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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Unterstützungshandlungen, Hilfeleistung, ausreisepflichtiger Ausländer, Verletzung, Ausreisepflicht, Beihilfe

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 01.06.2010 - 3 RVs 310/09

Fundstellen:

Leitsatz: Werden gegenüber einem ausreisepflichtigen Ausländer Unterstützungshandlungen erbracht, durch die objektiv die Verletzung der Ausreisepflicht gefördert und erleichtert wird, so können humanitäre Gründe nur in Ausnahmefällen zur Straflosigkeit solcher Unterstützungshandlungen führen, etwa wenn die Hilfeleistungen der Behebung einer akuten Notsituation dienen und ihr Umfang nicht über das Maß der im Einzelfall gebotenen - in der Regel kurzfristigen - Nothilfemaßnahmen hinausgeht.


Strafsache
In pp.
hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm am 01.06.2010 beschlossen:
Das Urteil der V. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 13.07.2009 wird nebst den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.
G r ü n d e :
I.
Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Herford vom 4. Dezember 2008 wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt von Ausländern zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50,- € verurteilt worden. Auf die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Bielefeld mit dem angefochtenen Urteil den Angeklagten freigesprochen.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
"Der Angeklagte ist evangelischer Pfarrer in einer Pfarrgemeinde in X. Daneben erteilt er Religionsunterricht an Schulen.
Im Herbst 2005 kam er in Kontakt mit der türkischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit H sowie deren 1990 und 1992 geborenen Töchtern. Diese sind im Jahr 2000 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, wo sie einen Asylantrag und nach dessen Ablehnung einen Folgeantrag stellten. Dieser wurde durch Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 03.02.2003 abgelehnt. Die Antragsteller - Frau H und ihre Töchter - wurden in diesem Bescheid aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist wurde ihr die Abschiebung in die Türkei angedroht.
Der Bescheid vom 03.02.2003 ist am 06.02.2004 bestandskräftig geworden. Bis zum 23.02.2004 ist sodann die Abschiebung ausgesetzt worden.
In der Folgezeit tauchte Frau H mit ihren Töchtern unter, um nicht abgeschoben zu werden. Der Ehemann der Frau H, mit dem sie lediglich nach ethnischem Recht verheiratet war, flüchtete in ein anderes Land. Im August 2004 wurde Frau H seitens der Ausländerbehörde des Kreises T zur Fahndung ausgeschrieben.
Frau H ist mit ihren Töchtern zunächst bei verschiedenen türkischen/kurdischen Familien untergekommen. In dieser Zeit lernte sie einen neuen - ebenfalls türkischen - Partner kennen, der über eine Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik verfügte und den sie in der Bundesrepublik heiraten wollte. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt hat sie sich an das "Netzwerk Kirchenasyl”, eine Initiative mehrerer hiesiger Kirchengemeinden, die sich der Beratung und Unterstützung Verfolgter verschrieben hat, gewandt. Seitens des Netzwerks wurde für sie und ihre Kinder im Kreis X eine Unterkunft gefunden. Im Herbst 2005 kam der Angeklagte, der ebenfalls ehrenamtlich im Netzwerk mitarbeitete, in Kontakt mit Frau H. Der Angeklagte erfuhr von der ausländerrechtlichen Situation der Frau H und deren Töchter. Ihm wurde bekannt, dass diese in der Bundesrepublik kein Aufenthaltsrecht mehr hatten, zur Ausreise verpflichtet waren und aus diesem Grund bereits seit geraumer Zeit untergetaucht waren.
Der Angeklagte führte diverse Gespräche mit Frau H, in deren Zentrum die Frage einer Heirat mit ihrem neuen Lebenspartner in der Bundesrepublik Deutschland sowie die Überwindung ihres ausländerrechtlichen Status und die Legalisierung ihres Aufenthalts standen.
