Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Köln, Beschl. v. 25.10.2024 - 2 Ws 589/24
Eigener Leitsatz:
Der Senat hält auch in Anbetracht der zwischenzeitlich zur Frage der Verwertbarkeit der bei dem Krypto-Dienstanbieter EncroChat in Frankreich gesicherten und den deutschen Strafverfolgungsbehörden übermittelten Daten ergangenen, in der Sache divergierenden obergerichtlichen Rechtsprechung daran fest, dass diese Daten nur in denjenigen Fällen verwertbar sind, in denen sich der Tatvorwurf auf eine Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO bezieht. Hiervon nicht umfasst sind Straftaten gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 KCanG, also Fälle wie– das gewerbsmäßige Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 4 KCanG und die Abgabe von Cannabis in nicht geringer Menge gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG.
2 Ws 589/24
OBERLANDESGERICHT KÖLN
BESCHLUSS
In der Strafsache
gegen pp.
zurzeit unbekannten Aufenthalts,
Verteidiger:
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln
auf die weitere Beschwerde des Beschuldigten vom 14.08.2024 gegen den Beschluss der 14. großen Strafkammer des Landgerichts Köln vom 24.07.2024 (114 Qs 26/24), mit dem die Beschwerde des Beschuldigten vom 07.06.2024 gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Köln vom 24.04.2024 (506 Gs 1078/24) als unbegründet verworfen worden ist,
unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht der
Richterin am Oberlandesgericht und der Richterin am Landgericht
am 25. Oktober 2024
beschlossen:
Auf die weitere Beschwerde des Beschuldigten werden der angefochtene Beschluss des Landgerichts Köln und der Haftbefehl des Amtsgerichts Köln vom 24.04.2024 (506 Gs 1078/24) aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Beschuldigten darin entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe:
I.
1. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Köln (106 Js 1/22) hat das Amtsgericht Köln am 24.04.2024 (506 Gs 1078/24) – unter Aufhebung eines bereits rund zwei Jahre zuvor, am 02.03.2022 erlassenen Haftbefehls (506 Gs 591/22) – einen neuen Haftbefehl gegen den Beschuldigten erlassen, um den am 01.04.2024 in Kraft getreten Regelungen des KCanG Rechnung zu tragen.
Dem Beschuldigten wird zur Last gelegt, im Zeitraum vom 04.05.2020 bis zum 11.06.2020 in fünf Fällen (Fälle 1, 3, 4, 6 und 7 – bei der Nennung eines weiteren Falls 8 handelt es sich offensichtlich um ein redaktionelles Versehen) gewerbsmäßig mit Cannabis in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben (§ 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 und Nr. 4 KCanG), in einem Fall (Fall 2) Cannabis in nicht geringer Menge abgegeben zu haben (§ 34 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 4) und in einem weiteren Fall (Fall 5) gewerbsmäßig mit Betäubungsmitteln (nämlich 2 Gramm Kokain) unerlaubt Handel getrieben zu haben (§ 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG).
Der Haftbefehl ist auf den Haftgrund der Fluchtgefahr, subsidiär auf Wiederholungsgefahr gestützt. Der Beschuldigte ist zur Fahndung ausgeschrieben.
2. Am 07.06.2024 hat der Verteidiger des Beschuldigten Beschwerde gegen den Haftbefehl eingelegt und diese im Wesentlichen damit begründet, dass der dringende Tatverdacht ausschließlich auf der Auswertung von EncroChat-Daten beruhe, diese allerdings nicht verwertbar seien, da der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 02.03.2022 (5 StR 457/21) entschieden habe, dass die im Wege europäischer Rechtshilfe erlangten Beweisergebnisse aus dem EncroChat-Komplex in einem Strafverfahren ohne Einwilligung der überwachten Person nur zur Aufklärung einer Straftat, aufgrund derer eine Maßnahme nach § 100b StPO hätte angeordnet werden können, verwendet werden dürften und nach Inkrafttreten des KCanG am 01.04.2024 kein dringender Tatverdacht hinsichtlich einer Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO mehr vorliege. Dort seien unter Ziffer 5a) lediglich noch die Qualifikationen gemäß § 34 Abs. 4 Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 4 KCanG aufgeführt.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde am 02.07.2024 nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht Köln zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat mit Beschluss vom 24.07.2024 (114 Qs 26/24) die Beschwerde als unbegründet verworfen. Hierzu hat es ausgeführt, die EncroChat-Daten seien verwertbar. Bezüglich Fall 5 läge bereits deshalb kein Verwertungsverbot vor, da dieser einen – irrtümlich von der Kammer angenommenen – gewerbsmäßigen Handel mit „2 Kilogramm Kokain“ (statt 2 Gramm Kokain) zum Gegenstand habe und es sich dabei um eine Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 Nr. 5a) StPO handele. Im Übrigen habe der Bundesgerichtshof im Jahr 2022 zwar zur Verwertbarkeit der Daten entschieden, dass zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – und um jede Benachteiligung des Beschuldigten auszuschließen – die Grundgedanken der Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau (§ 100e Abs. 6 StPO) fruchtbar gemacht werden könnten, der BGH sich aber nicht mit der Frage habe befassen müssen, was gelte, wenn keine Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO vorliege, da damals Cannabis noch als Betäubungsmittel im Sinne des BtMG gegolten habe und somit eine entsprechende Katalogtat vorgelegen habe. Die Frage der Verwertbarkeit der Daten richte sich nach Auffassung der Kammer vielmehr nach §§ 479 Abs. 2 Satz 1, 161 Abs. 3 Satz 1 StPO bzw. deren Grundgedanken (hypothetischer Ersatzeingriff). Bei einem hypothetischen Inlandssachverhalt hätten die hier relevanten Daten gemäß § 100a Abs. 1 StPO gewonnen werden können, dessen Voraussetzungen vorlägen; die dem Beschuldigten zur Last gelegten Taten gemäß § 34 Abs. 3 KCanG seien im Katalog des § 100a Abs. 2 Nr. 7a. lit. a) StPO enthalten. Angesichts der Schwere der in Rede stehenden Taten liege ein erheblicher Fluchtanreiz vor, dem keine fluchthemmenden Umstände entgegenständen. Das Amtsgericht habe im Übrigen auch zu Recht Wiederholungsgefahr im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO angenommen.
