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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Beiordnung eines Terminsvertreters für den Pflichtverteidiger, Anfechtbarkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 29.11.2024 – 3 Ws 47/24121 GWs 201/24

Leitsatz des Gerichts:

Wird die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nicht angefochten und wird auch hiernach kein Antrag auf Aufhebung der Beiordnung gestellt, so ist allein die Beiordnung eines für den beigeordneten Rechtsanwalt erschienenen Terminsvertreters nicht ohne Weiteres mit der Begründung anfechtbar, die Voraussetzungen der Beiordnung hätten zu keinem Zeitpunkt bestanden.


3 Ws 47/24 - 121 GWs 201/24

In der Strafsache
gegen pp.

wegen Diebstahls

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts am 29. November 2024 beschlossen:

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin gegen die Beiordnung der Rechtsanwältin Y als Pflichtverteidigerin der Angeklagten vom 6. November 2024 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die der Beschwerdeführerin entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.

Gründe:

Die Angeklagte ist Staatsangehörige Moldaus. Sie spricht nicht oder schlecht Deutsch und kann offenbar nicht lesen und schreiben. Durch das Amtsgerichts Tiergarten, das ihr Rechtsanwalt Z als Pflichtverteidiger beigeordnet hatte, ist die Angeklagte in Anwesenheit einer Dolmetscherin am 27. März 2024 wegen Diebstahls in fünf Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 200 Tagessätzen zu je 5 Euro verurteilt worden. Die Angeklagte war insoweit geständig gewesen, 2022 und 2023 insgesamt fünf Diebstahlstaten mit einem Gesamtschaden von ca. 1.500 Euro begangen zu haben. Gegen dieses Urteil hat der beigeordnete Verteidiger für die Angeklagte Berufung eingelegt. Zur Berufungshauptverhandlung am 6. November 2024 ist nicht er erschienen, sondern Rechtsanwältin Y. Der Vorsitzende hat auf deren Antrag angeordnet, dass sie der Angeklagten „für den heutigen Termin als Pflichtverteidigerin anstelle des bisher beigeordneten Verteidigers beigeordnet (wird), ohne dass dadurch Mehrkosten entstehen“. In der Folge ist die Hauptverhandlung ausgesetzt worden. Gegen die Beiordnungsanordnung vom 6. November 2024 richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin vom 13. November 2024.

Das Rechtsmittel ist nach §§ 142 Abs. 7 Satz 1, 304, 311 StPO statthaft und im Weiteren zulässig, aber unbegründet.

1. Zwar dürften die gesetzlichen Voraussetzungen dafür, der Angeklagten nach § 140 Abs. 2 StPO einen Pflichtverteidiger beizuordnen, jedenfalls im Zeitpunkt der Beiordnung der Terminsvertreterin nicht mehr vorgelegen haben. Denn gegenüber der erstinstanzlichen Beiordnung, die in der Berufungsinstanz nach § 143 Abs. 1 StPO fortwirkt, hat sich die prozessuale Situation grundlegend geändert. Nachdem die zu diesem Zeitpunkt verteidigte Angeklagte in erster Instanz ein vom Amtsgericht für glaubhaft gehaltenes Geständnis in Bezug auf die fünf vorgeworfenen Kaufhausdiebstähle abgelegt hatte und lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, hatte sie als Berufungsführerin keine gravierendere Rechtsfolge zu erwarten (§ 331 StPO). Bei dieser Sachlage dürften die Schwere der Tat, die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge und auch die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers nicht geboten erscheinen lassen. Und angesichts der vorgenannten Rahmenbedingungen dürfte trotz des ins Feld geführten Analphabetismus auch nicht ersichtlich sein, dass sich die Angeklagte nicht selbst verteidigen kann.

