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Entscheidungen

Verwaltungsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis, Bindungswirkung, rechtskräftiges Straferkenntnis

Gericht / Entscheidungsdatum: VG Karlsruhe, Beschl. v. 23.01.2025 - 9 K 7272/24

Leitsatz des Gerichts:

1. Die Fahrerlaubnisbehörde dürfte auch bei einer Maßnahme nach § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG an eine rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder Ordnungswidrigkeit tatbestandlich gebunden sein. Der Ausschluss von § 2a Abs. 2 StVG in § 2a Abs. 5 Satz 4 StVG dürfte dahingehend zu verstehen sein, dass (lediglich) der gestufte Maßnahmenkatalog nach § 2a Abs. 2 Satz 1 nicht zur Anwendung kommen soll.
2. Im Anwendungsbereich von § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG dürfte eine unmittelbare Entziehung der Fahrerlaubnis ohne vorherige Anordnung der Beibringung eines Gutachtens allenfalls unter ganz besonderen (atypischen) Umständen (hier verneint) in Betracht kommen.


In pp.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Ziffern 1 und 2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 04.11.2024 wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, den Führerschein (Nummer: XXX) an den Antragsteller herauszugeben.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 04.11.2024 wiederherzustellen, hat Erfolg.

Die Kammer legt das geäußerte Rechtsschutzbegehren gemäß den §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO unter Einbeziehung der Antragsbegründung dahingehend aus, dass der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 04.11.2024 ausgesprochene und für sofort vollziehbar erklärte Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen B, L und M (Ziffer 1 des Bescheids) und gegen die Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheins (Ziffer 2 des Bescheids) sowie die Rückgabe seines Führerscheins im Wege der Vollzugsfolgenbeseitigung (§ 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO) begehrt.

Da der Antragsteller seinen Führerschein ausweislich der Verwaltungsakte bereits bei der Antragsgegnerin abgegeben hat, besteht ein anerkennungswürdiges rechtliches Bedürfnis für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im Sinne einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bezüglich der Androhung von Vollstreckungsmaßnahmen (Ziffer 4 des Bescheids) über den als gestellt anzusehenden Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch hinaus nicht mehr.

Der Antrag kann sachdienlich auch nicht dahingehend verstanden werden, dass er gegen die Festsetzung der Gebühren (Ziffer 5 des Bescheids) gerichtet wäre. Zwar erstrecken sich Widerspruch und Anfechtungsklage kraft Gesetzes auch auf die Gebühren- und Auslagenentscheidung (vgl. § 24 Satz 2 LGebG), die gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO von Gesetzes wegen sofort vollziehbar ist. Mangels Vortrags hierzu sowie insbesondere wegen des nach Aktenlage bislang nicht ersichtlichen Aussetzungsantrags bzw. mangels einer drohenden Vollstreckung i.S.v. § 80 Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO ist aber nicht davon auszugehen, dass sich der vorläufige Rechtsschutzantrag auch gegen die Kostenanforderung richten soll (vgl. zu einem ähnlichen Sachverhalt auch VG Freiburg, Beschluss vom 24.04.2024 - 6 K 931/24 -, juris Rn. 8). Hierfür spricht auch der von dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers formulierte Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs „wiederherzustellen“, nicht hingegen, diesen anzuordnen.

Der so verstandene Antrag ist zulässig und begründet.

1. Der nach § 123 Abs. 5, § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis gerichtete Antrag ist statthaft, weil die aufschiebende Wirkung der Klage durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Verfügung zur Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) entfallen ist. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO kann der Antrag auch bereits vor Erhebung der Anfechtungsklage erhoben werden, wenn - wie hier - die Erhebung des Widerspruchs unter dem 14.11.2024 ersichtlich fristwahrend erfolgte und der streitbefangene Bescheid mithin noch nicht in Bestandskraft erwachsen ist. Der als Annexantrag gestellte Vollzugsfolgenbeseitigungsantrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. „Vollziehung“ meint hier nicht nur die behördliche Vollziehungsmaßnahme selbst, sondern erfasst nach zutreffender Ansicht auch die freiwillige Befolgung des Verwaltungsakts (vgl. Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 80 Rn. 116).

2. Der Antrag ist auch begründet.

Soweit die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs - wie hier hinsichtlich der im angefochtenen Bescheid vom 04.11.2024 ausgesprochenen Entziehung der Fahrerlaubnis - gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO aufgrund einer durch die Behörde angeordneten sofortigen Vollziehung entfällt (Ziffer 3 des Bescheids), kann das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO wiederherstellen, wenn entweder die Anordnung der sofortigen Vollziehung in formell rechtswidriger Weise erfolgt ist (dazu unter a]) oder das Suspensivinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollziehungsinteresse überwiegt (dazu unter b]).

a) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, weil die Antragsgegnerin sinngemäß zum Ausdruck gebracht hat, dass die weitere Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr ein Gefahrenrisiko darstellt und jederzeit in einen entsprechenden Schaden umschlagen könnte. Dabei genügt es insoweit regelmäßig, wenn die Behörde deutlich macht, dass ihr der Ausnahmecharakter der Anordnung der sofortigen Vollziehung vor Augen stand und aus ihrer Sicht die Gründe für die Fahrerlaubnisentziehung zugleich die Dringlichkeit der Vollziehung begründen.