3. Gegen diesen Beschluss hat der Verteidiger des Beschuldigten unter dem 14.08.2024 weitere Beschwerde eingelegt und erneut die obergerichtliche Rechtsprechung – unter anderem diejenige des Senats (SenE vom 06.06.2024, 2 Ws 251/24) – im Hinblick auf die Unverwertbarkeit der Daten in Bezug auf Tatvorwürfe nach § 34 Abs. 3 KCanG angeführt. Es bestünde deshalb allenfalls der dringende Tatverdacht eines Handeltreibens mit zwei Gramm Kokain in Fall 5 des Haftbefehls, jedoch nicht unter Verwirklichung des Regelbeispiels der Gewerbsmäßigkeit, da es sich um den einzigen Vorwurf dieser Art handele. Der Grundtatbestand des § 29 Abs. 1 BtMG sei keine Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO, so dass auch insoweit ein Beweisverwertungsverbot bestünde.
Das Landgericht Köln hat der weiteren Beschwerde mit Beschluss vom 28.08.2024 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Dabei hat es klargestellt, dass nichts Anderes gelte, wenn sich der gewerbsmäßige Handel in Fall 5 auf lediglich 2 Gramm (statt 2 Kilogramm) Kokain beziehe.
4. Mit Vorlageverfügung vom 12.09.2024 hat die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen. Sie hat hierzu ausgeführt, das Landgericht habe sich in seinem Beschluss vom 24.07.2024 zwar über die Rechtsprechung des Senats hinweggesetzt; das Verfahren erfordere jedoch im Hinblick auf zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung weiterer Oberlandesgerichte (Oberlandesgericht Koblenz, Beschluss vom 26.08.2024, 5 Ws 489-490/24 und Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 09.07.2024, 3 Ws 55/24) eine erneute, geänderte Bewertung und Entscheidung zu der Verwertbarkeit von EncroChat-Daten bei Taten nach dem KCanG wie den hiesigen. Danach seien auch Verwendungsschranken unterhalb des Schutzniveaus von §§ 100e Abs. 6, 100b Abs. 2 StPO in Betracht zu ziehen; es könne gemäß §§ 479 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. 161 Abs. 3 StPO auch auf eine entsprechende Anwendung von § 100a StPO zurückgegriffen werden.
Hierzu hat der Beschuldigte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 20.09.2024 Stellung genommen und auf die Unvereinbarkeit mit der Gesetzeslage hingewiesen.
II.
Die gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO statthafte weitere Beschwerde des Verurteilten vom 14.08.2024 gegen die angefochtene Entscheidung des Landgerichts Köln sowie den zugrundeliegenden Haftbefehl des Amtsgerichts Köln vom 24.04.2024 (506Gs 1078/24) ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Es besteht weder in Bezug auf die Verdachtsfälle nach dem KCanG (hierzu sogleich unter 1.) noch in Bezug auf den Verdachtsfall nach dem BtMG (hierzu sogleich unter 2.) der für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft erforderliche dringende Tatverdacht.
Der dringende Tatverdacht stützt sich vorliegend ausschließlich auf Erkenntnisse aus der EncroChat-Kommunikation des Nutzers mit anderen EncroChat Nutzern, aus der sich in tatsächlicher Hinsicht die einzelnen Taten ableiten lassen. Ausweislich des Identifizierungsvermerks des KHK pp. vom 30.10.2020 (Bl. 30ff. d. HA) waren die Chatinhalte außerdem Ausgangspunkt für Ermittlungen zur Identifizierung des Beschuldigten als Nutzer des Pseudonyms pp. in einem Chat des pp. mit dem Nutzer pp. vom 08./09.05.2020 berichtete verklausuliert nämlich von einer kürzlich stattgefundenen polizeilichen Kontrolle und Pkw-Durchsuchung nachts auf einem Netto-Parkplatz, die im polizeilichen System einem konkreten Vorgang zugeordnet werden konnte, bei dem unter anderem der Beschuldigte angetroffen wurde. In einem weiteren Chat des pp. mit dem Nutzer pp. vom 23.05.2020 wurde pp. sogar
Als pp. angeschrieben. Ausweislich eines weiteren Vermerks des KHK pp. vom 03.03.2021 (Bl. 36ff. d. HA) berichtete pp. in dem vorgenannten Chat mit pp. vom 09.05.2020 auch über einen von ihm konsultierten Rechtsanwalt Miegel aus Duisburg, bei dem es sich um den nunmehrigen Verteidiger des Beschuldigten handeln soll.