Eine Ausreise bzw. Rückkehr in die Türkei kam für Frau H, wie sie dem Angeklagten nach dessen Darstellung mehrfach erklärt hat, nicht in Frage. Diese äußerte ihm gegenüber den festen Entschluss, nicht aus Deutschland auszureisen. Frau H hat dem Angeklagten dabei mitgeteilt, dass sie in der Türkei unter dem Vorwurf, für die kurdische Untergrundorganisation PKK tätig zu sein, inhaftiert und misshandelt worden sei. Ferner hat sie gegenüber dem Angeklagten geäußert, Angst vor der in der Türkei lebenden Familie ihres Ehemannes zu haben, seitens derer ihr mit der Wegnahme ihrer Kinder gedroht worden sei. Nach dem Eindruck des Angeklagten war das Land Türkei für sie "angstbesetzt”.
Frau H äußerte gegenüber dem Angeklagten ferner, an Krebs erkrankt zu sein und unter psychischen Problemen, die sich in Form von Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit äußerten, zu leiden.
Der Angeklagte hat die mittellose Frau H in diesem Zeitraum während finanzieller Notlagen mit gelegentlichen Zuwendungen kleinerer Geldbeträge unterstützt. Daneben erhielt Frau H auch finanzielle Zuwendungen weiterer Personen.
Während des gesamten Zeitraums wurde Frau H - durch Vermittlung des Netzwerks - durch die Rechtsanwältin I aus C vertreten, die sich noch am 02.06.2006 an das Ausländeramt des Kreises T unter Hinweis auf die beabsichtigte Eheschließung zwecks Klärung des ausländerrechtlichen Status der Frau H gewandt hatte.
Am 20.06.2006 nahm der Angeklagte Frau H und ihre Töchter in sein Wohnhaus, in welchem er ihnen ein Zimmer zur Verfügung stellte, auf. Hintergrund der Aufnahme war nach Angaben des Angeklagten der Umstand, dass die bisherige Unterbringung nicht mehr fortgeführt werden konnte und die Familie "auf der Straße” stand. Eine irgendwie geartete Gegenleistung für die Unterbringung verlangte und erhielt der Angeklagte nicht. Dem Angeklagten war dabei bewusst, dass er durch sein Verhalten mit dem Gesetz in Konflikt geraten könnte. Gleichwohl sah er sich als Christ dazu verpflichtet, Frau H in dieser Form zu helfen. Der Angeklagte erachtete dabei sein Handeln aufgrund von ihm für höherrangig erachteter Rechtsgüter, insbesondere im Hinblick auf die Grund- und Menschenrechte für gerechtfertigt und geboten. Ferner befürchtete er, dass Frau H anderenfalls ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland durch die Begehung von Diebstählen oder etwa durch Prostitution hatte bestreiten müssen.
Nachdem der Angeklagte in Erfahrung gebracht hatte, dass eine Heirat in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der fehlenden Aufenthaltserlaubnis der Frau H nicht möglich war, versuchte dieser, Frau H und ihren Partner zur Ausreise in die Türkei zu bewegen, um dort die Heirat zu vollziehen und sodann - legal - erneut in die Bundesrepublik einzureisen. Dieses Ansinnen wurde von Frau H zunächst abgelehnt, die eine Ausreise aus der Bundesrepublik in die Türkei nach wie vor verweigerte.
Dem Angeklagten gelang es jedoch nach eigenen Angaben in der Folgezeit, Frau H umzustimmen. Nachdem sie sich zur Ausreise entschlossen hatte, begab sie sich am 23.08.2006 zum Flughafen I2, wo sie bei der Ausreisekontrolle aufgrund fehlender Grenzübertrittspapiere aufgefallen ist. Am Folgetag reiste sie schließlich aus. Zu der geplanten Eheschließung in der Türkei und einer erneuten Einreise von Frau H ist es letztlich nicht mehr gekommen.
