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Entscheidungen

OWi

Einspruchsverwerfung, Ausbleiben des Betroffenen, Informationspflicht des Gerichts, verbleibende Zweifel

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.01.2025 - 1 ORbs 210 SsBs 740/24

Eigener Leitsatz:

Führen unpräzise Angaben in einem ärztlichen Attest dazu, dass bei dem Richter Zweifel an einer genügenden Entschuldigung des Betroffenen für sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung aufkamen und führt eine Rücksprache zu keiner weiteren Konkretisierung, darf ein Verwerfungsurteil nicht ergehen. Nach Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen verbleibende Zweifel dürfen nicht zu Lasten des Betroffenen gehen.


OLG Karlsruhe

1. Senat für Bußgeldsachen

Beschluss

In dem Bußgeldverfahren

gegen pp.

Verteidigen
Rechtsanwalt

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat das Oberlandesgericht Karlsruhe - 1. Senat für Bußgeldsachen "- durch pp. als Einzelrichterin am 15. Januar 2025 beschlossen:

1. Das Urteil des Amtsgerichts Bühl vom 06. September 2024 wird mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Bühl zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Landratsamt Rastatt setzte mit Bußgeldbescheid vom 10.02.2023 gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der außerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 93 km/h eine Geldbuße von 700,00 Euro fest und ordnete ein Fahrverbot von drei Monaten an.

Mit Urteil vom 06.09.2024 verwarf das Amtsgericht Bühl den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid nach § 74 Abs. 2 OWiG. Das Urteil Wurde damit begründet, dass der Betroffene ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben sei und auch nicht durch einen mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht versehenen Verteidiger vertreten worden sei. In einem von dem Betroffenen vorgelegten Attest von Dr. pp. vom 04.09.2024 sei lediglich festgehalten, dass der Betroffene aufgrund einer akuten Infektionserkrankung bis einschließlich 10.09.2024 nicht transport- und verhandlungsfähig sei. Es sei weder aufgeführt, um welche Erkrankung es sich handle, noch welche Symptomatik sich aktuell zeige und welche daraus resultierenden konkreten körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen bestünden, die eine Teilnahme an der Hauptverhandlung unmöglich machen oder unzumutbar erscheinen ließen, Eine fernmündliche Rücksprache des Gerichts mit dem ausstellenden Arzt Dr. pp. habe zu keiner Konkretisierung geführt Der Arzt habe lediglich ausgeführt, es handle sich um eine akute Infektionskrankheit mit der man nicht arbeiten gehen könne. Vor diesem Hintergrund sei das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass der Betroffene nicht ausreichend entschuldigt sei. Eine Infektionskrankheit - auch wenn sie möglicherweise zu einer Arbeitsunfähigkeit führe - führe perse nicht zu einer Verhandlungsunfähigkeit. Dass es sich um eine schwerwiegende oder gar lebensbedrohliche Erkrankung handle, halte das Gericht bereits vor dem Hintergrund, dass das Attest eine Verhandlungsunfähig-kelt von weniger als einer Woche konstatiere, für nicht wahrscheinlich.

Hiergegen hat der Betroffene durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 18.09.2024 fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt und diese zugleich begründet Er hat die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat mit Antragsschrift vom 02.01.2025 beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Die Verfahrensrüge habe schon deshalb keinen Erfolg, da sie entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO I.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG nicht ordnungsgemäß ausgeführt sei. Zudem habe das Gericht beanstandungsfrei den Einspruch des säumigen Betroffenen verworfen, nachdem eine auf die vom Verteidiger vorgelegte ärztliche Bescheinigung erfolgte Nachfrage des Gerichts beim ausstellenden Arzt eine Verhandlungsunfähigkeit des Betroffenen nicht ergeben habe.

II.

Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat - zumindest vorläufig - Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

Die Sachrüge hat allerdings keinen Erfolg. Ein Verwerfungsurtell nach § 74 Abs. 2 OWG hat keinen materiellrechtlichen Inhalt Eine Sachrüge führt daher - ebenso wie bei der Anfechtung von Verwertungsurteilen nach § 329 StPO - nur zur Überprüfung, ob die Prozessvoraussetzungen vorliegen oder Verfahrenshindemisse bestehen (OLG Köln, Beschluss vorn 17.03.198.7 - Ss 118/87 (B), BeckRS 1987, 8995). Verfahrensfehler bestehen Im vorliegenden Fall nicht; die Prozessvoraussetzungen sind gegeben.

Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft ist die Verfahrensrüge jedoch ordnungsgemäß erhoben und begründet. Bei der Rüge, das Amtsgericht habe den Einspruch nicht nach § 74 Abs. 2 OWiG verwerfen dürfen, hängt der Umfang der Darlegungspflicht des Beschwerdeführers nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO davon ab, ob der Verfahrensfehler sich aus dem Inhalt des angefochtenen Urteils ergibt oder nicht Wenn sich aus dem Verwerfungsurteil ergibt, dass der Betroffene Entschuldigungsgründe vorgebracht hat, reicht zur Erhebung einer ordnungsgemäßen Verfahrensrüge die Begründung, das Gericht habe das Ausbleiben des Betroffenen nicht als unentschuldigt ansehen dürfen (OLG Köln a.a.O.). Danach entspricht die vom Betroffenen erhobene Verfahrensrüge den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Die Verfahrensrüge greift auch durch. Für die Frage, ob der Betroffene für sein Ausbleiben genügend entschuldigt ist, kommen die zu § 74 Abs. 2 OWiG entwickelten Grundsätze zur Anwendung. Danach ist der Betroffene nicht erst dann entschuldigt, wenn er verhandlungsunfähig ist, sondern schon, wenn ihm wegen einer Erkrankung die Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht zugemutet werden kann. In aller Regel wird dabei die Vorlage eines zeitnahen ärztlichen Attestes ausreichen. Erscheint dem Gericht das Attest nicht aussagekräftig genug oder hat es Zweifel an der Richtigkeit der bescheinigten Erkrankung, so hat es sich im Freibeweisverfahren, gegebenenfalls durch telefonische Nachfrage beim behandelnden Arzt, die erforderliche Aufklärung zu verschaffen. Denn es kommt im Ergebnis darauf an, ob der Betroffene genügend entschuldigt ist, nicht, ob er sich In ausreichendem Maße entschuldigt hat (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.09.1994 - 3 Ss 44/94, NJW 1995, 2571). Bestehen Zweifel, ob der Betroffene genügend entschuldigt ist und können diese auch im Freibeweisverfahren nicht geklärt werden, darf ein Verwerfungsurteil nicht ergehen (KG Beschluss vom 12.10.2017 - 3 Ws (B) 257/17, BeckRS 2017, 140690).

Diese Grundsätze hat das Amtsgericht nicht hinreichend beachtet Aus dem Urteil ergibt sich, dass sich das Attest auf die Diagnose einer ‚Akuten Infektionserkrankung', aufgrund welcher der Betroffene nicht transport - und verhandlungsfähig sei, beschränkte. Zu Recht führten diese unpräzisen Angaben dazu, dass bei dem zuständigen Richter Zweifel an einer genügenden Entschuldigung des Betroffenen aufkamen und er daher fernmündlich mit dem ausstellenden Arzt Rücksprache hielt Den Urteilsgründen ist jedoch auch zu entnehmen, dass diese Rücksprache zu keiner weiteren Konkretisierung führte. Bei dieser Sachlage, bei der die bestehenden Zweifel durch die Rücksprache mit dem Arzt offensichtlich nicht ausgeräumt werden konnten, sondern nach der Rücksprache derselbe Kenntnisstand wie zuvor, der eine weitere Aufklärung erforderlich machte,-bestand, durfte ein Verwerfungsurteil nach den oben ausgeführten Maßstäben nicht ergehen. Nach Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen verbleibende Zweifel dürfen nicht zu Lasten des Betroffenen gehen (vgl. BeckOK OWiG/Hettenbach, 44. Ed. 01.10.2024, OWiG § 74 Rn. 33 m.w.N.).

Das angefochtene Urteil war folglich gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1, Abs. 6 Alt 2 OWiG, § 353 StPO aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.


Einsender: RA T. Dammenhayn, Nuthetal

Anmerkung:


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