Das mithin derzeit einzig zur Verfügung stehende Beweismittel – sowohl zum Nachweis einzelner Straftaten als auch zum Nachweis der Identität des
Beschuldigten mit dem Nutzer pp. – in Gestalt der EncroChat-Kommunikation unterliegt allerdings einem Verwertungsverbot. Da das Beweisverwertungsverbot auch im Rahmen der Tatverdachtsprüfung nach § 112 Abs. 1 StPO zu beachten ist und sonstige Beweismittel derzeit nicht erkennbar sind, wird ein Tatnachweis voraussichtlich in keinem der vom Haftbefehl umfassten Fälle zu führen sein.
1. Fälle 1, 2, 3, 4, 6 und 7 des Haftbefehls (Strafbarkeit gemäß § 34 Abs. 1 und 3
KCanG)
Der Senat nimmt bei der Begründung seiner Entscheidung, warum vorliegend ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen ist, wegen der Einzelheiten zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst vollumfänglich auf seinen Beschluss vom 06.06.2024 (2 Ws 251/24) Bezug. Zusammengefasst ist in diesem Beschluss in Anlehnung an den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 02.03.2022 (5 StR 457/21) ausgeführt worden, dass im Fall der von den französischen Behörden übermittelten EncroChat-Daten aufgrund des Gewichts und der Eingriffsintensität der Maßnahme zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – auch um jede Benachteiligung auszuschließen – die Grundgedanken der Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau (§ 100e Abs. 6 StPO) fruchtbar gemacht werden. Daraus folgt, dass die im Wege europäischer Rechtshilfe erlangten Beweisergebnisse aus dem EncroChat-Komplex in einem anderen (inländischen) Strafverfahren ohne Einwilligung der überwachten Person nur zur Aufklärung von Straftaten, aufgrund derer eine Maßnahme nach § 100b StPO hätte angeordnet werden können, oder zur Ermittlung des Aufenthalts der einer solchen Straftat beschuldigten Person verwendet werden dürfen. Bei dieser Prüfung ist auf den Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Verwertung der Beweisergebnisse, nicht hingegen auf die Verdachtslage im Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme abzustellen. Diese Grundsätze beanspruchen auch nach Einführung des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) und der hiermit einhergehenden Änderung der Strafprozessordnung weiterhin Geltung mit der Folge, dass ein Beweisverwertungsverbot in Bezug auf solche Taten besteht, die keine Katalogtaten (mehr) im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO sind.
Der Senat sieht derzeit keine Veranlassung, von seiner im Beschluss vom 06.06.2024 geäußerten, vorstehend zusammengefassten Rechtsauffassung abzuweichen. Er hält vielmehr auch in Anbetracht der zwischenzeitlich zur Frage der Verwertbarkeit der bei dem Krypto-Dienstanbieter EncroChat in Frankreich gesicherten und den deutschen Strafverfolgungsbehörden übermittelten Daten ergangenen, in der Sache divergierenden obergerichtlichen Rechtsprechung daran fest, dass diese Daten nur in denjenigen Fällen verwertbar sind, in denen sich der Tatvorwurf auf eine Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO bezieht. Hiervon nicht umfasst sind Straftaten gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 KCanG, also Fälle wie – hier im Raum stehend – das gewerbsmäßige Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 4 KCanG (Fälle 1, 3, 4, 6 und 7) und die Abgabe von Cannabis in nicht geringer Menge gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG (Fall 2). Dies beruht auf Folgendem:
a) Die dem hiesigen Verfahren zugrunde liegende Konstellation zeichnet sich dadurch aus, dass die relevanten Daten aufgrund einer Maßnahme eines anderen Staates erhoben wurden (aa)), die einen besonderen intensiven Grundrechtseingriff darstellte (bb)).
aa) Die aus dem EncroChat-Komplex hervorgegangenen Verfahren unterscheiden sich von Verfahren mit rein nationalem Bezug insoweit, als dass Daten als Beweismittel zur Verfügung stehen, die ein anderer Mitgliedstaat aufgrund seines nationalen Rechts erhoben hat, und die Beweiserhebung nicht auf eine europäische Ermittlungsanordnung der deutschen Behörden zurückgeht. Vielmehr wurde das Bundeskriminalamt von Europol erst im Nachgang über die Erkenntnisse der französischen Behörden, dass es in Deutschland zu strafbaren, über EncroChat-Kommunikation nachweisbaren Handlungen gekommen sein könnte, unterrichtet, woraufhin am 02.06.2020 eine Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) mit dem Ziel erging, die in Frankreich erhobenen bzw. vorhandenen Informationen und Beweismittel zu erlangen. Die französischen Justizbehörden wurden außerdem darum ersucht, die unbeschränkte Verwendung der betreffenden Daten im Strafverfahren gegen die (mutmaßlichen) Täter zu genehmigen, was auch geschah. Europol übermittelte daraufhin auf Bitte der französischen Behörden die zwischen dem 01.04. und 30.06.2020 erfassten Daten, die sich auf Geräte bezogen, die zu einer Auslösung von Mobilfunkantennen auf deutschem Boden geführt hatten. Der Datenbestand wurde vom Bundeskriminalamt entgegengenommen und dort aufbereitet.