Die beiden Töchter der Frau H, die vereinbarungsgemäß für die Dauer ihres Aufenthaltes in der Türkei beim Angeklagten bleiben sollten, verblieben nunmehr dauerhaft in dessen Haushalt. Der Angeklagte organisierte deren Schulbesuch. In der Zeit vom 19.12.2006 bis. 12.01.2007 wurde er zu deren Vormund bestellt. Die Vormundschaft wurde anschließend seiner Ehefrau übertragen. Die beiden Töchter leben aufgrund entsprechender Aufenthaltstitel weiterhin im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland."
Das Landgericht hat die Auffassung vertreten, dass die festgestellten Unterstützungsleistungen des Angeklagten gegenüber Frau H nicht den Tatbestand der Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt von Ausländern gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, § 27 StGB erfüllen. Die Gespräche des Angeklagten mit Frau H, die die gemeinsame Überlegung zur Überwindung des illegalen Aufenthaltes von Frau H beinhalteten, sowie die Zuwendung kleinerer Geldbeträge durch den Angeklagten an die mittellose Frau H im Sinne von Almosen stellten noch sozial adäquate Verhaltensweisen dar und seien noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu werten. Soweit der Angeklagte Frau H in der Zeit vom 20.06.2006 bis zum 23.08.2006 und deren beiden Töchtern Unterkunft gewährt habe, sei eine Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt von Ausländern gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, § 27 StGB ebenfalls nicht verwirklicht, denn Frau H sei im Tatzeitraum ohnehin und unabhängig von der Unterkunftsgewährung durch den Angeklagten fest zum Verbleib in der Bundesrepublik entschlossen gewesen. Nach der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung sei der Tatbestand der Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt dann nicht erfüllt, wenn der Täter zur Fortsetzung seines illegalen Aufenthaltes unter allen Umständen entschlossen sei und die Gewährung von Wohnung und Verpflegung den Aufenthalt zwar erleichtern, der Ausländer sein Verbleiben aber hiervon nicht abhängig mache. Eine Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt durch Gewähren von Unterkunft und Verpflegung liege nach der Rechtsprechung nur dann vor, wenn der Täter seinen weiteren Aufenthalt davon abhängig mache (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.01.2009 – 2 Ss 53/08 -; KG, NStZ 2006, 530; KG, Beschluss vom 04.07.2001- 1 Ss 263/00 -; BayObLG, NStZ 1999, 627; BayObLG, NJW 2002, 1663; OLG Düsseldorf, StV 2002, 312). Das Landgericht verwies darüber hinaus auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.06.1990 (NJW 1990, 2207), wonach eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt ausscheide, wenn der Ausländer in jedem Fall entschlossen sei, seiner Ausreisepflicht zuwider zu handeln und wenn der Angeklagte sich darauf beschränkt, ihm durch Beherbergung eine Unterbringung in menschenunwürdigen Verhältnissen zu ersparen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft Bielefeld, mit der eine Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Sie führt aus, es sei ein allgemein anerkannter strafrechtlicher Grundsatz, dass es für die Kausalität der Beihilfe in objektiver Hinsicht ohne Bedeutung sei, ob der Täter selbst zur Begehung der Tat ohnehin fest entschlossen sei. Es sei nicht ersichtlich, warum dieser Grundsatz nicht auch im Bereich der Dauerdelikte in gleicher Weise Geltung beanspruchen könne. Maßgebend für die Beurteilung der Gewährung von Unterkunft durch den Angeklagten als Beihilfehandlung i. S. d. § 27 StGB sei daher, ob durch diese Unterstützungshandlung die Begehung der Haupttat in ihrer konkreten Gestaltung objektiv gefördert und erleichtert worden sei. Dies sei der Fall, wenn die Unterstützung nicht allein "bei Gelegenheit” des illegalen Aufenthaltes geleistet werde, sondern gerade – wie hier – darauf angelegt sei, den Täter in seinem Willen zum illegalen Aufenthalt zu bestärken und ihm ein erhöhtes Sicherheitsgefühl zu verschaffen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.01.2009 - 2 Ss 53/08 -). Der Angeklagte habe auch die Absicht gehabt, Frau H durch seine Unterstützungshandlungen in ihrem Entschluss zu bestärken, weiterhin im Bundesgebiet zu verbleiben. Denn der Angeklagte habe die Entscheidung der Ausländerbehörde, wonach Frau H ausreisepflichtig sei, für falsch gehalten. Hierin habe insbesondere die Motivation für sein Einschreiten gelegen. Angesichts dessen sei bei dem Angeklagten auch der subjektive Wille zur Förderung der Haupttat gegeben gewesen, auch wenn er sich dahingehend eingelassen habe, er habe lediglich aus christlicher Überzeugung humanitäre Hilfe leisten wollen.
Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Revision der Staatsanwaltschaft Bielefeld unter ergänzenden Ausführungen beigetreten.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft Bielefeld ist zulässig und hat in der Sache Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und zu einer Zurückverweisung der Sache an das Landgericht Bielefeld.
1.
Eine Einstellung des Verfahrens wegen Fehlens der Verfahrensvoraussetzung einer wirksamen Anklage und demnach auch einer wirksamen Zulassung der Anklage kam entgegen der Ansicht des Angeklagten nicht in Betracht. Die Funktionen von Anklage und Eröffnungsbeschluss wurden im vorliegenden Verfahren durch den Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 28.08.2007 und dem Strafbefehl des Amtsgerichts Herford vom 10.09.2007 übernommen. Diese werfen dem Angeklagten vor, in der Zeit von Januar 2005 bis August 2006 in X vorsätzlich einem anderen, der vollziehbar ausreisepflichtig und dessen Abschiebung nicht ausgesetzt war, Hilfe geleistet zu haben, sich ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufzuhalten, und sich dadurch der Beihilfe zum illegalen Aufenthalt nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG schuldig gemacht zu haben. Ihm wird zur Last gelegt, die türkische Staatsangehörige H, die Deutschland am 23.08.2006 verlassen hat, während des Tatzeitraumes dem Zugriff des Ausländeramtes entzogen zu haben, obwohl ihm bekannt gewesen sei, dass diese aufgrund des seit dem 06.04.2004 bestandskräftigen Bescheids des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 03.02.2003 verpflichtet gewesen sei, Deutschland zu verlassen. Mit diesen Angaben erfüllen der Strafbefehl und der ihm zugrunde liegende Antrag noch die ihnen obliegende Umgrenzungsfunktion, nämlich die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist, wobei diese sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen muss (vgl. BGH Urteil vom 29.10.2009 - 1 StR 205/09 - ). Zwar werden die dem Angeklagten vorgeworfenen Unterstützungshandlungen nicht im Einzelnen aufgeführt. Es werden aber Tatzeitraum und Tatort sowie die Haupttäterin namentlich genannt und es wird substantiiert ausgeführt, seit wann und aus welchem Grund deren Aufenthalt in der Bundesrepublik illegal war. Auch wird die Tathandlung insoweit konkretisiert, dass dem Strafbefehl entnommen werden kann, dass der Angeklagte den illegalen Aufenthalt der Haupttäterin dergestalt unterstützt hat, dass sie während des Tatzeitraumes dem Zugriff der Ausländerbehörde entzogen war. Durch diese Angaben wird die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat noch ausreichend umschrieben. Die unterbliebene detaillierte Beschreibung der Beihilfehandlungen stellt allerdings einen Mangel in Bezug auf die durch den Strafbefehl und durch den diesem zugrunde liegenden Antrag ebenfalls zu erfüllende Aufgabe, den Angeklagten und die übrigen Verfahrensbeteiligten über weitere Einzelheiten des Vorwurfs zu unterrichten, um ihnen Gelegenheit zu geben, ihr Prozessverhalten darauf einzustellen (Informationsfunktion), dar. Ein solcher Mangel führt jedoch nicht zu Unwirksamkeit der Anklage bzw. hier des Strafbefehls und des ihm zugrunde liegenden Antrags und berührt daher deren Funktion als Verfahrensgrundlage nicht. Solche Fehler können vielmehr noch durch Hinweise im Ermittlungsverfahren oder in der Hauptverhandlung von Seiten der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts geheilt werden (vgl. BGH NStZ 1984, 133). Im Übrigen können solche Mängel gegebenenfalls im Wege der Verfahrensrüge als Verstoß gegen § 243 Abs. 3 S. 1 StPO (vgl. BGH NStZ 2006, 649) oder gegen den Grundsatz des "fair trial" beanstandet werden. Eine entsprechende Verfahrensrüge ist im vorliegenden Verfahren aber nicht erhoben worden. Angesichts dessen kann es dahingestellt belieben, ob die Erhebung solcher Rügen hier möglicherweise bereits deshalb ausgeschlossen war, weil die Staatsanwaltschaft Bielefeld ausweislich ihres Vermerks vom 17.03.2008 die damaligen Verteidigerinnen des Angeklagten, die Rechtsanwältinnen L2 und I, darauf aufmerksam gemacht hatte, dass der Strafbefehl insoweit unvollständig sei, als der Hinweis darauf fehle, dass der Angeklagte H während des Tatzeitraumes Unterkunft gewährt habe.
