Gericht / Entscheidungsdatum: LG Bonn, Beschl. v. 12.12.2024 - 64 Qs 69/24
Eigener Leitsatz:
Beurteilungsgrundlage für eine Strafrechtsentschädigung wegen erlittener Untersuchungshaft ist nicht das Ergebnis der Hauptverhandlung, sondern es ist regelmäßig darauf abzustellen, wie sich der Sachverhalt in dem Zeitpunkt dargestellt hat, in dem die Maßnahme angeordnet oder aufrechterhalten wurde. Es sind dabei alle zu diesem Zeitpunkt bekannten Umstände zu würdigen und in Beziehung zu dem Verhalten des Beschuldigten und zum jeweiligen Tatvorwurf zu setzen. Nicht oder nicht mehr ursächlich für die Strafverfolgungsmaßnahme ist das Verhalten des Beschuldigten, wenn die Maßnahme auch ohne sein Verhalten angeordnet worden wäre.
Landgericht Bonn
Beschluss
In dem Beschwerdeverfahren
betreffend pp.
Verteidiger:
hat die 14. große Strafkammer des Landgerichts Bonn auf die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Siegburg vom 14.10.2024- Az: 231 Ls 18/24 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Richterin am Landgericht ud die Richterin am Landgericht am 12.12.2024 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Siegburg vom 10.10.2024 aufgehoben.
Dem Beschwerdeführer steht eine Entschädigung für seine Festnahme am 14.04.2024 und für die im Zeitraum vom 15.04.2024 bis zum 09.09.2024 erlittene Untersuchungshaft zu.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe:
Mit seiner sofortigen Beschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Amtsgerichts Siegburg vom 14.10.2024 in Verbindung mit Ziffer IV. der Urteilsgründe des Amtsgerichts Siegburg vom 09.09.2024, mit dem ihm eine Entschädigung für die Dauer seiner Festnahme am 14.04.2024 und die im Zeitraum vom 15.04.2024 bis zum 09.09.2024 erlittene Untersuchungshaft versagt worden ist. Dem gegen den Beschwerdeführer am 15.04.2024 durch das Amtsgericht Siegburg ergangenen Haftbefehl liegt folgendes zugrunde:
Am 14.04.2024 erstattete die 35 Jahre alte, in pp. Strafanzeige gegen Unbekannt. Sie gab noch am Tatort gegenüber den von den Zeugen pp. verständigten Beamten der Polizeiwache Troisdorf an, wenige Minuten zuvor in einer Weihnachtsbaumplantage in Niederkassel von einem vermutlich arabisch sprechenden, etwa Mitte 30 Jahre alten, 175 cm großen Mann mit mittellangem, vollem schwarzem Haar, der ein schwarzes Sweatshirt und Jeans getragen habe, vergewaltigt worden zu sein. Sie habe diesen an der Bushaltestelle "Südstraße" angesprochen und sich nach dem Weg zu einer Einrichtung erkundigt. Der Beschuldigte habe arabisches Fladenbrot mit sich geführt und kaum deutsch gesprochen. Er sei mit ihr in Richtung Sportplatz gegangen und habe sie in Höhe des Schildes "Weihnachtsbaumverkauf' in die Grünfläche zwischen die Tannenbäume gezogen. Dort habe er sie zu Boden gebracht, sich auf sie gelegt und ihr zunächst mit beiden Händen den Mund zugehalten. Dann habe er mit einer Hand ihre Hos6, geöffnet und sei mit zwei Fingern vaginal in sie eingedrungen. Während dessen habe die Zeugin pp. den Angreifer geschlagen und getreten. Sie habe dem Beschuldigten mit ihrem Schlüssel eine blutende Wunde am Auge zugefügt, woraufhin dieser von ihr abgelassen habe und geflüchtet sei.