Diese Anforderungen sind hier gewahrt. Die hohe Bedeutung der Sicherheit des Straßenverkehrs und das erhebliche Gefährdungspotential ungeeigneter Verkehrsteilnehmer rechtfertigt in der Regel nicht nur den Erlass gefahrenabwehrender Ordnungsverfügungen, sondern auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Denn die für den Bereich des Fahrerlaubnisrechts spezifischen Gefahren liegen nicht in bestimmter Zukunft, sondern können sich jederzeit - auch sofort - realisieren. Daraus folgt auch, dass sich die Begründung für die Ordnungsverfügung selbst und diejenige für die sofortige Vollziehung in der Regel weitgehend decken. Eine gewisse Redundanz und Formelhaftigkeit der Begründung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist überdies unvermeidlich und rechtfertigt nicht den Schluss, die Fahrerlaubnisbehörde habe nicht einzelfallbezogen die für oder gegen den Sofortvollzug sprechenden Umständen abgewogen (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 14.03.2017 - 16 B 1300/16 -, juris und vom 07.04.2014 - 16 B 89/14 -, juris Rn. 4).

b) Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist jedoch deshalb auszusprechen, weil das Suspensivinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung des Bescheids überwiegt.

Bei dieser Abwägung überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug regelmäßig dann, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig, ein hiergegen eingelegter Rechtsbehelf mithin offensichtlich aussichtslos ist. Denn an der alsbaldigen Vollziehung eines vom Betroffenen offensichtlich zu Unrecht angegriffenen Verwaltungsakts besteht grundsätzlich ein besonderes öffentliches Interesse. Andererseits ist ein überwiegendes Interesse des Betroffenen an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in der Regel dann anzunehmen, wenn sich schon bei der im Rahmen dieses Eilverfahrens allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung ergibt, dass der eingelegte Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren offensichtlich zum Erfolg führen wird, weil an der sofortigen Vollziehung offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte regelmäßig kein öffentliches Interesse besteht, was sich bereits aus Art. 20 Abs. 3 GG ergibt. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dagegen offen, sind die sonstigen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen und die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs ist wiederherzustellen, wenn das öffentliche Vollzugsinteresse das Suspensivinteresse des Betroffenen nicht überwiegt. Die gerichtliche Prüfung fahrerlaubnisrechtlicher Entziehungsverfügungen ist in zeitlicher Hinsicht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde auszurichten (vgl. BVerwG, Urteile vom 27.09.1995 - 11 C 34.94 -, juris Rn. 9 und vom 23.10.2014 - 3 C 3.13 -, juris Rn. 13). In Ermangelung eines abgeschlossenen Widerspruchsverfahrens ist hier auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen.

Gemessen an diesen Maßstäben ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die in Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids ausgesprochene Fahrerlaubnisentziehung wiederherzustellen, weil sich diese bei der im hiesigen Eilverfahren lediglich möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig erweist. Dementsprechend wird der erhobene Anfechtungswiderspruch - und eine gegebenenfalls darüber hinaus zu erhebende Anfechtungsklage - voraussichtlich Erfolg haben. Der streitgegenständliche Bescheid leidet zwar nicht an beachtlichen formellen Fehlern, hält aber einer materiell-rechtlichen Überprüfung im Eilverfahren nicht stand.

Formelle Fehler der angefochtenen Verfügung sind zwar nicht ersichtlich, insbesondere wurde der Antragsteller vor deren Erlass mit Schreiben vom 23.08.2024 angehört.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins erweisen sich jedoch bei summarischer Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung unter Berücksichtigung der materiell-rechtlichen Vorgaben nach § 2a Abs. 5 Satz 5, § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 3 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV voraussichtlich als rechtswidrig.

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder als nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies ist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann der Fall, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4 bis 6 FeV vorliegen oder aber, wenn der Fahrerlaubnisinhaber erheblich bzw. wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen hat und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.

Kann die Fahrerlaubnisbehörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht bereits rechtsfehlerfrei von einer Nichteignung des Betroffenen ausgehen (§ 11 Abs. 7 FeV), stehen ihr grundsätzlich die gemäß § 46 Abs. 3 FeV entsprechend anwendbaren Ermittlungsinstrumente der §§ 11 bis 14 FeV, namentlich das fachärztliche Gutachten und die medizinisch-psychologische Untersuchung, zur Verfügung. Nach der Spezialregelung in § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG hat die zuständige Behörde nach der Neuerteilung einer in der Probezeit entzogenen Fahrerlaubnis in der Regel die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anzuordnen, sobald der Inhaber einer Fahrerlaubnis innerhalb der neuen Probezeit erneut eine schwerwiegende, oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen begangen hat. Wenn sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen, oder das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt, darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV).

