Gericht / Entscheidungsdatum: LG Ingolstadt, Beschl. v. 09.09.2024 – 2 Qs 100/24
Leitsatz des Gerichts:
Durch § 86a StGB soll auch verhindert werden, dass sich die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen als Form einer allgemein üblichen, selbst bei nichtigem Anlass gebräuchlichen Unmutsäußerung derart einbürgert, dass der Gesetzeszweck, solche Kennzeichen generell aus dem öffentlichen Erscheinungsbild der Bundesrepublik Deutschland zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von Verfechtern politischer Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können.
In pp.
1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Ingolstadt gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 06.08.2024 wird dieser aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Entscheidung an das Amtsgericht Ingolstadt zurückverwiesen.
3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt führt gegen die Angeschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen gemäß § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB.
Dem Tatvorwurf liegt zu Grunde, dass die Angeschuldigte auf ihrem Facebook-Account einen „Post“ mit einer Bildreihe geteilt haben soll, auf welcher auf der linken oberen Seite ein Bild von Adolf Hitler und einem augenscheinlich muslimischen Würdenträger und der Bildunterschrift 1941 abgebildet ist. Rechts daneben ist ein Bild von Angela Merkel mit einem augenscheinlich muslimischen Würdenträger in vergleichbarer Sitzanordnung und der Bildunterschrift 2017 zu sehen.
Darunter ist auf der linken Seite ein Mann in nationalsozialistischer Uniform und einer Hakenkreuzbinde abgebildet, welcher mit grimmiger Mine und einem zum Schlag bereiten Knüppel über einer liegenden Person steht. Rechts daneben in identischer Position steht ein Mann mit einem Kapuzenpullover mit der Aufschrift Antifa, welcher ebenfalls mit einem Knüppel schlagbereit über der am Boden liegenden Person steht. In der dritten Reihe ist eine Karte Europas abgebildet, welche größtenteils Rot eingefärbt ist und mit einem Hakenkreuzsymbol versehen ist. Dem gegenüber gestellt ist eine Karte Europas mit blauer Färbung und dem Symbol der Europäischen Union.
Mit Verfügung vom 23.01.2024 beantragte die Staatsanwaltschaft Ingolstadt, gegen die Angeschuldigte einen Strafbefehl wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen gemäß § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB zu erlassen.
Mit Beschluss vom 06.08.2024 lehnte das Amtsgericht Ingolstadt den Antrag auf Erlass des Strafbefehls ab.
Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, grundsätzlich einschlägige Darstellungen unterfielen dann nicht dem Tatbestand des § 86a Abs. 1 StGB, wenn sie in konkretem Fall nicht geeignet sind, bei objektiven Dritten den Eindruck einer Identifikation des Handelnden mit den Zielen der verbotenen Organisation zu erwecken.
Auf die weiteren Ausführungen des Amtsgerichts Ingolstadt wird Bezug genommen, ebenso auf die Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft Ingolstadt vom 27.08.2024.
Die Angeschuldigte hat sich selbst bisher nicht eingelassen.
II.
Die gemäß §§ 408 Abs. 2 S. 2, 210 Abs. 2, 304 StPO statthafte sowie form- und fristgerecht gemäß § 311 Abs. 2 StPO eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Ingolstadt ist erfolgreich und führt zur Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Ingolstadt und zur Zurückverweisung zur neuen Entscheidung.
Der Erlass eines Strafbefehls kann abgelehnt werden, wenn das Amtsgericht den Angeschuldigten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht für hinreichend verdächtigt hält, § 408 Abs. 2 StPO.
Die Ablehnung des Erlasses eines Strafbefehls hat die Wirkungen einer Nichteröffnung gemäß § 210 Abs. 2 StPO. Das Beschwerdegericht hat daher bei einer sofortigen Beschwerde wegen des Nichterlasses eines Strafbefehls, das Wahrscheinlichkeitsurteil des Erstgerichts und dessen rechtliche Würdigung in vollem Umfang nachzuprüfen (Schneider, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Auflage 2019, § 210 Rn. 10).
Ein hinreichender Tatverdacht besteht, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses, eine Verurteilung in einer Hauptverhandlung wahrscheinlich ist.
Nach dem zuvor dargestellten Maßstab ist die Angeschuldigte einer Straftat nach § 86a StGB hinreichend verdächtig.
Vorliegend hat das Amtsgericht Ingolstadt ein strafbares Verhalten der Angeschuldigten aus rechtlichen Gründen verneint.
Die Begründung des Amtsgerichts Ingolstadt kann jedoch nur insoweit überzeugen, dass gegebenenfalls von einer Tathandlung mit relativ geringem Unwertgehalt ausgegangen werden kann. Die Tathandlung erfüllt den Tatbestand des § 86a StGB jedoch auch bei restriktiver Auslegung der Norm.