2. Das angefochtene Urteil kann aber keinen Bestand haben.
Die Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte habe, indem er Frau H Unterkunft gewährt und sie gelegentlich durch die Zuwendung kleinerer Geldbeträge unterstützt habe, den Tatbestand der Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt von Ausländern gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, § 27 StGB nicht verwirklicht, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand.
Beihilfe i. S. d. § 27 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn der Gehilfe dem Haupttäter vorsätzlich zur Begehung einer vorsätzlichen rechtswidrigen Tat Hilfe leistet.
a) H verfügte spätestens ab dem 06.02.2004, nämlich mit der an diesem Tage eintretenden Bestandskraft des ihren Folgeasylantrag ablehnenden Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 03.02.2003, gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylVfG nicht mehr über eine Aufenthaltsgestattung für einen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und war vollziehbar ausreisepflichtig, nachdem die Frist für die Aussetzung der Abschiebung am 25.02.2004 abgelaufen war. Durch ihren weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland erfüllte sie den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG.
Sie handelte auch vorsätzlich. Denn nach den Urteilsfeststellungen ist Frau H, nachdem die Aussetzungsfrist für ihre Abschiebung abgelaufen war, untergetaucht, um der Abschiebung zu entgehen. Sie wusste daher, dass sie zur Ausreise verpflichtet war und ihr in der Bundesrepublik kein Aufenthaltsrecht mehr zustand. Ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung ist grundsätzlich in den Fällen nicht gegeben, in denen der Ausländer untergetaucht ist und die Ausländerbehörde wegen des ihr unbekannten Aufenthalts des Ausländers eine Duldung gar nicht erteilen kann (vgl. BGH BeckRS 2004, 11740). Deshalb bedarf es bei der hier vorliegenden Sachverhaltsgestaltung nicht der ansonsten in der Regel gebotenen Prüfung, ob im Tatzeitraum die Voraussetzungen für die Erteilung einer ausländerrechtlichen Duldung materiell gegeben waren (vgl. BVerfG NStZ 2003, 488), was zur Folge hätte, dass eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Aufenthalts nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entfiele.
b) Nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte der Haupttäterin H in der Zeit vom 20.06.2006 bis zum 23.08.2006 Unterkunft gewährt und ihr darüber hinaus kleinere Geldbeträge für ihren Unterhalt zugewendet. Die Ansicht der Strafkammer, diese Unterstützungshandlungen könnten schon deshalb nicht als Beihilfehandlungen i. S. d. § 27 StGB gewertet werden, da die Haupttäterin H ohnehin und unabhängig von den Unterstützungsleistungen durch den Angeklagten fest zum Verbleib in der Bundesrepublik entschlossen gewesen sei, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist grundsätzlich jede Handlung als Hilfeleistung anzusehen, die die Herbeiführung des Taterfolges durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert; dass sie für den Eintritt des Erfolgs in seinem konkreten Gepräge kausal wird, ist nicht erforderlich. Anders liegt es nur, wenn der Beihilfehandlung jede Eignung zur Förderung der Haupttat fehlt oder sie erkennbar nutzlos für das Gelingen der Tat ist (vgl. BGH, Beschluss vom 02.09.2009 - 5 StR 266/09 -, BeckRS 2009 26714 m.w.N.).