Ausgehend hiervon begegnet die Entziehung der Fahrerlaubnis (Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids) rechtlichen Bedenken. Der Antragsteller hat nach der Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis, auf die er in der „ersten“ Probezeit verzichtet hatte, innerhalb der „neuen“ Probezeit erneut eine schwerwiegende Zuwiderhandlung begangen. Damit ist hier der Anwendungsbereich von § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG eröffnet. Die Antragsgegnerin hat jedoch von der dort für den Regelfall vorgesehen Anordnung der Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung abgesehen und die Fahrerlaubnis unmittelbar entzogen; dieses Vorgehen erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig.

Hierzu im Einzelnen:

Der Anwendungsbereich des § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG ist eröffnet.

Der Antragsteller war zum Zeitpunkt der maßgeblichen Zuwiderhandlung Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe im Sinne des § 2a StVG. Der auf spezifische Anfängersituationen zugeschnittene Maßnahmenkatalog nach § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG findet jedoch nur auf die erste Probezeit eines Fahranfängers Anwendung. Ist diese Probezeit durch Entziehung oder Verzicht - Letzteres ist hier der Fall - gemäß § 2a Abs. 1 Satz 6 StVG vorzeitig beendet worden, beginnt mit der späteren Neuerteilung der Fahrerlaubnis gemäß § 2a Abs. 1 Satz 7 StVG eine neue Probezeit im Umfang der Restdauer der ersten Probezeit (zweite Probezeit). Auf sie findet § 2a Abs. 2 StVG keine Anwendung, wenn die Fahrerlaubnis entzogen worden ist (§ 2a Abs. 5 Satz 4 StVG). Der Gesetzgeber ist insoweit davon ausgegangen, dass in einer Konstellation, in der die Fahrerlaubnis bereits während der Probezeit entzogen worden ist, der Fahranfänger sich aber nach der Neuerteilung erneut nicht bewährt hat, kein Raum mehr für die nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 2 StVG vorgesehenen Hilfen ist, sondern sich unmittelbar die Frage nach der allgemeinen Eignung des Fahrerlaubnisinhabers stellt (vgl. BT-Drs. 10/4490, S. 20; siehe auch VGH BW, Beschluss vom 17.10.2022 - 13 S 1790/22 -, juris Rn. 11). Gemäß § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG hat die Fahrerlaubnisbehörde in der Regel die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anzuordnen, sobald der Inhaber einer Fahrerlaubnis innerhalb der „zweiten“ Probezeit, die nach der gesetzgeberischen Wertung des § 2a Abs. 5 Satz 4 FeV eine nochmalige Privilegierung nach § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG nicht zulässt, erneut eine schwerwiegende, oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen begangen hat. Die Einordnung der Zuwiderhandlung ergibt sich dabei aus § 34 FeV nebst der Anlage 12 FeV. Im Übrigen greifen die Regelungen des § 2a Abs. 5 Sätze 4 und 5 StVG auch dann ein, wenn die Fahrerlaubnis während der ersten Probezeit nicht entzogen wurde, sondern der Betroffene - wie hier der Antragsteller - auf diese Verzichtet hat und so einer Entziehung zuvorgekommen ist (siehe hierzu ausführlich unter Klärung dieser zuvor umstrittenen Rechtsfrage: BVerwG, Urteil vom 10.10.2024 - 3 C 3.23 -, juris Rn. 11 ff.).

Vorliegend wurde die ursprünglich zweijährige Probezeit des Antragstellers (§ 2a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 StVG), welche mit der Erteilung der Fahrerlaubnis am 08.06.2020 begonnen hatte, durch die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar vom 14.10.2020 nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG i.V.m. § 35 FeV gemäß § 2a Abs. 2a Satz 1 StVG bis zum 08.06.2024 verlängert. Die so verlängerte Probezeit endete nach § 2a Abs. 1 Satz 6 StVG indessen vorzeitig durch den am 30.01.2023 erklärten Verzicht auf die ursprünglich durch den Antragsteller besessene Fahrerlaubnis und lief nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis am 26.02.2024 gemäß § 2a Abs. 1 Satz 7 FeV im Umfang ihrer Restdauer bis einschließlich 07.07.2025 weiter.

Noch währenddessen hat der Antragsteller am 28.02.2024 einen Verkehrsverstoß begangen, indem er als Führer eines Kraftfahrzeugs ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, in vorschriftswidriger Weise verwendete (§ 23 Abs. 1a, § 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO). Dieser Verkehrsverstoß ist als schwerwiegende Zuwiderhandlung im Sinne des § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG zu qualifizieren (§ 34 Abs. 1 FeV i.V.m. Abschnitt A Nr. 2.1 der Anlage 12 zur FeV). Die in der Anlage 12 zu § 34 FeV generalisierend getroffene Bewertung der Zuwiderhandlungen ist abschließend und lässt keinen Raum für eine eigenständige Beurteilung der Gewichtigkeit einer Zuwiderhandlung durch die zuständige Fahrerlaubnisbehörde bzw. die Gerichte (vgl. VGH BW, Beschlüsse vom 11.08.2009 - 10 S 839/09 -, juris Rn. 4 und vom 23.08.2011 - 10 S 1809/10 -, juris Rn. 12; Bay. VGH, Beschluss vom 26.02.2007 - 11 ZB 06.2630 -, juris Rn. 12).

