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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, rückwirkende Bestellung, Zulässigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Berlin, Beschl. v. 19.12.2024 – 503 Qs 65/24

Eigener Leitsatz:

Nach der vorläufigen Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 StPO besteht für die Mitwirkung eines Verteidigers kein Bedürfnis mehr. Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers wäre daher unzulässig. Dies gilt auch dann, wenn der Beiordnungsantrag noch rechtzeitig vor der Einstellung des Verfahrens gestellt wird.


Landgericht Berlin I
503 Qs 65/24

Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

1365/24EK36

hat das Landgericht Berlin I - 3. große Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 19. Dezember 2024 beschlossen;

Die sofortige Beschwerde des ehemals Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 12.11.2024 wird aus den weiterhin zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet werden, auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 StPO) verworfen.

Ergänzend bemerkt die Kammer:

Die Beschwerde ist mangels Beschwer unzulässig. Die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Verteidigers gemäß § 140 StPO liegen derzeit nicht vor. Denn nach der vorläufigen Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 StPO besteht für die Mitwirkung eines Verteidigers kein Bedürfnis mehr. Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers wäre daher unzulässig.

Dies gilt auch dann, wenn der Beiordnungsantrag noch rechtzeitig vor der Einstellung des Verfahrens gestellt wird. Denn die Bestellung des Pflichtverteidigers dient nicht dem Kosteninteresse des Betroffenen oder seines Verteidigers, sondern verfolgt allein den Zweck, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass ein Betroffener in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet ist (KG, Beschluss vom 09.04.2020 - 2 Ws 30-31/20 -, bei juris). Nach dem vorläufigen Abschluss des Verfahrens ist diese Interessenlage entfallen.

Dies ist, entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht, auch nach dem Inkrafttreten des in Umsetzung der Richtlinie 2016/1919/EU erlassenen Gesetzes zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung nicht anders zu beurteilen (vgl. KG, Beschluss vom 06.02.2023 - 6 Ws 169/22 -; OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2021 -1 Ws 12/21, bei juris; LG Heilbronn, Beschluss vom 20.06.2022 - 8 Qs 7/22 - bei juris; LG Oldenburg, Beschluss vom 07.03.2022 - 4 Qs 76/22 - bei juris). Die gegenteilige Auffassung verweist darauf, dass die Mitgliedstaaten mit der Richtlinie 2016/1919/EU sicherstellen wollten, dass Beschuldigte, die nicht über ausreichende Mittel zur Bezahlung eines Rechtsbeistands verfügen, Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Über den rechtzeitigen und praktisch wirksamen Zugang zur Wahrnehmung der Verteidigerrechte hinaus regele die Richtlinie somit nunmehr auch die diesbezüglichen finanziellen Grundlagen und zwar in der Weise, dass auch die Bezahlung des Rechtsbeistandes gesichert werden soll. Zweck und Ziel dieser Regelung könne nur eine effektive Unterstützung und Absicherung der Verfahrensbeteiligten sein. Dieser Regelungszweck würde jedoch unterlaufen, wenn eine Pflichtverteidigerbestellung nur deswegen versagt werden könnte, weil das Verfahren inzwischen - allerdings nach Stellung des Beiordnungsantrages - ab-geschlossen worden sei (OLG Bamberg, Beschluss vom 29.04.2021 - 1WS 260/21 - bei juris, Rz. 16). Es sei anerkannt, dass zivilprozessuale Prozesskostenhilfe unter diesen Bedingungen rückwirkend bewilligt werden könne, dies müsse nunmehr auch für die strafprozessuale Verteidigerbeiordnung gelten. Die in dieser Argumentation liegende Gleichstellung von Prozesskostenhilfe mit der Pflichtverteidigerbestellung überzeugt nicht, weil letztere gerade nicht an die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten anknüpft und keineswegs allein den mittellosen Angeklagten im Blick hat (KG, Beschluss vom 06.02.2023 - 6 Ws 169/22 -). Bereits nach der Richtlinie ist es maßgeblich, dass die Bestellung des Verteidigers „im Interesse der Rechtspflege erforderlich" ist. Der deutsche Gesetzgeber hat sich vor diesem Hintergrund bei der Umsetzung der Richtlinie unter Ablehnung eines Prozesskostenhilfemodells mit Bedürftigkeits-prüfung zur grundsätzlichen Beibehaltung des überkommenen Systems der notwendigen Verteidigung entschlossen und die Bestellung eines Verteidigers weiterhin allein an materielle strafrechtliche Kriterien gebunden (Willnow, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Auflage 2023, § 140 Rn. 2).

Die Regelung des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO, wonach eine Bestellung von Amts wegen unterbleiben kann, wenn eine alsbaldige Verfahrenseinstellung beabsichtigt ist, schließt diesen Ablehnungsgrund nach gestelltem Beiordnungsantrag nicht aus. Nach den obigen Ausführungen handelt es sich bei diesem Ablehnungsgrund nämlich nicht etwa um eine Ausnahme, sondern um die Normierung eines allgemeinen Rechtsgedankens.

Auf die Frage, ob die Entscheidung über den Beiordnungsantrag pflichtwidrig verzögert wurde, kommt es vorliegend nicht an. Die Kammer verkennt nicht, dass die Ablehnung eines Beiordnungsantrags unbillig erscheint, wenn über ihn in pflichtwidriger Weise nur erheblich verzögert entschieden wurde und infolge dieser Verzögerung das Verfahren im Entscheidungszeitpunkt bereits abgeschlossen ist. Eine solche Verzögerung ist indes nicht festzustellen. Die Amtsanwaltschaft hat vielmehr am 16.10.2024 das Verfahren eingestellt. Nur zwölf Tage zuvor ging der Antrag auf Beiordnung bei der Polizei Berlin ein, die den Antrag sodann an die Amtsanwaltschaft weitergeleitet hat, wo dieser schließlich am 23.10.2024, nach der Verfahrenseinstellung, eingegangen ist.


Einsender: RA E. Khazaeli, Berlin

Anmerkung:


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