2. Jedoch hat der Vorsitzende der Strafkammer Rechtsanwältin Y lediglich als Terminsvertreterin des Pflichtverteidigers auf der Grundlage einer wirksamen erstinstanzlichen Pflichtverteidigungsanordnung beigeordnet. Diese Anordnung war von der Staatsanwaltschaft nicht angefochten worden, so dass sie die Rechtsfolgen einer bestehenden Pflichtverteidigung uneingeschränkt entfaltete. Diese waren von dem Vorsitzenden zu beachten. Der Vorsitzende hatte auch keine Ermessensentscheidung nach § 143 Abs. 2 StPO (Aufhebung der Beiordnung) getroffen, und auch die Verfolgungsbehörde hatte keinen entsprechenden Aufhebungsantrag gestellt. Eine Ablehnung eines solchen Antrags hätte zur prozessualen Überholung der ursprünglichen Anordnung geführt und wäre, wie bereits die erstinstanzlich erfolgte Beiordnung, durch die Staatsanwaltschaft mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar gewesen. Im weiteren Verfahren hätte sich der Senat als Beschwerdegericht mithilfe der zu 1.) genannten Überlegungen mit der Frage zu befassen gehabt, ob die Pflichtverteidigung als solche aufzuheben gewesen wäre.

Zu solch grundlegenden Erwägungen sieht sich der Senat angesichts des Fortbestands der ursprünglichen, unangefochten gebliebenen Beiordnung hier aber nicht veranlasst und auch nicht befugt. Denn Beschwerdegegenstand ist nicht die Beiordnung des vormals nach §§ 140, 141 StPO bestellten Pflichtverteidigers, sondern ausschließlich die Beiordnung von Rechtsanwältin Y als Terminsvertreterin für einen Tag. Eine solche Bestellung des Terminsvertreters für den Zeitraum der Abwesenheit des Pflichtverteidigers ist gesetzlich nicht kodifiziert, entspricht aber weithin geübter und unbeanstandeter Praxis (vgl. KG NStZ-RR 2011, 295). Bei Verhinderung des Pflichtverteidigers folgt sie einem unabweisbaren prozessualen Bedürfnis.

Da die vom Amtsgericht angeordnete Pflichtverteidigerbestellung weder angefochten worden ist noch infolge eines Aufhebungsantrags der Staatsanwaltschaft überholt ist, ist sie zu beachten. Auf ihrer Grundlage hat auch die Beiordnung von Rechtsanwältin Y Bestand, so dass die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ohne Erfolg bleibt.

3. Die Kosten des Rechtsmittels fallen der Landeskasse zur Last, weil kein anderer dafür haftet. Die Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 Satz 1 StPO.







3 Ws 47/24 - 121 GWs 201/24
(569) 271 AR 273/24 NBs (54/24)


In der Strafsache gegen

x


wegen Diebstahls

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts am 29. November 2024 beschlossen:

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin gegen die Bei-ordnung der Rechtsanwältin Y als Pflichtverteidigerin der Angeklagten vom 6. November 2024 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die der Beschwerdeführerin entstande-nen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.



G r ü n d e:

Die Angeklagte ist Staatsangehörige Moldaus. Sie spricht nicht oder schlecht Deutsch und kann offenbar nicht lesen und schreiben. Durch das Amtsgerichts Tier-garten, das ihr Rechtsanwalt Z als Pflichtverteidiger beigeordnet hatte, ist die Ange-klagte in Anwesenheit einer Dolmetscherin am 27. März 2024 wegen Diebstahls in fünf Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 200 Tagessätzen zu je 5 Euro verurteilt worden. Die Angeklagte war insoweit geständig gewesen, 2022 und 2023 insgesamt fünf Diebstahlstaten mit einem Gesamtschaden von ca. 1.500 Euro begangen zu haben. Gegen dieses Urteil hat der beigeordnete Verteidiger für die Angeklagte Be-rufung eingelegt. Zur Berufungshauptverhandlung am 6. November 2024 ist nicht er erschienen, sondern Rechtsanwältin Y. Der Vorsitzende hat auf deren Antrag ange-ordnet, dass sie der Angeklagten „für den heutigen Termin als Pflichtverteidigerin anstelle des bisher beigeordneten Verteidigers beigeordnet (wird), ohne dass dadurch Mehrkosten entstehen“. In der Folge ist die Hauptverhandlung ausgesetzt worden. Gegen die Beiordnungsanordnung vom 6. November 2024 richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin vom 13. November 2024.