In Fällen mit rein nationalem Bezug wird der mit der Ermittlungsmaßnahme einhergehende Grundrechtseingriff bereits bei der Anordnung dergestalt limitiert, dass für besonders intensive Grundrechtseingriffe besondere gesetzliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, so etwa das Bestehen des Verdachts einer Katalogtat (vgl. § 100a Abs. 2 oder § 100b Abs. 2 StPO). Im EncroChat-Komplex ist diese Beschränkung bereits auf der Anordnungsebene indes nicht gewährleistet, weil – wie vorstehend dargelegt – ein anderer Staat in Anwendung seines nationalen Rechts in die Grundrechte Betroffener eingreift. Die Verwendung des dadurch gewonnenen Beweismaterials in einem anderen (deutschen) Strafverfahren stellt allerdings einen eigenständigen Grundrechtseingriff dar, wobei das Gewicht des in der Verwertung liegenden (weiteren) Eingriffs dabei maßgeblich davon abhängt, welchen Grad an Persönlichkeitsrelevanz die betroffenen Informationen haben und auf welchem Weg sie erlangt wurden. Mögliche Unterschiede bei den Eingriffsvoraussetzungen in den beiden Rechtsordnungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in solchen Fällen auf der Ebene der Beweisverwendung zu kompensieren.
bb) Mag der Grad an Persönlichkeitsrelevanz bei den in Frankreich erhobenen Daten zwar eher gering gewesen sein, da diese Mobilfunkgeräte nach derzeitigem Stand der Ermittlungen überwiegend, wenn nicht sogar ausschließlich für kriminelle Tätigkeiten (insbesondere im Bereich des Betäubungsmittelhandels) und wenig bis gar nicht für private Zwecke eingesetzt worden sein dürften, so hat der Bundesgerichtshof jedoch zutreffend konstatiert, dass bei der in Frankreich erfolgten, heimlichen Ermittlungsmaßnahme ein „besonders intensiver Grundrechtseingriff“ in Rede steht.
Nach derzeitigem Ermittlungsstand, wie er sich für den Senat darstellt, sind die Einzelheiten zu Art und Weise der konkreten Beweisgewinnung zwar noch nicht vollumfänglich feststellbar. Während der Senat in seiner Entscheidung vom 06.06.2024 aber noch ausgeführt hatte, es liege jedenfalls nicht fern, dass die im französischen Staat durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen der Eingriffsintensität einer Online-Durchsuchung im Sinne von § 100b Abs. 1 StPO zumindest entsprochen haben, kristallisiert sich bei zunehmender Erhellung der Vorgänge in Frankreich angesichts der Art und des Umfangs der dort gewonnenen Daten nunmehr heraus, dass die Maßnahmen sogar wahrscheinlich einer Online-Durchsuchung nach deutschem Recht (§ 100b StPO) entsprochen bzw. ihr jedenfalls stark geähnelt haben (siehe hierzu unter (1)) und von der Eingriffsintensität deutlich über dasjenige Maß hinausgingen, das mit einer nach deutschem Recht gemäß § 100a Abs. 2 Satz 2 und 3 StPO angeordneten Maßnahme (sogenannte Quellen-TKÜ) einhergegangen wäre (siehe hierzu unter (2)).
(1) Einen Eindruck von Art und Umfang der französischen Maßnahme vermitteln insbesondere die Urkunden des verfahrensgegenständlichen Sonderheftes „Beschlusslage EncroChat“, in dem ein Großteil der in Frankreich in dieser Sache ergangenen richterlichen Entscheidungen in deutscher Übersetzung enthalten sind. Diesen lässt sich entnehmen, dass die französischen Behörden im Jahr 2018 Kenntnis davon erhielten, dass ein neues von kriminellen Gruppen verwendetes chiffriertes Kommunikationssystem genutzt wurde, bestehend aus Telefonen, die mit hochgesicherten Systemen namens EncroChat ausgestattet waren. Die Kommunikation zwischen solchen Endgeräten erfolgte mittels verschlüsselter, über einen in Frankreich befindlichen Server laufender Daten, wobei sich die Dechiffrierungsschlüssel auf den Telefonen selbst befanden. Mit einer Abfangung der zwischen den Telefonen bestehenden Datenströme konnten nur chiffrierte Daten erhalten werden. Auch eine Analyse der Endgeräte war unmöglich.
Im Rahmen von Vorermittlungen konnte im Januar 2019 eine Kopie des Servers beschlagnahmt werden, wodurch die Infrastruktur des EncroChat-Systems, das aus mehreren Dutzend miteinander kommunizierenden virtuellen Maschinen bestand, aufgedeckt werden konnte. Da es nur mit der Installierung einer „Computerdaten-Abfangeinrichtung“ (so die Übersetzung aus der französischen Sprache), die die Daten im (noch) unverschlüsselten oder (schon wieder) entschlüsselten Zustand abgriff, möglich war, die Chiffrierung der von den Nutzern ausgetauschten Daten zu umgehen, wurden von Januar 2020 bis März 2020 verschiedene richterliche Verfügungen zur Einrichtung einer derartigen Abfangeinrichtung für die Dauer eines Monats erlassen. Am 01.04.2020 wurde schließlich die Abfangeinrichtung installiert, die Geräte infiltriert und Daten gesichert. Nach einer Verlängerung dieser Maßnahme um einen weiteren Monat wurde schließlich die Fortsetzung der Maßnahme mit Verfügung vom 28.05.2020 für die Dauer von vier Monaten ab dem 01.06.2020 beschlossen.
