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Entscheidungen

OWi

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Auskunft des Verteidigers, Vertrauen auf die Richtigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Stuttgart, Beschl. v. 20.9.2024 – 17 Qs 46/24

Eigener Leitsatz:

Die Auskunft eines Verteidigers an einen Betroffenen, der Termin könne nicht stattfinden, ist - soweit keine besonderen Umstände vorliegen - geeignet, bei dem Betroffenen ein Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Auskunft zu begründen und schließt eine schuldhafte Säumnis im Termin aus.


17 Qs 46/24

Landgericht Stuttgart

Beschluss

In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

wegen Straßenverkehrsordnungswidrigkeit

hat das Landgericht Stuttgart - 17. Große Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 20. September 2024 beschlossen:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 18. Juli 2024 aufgehoben.
2. Der Betroffenen wird auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den Stand vor Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid vom 15. Februar 2024 gewährt.
3. Die Kosten des Rechtsmittels und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Betroffenen gehen zu Lasten der Staatskasse.

Gründe

Am 15. Februar 2024 erließ die Verwaltungsbehörde gegen die Betroffene einen Bußgeldbescheid mit einer Geldbuße in Höhe von 100 Euro. Die Betroffene habe ein Mobilfunkgerät in der rechten Hand unter Ausführung von Tippbewegungen in der Hand gehalten, während sie das Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen pp. in Stuttgart geführt habe.

Der Verteidiger legte am 21. Februar 2024 form- und fristgerecht Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein. Das Amtsgericht bestimmte darauf am 8. Mai 2024 Termin zur Hauptverhandlung auf den 6. Juni 2024, wobei das persönliche Erscheinen der Betroffenen angeordnet wurde. Die Ladung ging der Betroffenen am 14. Mai 2024 im Wege der Ersatzzustellung durch Einwurf des Ladungsschreibens in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zu. Der Verteidiger erhielt die Ladung am 16. Mai 2024 gegen Empfangsbekenntnis.

Am 4. Juni 2024 beantragte der Verteidiger gegenüber dem Amtsgericht, den Hauptverhandlungstermin zu verlegen, da er wegen einer Lendenwirbelfraktur, die am 21. beziehungsweise am 24. Mai 2024 festgestellt worden sei, nicht reisefähig sei. Ab Mitte Juli d. J. könne er wieder Hauptverhandlungstermine wahrnehmen. Das Amtsgericht forderte vom Verteidiger ein ärztliches Attest an.

Am 5. Juni 2024 lehnte das Amtsgericht den Verlegungsantrag ab, da eine Arbeits- und/oder Reiseunfähigkeit (des Verteidigers) nicht ärztlich attestiert worden sei.

Am Mittag des 6. Juni 2024 trug der Verteidiger ergänzend vor, er müsse sich am selben Tag zur Verlaufskontrolle in der Klinik einfinden.

Das Amtsgericht verwarf in der Hauptverhandlung vom 6. Juni 2024 den Einspruch, da weder die Betroffene noch der Verteidiger erschienen waren.

Das schriftliche Urteil wurde dem Verteidiger am 21. Juni 2024 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 27. Juni 2024, am selben Tage per beA beim Amtsgericht eingegangen, beantragte der Verteidiger die Zulassung der Rechtsbeschwerde und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Zur Begründung trug der Verteidiger unter anderem vor, er habe sich am Tag der Hauptverhandlung ab kurz nach elf Uhr in der Klinik zu einer ärztlich angeordneten Nachkontrolle seiner Lendenwirbelfraktur eingefunden. Gegen 12 Uhr habe er aus der Klinik telefonisch den Ehemann der Betroffenen darüber informiert, dass der Hauptverhandlungstermin nicht stattfinden könne. Zudem sei er - der Verteidiger - davon ausgegangen, dass nach Vorlage des Attests der Verlegungsantrag in seinem Sinne beschieden werde. Sein eigenes Verschulden als Verteidiger sei der Betroffenen nicht zuzurechnen. Seinen Sachvortrag versichere der Verteidiger anwaltlich.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 18. Juli 2024 verwarf das Amtsgericht den Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig. Der Beschluss wurde der Betroffenen am Samstag, den 3. August 2024, im Wege der Ersatzzustellung durch Einwurf des Schriftstücks in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt.