Das Rechtsmittel ist nach §§ 142 Abs. 7 Satz 1, 304, 311 StPO statthaft und im Wei-teren zulässig, aber unbegründet.

1. Zwar dürften die gesetzlichen Voraussetzungen dafür, der Angeklagten nach § 140 Abs. 2 StPO einen Pflichtverteidiger beizuordnen, jedenfalls im Zeitpunkt der Beiordnung der Terminsvertreterin nicht mehr vorgelegen haben. Denn gegenüber der erstinstanzlichen Beiordnung, die in der Berufungsinstanz nach § 143 Abs. 1 StPO fortwirkt, hat sich die prozessuale Situation grundlegend geändert. Nachdem die zu diesem Zeitpunkt verteidigte Angeklagte in erster Instanz ein vom Amtsgericht für glaubhaft gehaltenes Geständnis in Bezug auf die fünf vorgeworfenen Kaufhaus-diebstähle abgelegt hatte und lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, hat-te sie als Berufungsführerin keine gravierendere Rechtsfolge zu erwarten (§ 331 StPO). Bei dieser Sachlage dürften die Schwere der Tat, die Schwere der zu erwar-tenden Rechtsfolge und auch die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mit-wirkung eines Verteidigers nicht geboten erscheinen lassen. Und angesichts der vor-genannten Rahmenbedingungen dürfte trotz des ins Feld geführten Analphabetismus auch nicht ersichtlich sein, dass sich die Angeklagte nicht selbst verteidigen kann.

2. Jedoch hat der Vorsitzende der Strafkammer Rechtsanwältin Y lediglich als Ter-minsvertreterin des Pflichtverteidigers auf der Grundlage einer wirksamen erstin-stanzlichen Pflichtverteidigungsanordnung beigeordnet. Diese Anordnung war von der Staatsanwaltschaft nicht angefochten worden, so dass sie die Rechtsfolgen einer bestehenden Pflichtverteidigung uneingeschränkt entfaltete. Diese waren von dem Vorsitzenden zu beachten. Der Vorsitzende hatte auch keine Ermessensentschei-dung nach § 143 Abs. 2 StPO (Aufhebung der Beiordnung) getroffen, und auch die Verfolgungsbehörde hatte keinen entsprechenden Aufhebungsantrag gestellt. Eine Ablehnung eines solchen Antrags hätte zur prozessualen Überholung der ursprüngli-chen Anordnung geführt und wäre, wie bereits die erstinstanzlich erfolgte Beiord-nung, durch die Staatsanwaltschaft mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar gewe-sen. Im weiteren Verfahren hätte sich der Senat als Beschwerdegericht mithilfe der zu 1.) genannten Überlegungen mit der Frage zu befassen gehabt, ob die Pflichtver-teidigung als solche aufzuheben gewesen wäre.

Zu solch grundlegenden Erwägungen sieht sich der Senat angesichts des Fortbe-stands der ursprünglichen, unangefochten gebliebenen Beiordnung hier aber nicht veranlasst und auch nicht befugt. Denn Beschwerdegegenstand ist nicht die Beiord-nung des vormals nach §§ 140, 141 StPO bestellten Pflichtverteidigers, sondern ausschließlich die Beiordnung von Rechtsanwältin Y als Terminsvertreterin für einen Tag. Eine solche Bestellung des Terminsvertreters für den Zeitraum der Abwesenheit des Pflichtverteidigers ist gesetzlich nicht kodifiziert, entspricht aber weithin geübter und unbeanstandeter Praxis (vgl. KG NStZ-RR 2011, 295). Bei Verhinderung des Pflichtverteidigers folgt sie einem unabweisbaren prozessualen Bedürfnis.

Da die vom Amtsgericht angeordnete Pflichtverteidigerbestellung weder angefochten worden ist noch infolge eines Aufhebungsantrags der Staatsanwaltschaft überholt ist, ist sie zu beachten. Auf ihrer Grundlage hat auch die Beiordnung von Rechtsanwältin Y Bestand, so dass die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ohne Erfolg bleibt.

3. Die Kosten des Rechtsmittels fallen der Landeskasse zur Last, weil kein anderer dafür haftet. Die Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 Satz 1 StPO.


Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin

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