Bei den aus der Computerdaten-Abfangmaßnahme hervorgegangenen Daten handelte es sich stets um die gleichen, nämlich die IMEI-Nummern der verwendeten Mobilfunkgeräte, die Pseudonyme der EncroChat-Nutzer, die unter den Nutzern ausgetauschten Textnachrichten, die ausgetauschten oder in den gesicherten Telefonen gespeicherten Mediendateien (Fotos, Sprachnachrichten, Videos, Textdokumente), die Identifikationsnummern der ausgelösten Zellen (Telefonrelais), die Passwörter zur Bildschirmentsperrung und das Passwort zur Anwendung der Notizen („EncroNotes“) sowie die gespeicherten Notizen, Roster (Adressbücher) und Kontakte. Diese Daten, die in Umsetzung der EEA sämtlich dem Bundeskriminalamt übermittelt wurden (siehe Datenlieferungsberichte des BKA vom 26.08.2020 und 05.05.2021, Bl. 5ff. und Bl. 13ff. der Beiakte StA Frankfurt am Main, 92 Js 202/21 ZIT), bestanden mithin nicht ausschließlich aus Telekommunikation zwischen EncroChat-Nutzern in Gestalt von Textnachrichten, sondern darüber hinaus auch aus Daten, die im Rahmen einer Telekommunikationsüberwachung üblicherweise nicht gesichert werden, darunter insbesondere auf dem Endgerät gespeicherte Notizen, Adressbücher, Passwörter und Mediendateien.
(2) In einem innerstaatlichen Strafverfahren erfolgt die Gewinnung derartiger Daten über eine Online-Durchsuchung gemäß § 100b StPO, bei der es sich um einen verdeckten Zugriff auf ein informationstechnisches System handelt. Dies ist zwar auch bei der Quellen-Telekommunikationsüberwachung gemäß § 100a Abs. 1 Satz 2 und 3 StPO der Fall; im Unterschied zu dieser erfasst die Online-Durchsuchung aber nicht nur laufende und hinzukommende (verschlüsselte) Kommunikationsinhalte, sondern alle im System bereits gespeicherten Daten und Informationen über das Nutzungsverhalten des Geräteinhabers, was diese Ermittlungsmaßnahme zu einem besonders schweren Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme aus Art. 2 Abs. 1 GG als eigenständige Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung macht (Meyer-Goßner/Schmitt, 67. Auflage 2024, § 100b, Rz. 1).
cc) Angesichts der sich einerseits für den Senat jedenfalls nach Aktenlage darstellenden Art und Weise, wie die Daten erlangt worden sein dürften und um welche Daten es sich konkret handelt, und um andererseits fortbestehenden Ungewissheiten Rechnung zu tragen, hält der Senat in Fortschreibung seiner bisherigen Rechtsprechung an der Auffassung fest, dass es sich bei der im Ausland erfolgten Ermittlungsmaßnahme um einen ganz erheblichen Grundrechtseingriff – ähnlich demjenigen, den § 100b StPO erlaubt – handelt, der ausschließlich an der in § 100e Abs. 6 StPO zum Ausdruck kommenden Verwendungsschranke – dem „höchsten Schutzniveau“ – zu messen ist, und dass dieser strenge Maßstab der angemessene ist.
dd) Dies hat zur Folge, dass die insoweit gewonnenen Beweismittel nur noch in Bezug auf besonders schwere Straftaten, die im Zeitpunkt der Verwendung in § 100b Abs. 2 StPO enumerativ aufgeführt sind, verwendet werden dürfen. Außer dem Senat und dem Kammergericht (Beschluss vom 30.04.2024, 5 Ws 67/24) entspricht dies – soweit ersichtlich – auch der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Frankfurt am Main (Beschluss vom 13.06.2024, 1 Ws 175/24) und Karlsruhe (Beschluss vom 24.07.2024, 3 Ws 221/24).
Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Aufklärung und Ahndung als „schwer“ zu bewertender Straftaten, wie das Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge oder das gewerbsmäßige Handeltreiben mit Cannabis, dadurch nahezu unmöglich wird, falls außer den EncroChat-Daten keine weiteren Beweismittel vorhanden sind, und dass sich diese Folge mit dem allgemeinen Rechtsgefühl kaum in Einklang bringen lassen mag. Bei der nunmehr im KCanG erfolgten Klassifizierung der vorgenannten Straftaten als Vergehen mit entsprechend niedrigerem Strafrahmen als unter der Geltung von Cannabis als Betäubungsmittel im Sinne des BtMG, und der Herausnahme dieser Tatbestände aus dem Katalog des § 100b Abs. 2 StPO (dort sind lediglich noch die Qualifikationen gemäß § 34 Abs. 4 Nr. 1, 3 und 4 KCanG genannt) wurde allerdings eine eindeutige gesetzgeberische Entscheidung getroffen.
