Verstößen gegen VDI-Richtlinien und § 22 Abs. 1 S. 2 StVO, die sich nicht auf die Sicherheit der Ladung auswirken, ist damit nicht möglich.
Amtsgericht Dortmund
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.
hat das Amtsgericht Dortmund
aufgrund der Hauptverhandlung vom 11.07.2024,
an der teilgenommen haben:
für Recht erkannt:
Der Betroffene wird wegen fahrlässigen Nichtmitsichführens der Zulassungs-bescheinigung Teil I in Tateinheit mit vorsätzlichem Führen eines Kraftfahrzeugs oh-ne Auflagenbeachtung zu einer Geldbuße von 30,00 € verurteilt.
Die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen trägt der Betroffene.
Angewendete Vorschriften:§§ 23 Abs. II, 75 FEV, 13 Abs. VI, 77 FZV, 24 StVG.
Gründe:
Der Betroffene ist ledig und kinderlos. Er ist als Kraftfahrer angestellt bei einem Lohnunternehmen.
Verkehrsrechtlich ist der Betroffene nicht vorbelastet.
Am 29.02.2024 um 12:20 Uhr befuhr der Betroffene in Dortmund die Emscherallee als fahrzeugführende Person der Sattelzugmaschine mit Anhänger mit dem amtlichen Kennzeichen XXXXX des Fabrikats Fendt. Fahrerlaubnisrechtlich hatte er die Auflage, beim Führen von Kraftfahrzeugen eine Brille zu führen. Er führte jedoch keine Brille mit sich und wusste dies auch.
Zudem hatte er vergessen, die Zulassungsbescheinigung Teil I für das genannte Fahrzeug mit sich zu führen, so dass er bei einer polizeilichen Kontrolle nicht vorweisen konnte. Bei ordnungsgemäßer Sorgfalt hätte der Betroffene die Zulassungsbescheinigung Teil I mit sich führen können und müssen.
Weiterhin wies das Fahrzeug bzw. das von dem Betroffenen geführte Gespann Ladungssicherungsmittel auf, die nicht mehr zulässig genutzt wurden und mit denen Ladungsteile gesichert wurden, die sich auf dem Anhänger des Betroffenen befanden. Hier standen ein Radlader und ein Bagger. Zudem befanden sich 2 Schilderfüße lose auf dem Lkw, bestehend aus Beton und einer Kunststoffummantelung. Die Schilderfüße wurden mittels eines ablegereifen Zurrgurtes, der erheblich eingerissen war, nämlich laut Sachverständigen zu etwa 20 %, niedergezurrt. Trotz der Ablegereife und eines Verstoßes gegen die VDI-Richtlinie 2700 waren diese beiden Schilderfüße auch durch diesen ablegereifen Gurt noch ordnungsgemäß gesichert.
Der Radlader auf dem Anhänger des Betroffenen war durch Ketten gesichert, die am Fahrzeug irgendwie verspannt waren. Wie genau der Radlader aussah, wie er abgestellt war, welches Gewicht er hatte und wie die Ladungssicherung durch die Ketten genau stattgefunden hatte, konnte mangels von der Polizei gefertigter Lichtbilder nicht mehr festgestellt werden. Anhand von Blechschildern an den Ketten, die die Polizei fotografiert hatte, ließ sich jedoch feststellen, dass die Ketten nicht mehr aktuell geprüft waren. Auch sie hätten nach der VDI Richtlinie 2700 nicht mehr genutzt werden dürfen. Sie waren jedoch verspannt mit dem Radlader. Aufgrund der Gummireifen des Radladers und der Kettenverspannung, die zurzeit des Vorfalls noch stattgefunden hatte, war trotz der Ablegereife der Ketten ebenfalls eine ordnungs-gemäße Ladungssicherung gegeben.
