Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Naumburg, Beschl. v. 26.08.2024 - 1 Ws 366/24 RB-Vollzug
Eigener Leitsatz:
1. Die gerichtliche Überprüfung der Ausgestaltung des Besuchsrechts eines Gefangenen in dem durch die gesetzlichen Bestimmungen vorgegebenen Rahmen ist – wie allgemein beim Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung – darauf beschränkt, ob von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen wurde, von dem eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht und dabei eine Abwägung der organisatorischen Belange der Anstalt mit den berechtigten Interessen des Gefangenen vorgenommen wurde.
2. Die Justizvollzugsanstalt muss über einen Antrag auf Gestattung eines Langzeitbesuchs eine auf den Einzelfall bezogene Ermessenentscheidung unter Berücksichtigung der von dem Antragsteller vorgebrachten besonderen Umstände treffen. Eine Entscheidung, die lediglich auf die in der Hausordnung allgemein geregelten Besuchszeiten abstellt, ist ermessensfehlerhaft.
BESCHLUSS
1 Ws 366/24 RB-Vollzug
In der Strafvollzugssache
des pp.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 26. August 2024 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Stendal - Strafkammer 9 als kleine Strafvollstreckungskammer - vom 19. Juli 2024 sowie die Entscheidung der Antragsgegnerin über die Ablehnung der Gestattung von Langzeitbesuchen der Verlobten des Antragstellers Manja Krause an einem Wochenende vom 26. April 2024 aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut über den Antrag des Antragstellers auf Gestattung eines Langzeitbesuchs seiner Verlobten am Wochenende zu entscheiden.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Antragstellers hat die Landeskasse zu tragen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf bis zu 500 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller verbüßt seit dem 30. Mai 2023 eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sieben Monaten wegen Verstoßes gegen die Abgabenordnung u. a.. Das Strafende ist auf den 17. September 2026 notiert.
Nachdem die Antragsgegnerin dem Antragsteller am 12. Februar 2024 die Eignung zur Durchführung von Langzeitbesuchen mit seiner Verlobten pp. zugesprochen hatte, beantragte der Antragsteller am 22. April 2024 schriftlich die Durchführung eines Langzeitbesuchs seiner Verlobten und bat um einen Termin am Wochenende. Mit einer dem Antragsteller am 26. April 2024 mündlich eröffneten Entscheidung lehnte die Antragstellerin die Durchführung eines Termins für einen Langzeitbesuch an einem Wochenende ab, da am Wochenende die Durchführung von Langzeitbesuchen nicht vorgesehen sei.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 6. Mai 2024, der am 7. Mai 2024 bei dem Landgericht Stendal einging, beantragte der Antragsteller, die Ablehnung der Gestattung von Langzeitbesuchen seiner Verlobten an Wochenenden aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, über diesen Punkt unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer neu zu entscheiden.
Mit Beschluss vom 19. Juli 2024 hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen.
Gegen diesen, seinem Verteidiger am 26. Juli 2024 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsteller mit der Rechtsbeschwerde, die er mit anwaltlichem Schriftsatz vom 28. Juli 2024, eingegangen bei dem Landgericht Stendal am 29. Juli 2024, erhoben hat.
II.
1. Die nach § 116 StVollzG statthafte, innerhalb der Frist des § 118 Abs. 1 StVollzG erhobene Rechtsbeschwerde war nach § 116 Abs. 1 StVollzG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.
Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfolgt die Zulassung der Rechtsbeschwerde, wenn vermieden werden soll, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, wobei es darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen hat (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 11. November 2020 – III-1 Vollz (Ws) 418/20 –, Rn. 10, zitiert nach juris). Diese Voraussetzung liegt vor, da die Strafvollstreckungskammer in ihrer Entscheidung von der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den Anforderungen an die Begründung von Ermessensentscheidungen zu Besuchsregelungen in entscheidungserheblicher Weise abgewichen ist (dazu unten unter II.2.)).
2. Die Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge Erfolg.
Die Strafvollstreckungskammer geht allerdings zutreffend davon aus, dass sich – bei hier grundsätzlicher Gestattung von Langzeitbesuchen der Verlobten des Antragstellers durch die Antragstellerin nach § 33 Abs. 5 JVollzG I LSA – unmittelbar aus dem Gesetz kein Anspruch auf eine bestimmte Besuchszeit ergibt. Vielmehr gehört die Ausgestaltung der Besuchsregelung zu der der Anstalt übertragenen Organisationsbefugnis, wobei allgemeine Regelungen zu Besuchszeiten gemäß § 113 Abs. 2 Nr. 1 JVollzGB I LSA in der Hausordnung zu treffen sind (vgl. zur Sicherungsverwahrung OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. April 2016 – 2 Ws 68/16 –, Rn. 9, zitiert nach juris). Bereits dabei sind berechtigte organisatorische Belange der Anstalt in einen Ausgleich mit den Interessen der Gefangenen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben zu bringen. Nach diesen Vorgaben getroffene Regelungen bilden die Grundlage für die Entscheidung über im Einzelfall gestellte Anträge auf Zulassung von Besuch, denen außerhalb der durch die Hausordnung festgelegten Zeiten allenfalls ausnahmsweise zu entsprechen sein wird (OLG Karlsruhe a. a. O.). Dies enthebt den Anstaltsleiter indes nicht von der Verpflichtung, einen solchen Antrag im Einzelfall zu bescheiden und dabei das ihm im Rahmen der Organisationsbefugnis eingeräumte Ermessen unter Berücksichtigung berechtigter Interessen des Antragstellers auszuüben (OLG Karlsruhe a. a. O.; KG Berlin, Beschluss vom 30. März 2000 – 5 Ws 146/00 Vollz –, Rn. 10, zitiert nach juris).