Soweit es in dem angefochten Beschluss des Landgerichts Köln vom 24.07.2024 heißt, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber – trotz des in der Gesetzesbegründung auch propagierten Ziels des KCanG, die organisierte Kriminalität zu bekämpfen – mit Einführung des Gesetzes beabsichtigt hätte, Taten, die Jahre vor Inkrafttreten des KCanG begangen worden seien, auch unter dem KCanG zweifellos strafbar und dem Bereich der Schwerkriminalität zuzurechnen seien, mangels Aufklärungsmöglichkeit in derartigen Fällen faktisch straffrei zu stellen, vermag sich der Senat dieser Argumentation nicht anzuschließen. Vielmehr geht der Senat davon aus, dass dem Gesetzgeber bei der Änderung des § 100b StPO nicht völlig unbekannt war, dass es bei einer Beschränkung der dortigen Katalogtaten auf Taten gemäß § 34 Abs. 4 KCanG – mithin fehlender Erstreckung unter anderem auf lediglich gewerbsmäßiges Handeln (§ 34 Abs. 3 Satz 2, Nr. 1 KCanG) oder Handeln mit einer nicht geringen Menge (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG) – zu erheblichen Defiziten in der Verfolgung professioneller Rauschgifthändler kommen würde. Abgesehen davon, dass etwas anderes kaum vorstellbar erscheint, geben die Gesetzesmaterialien jedenfalls einen Hinweis auf diese Problematik, insbesondere bei einem Handeltreiben mit Cannabis „im Tonnenbereich“ – dies konkret auch in Ansehung der Auswertungen der EncroChat-Daten (Empfehlungen des Bundesrates vom 18.09.2023, BR-Drs. 367/1/23, dort S. 87).
ee) Soweit in der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts Köln ausgeführt wird, die erlangten EncroChat-Daten hätten hypothetisch auch über eine Quellen-TKÜ gemäß § 100a Abs. 1 Satz 2 und 3 StPO erlangt werden können, so ist dem entgegenzuhalten, dass dies zwar – isoliert betrachtet – für die gesicherten Telekommunikationsdaten in Gestalt der Nachrichtenchats zutreffen mag, nicht jedoch für die im Zuge der Ermittlungsmaßnahme ebenfalls erlangten und in Erfüllung der EEA übermittelten Daten in Gestalt von u.a. Notizen, Passwörtern und Kontaktlisten.
Es kommt auch nicht darauf an, ob in dem hiesigen Verfahren für die Beweisführung ausschließlich Telekommunikationsdaten benötigt werden (etwa weil die übrigen Daten für die Beweisführung unergiebig sind oder die Chatnachrichten bereits für sich betrachtet für einen Tatnachweis ausreichend sind). Entscheidend ist vielmehr, dass die in Frankreich durchgeführte Ermittlungsmaßnahme von Beginn an umfassender angelegt war und gerade zielgerichtet darauf ausgerichtet war, sämtliche verfügbaren Daten der EncroChat-Nutzer zu sichern, was in der Folgezeit auch geschah. Diesen zweifellos besonders intensiven Grundrechtseingriff im Ausland, der im Inland durch die Verwendung der Daten vertieft wird, gilt es auf der Ebene der Beweisverwendung zu kompensieren und zwar – wie der Bundesgerichtshof unmissverständlich formuliert hat – konkret durch Beachtung der höchstmöglichen strafprozessualen Verwendungsschranke, wie sie sich aus § 100e Abs. 6 StPO ergibt.
Im Übrigen lag auch der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 02.03.2022 die Konstellation zugrunde, dass Inhalte einer Chat-Kommunikation maßgeblich zur Überzeugungsbildung des erstinstanzlichen Gerichts herangezogen worden waren, deren Verwertung in der Hauptverhandlung widersprochen worden war (BGH, a.a.O., Rz. 5). Gleichwohl hat der Bundesgerichtshof bei der Prüfung der Verwertbarkeit der Daten entscheidend auf das Gewicht der [gesamten] französischen Ermittlungsmaßnahme und nicht lediglich auf die konkrete Art der im Verfahren tatsächlich verwerteten Daten abgestellt.
ff) Der Senat hat nicht übersehen, dass sich andere Obergerichte inzwischen für eine Verwertbarkeit der EncroChat-Daten auch in solchen Verfahren ausgesprochen haben, in denen sich der Tatvorwurf nicht auf ein von § 100b Abs. 2 StPO genanntes Delikt bezieht. Die dortigen Erwägungen vermögen jedoch nicht zu überzeugen.
(1) So hat das Oberlandesgericht Celle (Beschluss vom 09.07.2024, 3 Ws 55/24) ausgeführt, die Prüfung der Verwertbarkeit könne auch anders als durch einen Rückgriff auf die „Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau“ vorgenommen werden. Dies sei zulässig und geboten, weil sich § 100e Abs. 6 StPO einzig auf die beiden Maßnahmen nach § 100b und § 100c StPO, nicht aber auf Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung beziehe. § 100b und § 100c StPO würden gerade nicht die Erhebung qualifizierter Telekommunikationsdaten gestatten. Die dort verfahrensgegenständlichen Daten würden sich aber sämtlich auf individuelle menschliche Kommunikation beziehen und seien an Art. 10 GG bzw. strafprozessual einzig an § 100a StPO zu messen.