Dabei kommt es auch nicht darauf an, dass der Antragsteller im vorliegenden Verfahren vorträgt, er habe sein Handy am 28.02.2024 nicht vorschriftswidrig bedient. Denn der entsprechende Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 28.03.2024 ist seit dem 05.06.2024 rechtskräftig. Gemäß § 2a Abs. 2 Satz 2 StVG ist die Fahrerlaubnisbehörde an die vorangegangene rechtskräftige Entscheidung über die Zuwiderhandlung gebunden. Indem das erkennende Gericht die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung kontrolliert, ist mittelbar also auch das Gericht an die vorangegangene rechtskräftige Entscheidung über die Zuwiderhandlung gebunden. Der Ausschluss von § 2a Abs. 2 StVG in § 2a Abs. 5 Satz 4 StVG ist teleologisch reduziert dahingehend auszulegen, dass lediglich der gestufte Maßnahmenkatalog nach Satz 1 nicht zur Anwendung kommen soll. Zwar differenziert der Wortlaut von § 2a Abs. 5 Satz 4 StVG nicht zwischen Satz 1 und Satz 2 des § 2a Abs. 2 StVG. Da die Bindungswirkung - mit kleineren Einschränkungen - jedoch bereits Stand der Rechtsprechung war (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 20.04.1994 - 11 C 54.92 -, juris Rn. 14; BVerwG, Urteil vom 22.03.1995 - 11 C 3.94 -, juris Rn. 7), bevor § 2a Abs. 2 Satz 2 StVG durch das StVGuaÄndG vom 24.04.1998 mit Wirkung zum 01.01.1999 angefügt worden ist, spricht alles dafür, dass der Gesetzgeber bei dieser Ergänzung schlicht die notwendige Anpassung von § 2a Abs. 5 Satz 4 StVG versäumt hat (vgl. Trésoret in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., Stand: 15.11.2023, § 2a StVG, Rn. 330). Denn es ist kein Grund ersichtlich, warum der Gesetzgeber hinsichtlich der Bindungswirkung zwischen der ersten Probezeit nach § 2a Abs. 1 Satz 1 StVG und einer neuen Probezeit nach § 2a Abs. 1 Satz 7 StVG eine Differenzierung hätte vornehmen wollen. Ein solcher findet sich auch nicht in der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 13/6914, S. 67). Sinn und Zweck der Anordnung in § 2a Abs. 5 Satz 4 StVG ist der Ausschluss des gestuften Maßnahmenkatalogs, indem sich aufgrund der erneuten Zuwiderhandlung(en) nach dem bereits einmal erfolgten Entzug in der ersten Probezeit unmittelbar die durch ein Gutachten zu klärende Frage nach der Fahreignung des Betroffenen stellt (vgl. BT-Drs. 10/4490, S. 20), nicht hingegen der Ausschluss der Bindungswirkung (vgl. zu alledem auch VG Köln, Beschluss vom 22.04.2022 - 23 L 451/22 -, juris Rn. 21).

Steht dieser Sachverhalt damit fest, eröffnet § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG der Antragsgegnerin zwar einen gewissen Ermessensspielraum, der Wortlaut („hat […] in der Regel“) weist jedoch eindeutig auf eine Fallgruppe des sogenannten intendierten Ermessens hin. Dabei handelt es sich um ein gesetzgeberisches Instrument zur Feinsteuerung des Ermessens in denjenigen Fällen, in denen die Ermessensausübung in der Regel zu einem bestimmten - dem „intendierten“ - Ergebnis führen soll. Damit hat § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG den Charakter einer Sollvorschrift. Diese gesetzliche Ausgestaltung stellt dabei klar, dass die Fahrerlaubnisbehörde in aller Regel die Beibringung des Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anzuordnen hat und nur in atypischen Fällen hiervon abgesehen werden kann (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 23.10.2008 - 11 CS 08.2017 -, juris Rn. 13; VG Stuttgart, Beschluss vom 22.07.2022 - 1 K 2840/22 -, BeckRS 2022, 29220 Rn. 17, bestätigt durch VGH BW, Beschluss vom 17.10.2022 - 13 S 1790/22 -, juris Rn. 10; VG Trier, Beschluss vom 14.03.2019 - 1 L 545/19.TR -, juris Rn. 36). Im Gegensatz zu einer gebundenen Vorschrift bleibt dem Normadressaten so jedenfalls noch die Möglichkeit, auf atypische Ausnahmesituationen zu reagieren. Hierzu hat das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 04.09.2009 - 2 WD 17/08 -, juris Rn. 14) ausgeführt:

„Trotz der im Gesetzeswortlaut verwendeten Formulierung (‚sollen‘) handelt es sich bei dieser Regelung nicht um eine bloße Ordnungsvorschrift. ‚Soll‘-Vorschriften sind im öffentlichen Recht für die mit ihrer Durchführung betrauten öffentlichen Stellen rechtlich zwingend und verpflichten sie, grundsätzlich so zu verfahren, wie es im Gesetz bestimmt ist. Im Regelfall bedeutet das ‚Soll‘ ein ‚Muss‘.“

Vor diesem Hintergrund erweist es sich jedenfalls unter Würdigung der vorliegenden Umstände des Einzelfalles voraussichtlich als rechtswidrig, dass die Antragsgegnerin die für den Regelfall gesetzlich vorgesehene Gutachtenanordnung gleichsam „übersprungen“ und die Fahrerlaubnis unmittelbar entzogen hat.