Die Zeugen pp. haben am Tatort übereinstimmend bekundet, dass sie gegen 10.15 Uhr während eines Spaziergangs mit ihrem Hund an der Ecke Südstraße / Lettenstraße Hilfeschreie und daneben noch eine männliche Stimme gehört hätten. Daraufhin seien sie ein Stück in die mit Tannenbäumen bepflanzte Fläche hineingegangen. Ihnen sei eine Frau mit geöffneter Hose entgegengekommen. Diese habe ein Kopftuch in der Hand gehalten, welches sie. später aufgezogen habe. Sie habe ihnen gegenüber erklärt, dass sie soeben vergewaltigt worden sei.
Der Beschwerdeführer wurde gegen 11:45 Uhr in Tatortnähe durch eine Polizeistreife vorläufig festgenommen, das sein Erscheinungsbild auf die Personenbeschreibung der Zeugin pp. zupassen schien. Bei ihm wurden zudem zwei Pakete mit Fladenbrot festgestellt. Seine Kleidung wies ähnliche Verschmutzungen von Erde und Gras auf wie die Bekleidung der Anzeigeerstatterin. In seinem Gesicht bemerkten die Beamten Kratzspuren, welche möglicherweise durch die Gegenwehr der Zeugin pp. verursacht worden sein könnten. Er habe so gut wie kein Deutsch oder Englisch verstanden und angegeben, lediglich arabisch zu sprechen.
Noch am selben Tag hat die Zeugin pp. in ihrer polizeilichen Vernehmung bekundet, dass sie in Bonn am Konrad Adenauer Platz einen Bus der Linie 117 in Richtung Köln bestiegen habe. Zuvor habe sie 4 Bier getrunken. Der Beschuldigte sei mit ihr gemeinsam in den Bus eingestiegen. Sie habe ihn im Bus angesprochen, da er ausländisch ausgesehen habe und sie gedacht habe, dass er den Weg zu der Flüchtlingsunterkunft in Niederkassel kenne. Irgendwann habe der Beschuldigte gesagt, dass sie aussteigen müssten. Sie seien dann etwa 10 Minuten gemeinsam an der Hauptstraße entlanggelaufen. Das sei ihr schon komisch vorgekommen. Als sie an einem Schild mit der Aufschrift "Weihnachtsbaumverkauf“ vorbeigekommen seien, habe der Beschuldigte gesagt, dass sie eine Abkürzung durch die Tannenbaumanpflanzung nehmen sollten. Sie sei dem Beschuldigten gefolgt und im Sichtschutz der Bäume von diesem gepackt und zu Boden gebracht worden. Sie sei mit dem Rücken in der Nähe eines Baumstumpfes aufgekommen. per Beschuldigte habe ihre Handgelenke genommen und mit einer Hand über ihrem Kopf fixiert. Mit der anderen Hand habe er ihre Jeans geöffnet. Sie habe ihn immer wieder getreten und versucht, ihre Hände zu befreien. Weil sie um Hilfe geschrien habe, habe er ihr den Mund zugehalten. Da habe sie dann eine Hand befreien können und versucht, ihn mit den Fingern in die Augen zu stechen und ihn im Bereich der Augen zu kratzen. Sie habe ihn dort auch verletzt. Der Beschuldigte habe sie aber nicht losgelassen. Er habe auf ihr gelegen und habe sie ins Gesicht geschlagen. Das sei ein richtiger Kampf gewesen. Irgendwann habe, er ihre Hose bis zur Hüfte heruntergezogen. Er habe zu ihr auf arabisch gesagt, dass er ihr jetzt zeige, wie man hart ficke und dass sie das brauche. Sie habe gespürt, dass er zwei Finger in ihre Vagina eingeführt habe und an dieser auch von außen manipuliert habe. Er habe zudem ihr Oberteil und ihren BH hochgezogen und an ihren Brutwarzen geleckt. Darüber hinaus habe er sie im Gesicht geküsst und ihr seine Zunge in den Mund gesteckt. Zwischendurch habe sie immer wieder versucht, um Hilfe zu schreien. Er habe ihr dann mit einer Hand den Mund zugehalten. Sie habe irgendwann ihren Schlüsselbund aus ihrer Handtasche gezogen und nach ihm geworfen. Schließlich habe der Beschuldigte sich vor sie gehockt und masturbiert. Sie sei dann direkt aufgestanden und weggerannt.