Am Montag, den 12. August 2024 legte der Verteidiger per beA, eingegangen am selben Tage, gegen den Beschluss vom 18. Juli 2024 sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung führte der Verteidiger in einem Schriftsatz vom 19. September 2024 für die Betroffene aus, aufgrund seiner Lendenwirbelfraktur sei er an der Teilnahme an der Hauptverhandlung gehindert gewesen. Es sei der Betroffenen nicht zumutbar gewesen, auf einen Unterbevollmächtigten verwiesen zu werden, dies verstoße gegen ihr Recht auf freie Wahl der Verteidigung. Dem Schriftsatz waren Behandlungsunterlagen / Röntgenaufnahmen in Bezug die Erkrankung des Verteidigers beigefügt. Auf den Schriftsatz vom 12. August 2024 wird im Übrigen Bezug genommen.

1. Gemäß § 74 Abs. 4 Satz 1 OWiG, § 46 Abs. 3 StPO ist gegen den angefochtenen Beschluss die sofortige Beschwerde statthaft. Die sofortige Beschwerde wurde in zulässiger Weise, insbesondere form- und fristgerecht, eingelegt.

2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

a) Soweit der Verteidiger den Wiedereinsetzungsantrag mit seiner eigenen Erkrankung be-gründet, kommt es darauf nicht an. Bereits nach dem Gesetzeswortlaut (§ 74 Abs. 2 OWIG) ist allein maßgeblich, ob der Betroffene - nicht sein Verteidiger - genügend ent-schuldigt war. Eine Erkrankung des Verteidigers vermag einen solchen Entschuldigungsgrund mithin grundsätzlich nicht darzustellen. Ob das Amtsgericht dem Verlegungsantrag hätte stattgeben müssen beziehungsweise ob die Voraussetzungen für die Verwerfung des Einspruchs unter diesen Umständen vorgelegen haben, ist nicht Gegenstand dieses Rechtsmittels.

b) Der Wiedereinsetzungsantrag war jedoch begründet, weil der Verteidiger schlüssig dargelegt und durch seine anwaltliche Versicherung glaubhaftgemacht hat, dass er der Betroffenen - über ihren Ehemann - mitgeteilt habe, dass „der Termin deshalb [wegen seiner Verhinderung] nicht stattfinden könne".

Die Auskunft eines Verteidigers an einen Betroffenen, der Termin könne nicht stattfinden, ist - soweit keine besonderen Umstände vorliegen - geeignet, bei dem Betroffenen ein Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Auskunft zu begründen und schließt eine schuldhafte Säumnis im Termin aus (vgl. Senge in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Auflage, § 74 Rn. 33).

Anhaltspunkte, dass seitens der Betroffenen Zweifel an der Richtigkeit der Auskunft ihres Verteidigers angebracht waren (vgl. hierzu KG, Beschluss vom 9. Mai 2012 - 3 Ws 260/12, Beck LSK 2012, 360619), sind dabei nicht ersichtlich. Liegen - aus Laiensicht - keine Anhaltspunkte für die Unzuverlässigkeit oder einen Irrtum des Verteidigers vor, darf er den Worten seines Verteidigers vertrauen, ohne dies hinterfragen zu müssen.

Soweit das OLG Brandenburg (Beschluss vom 27. September 2022 - 1 OLG 53 Ss-Owi 378/22) im Falle einer falschen Anweisung durch den Verteidiger, einem Termin fernzubleiben, mangels Entscheidungskompetenz des Verteidigers keine entschuldigende Wirkung zumisst, kommt es hierauf im hiesigen Fall nicht an, da sich der Verteidiger keine solche Entscheidungskompetenz zugesprochen hat, sondern bei lebensnaher Betrachtung für einen Laien den Anschein erweckt hat, der Termin sei oder werde (sicher) durch das Gericht aufgehoben.

Soweit das Amtsgericht darauf abstellt, der Verteidiger habe nicht dargelegt, die Betroffene auf eine bereits erfolgte Terminsaufhebung hingewiesen zu haben, ist solcher Vortrag nicht zwingend notwendig. Tatsächlich impliziert die Aussage des Verteidigers „der Termin könne nicht stattfinden", dass die Terminsaufhebung durch das Gericht unvermeidlich sei beziehungsweise sicher erfolgen werde.

Im übrigen sind die Anforderungen an ein Wiedereinsetzungsgesuch nicht zu überspannen, wenn es - wie hier - um einen erstmaligen Zugang zu Gericht geht.

c) Die Begründetheit der sofortigen Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Be-schlusses und gemäß § 309 Abs. 2 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG zur gleichzeitigen Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG.


Einsender: RA J. Beyrle, Nürnberg

Anmerkung:


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