Dass die Behörde gemäß § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG „in der Regel“ die Beibringung eines Gutachtens anzuordnen hat, bedeutet zunächst nur, dass geprüft werden muss, ob aufgrund einer besonderen Situation im Einzelfall von der Gutachtensanforderung abgesehen werden kann. Die Frage, ob ein Ausnahmefall vorliegt, ist gerichtlich voll überprüfbar. Dabei wird in der bisherigen Rechtsprechung der Ausnahmefall - soweit ersichtlich - nahezu ausschließlich dahingehend diskutiert, ob die Anordnung einer Begutachtung aus atypischen Gründen „zugunsten“ des Fahrerlaubnisinhabers zu unterbleiben hatte und damit die Fahrerlaubnis nicht entzogen werden durfte (vgl. etwa VG Stuttgart, Beschluss vom 22.07.2022 - 1 K 2840/22 -, BeckRS 2022, 29220 Rn. 16 f.). Eine Ausnahme von der Regel, dass in diesen Fällen eine medizinisch-psychologische Untersuchung anzuordnen ist, kommt demnach beispielsweise nur dann in Betracht, wenn die vorangegangene Entziehung der Fahrerlaubnis auf Probe nichts mit dem Verhalten des Betroffenen im Straßenverkehr zu tun hat oder sonst allein auf Umstände zurückzuführen ist, die beispielsweise in seiner gesundheitlichen Eignung liegen (vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 22.07.2022 - 1 K 2840/22 -, BeckRS 2022, 29220 Rn. 17; VG München, Beschluss vom 23.08.2013 - M 6a S 13.2788 -, juris Rn. 29), nicht aber im Hinblick auf die Art und Bedeutung der begangenen Zuwiderhandlungen (vgl. VGH BW, Beschluss vom 17.07.2000 - 10 S 617/00 -, juris Rn. 4; VG Trier, Beschluss vom 08.12.2016 - 1 L 8043/16.TR -, juris Rn. 27).

Zwar spricht Manches - insbesondere der Wortlaut des Gesetzes - dafür, dass umgekehrt auch von der Anordnung der Begutachtung nach § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG „zulasten“ des Fahrerlaubnisinhabers in Ausnahmefällen abgesehen und die Fahrerlaubnis unmittelbar entzogen werden kann, wie es hier von der Antragsgegnerin angenommen wird; ob die umfassende Auslegung der Vorschrift dieses bestätigt, bedarf im vorliegenden Eilverfahren aber keiner abschließenden Entscheidung (dies wohl bejahend: VG Berlin, Urteil vom 14.10.2016 - 4 K 325.15 -, juris Rn. 20; hierzu kritisch: Trésoret in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., Stand: 15.11.2023, § 2a StVG, Rn. 334; ebenfalls zurückhaltend: VG Magdeburg, Beschluss vom 19.01.2011 - 1 B 466/10 -, juris Rn. 14). Denn selbst wenn man ein dahingehendes Verständnis der Vorschrift als zutreffend unterstellt, wäre ein solcher Ausnahmefall, der die unmittelbare Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigt, hier nicht anzunehmen:

Dabei ist angesichts der klaren gesetzgeberischen Konzeption in § 2a StVG äußerste Zurückhaltung seitens der zuständigen Behörde sowie der Gerichte bei der Prüfung eines Ausnahmefalls geboten. Der Gesetzgeber ist insoweit davon ausgegangen, dass in einer Konstellation, in der die Fahrerlaubnis bereits während der Probezeit entzogen worden ist, der Fahranfänger sich aber nach der Neuerteilung erneut nicht bewährt hat, kein Raum mehr für die nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 2 StVG vorgesehenen Hilfen ist, sondern sich unmittelbar die Frage nach der allgemeinen Eignung des Fahrerlaubnisinhabers stellt (vgl. BT-Drs. 10/4490, S. 20; siehe auch VGH BW, Beschluss vom 17.10.2022 - 13 S 1790/22 -, juris Rn. 11). Demnach sieht der Gesetzgeber bereits in § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG eine deutliche Verschärfung gegenüber dem Vorgehen während der „ersten“ Probezeit sowie außerhalb der Probezeit. Nach § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG rechtfertigen die gesetzlich vorgegebenen Tatbestände, die im Vergleich zu den Verstößen bei der allgemeinen Eingriffsbefugnis des § 11 Abs. 3 FeV sowie den in § 13, 14 FeV normierten Tatbeständen relativ geringfügige Zuwiderhandlungen beschreiben, die unmittelbare Anordnung einer Begutachtung, die einen nicht unerheblichen Grundrechtseingriff bedeutet (vgl. hierzu auch Bay. VGH, Beschluss vom 27.10.2011 - 11 CS 11.1192 -, juris Rn. 13).