Die Polizeibeamten haben als eigenen Eindruck vom Zustand der Zeugin pp. vermerkt, dass ihre Sprache verwaschen und schwerfällig, ihr Stand und Gang schwankend gewesen sei. Sie habe angegeben, dass sie zuvor zwei Bier getrunken habe. Einen Atemalkoholtest habe sie abgelehnt. Ihre Stimmung sei ausgesprochen wechselhaft gewesen. Sie habe in einem Augenblick infolge des Geschehens sehr aufgelöst und im nächsten Augenblick gleichgültig in Bezug auf das Tatgeschehen gewirkt. Noch am Tatort habe sie eine halb leere Bierdose aus ihrer Handtasche hervorgeholt und diese austrinken wollen, was unterbunden worden sei. Nach eigenem Bekunden habe die Zeugin pp. sich nicht durch den Alkoholgenuss beeinträchtigt gefühlt. Während der Fahrt zur Dienststelle sei sie zeitweise eingeschlafen. Die Zeugenaussage habe glaubhaft und schlüssig gewirkt. De Zeugin sei während ihrer polizeilichen Vernehmung immer wieder in Tränen ausgebrochen.
Der Zeuge Dr. pp. hat in seiner polizeilichen Vernehmung vom Tattag bekundet, dass sich der ganze Vorfall etwa 30 bis 40 Meter von dem Weg entfernt abgespielt haben müsse. Die Sicht sei stark durch Tannenbäume behindert gewesen. Zunächst habe er jemanden gesehen, der sich mit ganz normalem Tempo in Richtung Südstraße entfernt habe. Dann sei eine Frau mit unsicherem Gang auf sie zugekommen. Ihre Hose sei an den Knien verschmutzt gewesen und der Reißverschluss habe offen gestanden. Einer ihrer Strümpfe habe gefehlt. Sie habe erklärt, dass der Mann sie habe vergewaltigen wollen. Er sei sich nicht sicher, ob die Frau unter Schock oder unter Alkohol- oder Drogeneinfluss gestanden habe. Der Täter habe nach Angabe der Frau seinen Penis aus der Hose hervorgeholt. Sie habe ihm einen Schlag ins Gesicht versetzt und sich gewehrt. Der Täter habe sie zu der Flüchtlingsunterkunft bringen wollen. Sie habe sich bei den Zeugen pp. erkundigt, wo die Flüchtlingsunterkunft liege. Der Zeuge pp. habe dann gesagt, dass sie jetzt die Polizei verständigen würden.
Ein bei der Zeugin pp. am 14.04.2024 um 13.40 Uhr durchgeführter Atemalkoholtest ergab einen Wert von 0,31 mg/I, was ungefähr 0,6 Promille entspricht.
Die im Rahmen einer gynäkologischen Untersuchung der Zeugin im Johanniter Krankenhaus Bonn am 14.04.2024 gefertigten Lichtbilder und die Lichtbilder der Spurensicherung von den Händen und Unterarmen der Zeugin pp. weisen multiple Hautläsionen auf. Es wurden unter anderem mehrere Hämatome an den Beinen und Armen, an der Stirn, sowie eine minimale Blutung aus dem Zervikalkanal festgestellt.
Die Lichtbilder der Spurensicherung weisen im Bereich der linken Gesichtshälfte im Schläfenbereich und unter dem Auge Verletzungen auf, die als Kratzspuren gedeutet werden können.