Der Umstand, dass die Haupttäterin H nach den Urteilsfeststellungen unabhängig von den Hilfeleistungen des Angeklagten zu einer Fortsetzung des unerlaubten Aufenthaltes entschlossen gewesen war, steht daher einer Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beihilfe zu diesem unerlaubten Aufenthalt nicht entgegen. Denn nach allgemeinen Regeln muss die Hilfeleistung nicht conditio sine qua non für die Begehung bzw. Fortsetzung der Haupttat sein (BGH, a.a.O., OLG Köln, NStZ-RR 2003, 184; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2005, 184; König, NJW 2002, 1623; Fischer, StGB, 57. Aufl., § 27 Rdnr. 8). Diese allgemeinen Regeln gelten auch bei einem Dauerdelikt wie dem unerlaubten Aufenthalt gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Beihilfe zu einem Dauerdelikt kann auch noch nach dessen Beginn während seiner Begehung so lange geleistet werden, wie der Haupttäter den rechtswidrigen Dauerzustand nicht beendet. Ausreichend ist insoweit, dass durch die Unterstützungshandlungen des Gehilfen der Entschluss zur Fortsetzung des Dauerdeliktes, auch wenn er vorher bereits gefasst gewesen sein mag, bestärkt und konkretisiert wird
(vgl. BGH, Urteil vom 31.07.2003 – 5 StR 251/03 - = NStZ 2004, 44).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die von dem Angeklagten geleisteten Unterstützungshandlungen objektiv als Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt der Haupttäterin H zu werten. Denn er hat dieser Unterkunft gewährt und zur Sicherstellung ihres Lebensunterhaltes durch die gelegentliche Zuwendung kleinerer Geldbeträge beigetragen. Es liegt auf der Hand, dass er hierdurch die Verletzung der Ausreisepflicht durch die Haupttäterin und deren illegalen Aufenthalt objektiv gefördert und erleichtert hat (vgl. BGH, a.a.O.; König, NJW 2002, 1623).
bb) Das Handeln des Angeklagten ist auch nicht aufgrund seiner Gewissensfreiheit als gerechtfertigt anzusehen. Denn aus der Gewissensfreiheit lässt sich kein Recht zur eigenmächtigen Korrektur staatlicher Entscheidungen herleiten (Muckel, NJW 2000, 689). Zudem kollidiert die Gewissensfreiheit hier mit der Ausgestaltung der staatlichen Asylgewährung nach Art. 16a GG.
cc)
Es ist jedoch anerkannt, dass nicht jede Handlung, die sich im Ergebnis objektiv tatfördernd auswirkt, als (strafbare) Beihilfe gewertet werden kann. Vielmehr bedarf es insbesondere in Fällen, die sog. "neutrale" Handlungen betreffen, einer bewertenden Betrachtung im Einzelfall (BGH NJW 2003, 2996)
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes handelt es sich hierbei im Wesentliche um ein Problem des subjektiven Tatbestandes (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 27 Rdnr. 18 m. w. N.). Der Bundesgerichtshof hat in den Fällen berufstypischer neutraler Handlungen folgende Grundsätze aufgestellt: Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weiß dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag in jedem Fall als strafbare Beihilfehandlung zu werten. Denn unter diesen Voraussetzungen verliert sein Tun stets den "Alltagscharakter"; es ist als "Solidarisierung" mit dem Täter zu deuten. Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, hält er es lediglich für möglich, dass sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird, so ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen, es sei denn, das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten war derart hoch, dass er sich mit seiner Hilfeleistung "die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein" ließ (BGHSt 46, 107, 112; BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 20).