Schließlich war die Anhängerkupplung des Gespanns bereits erheblich abgenutzt, jedoch nicht über ein technisch zu beanstandendes Maß hinaus. Zwischen dem Zapfen der Kupplungseinheit des Zugfahrzeuges und der Öse der Deichsel des gezogenen Anhängers waren mehrere Millimeter Platz, jedoch nicht mehr als 5 mm. Inso-weit wird auf das Lichtbild (Bl. 8 d.A.) Bezug genommen, das in voller Aktenseiten-größe die Kupplungssituation zeigt. Mittig des Bildes ist der Zapfen erkennbar, der von oben in die Anhängerkupplung eingebracht wurde. Die Öse der Deichsel des An-hängers kommt vom linken unteren Eck und umgibt den Zapfen auf dem Lichtbild. Die Polizei hatte bei der Fahrzeugkontrolle auf der Straße ein (unvermessenes) kleines Stückchen Holz gefunden, welches sie zur Verdeutlichung des Spielraums zwischen Öse und Zapfen in den Spielraum steckte. Dieses Holzstückchen ist ebenfalls mittig des Lichtbildes (Bl. 8 d.A.) zu erkennen. Wegen weiterer Einzelheiten der Kupplungssituation wird auf das Lichtbild (Bl. 8 d.A.) gemäß §§ 267 Abs. I Satz 3 StPO, 46 OWiG Bezug genommen.
Der Betroffene hat den „Brillen-Verstoß“ gestanden; die Brille habe er trotz entsprechender Auflage nicht mitgeführt.
Er hat auch gestanden, die Zulassungsbescheinigung Teil I nicht mit sich geführt zu haben.
Ladungssicherungsverstöße und Verstöße im Rahmen des Führens des Fahrzeuges hinsichtlich des Zustandes der Anhängerkupplung stellte er jedoch in Abrede.
Der Polizeibeamte B konnte sich nicht mehr konkret an den Vorfall erinnern.
Nach Vorhalt wusste er jedoch zumindest noch, dass es sich bei dem von ihm angehaltenen Gespann um ein Zugfahrzeug und Anhänger gehandelt habe und dass er das Stückchen Holz, welches auf dem Foto der Anhängerkupplung zu sehen war, einfach auf der Straße gefunden hatte und zur Verdeutlichung einer Lücke in diese Lücke gesteckt hatte. Welcher Abstand genau zwischen Zapfen und Öse vorhanden war, vermochte der Zeuge nicht mehr zu sagen. Er habe dies nicht gemessen. Er sei überzeugt, dass die Öse zu groß gewesen sei für den Zapfen. Der Zeuge erklärte auch, dass aufgrund der Ablegereife des Ladungssicherungsgurtes, der über die Schilderfüße gezogen worden war, diese nicht ordnungsgemäß gesichert gewesen seien. Auch der Radlader sei aufgrund der Ablegereife der Ketten nicht mehr ordnungsgemäß gesichert gewesen. Er habe von der Situation der Kettenschilder über deren Prüfung und der Anhängerkupplung die in der Akte vorhandenen Fotos gemacht, nicht aber mehr.
Das Gericht hat den Dipl. Ing. D der DEKRA Dortmund als Sachverständigen gehört. Der Sachverständige D ist dem Gericht als erstklassiger und erfahrener Gutachten in derartigen Verfahren bekannt. Der Sachverständige führte zunächst zur Situation an der Anhängerkupplung aus, dass anhand des Typenschildes des Anhängers, welches fotografisch von dem Zeugen B erfasst worden war, festgestellt werden konnte, dass ein 38 mm dicker Zapfen zu nutzen war für ein 40 mm breites Ösenloch. Der Sachverständige führte aus, dass es auch Ösen mit 50 mm Öffnung gebe – eine solche liege hier nicht vor, denn dann hätte ein Freiraum von mindestens 1,2 cm auf dem Foto dokumentiert sein müssen. Ein derartiger Freiraum sei für ihn auf dem Lichtbild (Bl. 8 d.A.) nicht erkennbar.
Bei Augenscheinnahme des Lichtbildes, die das Gericht im Rahmen der Hauptverhandlung durchgeführt hat, konnte sich das Gericht vergewissern, dass anhand der Größenverhältnisse des Zapfens von 38 mm Dicke die Lücke zwischen Zapfen und Öse lediglich wenige Millimeter breit gewesen sein kann, nicht aber 1,2 cm. Der Sachverständige hatte also recht!