In seiner Vernehmung am 15.04.2024 durch die Polizei hat der zu diesem Zeitpunkt nicht verteidigte Beschwerdeführer vermittelt durch eine Dolmetscherin für die arabische Sprache sich wie folgt zur Sache eingelassen:
Er habe in demselben Bus wie die Frau gesessen. im Bus hätten sie nicht miteinander gesprochen. Er sei dann ausgestiegen und die Frau sei nach ihm ebenfalls ausgestiegen. Sie habe ihn auf arabisch angesprochen. Sie sei betrunken gewesen und habe ihn gebeten, sie zu ihrer in der Nähe der Haltestelle gelegenen Wohnung zu begleiten. Auf dem Weg, an der Stelle wo die Bäume gestanden hätten, habe er sie gefragt, wo die Wohnung liege. Sie habe erklärt, dass diese hinter dem Weg zu ihrer Wohnung führe durch den Wald. Auf die Frage, was im Waldpassiert sei, bekundete der Beschwerdeführer, dass er dort vorgeschlagen habe, sich zu setzen, damit sie sich ausruhen könnten. Dann habe er sie geküsst, was er bereue. Dann habe sie ihn gekratzt. Er sei dann aufgestanden und gegangen. Sie sei traurig gewesen. Es sei ein Fehler gewesen, dass er sie begleitet habe. Zu einer Vergewaltigung sei es nicht gekommen. Er habe die Frau weder festgehalten noch ihre Hose geöffnet. Die Frau habe um Hilfe gerufen, weil sie auf ihn sauer gewesen sei. Die Griffspuren an ihren Armen seien damit zu erklären, dass sie getrunken habe und ein paar mal zu Boden gefallen sei. Er habe ihr dabei geholfen, wieder hoch zu kommen. Ihre verdreckte Kleidung sei darauf zurückzuführen, dass sie auf dem Boden gesessen und sich dort geküsst hätten. Anfänglich habe sie ihn ebenfalls geküsst. Er habe die Frau ein bisschen an der Schulter gestreichelt. Er habe ihre Hose nicht geöffnet und auch nicht seine Finger nicht in ihre Scheide eingeführt. Zu einem Kampf sei es nicht gekommen. Seine Verletzung am Auge könne allerdings dadurch entstanden sein, dass sie ihn dort eventuell gekratzt habe. Auf Vorhalt der Angaben der Zeugin pp., dass er sie an beiden Armen festgehalten haben soll, um gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr auszuüben, erklärte der Beschwerdeführer: "Nein. Das habe er nicht gewollt. Er habe von ihr abgelassen, weil sie das nicht gewollt habe. Nach Erläuterung durch einen der Vernehmungsbeamten, dass von seiner Finger abgerieben und Abschnitte seiner Fingernägel gesichert worden seien und dass man daran Sekret finden könnte, wurde die Frage wiederholt, ob er seine Finger in die Scheide der Frau eingeführt trabe. Dies bejahte der Beschwerdeführer weinend. Er habe sie unbedingt küssen wollen und das bereue er. Er habe sie nicht verletzen wollen und auch nicht versucht Sie zu schlagen. Aber er habe sie an den Armen festgehalten. Sie habe Anstalten gemacht zu schreien. Er habe sie gefragt, warum sie schreien wolle. Dann habe er ihr den Mund zugehalten. Er habe ihr gesagt, dass sie nicht zu schreien brauche. Er werde sie dann in Ruhe lassen. Seinen Penis habe er nicht aus der Hose hervorgeholt. Am Anfang habe die Frau gewollt, dass er sie küsse. Später nicht mehr. Er habe nicht gewusst, dass das eine Vergewaltigung sei, wenn man mit den Fingern in die Scheide einer Frau eindringe. Auf die Frage, ob er nicht gemerkt habe, dass die Frau das nicht gewollt habe, erklärte der Beschwerdeführer: "Gott ist mein Zeuge, ich bereue das." Er werde das nie wieder machen. Er habe das nicht gewollt.
Das Amtsgericht Siegburg hat dem dort zur Verkündung eines Haftbefehls vorgeführten Beschwerdeführer einen Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO beigeordnet. Der Verteidiger erklärte, das äußere Tatgeschehen aus dem Haftbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft sei weitgehend zutreffend. Abweichend hiervon sei jedoch nicht die Hose bis zur Hüfte heruntergezogen worden, sondern der Beschwerdeführer habe unmittelbar mit seiner linken Hand in die Hose hineingegriffen und sei mit zwei Fingern in die Scheide eingedrungen. Auch habe es keinen Zungenkuss gegeben. Der Beschwerdeführer habe sein Glied nicht entblößt. Die Initiative sei auch nicht von diesem ausgegangen, weshalb er zunächst von einem einverständlichen Geschehen ausgegangen sei. Aus Sicht des Beschwerdeführers habe es sich nicht um eine Vergewaltigung gehandelt, da - wie beschrieben - nur eine Berührung mit den Fingern stattgefunden habe.