In den Fällen, in denen nicht eine "berufstypische", sondern vielmehr eine neutrale Alltagshandlung ohne berufstypischen Bezug vorliegt, bedarf die Beurteilung, ob eine strafbare Beihilfe vorliegt, einer besonders eingehenden Prüfung. Die entwickelten Grundsätze zu den berufstypischen neutralen Handlungen sind jedoch auch hier grundsätzlich anwendbar.
Eine entsprechende Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, dass die Haupttäterin bereits allein durch ihre weitere Anwesenheit in der Bundesrepublik Deutschland den Tatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (weiterhin) erfüllte, was dem Angeklagten nach den getroffenen Feststellungen auch bekannt war. Die Unterstützungshandlungen, wie die Gewährung von Unterkunft und die Zuwendung von kleineren Geldbeträgen, wurden daher nicht unabhängig von der aufenthaltsrechtlichen Situation der H gewährt, sondern in Kenntnis ihrer Ausreiseverpflichtung und dienten unmittelbar der Förderung, der Aufrechterhaltung und Fortsetzung dieses illegalen Aufenthaltes. Für den Angeklagten konnte daher nicht zweifelhaft sein, dass seine Unterstützungsleistungen zur weiteren Verwirklichung des Dauerdelikts des unerlaubten Aufenthalts durch die Haupttäterin H in Anspruch genommen wurden. Eine legale Möglichkeit, die Hilfeleistungen des Angeklagten zu nutzen, bestand für die Haupttäterin praktisch nicht.
dd) Der Bundesgerichtshof hat bei der Unterkunftsgewährung an einen Ausländer, der sich unerlaubt in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, allerdings die Möglichkeit einer straflosen Unterstützungshandlung für den Fall in Erwägung gezogen hat, dass sich der Unterstützende darauf beschränkt, dem Ausländer eine Unterbringung in menschenunwürdigen Verhältnissen ersparen, und zwar unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass der Ausländer in jedem Fall entschlossen gewesen wäre, seiner Ausreisepflicht zuwiderzuhandeln (vgl. BGH NJW 1990, 2207). Ob eine Beherbergung oder auch eine sonstige Unterstützung eines ausreisepflichtigen Ausländers nur aus humanitären Gründen bereits objektiv keine Beihilfehandlungen i. S. d. § 27 StGB darstellen (vgl. insoweit König NJW 2002, 1623, wonach der vorgenannten Entscheidung des Bundesgerichtshofes der Gedanke zugrunde liegt, dass im weitesten Sinne sozialadäquate Verhaltensweisen aus dem Bereich der strafbaren Beihilfe herausgenommen werden sollen) , oder ob es bei einer solchen Fallgestaltung an dem erforderlichen Gehilfenvorsatz mangelt oder ob Unterstützungshandlungen mit ausschließlich dieser Motivation als gerechtfertigt oder entschuldigt anzusehen sind, lässt sich aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofes nicht eindeutig entnehmen. Diese Frage bedarf im vorliegenden Verfahren aber auch keiner abschließenden Entscheidung. Nach der Auffassung des Senats können nämlich humanitäre Gründe nur in Ausnahmefällen zur Straflosigkeit von Unterstützungshandlungen führen, etwa wenn die Hilfeleistungen der Behebung einer akuten Notsituation dienen und ihr Umfang nicht über das Maß der im Einzelfall gebotenen - in der Regel kurzfristigen - Nothilfemaßnahmen hinausgeht. Denn humanitären Gründen, die einer Abschiebung entgegen stehen können, wird durch gesetzlich geregelte Abschiebungshindernisse grundsätzlich abschließend und aus ausreichend Rechnung getragen. Diese durch den Gesetzgeber getroffene Bewertung ist zu respektieren und zu beachten und darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass an deren Stelle die eigene Vorstellung gesetzt und verwirklicht wird.