In Anbetracht dieser gesetzlichen Systematik kann allein beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG grundsätzlich kein Abweichen von der gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolge zulasten des Betroffenen erfolgen. So liegt der Fall aber hier, weil der Antragsteller nach der Neuerteilung der Fahrerlaubnis innerhalb der Restprobezeit „lediglich“ eine schwerwiegende Zuwiderhandlung begangen hat und damit (nur) der gesetzliche Regelfall des § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG vorliegt. Der vorliegende Sachverhalt ist damit auch nicht mit demjenigen vergleichbar, der der zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin (Urteil vom 14.10.2016 - 4 K 325.15 -, juris Rn. 20) zugrunde lag, weil der Betroffene dort nach der Neuerteilung der Fahrerlaubnis nicht nur eine, sondern sogar drei schwerwiegende Zuwiderhandlungen und eine weniger schwerwiegende Zuwiderhandlung begangen hat, hier jedoch zahlenmäßig nur eine schwerwiegende Zuwiderhandlung feststellbar ist. Darüber hinaus erweist sich die durch den Antragsteller begangene Zuwiderhandlung - hier das vorschriftswidrige Verwenden eines Handys im Straßenverkehr, welche mit einem Punkt geahndet wird - auch nicht als außergewöhnlich schwerwiegend.

Der von der Antragsgegnerin vorgebrachte Umstand, dass der Antragsteller erst wenige Wochen vor der erneuten Zuwiderhandlung positiv begutachtet worden war, vermag das Vorliegen eines atypischen Falls im Ergebnis nicht hinreichend zu begründen.

Dies ergibt sich bereits aus der gesetzgeberischen Konzeption des § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG sowie seiner systematischen Einbettung in die Regelungen zur Fahrerlaubnis auf Probe: Die Vorschrift betrifft stets Konstellationen, in denen der Fahranfänger seine Fahrerlaubnis während der Probezeit verloren hat, weil anderenfalls schon keine „zweite“ Probezeit nach Neuerteilung vorliegen würde. Als Verlusttatbestände kommen - neben dem hier einschlägigen § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG - insbesondere auch die in § 2a Abs. 5 Satz 1 StVG beispielhaft genannten Entziehungs- oder Widerrufskonstellationen in Betracht. All diesen Eingriffsnormen ist gemein, dass sie in der Regel schwerwiegende Verstöße gegen straßenverkehrsrechtliche Normen voraussetzen. Hieraus resultiert wiederum, dass auch die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in einer Vielzahl der Anwendungsfälle der späteren Anwendung des § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG von der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig gewesen ist (vgl. VG Trier, Beschluss vom 08.12.2016 - 1 L 8043/16.TR -, juris Rn. 28). Daher ist § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG grundsätzlich auch dann anzuwenden, wenn nach einer positiven medizinisch-psychologischen Untersuchung in der verlängerten Probezeit eine erneute schwerwiegende, oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen erfolgen (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 05.04.2022 - 6 L 55/22 -, juris Rn. 45).

Diese gesetzgeberische Ausgangslage wird durch die Funktion der medizinisch-psychologischen Untersuchung gestützt. Der Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG liegt der Gedanke zugrunde, dass sich Fahrerlaubnisinhaber auf Probe, die trotz erfolgter Fahrerlaubnisentziehung, trotz absolvierten Aufbauseminars und trotz erneuter Bewährungszeit wieder verkehrsauffällig werden, unbelehrbar zeigen und sich damit bei ihnen direkt die Eignungsfrage stellt (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13.07.2021 - 16 B 1944/20 -, juris Rn. 4). Von Gesetzes wegen ist jedoch nicht vorgesehen, dass diesen in der Regel die Fahrerlaubnis direkt zu entziehen wäre. Mit dem im Regelfall anzuordnenden Gutachten soll insbesondere geklärt werden, ob dem Ausgangsverhalten eine fehlerhafte Einstellung des Betroffenen gegenüber verkehrsrechtlichen Bestimmungen zugrunde liegt. Diese Frage stellt sich aber nicht nur bei einer erstmaligen Begehung von Zuwiderhandlungen. Vielmehr begründen auch innerhalb der neuen Probezeit erfolgte Zuwiderhandlungen, die nach einer vorherigen (positiven) Begutachtung begangen werden und damit neue Tatsachen darstellen, einen neuen Prüfungsanlass hinsichtlich der Kraftfahreignung (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 05.04.2022 - 6 L 55/22 -, juris Rn. 42).

Ausgehend von diesen Erwägungen kann die hier feststellbare zeitliche Nähe zwischen Gutachtenerstellung und erneuter Zuwiderhandlung während der zweiten Probezeit nach summarischer Prüfung keine sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis - wie hier verfügt - rechtfertigen. Zwar sieht die Kammer, dass die Aussagekraft des Anfang Februar 2024 erstellten Gutachtens durch die schon am 28.02.2024 begangene schwerwiegende Zuwiderhandlung durchaus erschüttert werden kann. Gleichwohl ist dies allein nach summarischer Prüfung nicht ausreichend, um vom gesetzlichen Regelfall einer sachverständigen Begutachtung abzuweichen und die - von der Antragsgegnerin hier vorgenommene - Entziehung der Fahrerlaubnis unmittelbar und ohne sachverständige Einschätzung vorzunehmen. Die vorherige sachverständige Begutachtung dürfte sowohl im Regel- als auch im vorliegenden Einzelfall sachgerecht sein, weil die Begehung einer schwerwiegenden Zuwiderhandlung schon aufgrund der gesetzlichen Systematik allein nicht geeignet sein dürfte, ein ausführlich begründetes Ergebnis einer Begutachtung zu widerlegen, vielmehr diese auf der neuen Tatsachengrundlage grundsätzlich (erneut) zu erfolgen hat.