Die gerichtliche Überprüfung der Ausgestaltung des Besuchsrechts in dem durch die gesetzlichen Bestimmungen vorgegebenen Rahmen ist – wie allgemein beim Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung – darauf beschränkt, ob von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen wurde, von dem eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht und dabei eine Abwägung der organisatorischen Belange der Anstalt mit den berechtigten Interessen des Gefangenen vorgenommen wurde (OLG Karlsruhe a. a. O. Rn. 10; s. a. Arloth/Krä, StVollzG, 5. Auflage § 115 Rn. 15).
Dabei ist in der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass bei der Ausfüllung des ihr in Bezug auf Besuche eingeräumten Ermessens die Justizvollzugsanstalt insbesondere Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG zu berücksichtigen hat (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 31. Mai 2021 – 5 Ws 64/21 Vollz –, Rn. 15, OLG Zweibrücken, Beschluss vom 28. September 2020 – 1 Ws 183/20 Vollz –, Rn. 13, jeweils zitiert nach juris, OLG Karlsruhe a. a. O Rn. 9). Aus der aus Art. 6 Abs. 1 GG abzuleitenden Schutzpflicht des Staates für Ehe und Familie kann sich ein Anspruch auf Besuch von Familienangehörigen auch außerhalb der allgemeinen Besuchstage ergeben (OLG Karlsruhe a. a. O.; s. a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. Juli 1994 – 2 BvR 806/94 –, Rn. 19, zitiert nach juris). Die grundrechtlichen Ansprüche aus Art. 6 Abs. 1 GG strahlen in gewissem Ausmaß auch auf das der Ehe vorgelagerte Verlöbnis aus, auch wenn sie verfassungsrechtlich nicht zu gleichermaßen weitgehenden Schutzmaßnahmen verpflichten (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 28. September 2020 – 1 Ws 183/20 Vollz –, Rn. 13, zitiert nach juris).
Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird die Entscheidung der Antragsgegnerin zur Versagung von Langzeitbesuchen am Wochenende nicht gerecht. Es wurde bereits keine auf den Einzelfall bezogene Ermessenentscheidung unter Berücksichtigung der von dem Antragsteller vorgebrachten besonderen Umstände getroffen. Vielmehr wurde ersichtlich lediglich auf die in der Hausordnung allgemein geregelten Besuchszeiten abgestellt, ohne dass die Antragsgegnerin, wie es nach dem oben Gesagten geboten gewesen wäre, geprüft hätte, ob der Umstand, dass die Verlobte des Gefangenen zu den in nach der Hausordnung vorgesehenen Zeiten für Langzeitbesuche beruflich verhindert ist, auch bei Berücksichtigung berechtigter organisatorischer Belange der Anstalt nicht eine Ausnahme von den allgemeinen Besuchszeiten zulässt. Dies ist jedenfalls nicht von vornherein völlig auszuschließen.
3. Wegen der genannten Rechtsfehler hebt der Senat nicht nur den Beschluss der Strafvollstreckungskammer, sondern auch die beanstandete Entscheidung der Antragsgegnerin auf und verpflichtet sie insoweit zur Neuentscheidung.
Der Annahme der Spruchreife im Sinne von § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG steht nicht entgegen, dass der Senat hier keine endgültige Sachentscheidung treffen kann. Spruchreife liegt im Rechtsbeschwerdeverfahren bereits dann vor, wenn der Senat eine Sachentscheidung treffen kann, die eine Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer nach § 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG erübrigt (vgl. Senat, Beschluss vom 6. März 2023, 1 Ws 56/23 (RB-Vollzug); s. a. KG Berlin, Beschluss vom 31. Mai 2021 – 5 Ws 64/21 Vollz –, Rn. 23; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 26. März 2021 – 203 StObWs 12/21 –, Rn. 58, OLG Celle, Beschluss vom 29. Mai 2008 – 1 Ws 220/08 –, Rn. 12f, jeweils zitiert nach juris).
III.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus §§ 125 Abs. 1 Nr. 3 JVollzGB I LSA, 121 StVollzG, 467 Abs. 1 StPO. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf den §§ 65, 60, 52 GKG.
Einsender: RA W. Siebers, Braunschweig
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