Der Sachverständige führte weiterhin aus, er könne anhand des Lichtbildes Bl. 8 trotz des Holzstückchens, das in die Lücke eingebracht worden war, nicht feststellen, wieviel Millimeter zwischen Zapfen und Öse an Platz vorhanden war. Technisch zu-lässig seien laut DIN-Vorschrift nämlich bis zu 5 mm Platz. Diese Toleranz ergebe sich daraus, dass sich die Öse im Laufe ihres Gebrauchs um einige Millimeter ab-nutzen dürfe und auch der Zapfen einige Millimeter. Dementsprechend sei 5 mm Lü-cke die technisch zulässige Höchstgrenze. Anhand des Fotos und des Vergleichs mit dem Zapfen sei es nach Ansicht des Sachverständigen durchaus möglich, dass die-se 5 mm Weitung des Abstands zwischen Zapfen und Öse noch nicht erreicht bzw. überschritten waren.
Der Sachverständige D führte weiterhin zur Ladungssituation aus, dass er aufgrund fehlender fotografischer Dokumentationen zum Zustand der Ketten an sich nichts sagen könne und auch nicht zum sicheren Stand des Radladers. Es sei aber durch-aus so, dass ein Radlader, der durch ablegereife Ketten, die noch gespannt werden konnten und gespannt wurden, durchaus als ladungssicher anzusehen sei.
Soweit die Polizei Ladungssicherungsmängel an den beiden Schilderfüßen vermeintlich festgestellt habe, sei es so, dass die Schilderfüße ausweislich eines in der Akte vorhandenen und vom Gericht in Augenschein genommenen Lichtbildes im Nieder-zurrverfahren festgezurrt worden seien.
Der von der Polizei fotografierte Ladungssicherungsgurt in der Akte, dessen Foto das Gericht in Augenschein genommen hat, sei auf jeden Fall ablegereif gewesen. Anhand der Fotografie konnte der Sachverständige nämlich feststellen, dass der Ladungssicherungsgurt bereits zu 20 % seiner Breite aufgerissen war. Nach VDI-Richtlinie 2700 sei lediglich ein Verschleiß von 10 % zu tolerieren. Der Gurt hätte somit etwa nicht mehr zur Sicherung mit seiner Maximalkraft belastet werden können – für eine Ladungssicherung entsprechend der VDI-Richtlinie 2700 wäre der Gurt daher nicht mehr nutzbar gewesen. Für das hier gegebene Niederzurrverfahren sei jedoch maximal eine Kraft von 350 kg als Zurrleistung erforderlich gewesen. Das sei mit dem Gurt aus technisch-sachverständiger Sicht ohne weiteres noch möglich ge-wesen, so dass der Betroffene trotz Ablegereife des Zurrgurtes die beiden Schilder-füße ordnungsgemäß gesichert habe.
Somit war der Betroffene nur gemäß den §§ 23 Abs. II, 75 FEV, 13 Abs. VI, 77 FZV, 24 StVG zu verurteilen.
Die Regelgeldbuße für den FEV-(Brillen)-Verstoß beträgt 25,00 €.
Aufgrund der Tateinheit mit dem Verstoß gegen das Gebot, die Zulassungsbescheinigung Teil I mit sich zu führen (Regelbuße: 10 Euro), führte zu einer moderaten Erhöhung der Regelgeldbuße auf 30,00 €.
Angesichts der vorstehenden Darstellungen war der Fahrzeugzustand (Anhänger-kupplung) nicht zu beanstanden und mit Geldbuße zu belegen. Auch eine ordnungs-widrige Ladungssicherung konnte das Gericht nicht feststellen. §§ 22, 49 StVO sollen nicht die Nichteinhaltung der technischen Regeln (hier VDI-Richtlinie 2700) ahnden, sondern vielmehr die fehlende Ladungssicherheit. Dies konnte nicht festgestellt wer-den – die Ladung war vielmehr trotz Verstößen gegen die VDI Richtlinie 2700 ausreichend gesichert. Die Formulierung des § 22 Abs. 1 S. 2 StVO dahin, dass die anerkannten Regeln der Technik bei der Ladungssicherung zu beachten sind (hier also der VDI-Richtlinie 2700), hat keinen eigenständigen Regelungsgehalt, der durch einen Ordnungswidrigkeitentatbestand abgesichert wird. Vielmehr bezieht sich die Ordnungswidrigkeitenvorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 21 StVO nur auf die „Ladung nach § 22“. Eine eigenständige Ahndung von Verstößen gegen VDI-Richtlinien und § 22 Abs. 1 S. 2 StVO, die sich nicht auf die Sicherheit der Ladung auswirkt, ist damit nicht möglich.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 465 StPO, 46 OWiG.
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