Der Beschwerdeführer hat sich ergänzend dahingehend eingelassen, dass er niemals eine Frau vergewaltigen würde. Es sei letztlich die Situation und das Verhalten der Frau gewesen, die ihn dazu verleitet habe. Er habe das als Einladung gewertet.
Auf dieser Verdachtsgrundlage hat das Amtsgericht am 15.04.2024 einen Haftbefehl erlassen, verkündet und in Vollzug gesetzt. Der dringende Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer gründete ausweislich des Haftbefehls auf den Angaben der Geschädigten, das sonstige Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen und "das Geständnis" des Beschwerdeführers.
Die Zeugin pp. wurde am 10.06.2024 erneut vernommen. Insbesondere, um sie mit der Einlassung des Beschwerdeführers, man habe sich zunächst einvernehmlich geküsst und der Behauptung des Verteidigers, die Initiative sei von ihr ausgegangen, zu konfrontieren. Auch sollte sie erneut dazu befragt werden, ob der Beschwerdeführer tatsächlich sein Glied entblößt habe, da jener dies bestreite. Die Zeugin pp. hat daraufhin bekundet, dass sie sich auch anfänglich nicht einvernehmlich geküsst hätten. Die Initiative zu dem Geschehen sei auf gar keinen Fall von ihr ausgegangen. Sie habe den Beschwerdeführer gar nicht gekannt. Sie habe diesen nur deshalb angesprochen, weil dieser wie ein normaler Familienvater ausgesehen habe. Seinen Penis habe dieser entblößt, worüber sie schockiert gewesen sei. Sie habe das als total eklig empfunden. Sie sei dann aufgestanden und weggerannt.
Im Haftprüfungstermin am 25.07.2024 hat der Beschwerdeführer sich wie folgt eingelassen: Die Anzeigeerstatterin habe an derselben Bushaltestelle wie er gewartet. Sie habe sich ihm dort vorgestellt und ihn gebeten, sie in ihr Heim zu begleiten, weil sie müde sei. Sie seien dann gemeinsam in einen Bus eingestiegen und losgefahren. An einer ihm unbekannten Haltestelle sei er dann gemeinsam mit der Anzeigeerstatterin ausgestiegen. Sie habe ihm den Weg in Richtung ihrer Wohnung gewiesen und zu ihm gesagt, dass er sie dorthin begleiten könne. Unterwegs habe sie ihn gefragt, ob er sie küssen könne. Zugleich habe sie sich mit dem Arm bei ihm untergehakt. Es sei zu einem einvernehmlichen Austausch von Küssen, gegenseitigen Zärtlichkeiten und intimen Berührungen gekommen. Sie hätten sich zuerst im Stehen geküsst. Dann hätten sie sich gemeinsam auf den Boden gelegt. In dieser Situation habe sie ihn dann am Oberschenkel gestreichelt. Er habe seine linke Hand in ihre Hose eingeführt. Seine eigene Hose habe er anbehalten. Er habe sie dann mit den Fingern an der Scheide berührt, sei dabei aber nicht in sie eingedrungen. Dabei habe er bemerkt, dass sie an der Scheide feucht geworden sei. Er habe in der ganzen Zeit den Eindruck gehabt, dass die Anzeigeerstatterin auch mit geschlechtlichen Kontakt gesucht habe. Sie habe zu ihm gesagt: "Ich will Sex mit dir". Er habe das Bild seiner Frau und seiner Kinder vor seinem geistigen Auge gehabt und deshalb gesagt: "Ich kann es nicht". Dabei habe er auf der Anzeigeerstatterin gelegen. Er sei dann aufgestanden um auch eine körperliche Distanz herzustellen. Dann habe sie ihn mit den Händen im Gesicht verletzt. Gleichzeitig habe sie gesagt, dass sie ihn bei der Polizei anzeigen werde. Während sie sich von ihm entfernt habe, habe sie angefangen zu schreien. Sein Glied habe er zu keiner Zeit entblößt und auch nicht masturbiert. Er habe die Anzeigeerstatterin weder geschlagen noch festgehalten. Er habe den Eindruck gehabt, dass die Anzeigeerstatterin angetrunken gewesen sei.
Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung vom 06.08., 20.08. und 09.09.2024 schweigend verteidigt. Mit Urteil vom 09.09.2024 wurde er freigesprochen. Der Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer wurde daraufhin aufgehoben. In der Urteilsformel ist jedenfalls ein Ausspruch zur Entschädigungspflicht ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls und der schriftlichen Urteilsgründe unterblieben.
Der Beschwerdeführer hatte allerdings in seinem Schlussvortrag die Feststellung der Entschädigungspflicht durch die Staatskasse gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG beantragt.
Mit Schriftsatz vom 16.09.2014 legte der Beschwerdeführer vorsorglich sofortige Beschwerde ein, falls sich das Gericht an einer Nachholung der Grundentscheidung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SrEG bzw. einer Ergänzung des Urteils um diese gehindert sehen sollte.
Das Urteil ist seit dem 17.09.2024 rechtskräftig.
Ziffer IV. der dem Verteidiger des Beschwerdeführers am 10.10.2024 zugestellten schriftlichen Urteilsgründe enthält folgende Ausführungen zum Nichtbestehen eines Anspruchs auf Entschädigung für den erlittenen Vollzug der Untersuchungshaft:
„Die Staatskasse ist gemäß § 5 Abs. 2 StrEG nicht verpflichtet, den Angeklagten für die erlittene Untersuchungshaft zu entschädigen. Denn der Angeklagte hat die Strafverfolgungsmaßnahme - hier insbesondere die Festnahme und Inhaftierung aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Siegburg vom 15.04.2024 - vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht. Denn der Haftbefehl des Amtsgerichts Siegburg erging auf Grundlage der bis dahin geführten Ermittlungen, insbesondere aufgrund des gegenüber der Polizei durch den Angeklagten eingeräumten Tatgeschehens, welches identisch war mit dem in der Anklageschrift erhobenen Tatvorwurf. Durch seine im Anschluss hieran widersprüchlichen Einlassungen konnte der Angeklagte den Tatvorwurf nicht entkräften, sondern verstärkte den gegen ihn bestehenden Tatverdacht. Erst durch die in der Hauptverhandlung durchgeführte Beweisaufnahme erhärteten sich die Zweifel an dem Tatvorwurf, ohne dass das Gericht von der Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten überzeugt war. Da im Übrigen der Haftgrund der Fluchtgefahr auch zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens gegeben war;, hat der Angeklagte sowohl durch seine Lebensumstände als auch durch sein eigenes Einlassungsverhalten eine Entschädigung für erlittene Untersuchungshaft grob fahrlässig verwirkt."
Mit Verteidigerschriftsatz vom 14.10.2024 legte der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde gegen die in den schriftlichen Gründen des Urteils vom 09.09.2024 niedergelegte Versagung einer Entschädigung für die von ihm erlittene Untersuchungshaft ein.
Das Amtsgericht hat mit ergänzendem Beschluss vom 14.10.2024 ausdrücklich festgestellt, dass dem Beschwerdeführer keine Entschädigung für die Dauer der vorläufigen Festnahme am 14.04.2014 und die im Zeitraum vom 15.04.2014 bis zum 09.09.2024 erlittene Untersuchungshaft zusteht. Zur Begründung hat es auf die vorstehend zitierten Ausführungen in den schriftlichen Urteilsgründen verwiesen.
Die sofortige Beschwerde hat der Verteidiger des Beschwerdeführers am 10.10.2024 unter anderem dahingehend begründet, dass die Fokussierung auf das angeblich widersprüchliche Einlassungsverhalten des Beschwerdeführers den Blick dafür verstelle, dass dessen Inhaftierung und Haftfortdauer allein auf den defizitären Ermittlungen und der voreiligen Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft beruhe, dies obwohl eine kritische Überprüfung der Angaben der Geschädigten angezeigt gewesen wäre, weshalb die Ermittlungen eigentlich nicht abgeschlossen werden durften, zumal das Ergebnis des DNA-Gutachtens noch ausgestanden habe. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass der unbestrafte Beschwerdeführer sich in seiner polizeilichen Vernehmung ohne den Beistand eines Verteidigers lediglich ungewandt und ungeschickt eingelassen habe.