Auch ist es nicht untypisch, dass im Falle der Neuerteilung der Fahrerlaubnis nur noch eine vergleichsweise kurze Restprobezeit verbleibt. Dies ergibt sich aus der Anrechnung der ersten Probezeit nach § 2a Abs. 1 Satz 7 StVG. Gerade vor diesem Hintergrund ist der Anwendungsbereich des § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG bereits sehr beschränkt, weil er voraussetzt, dass die erneute Zuwiderhandlung in der verbleibenden Restprobezeit begangen worden ist. Da diese meist nur noch einen vergleichsweise kurzen Zeitraum läuft, dürfte es - entgegen der Annahme der Antragsgegnerin - sogar den Regelfall darstellen, dass die erneute Zuwiderhandlung in einem vergleichsweise kurzen zeitlichen Abstand nach der Absolvierung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung begangen worden ist (vgl. VG Trier, Beschluss vom 08.12.2016 - 1 L 8043/16.TR -, juris Rn. 29). Der Gesetzgeber hat aber gerade für derartige Konstellationen durch die Schaffung des § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG entschieden, dass nicht das in § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG enthaltene abgestufte System der Reaktionen auf straßenverkehrsrechtliche Auffälligkeiten in der zweiten Probezeit angewandt werden soll. Vielmehr ist er insoweit bewusst davon ausgegangen, dass in der auch hier in Rede stehenden Konstellation kein Raum mehr für die nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 2 StVG vorgesehenen Hilfen ist und sich unmittelbar die Frage nach der allgemeinen Eignung des Fahrerlaubnisinhabers stellt und daher eine Begutachtung anzuordnen ist. Eine noch strengere Vorgehensweise, wie sie die Antragsgegnerin hier gewählt hat, hat der Gesetzgeber hingegen nicht vorgesehen. Schließlich kann auch berücksichtigt werden, dass der Antragsteller nach Aktenlage zwischen dem 28.02.2024 und der Entziehung seiner Fahrerlaubnis am 04.11.2024 keine weitere Zuwiderhandlung begangen hat.

Soweit die Antragsgegnerin der Sache nach auch die bereits während der „ersten“ Probezeit begangenen Verstöße des Antragstellers zur Begründung des atypischen Ausnahmefalls heranzieht, vermag auch dies die sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis im vorliegenden Fall nicht zu rechtfertigen. Denn nach der gesetzlichen Konzeption müssen denklogisch auch stets Verstöße während der ersten Probezeit vorliegen, um überhaupt eine „erste“ Entziehung der Fahrerlaubnis herbeizuführen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die erstmalige vorschriftswidrige Nutzung eines elektronischen Geräts im Straßenverkehr seitens des Antragstellers längere Zeit zurückliegt - sie erfolgte am 18.06.2020 und damit nahezu vier Jahre vor dem hier im Streit stehenden gleichgelagerten Verstoß -, sodass sich die von der Antragsgegnerin vorgebrachte Ungeeignet des Antragstellers jedenfalls nicht aufgrund einer offensichtlichen Unbelehrbarkeit aufdrängt. Auch der Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG, wonach Punkte für vor der Erteilung rechtskräftig gewordene Entscheidungen über Zuwiderhandlungen nicht mehr berücksichtigt werden dürfen, liegt die Vorstellung des Gesetzgebers zugrunde, dass der Betroffene nach einer Neuerteilung der Fahrerlaubnis nicht (mehr) mit Punkten belastet sein soll, wenn die Gründe, die zu der früheren Entziehung der Fahrerlaubnis geführt haben, im Zeitpunkt der Wiedererteilung ausgeräumt sind. Dies bedeutet, dass die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis gleichzeitig die Feststellung der Fahrerlaubnisbehörde beinhaltet, dass die zuvor beim Betroffenen bestandene Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr besteht; ihm soll ein unbelasteter „Neustart“ ermöglicht werden (vgl. BT-Drs. 17/12636, S. 39 f.; VG Karlsruhe, Urteil vom 02.12.2013 - 4 K 971/12 -, juris Rn. 18).