Dies verfängt schon deshalb nicht, weil auch der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 02.03.2022 über die Verwertbarkeit von Inhalten aus Chat-Kommunikation (mithin „individuelle menschliche Kommunikation“) zu befinden hatte, gleichwohl aber auf die in § 100e Abs. 6 StPO normierte Verwendungsbeschränkung abgestellt und die Maßnahme bzw. die Verwertbarkeit der dadurch erlangten Daten gerade nicht „strafprozessual einzig an § 100a StPO“ gemessen hat.
Darüber hinaus unterliegen verschlüsselte Telekommunikationsdaten, für deren Überwachung und Aufzeichnung man mit technischen Mitteln verdeckt in ein informationstechnisches System eingreift (Quellen-TKÜ), nicht nur dem Anwendungsbereich des § 100a Abs. 1 Satz 2 und 3 StPO, sondern auch demjenigen des § 100b StPO. Im Unterschied zur Quellen-TKÜ umfasst die Online-Durchsuchung aber – wie bereits oben ausgeführt – über laufende und hinzukommende Kommunikationsinhalte hinaus auch noch andere Arten von gespeicherten Daten und reicht in zeitlicher Hinsicht weiter zurück als die Quellen-TKÜ, bei der der zulässige Überwachungszeitraum frühestens (nämlich in der Variante des § 100a Abs. 1 Satz 3 StPO) mit dem Ergehen der richterlichen Anordnung beginnt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 100a, Rz. 14h). Die praktische Durchsetzung beider Maßnahmen durch technische Infiltration des Systems ist in beiden Fällen identisch, was auch der Verweis in § 100b Abs. 4 StPO auf § 100a Abs. 5 und 6 StPO belegt, weshalb teilweise in Bezug auf § 100a Abs. 1 Satz 2 und 3 StPO sogar von einer „kleinen Online-Durchsuchung“ gesprochen wird (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Rz. 14j).
(2) Soweit das Oberlandesgericht Koblenz in seinem Beschluss vom 26.08.2024 (5 Ws 480/24) ausgeführt hat, der Entscheidung des Bundesgerichtshofs könne eine Beschränkung dahingehend, dass stets der „fruchtbar gemachte Grundgedanke der Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau (§ 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO)“ in allen gleichgelagerten Fallgestaltungen heranzuziehen ist, nicht entnommen werden, und dies darauf gestützt hat, dass der Bundesgerichtshof ausweislich seiner weiteren Begründung auf „die in strafprozessualen Verwendungsbeschränkungen verkörperten Wertungen“ [sic], „mit denen der Gesetzgeber dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei vergleichbar eingriffsintensiven Maßnahmen Rechnung trägt“ [sic], zurückgreifen will, handelt es sich zwar um zutreffende Zitate.
Diese sind jedoch im Kontext des Aufbaus der Entscheidungsgründe zu betrachten. Der Bundesgerichtshof hat unter Randziffer 63ff. seiner Entscheidung nämlich zunächst generell-abstrakt zu der gesetzlichen Grundlage für die Beweisverwertung im deutschen Strafverfahren (§ 261 StPO), zu den Besonderheiten im Fall von mittels Rechtshilfe bei einem Mitgliedstaat erhobenen Beweismitteln (Rz. 65) und zu den verfassungsrechtlichen Schutzmechanismen bei besonders intensiven Grundrechtseingriffen durch heimliche Ermittlungsmaßnahmen (Rz. 67) Ausführungen gemacht. In diesem Zusammenhang hat er auch im Plural von den „in strafprozessualen Verwendungsbeschränkungen verkörperten Wertungen“ und den „vergleichbar eingriffsintensiven Mitteln“ geschrieben (Rz. 68). Erst im Anschluss hieran hat er konkret für den dort „vorliegenden Fall“ konstatiert, dass die Grundgedanken der Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau fruchtbar gemacht werden können, dies mit dem Gewicht der [konkreten] Maßnahme [der französischen Behörden, Anm. des Senats] begründet (Rz. 68 a.E.) und unter Randziffer 69 das daraus für die Verwendung der Beweisergebnisse aus dem EncroChat-Komplex Folgende („Daraus folgt:“) dargestellt, nämlich dass die Ergebnisse „nur zur Aufklärung einer Straftat, auf Grund derer eine Maßnahme nach § 100b StPO hätte angeordnet werden können“ verwendet werden dürfen.
Zusammengefasst lässt sich der Entscheidung somit entnehmen, dass der Bundesgerichtshof einerseits davon ausgeht, dass es grundsätzlich verschiedene strafprozessuale Verwendungsbeschränkungen gibt, die bestimmte Wertungen verkörpern, dass er andererseits aber in den konkreten EncroChat-Fällen die in § 100e Abs. 6 StPO verkörperte Wertung als die maßgebliche erachtet.