Das objektive Vorliegen einer Notsituation in dem oben erörterten Sinn lässt sich hier den Urteilsfeststellungen aber nicht entnehmen. Ein zwei Monate andauernde Gewährung von Unterkunft, die allein darauf beruhte, dass die sich unerlaubt in der Bundesrepublik aufhaltende Ausländerin nicht eher bereit war, ihrer Ausreispflicht nachzukommen und die somit längerfristig darauf angelegt war, die bestehende Ausreisepflicht zu konterkarieren, kann jedenfalls nicht mehr als Unterstützungshandlung, die aus ausschließlich humanitären Gründen in einer akuten Notsituation geboten war, angesehen werden.
Abgesehen davon ist es im vorliegenden Verfahren angesichts der Mitwirkung des Angeklagten in dem "Netzwerk Kirchenasyl" auch naheliegend, dass er sich bewusst war, dass er durch seine Unterstützungshandlungen an der Straftat der Haupttäterin mitwirkte und sich dadurch strafbar machte. Angesichts dessen ist es eher fernliegend, dass er diese Gesichtspunkte nicht bedacht hat, sondern ausschließlich den Willen hatte, der Haupttäterin eine menschenunwürdige Unterbringung zu ersparen, zumal sich konkrete Anhaltspunkte dafür, dass in Bezug auf Frau H diese Gefahr bestand, aus dem Urteil nicht entnehmen lassen.
ee) Zur subjektiven Seite hat das Landgericht bisher keine Feststellungen getroffen.
Insoweit ist anzumerken, dass Gehilfenvorsatz vorliegt, wenn der Gehilfe die Haupttat in ihren wesentlichen Merkmalen kennt und in dem Bewusstsein handelt, durch sein Verhalten das Vorhaben des Haupttäters zu fördern (BGHR StGB § 27 Abs. 1 - Vorsatz 2); Einzelheiten der Haupttat braucht er nicht zu kennen (BGHR a. a. O. - Vorsatz 7). Ob der Gehilfe den Erfolg der Haupttat wünscht oder ihn lieber vermeiden würde, ist nicht entscheidend. Es reicht, dass die Hilfe an sich geeignet ist, die fremde Haupttat zu fördern oder zu erleichtern, und dass der Hilfeleistende dies weiß. Unter dieser Voraussetzung ist der Vorsatz selbst dann nicht in Frage gestellt, wenn der Gehilfe dem Täter ausdrücklich erklärt, er missbillige die Haupttat (BGHR aaO - Vorsatz 5 m. w. N.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kommt durchaus ein vorsätzliches Handeln des Angeklagten in Betracht. Der Angeklagte wusste nach den Urteilsfeststellungen, dass Frau H kein Aufenthaltsrecht mehr hatte und zur Ausreise verpflichtet war und sich deshalb illegal in der Bundesrepublik Deutschland aufhielt. Ebenso wusste er, dass seine Unterstützungshandlungen zur Förderung der Haupttat geeignet waren.
Soweit in dem angefochtenen Urteil mitgeteilt wird, dass der Angeklagte befürchtete, ohne seine Unterstützungshandlung werde H ihren weiteren Aufenthalt durch Straftaten bestreiten, ist dies an Hand der Urteilsgründe, die keine konkreten Gründe für eine solche Annahme anführen, nicht nachvollziehbar. Die Annahme beruht ersichtlich auf der Einlassung des Angeklagten. Insoweit ist allerdings anzumerken, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, eine unwiderlegbare Einlassung auch als glaubhaft anzusehen.
Der Angeklagte kann sich auch nicht mit Erfolg auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum i. S. des § 17 StGB berufen. Denn der Angeklagte hat sich nicht mit der möglichen Rechtswidrigkeit seines Tuns auf der Grundlage der Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft, in der er lebt (vgl. Fischer, a.a.O. § 17 Rdnr. 8), auseinandergesetzt, sondern hat eine ausschließlich an seinem Gewissen orientierte Entscheidung getroffen.
Das angefochtene Urteil konnte daher keinen Bestand haben und war, wie geschehen, an das Landgericht Bielefeld zurückzuverweisen.

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