Soweit die Antragsgegnerin die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg zum Vorgehen der Behörde „außerhalb des Punktesystems“ (vgl. VGH BW, Beschluss vom 05.05.2014 - 10 S 705/14 -, juris Rn. 7) heranzieht und meint, der hiesige Fall einer sofortigen Entziehung der Fahrerlaubnis finde durch den parallel gelagerten Sachverhalt Rechtfertigung, teilt die Kammer diese Rechtsansicht nicht. Es fehlt an einer Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Zwar bewirkt die Neuerteilung der Fahrerlaubnis im Hinblick auf die Berücksichtigung rechtskräftig gewordener Entscheidungen über Zuwiderhandlungen in späteren, etwa auf § 3 Abs. 1 StVG gestützten Entziehungsverfahren nach herrschender Rechtsprechung keine absolute Zäsur (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 24.01.2022 - 11 CS 21.2810 -, juris Rn. 17; OVG NRW, Beschluss vom 17.02.2020 - 16 B 885/19 -, juris Rn. 7). Aber die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu einem Vorgehen außerhalb des Punktesystems können nicht ohne weiteres auf § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG übertragen werden, weil in den dortigen Fällen schon die frühzeitige Anordnung einer Begutachtung bei einem Fahrerlaubnisinhaber, der sich nach der Neuerteilung der Fahrerlaubnis nicht bewährt hat, den begründungsbedürftigen Ausnahmefall darstellt, wohingegen der Gesetzgeber die Gutachtenanordnung mit einer diesen Entscheidungen vergleichbaren Begründung in § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG als Regelfall vorsieht. Dementsprechend führt der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Beschluss vom 05.05.2014 - 10 S 705/14 -, juris Rn. 9) aus:

„Es würde die Belange der Verkehrssicherheit in unvertretbarem Maße missachten, wenn der Antragsteller, dem bereits einmal in vollem Umfang die Hilfestellungen nach dem Punktsystem, insbesondere eine förmliche Verwarnung und ein Aufbauseminar, zuteilgeworden sind, ein weiteres Mal sämtliche Sanktionsstufen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG durchlaufen müsste, ehe ihm erneut die Fahrerlaubnis entzogen werden kann. Denn es kann angesichts der Hartnäckigkeit und Unbeeindruckbarkeit des Antragstellers nicht erwartet werden, dass die Wiederholung der Maßnahmen nach dem Punktsystem zu einem ordnungsgemäßen Fahrverhalten führen werden.“

Im Übrigen betont auch die diesbezügliche Rechtsprechung, dass die Anordnung einer Begutachtung im Hinblick auf ihre Eingriffsintensität deutlich hinter der unmittelbaren Entziehung der Fahrerlaubnis zurückbleibt (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 07.08.2014 - 11 CS 14.352 -, juris Rn. 29, siehe auch die dortige Rn. 40: „Eine einzelne Verkehrsordnungswidrigkeit, die gerade einmal die Schwelle der Eintragungspflichtigkeit ins Verkehrszentralregister überschreitet, dürfte daher nur im äußersten Ausnahmefall Anlass für ein Vorgehen außerhalb des Punktsystems sein können.“). Selbst unter Heranziehung dieser Rechtsprechung wäre der Ausnahmefall daher hier nach summarischer Prüfung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht feststellbar. Schließlich kann die Vergleichbarkeit der Sachverhalte schon deshalb nicht festgestellt werden, weil der Gesetzgeber für Zuwiderhandlungen während der Probezeit bereits ein verschärftes Vorgehen - es genügt beispielsweise ein einzelner schwerwiegender Verstoß, wohingegen eine bestimmte Anzahl an Punkten nicht erforderlich ist - vorgesehen hat und insoweit vom Punktesystem zu unterscheidende (strengere) tatbestandliche Anknüpfungspunkte vorsieht. In diesem verschärften gesetzlichen System während der Probezeit bedarf es daher schon von Gesetzes wegen einer erhöhten Rechtfertigung, wenn man vom gesetzlichen Regelfall einer erneuten sachverständigen Begutachtung abweicht. Daher spricht die gesetzliche Systematik in erhöhtem Maße dafür, an ein behördliches Vorgehen außerhalb des in § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG bestimmten Regelfalls besonders hohe Anforderungen zu stellen. Diese sind hier aus den dargelegten Umständen nicht gegeben.

Vor diesem Hintergrund erweist sich die Anordnung der Führerscheinabgabe in Ziffer 2 des angegriffenen Bescheids bei summarischer Prüfung ebenfalls als rechtswidrig. Diese Verpflichtung setzt gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG und § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV eine rechtmäßige Entziehung der Fahrerlaubnis voraus, an der es nach den vorstehenden Ausführungen fehlt. Damit ist die Erfüllung dieser Verpflichtung durch Herausgabe des Führerscheins an den Antragsteller im Wege der Vollzugsfolgenbeseitigung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO in Verbindung mit dem bestehenden Folgenbeseitigungsanspruch des Antragstellers rückgängig zu machen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Der gemäß § 52 Abs. 1, 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG festgesetzte Streitwert entspricht in Anlehnung an Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der zuletzt am 18.07.2013 beschlossenen Änderungen der Hälfte des Betrags von 5.000,00 EUR, der im Hauptsacheverfahren anzusetzen ist. Dieser wäre nach § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. der Empfehlung in Nummer 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 festzusetzen (vgl. VGH BW, Beschluss vom 07.02.2024 - 13 S 1495/23 -, juris Rn. 17), sodass hier 2.500,00 EUR zu veranschlagen sind.


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