Grundsätzlich ist das „Verwenden“ im Sinne des § 86a StGB jeder Gebrauch, der das Kennzeichen optisch oder akustisch wahrnehmbar macht; die Rechtsprechung nimmt jedoch solche Fälle aus, in denen der Schutzzweck des Tatbestandes ersichtlich nicht verletzt wird, namentlich eine Wirkung auf Dritte in einer dem Symbolgehalt des Kennzeichens entsprechenden Richtung nicht eintreten kann, etwa wenn der Inhalt die Gegnerschaft zur Organisation eindeutig zum Ausdruck bringt (BGH NJW 2007, 1602). Eine Verletzung des Schutzzwecks soll aber nicht schon deshalb ausgeschlossen sein, weil das Zeichen von Gegnern der verfassungsfeindlichen Ideologie verwendet wird (BGHSt 25, 30 (32) = NJW 1973, 106).
Eine Distanzierung, z. B. durch Durchstreichen des Hakenkreuzes, reicht nach neuerer Rspr. aus, denn dann ist der Schutzzweck der Vorschrift - Unterbindung des Verbreitens von Kennzeichen mit nationalsozialistischem Symbolgehalt - nicht betroffen (vgl. Lackner/Kühl/Heger/Heger, 30. Aufl. 2023, StGB § 86a Rn. 4 mit weiteren Nachweisen).
Im konkreten Fall hat die Angeschuldigte, wie das Amtsgericht in seinem Beschluss zu Recht ausführt, das verbotene Symbol der Naziherrschaft, dem Hakenkreuz, eingesetzt, um vermeintliche Zustände des Jahres 2017 mit den Zuständen des Jahres 1941 zu vergleichen. Dies wird durch die Bildunterschrift „Wir lernen aus der Geschichte, dass wir überhaupt nichts lernen“, nochmals deutlich. Durch den Vergleich ist für einen unbeteiligten Dritten erkennbar, dass durch die Angeschuldigte die Herrschaft der Nationalsozialisten als negatives Vergleichsmaterial herangezogen wird. Ein Gutheißen des Nationalsozialismus ist nicht erkennbar. die Angeschuldigte zielt darauf ab, die von ihr angeprangerten „Zustände“ des Jahres 2017 (Merkel, Antifa, Europäische Union) in plakativer Form darzustellen. Für ihre Kritik wählt sie dann als „Stilmittel“ die Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
Durch § 86a StGB soll jedoch auch verhindert werden, dass sich die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen als Form einer allgemein üblichen, selbst bei nichtigem Anlass gebräuchlichen Unmutsäußerung derart einbürgert, dass der Gesetzeszweck, solche Kennzeichen generell aus dem öffentlichen Erscheinungsbild der Bundesrepublik Deutschland zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von Verfechtern politischer Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können (vgl BayObLG Urteil vom 28.02.2002 5 St RR 355/01, NStZ 2003, 89;BGHSt 25, 20, 33).
Es widerspricht diesem Ziel des Gesetzgebers und damit dem Schutzzweck der Norm, sollte man, wie vorliegend, Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen dann verwenden dürfen, wenn man Kritik an mit der Herrschaft der Nationalsozialisten nicht vergleichbaren Sachverhalten aus dem Jahr 2017 üben möchte. Die Angeschuldigte stellt die Naziherrschaft zwar erkennbar als Negativbeispiel dar, ein konkreter und nachvollziehbarer Zusammenhang mit den Bildern der Reihe 2017, weshalb Angela Merkel oder der Europäische Union Methoden des Nationalsozialismus zu unterstellen wären, kann jedoch gerade nicht erkannt werden.
Deshalb ist die Angeschuldigte vorliegend der ihr zur Last gelegten Straftat dringend verdächtig.
Da die Kammer selbst nicht befugt ist, einen Strafbefehl zu erlassen, war der Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung zurückzuverweisen (vgl. Temming, in: BeckOK StPO, 42. Edition Stans 01.01.2022, § 408 Rn. 8).
III.
Da die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Ingolstadt zur Aufhebung des Beschlusses mitsamt der Kostenentscheidung und zur Zurückverweisung zu einer neuen Entscheidung führt, ist eine Kostenentscheidung nicht veranlasst. Die Kosten eines zuungunsten des Angeschuldigten eingelegten Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft gehören zu den Verfahrenskosten, die der Angeschuldigte im Falle seiner Verurteilung durch Strafbefehl oder durch Urteil nach einer Hauptverhandlung nach § 465 StPO zu tragen hat. Eine Entlastung von seinen notwendigen Auslagen kommt insoweit nicht in Betracht (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss v. 08.03.2022 - 1 Ws 33/22, BeckRS 2022, 6034, Rn. 32).
Einsender:
Anmerkung:
Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.
Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".