Hiermit auf einer Linie liegen die Ausführungen des Bundesgerichtshofs im Beschluss vom 16.02.2023 (4 StR 93/22), nach der „die Wertungen des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO i.V.m. § 100b StPO eine im Rahmen der Anwendung von § 261 StPO zu beachtende Verwendungsbeschränkung bilden, die bei der Beweisrechtshilfe dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung trägt“. Dem ist in dieser Allgemeinheit zuzustimmen. Insbesondere findet sich eine solche andere Verwendungsbeschränkung – die auch das Landgericht Köln im angefochtenen Beschluss nennt – in § 479 Abs. 2 i.V.m. § 161 Abs. 3 StPO. Diejenige, die in § 100e Abs. 6 StPO enthalten ist, ist aber im Vergleich dazu strikter und daher vorrangig (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 479, Rz. 3) und nach Maßgabe des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 02.03.2022, der eine „strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung“ für geboten hält (dort Rz. 71), auch die im EncroChat-Komplex entscheidende.
hh) Soweit schließlich in der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts Köln vom 24.07.2024 darauf abgestellt wird, der Bundesgerichtshof hätte bei der Entscheidung vom 02.03.2022 nicht auf die Verwendungsbeschränkung in § 100e Abs. 6 StPO abgestellt, wenn er mit der jetzigen Rechtslage, wie sie sich nach Inkrafttreten des KCanG darstellt, konfrontiert gewesen wäre, handelt es sich um eine bloße Mutmaßung. Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof auf diese Verwendungsbeschränkung nicht abgestellt, weil die aufzuklärende Tat besonders schwer wiegt, sondern weil er die französische Ermittlungsmaßnahme als besonders intensiven Grundrechtseingriff erachtet hat, der durch die Datenverwendung vertieft wird. An der Intensität des ursprünglichen Grundrechtseingriffs selbst ändert sich aber dadurch, dass nun bestimmte Deliktstypen aufgrund einer gesetzgeberischen Entscheidung nicht mehr im Katalog des § 100b Abs. 2 StPO enthalten sind, nichts.
2. Fall 5 des Haftbefehls (Strafbarkeit gemäß § 29 Abs. 1 und 3 BtMG)
a) Auch im Hinblick auf Fall 5 sind die Erkenntnisse aus der EncroChat-Kommunikation des Beschuldigten nicht verwertbar, da insoweit kein dringender Tatverdacht einer Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO besteht.
Zwar handelt es sich bei einem gewerbsmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln – strafbar gemäß § 29 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG – um eine Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 Nr. 5a) StPO, nicht jedoch bei einem (einfachen) Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 BtMG.
Dringender Tatverdacht dahingehend, dass der Beschuldigte in diesem Fall tatsächlich gewerbsmäßig gehandelt hat, besteht derzeit nicht, worauf der Beschwerdeführer zu Recht hingewiesen hat. Gewerbsmäßiges Handeln setzt voraus, dass der Beschuldigte die Absicht hat, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Eine Absicht wiederholter Betätigung kann zwar durchaus schon beim ersten von mehreren vorgesehenen Geschäften vorliegen. Die Wiederholungsabsicht muss sich allerdings gerade auf dasjenige Delikt beziehen, dessen Tatbestand durch das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit qualifiziert ist (BeckOK, BtMG, 23. Edition, Stand 15.06.2024, § 29, Rz. 874 m.w.N.). Dies ist im hier zu beurteilenden Fall das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG.
Dafür, dass der Verurteilte wiederholt mit Betäubungsmitteln handeln wollte, liegen aufgrund des bisherigen Ermittlungsergebnisses keine genügenden Anhaltspunkte vor. Es handelt sich bei Fall 5 des Haftbefehls um den einzigen Tatvorwurf des Handelstreibens mit Betäubungsmitteln, somit bei isolierter Betrachtungsweise um ein einmaliges Geschehen, bei dem nicht per se davon ausgegangen werden kann, der Beschuldigte habe bereits bei dieser (ersten) Tat die Absicht gehabt, künftig in mehreren Fällen mit Betäubungsmitteln zu handeln.
Darauf, dass die Tat laut Haftbefehl in eine Reihe von weiteren Fällen des Handeltreibens mit Cannabis eingebettet ist, kann nichts gestützt werden, denn ungeachtet des Umstandes, dass in Bezug auf diese Fälle ein dringender Tatverdacht schon aufgrund eines Beweisverwertungsverbots nicht besteht (siehe zuvor unter 1.), würde es sich auch nicht um dasselbe Delikt handeln, auf das sich die Wiederholungsgefahr zu beziehen hat. Denn bei Cannabis handelt es sich seit Inkrafttreten des KCanG gerade nicht mehr um ein Betäubungsmittel im Sinne des BtMG. Die Strafbarkeit eines Handelns hiermit richtet sich seitdem allein nach § 34 KCanG.
Da somit allenfalls ein (einfaches) unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG im Raum steht, bei dem es sich nicht um eine Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO handelt, sind auch insoweit die in Frankreich erhobenen Daten, die dem Nachweis der Täterschaft des Beschuldigten dienen sollen, nicht verwertbar.
b) Ungeachtet dessen wäre der Erlass eines Haftbefehls wegen lediglich eines Falls des gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, nicht zuletzt in Anbetracht der geringen Menge (2 Gramm Kokain, mithin lediglich etwa 20 % einer nicht geringen Menge), vorliegend jedenfalls unverhältnismäßig.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467
Abs. 1 StPO.
Einsender: RA A. Miegel, München u. RA Krösing, Bonn
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