II.
Die gemäß § 9 Abs. 2 StrEG i.V.m. § 311 Abs. 2 StPO zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Die Kammer ist nicht davon überzeugt, dass der Beschwerdeführer seine Inhaftierung durch seine widersprüchlichen und lebensfremd wirkenden Einlassungen mitverursacht hat.
Beurteilungsgrundlage ist nicht das Ergebnis der Hauptverhandlung, sondern es ist regelmäßig darauf abzustellen, wie sich der Sachverhalt in dem Zeitpunkt dargestellt hat, in dem die Maßnahme angeordnet oder aufrechterhalten wurde. Es sind dabei alle zu diesem Zeitpunkt bekannten Umstände zu würdigen und in Beziehung zu dem Verhalten des Beschuldigten und zum jeweiligen Tatvorwurf zu setzen (BVerfG, Beschluss vom 12.09.1995 — 2 BvR 2475/94 -; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 06.06.2012 — III - 1 Ws 111/12 — sowie vom 25.06.2013 — III - 2 Ws 275/13 -; Meyer-Goßner / Schmitt, 67. Aufl., § 5 StrEG, Rdnr: 10).
Nicht oder nicht mehr ursächlich für die Strafverfolgungsmaßnahme ist das Verhalten des Beschuldigten, wenn die Maßnahme auch ohne sein Verhalten angeordnet worden wäre (Meyer-Goßner / Schmitt, aaO, Rn. 7, mwN).
So liegt der Fall hier. Der Haftbefehl wäre bei vernünftiger Würdigung der den Beschwerdeführer belastenden Aussage der Anzeigeerstatterin und der objektiven Gesamtumstände mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch ohne dessen später widerrufener Angaben in der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung vom 15.04.2024 ergangen.
Auch für die Aufrechterhaltung des Haftbefehls gegen den Beschwerdeführer im Haftprüfungstermin am 25.07.2024 waren dessen widersprüchliche Einlassungen vor dem Hintergrund der bisherigen Ermittlungsergebnisse und der Angaben der Zeugen pp. und pp. nicht ausschlaggebend.
Der Beschwerdeführer hatte sich in eine Situation begeben, die sich im Zeitpunkt der Haftentscheidung ohnehin als in hohem Maße erklärungsbedürftig und verfänglich darstellte, indem er gemeinsam mit einer fremden, sichtlich betrunkenen Frau aus dem Bus an einer ihm nicht bekannten Haltestelle ausstieg und dieser in eine vom Weg aus schlecht einsehbare Weihnachtbaumplantage folgte, wo beide ihre Kleidung infolge des Kontaktes mit dem Gras und Waldboden beschmutzten. Zudem sprachen die Kratzspuren im Gesicht des Beschwerdeführers und die Hilferufe der Geschädigten gegen einen einvernehmlichen Sexualkontakt. Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer sich vom Tatort entfernte, trug nicht eben dazu bei, den Tatverdacht gegen ihn zu verringern.
Angesichts dieser Ausgangssituation und der auf die Ermittlungsbeamten glaubhaft wirkenden Aussage der Geschädigten kam es für die Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft bei der gebotenen ex-ante-Betrachtung schon nicht mehr darauf an, dass der Beschwerdeführer sich in seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung in erheblichem Maße selbst belastet hat, indem er erklärte, er habe die Anzeigeerstatterin unbedingt küssen wollen und seine Finger in ihre Scheide eingeführt. Als sie Anstalten gemacht habe zu schreien, habe er ihr den Mund zugehalten. Auch seine ausweichende Antwort auf die Frage, ob er nicht gemerkt habe, dass die Frau das nicht gewollt habe, war letztlich für die Haftentscheidung ohne Bedeutung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 StPO.
Einsender: RA Dr. P. R. Gülpen, Troisdorf,
Anmerkung:
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