Gericht / Entscheidungsdatum: Hess. VGH, Beschl. v. 19.12.2024 – 10 B 1560/24
Leitsatz des Gerichts:
Auch bei der Anordnung einer Fahrtenbuchauflage mit einer Dauer von über einem Jahr werden je Monat 400,00 Euro festgesetzt; eine Reduzierung unterbleibt (anders noch Hess. VGH, Beschl. v. 20.01.2012 - 2 E 1890/11).
2. Bei einer sofort vollziehbaren Fahrtenbuchauflage unterbleibt regelmäßig die in Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs vorgesehene Reduzierung des Streitwerts aufgrund der faktischen Vorwegnahme der Hauptsache.
3. Festgesetzte Verwaltungskosten wirken sich streitwerterhöhend aus.
In pp.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 26. Juli 2024 - 2 L 954/24.KS - wird als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen die Ablehnung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die im Bescheid des Antragsgegners vom 20. Februar 2024 (datierend auf den 30. Januar 2024) enthaltene Kostenfestsetzung richtet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren und für das erstinstanzliche Verfahren wird – unter Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung – auf jeweils 7.218,36 Euro festgesetzt.
Gründe
1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 26. Juli 2024 - 2 L 954/24.KS - hat keinen Erfolg. Sie ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang bereits unzulässig (a). Im Übrigen ist die Beschwerde zwar zulässig, aber unbegründet (b).
Mit Bescheid vom 20. Februar 2024 (datierend auf den 30. Januar 2024) ordnete der Antragsgegner für das Fahrzeug der Antragstellerin mit dem amtlichen Kennzeichen X... die Führung eines Fahrtenbuchs für die Dauer von 18 Monaten an und setzte Kosten in Höhe von 73,45 Euro fest. Im Hinblick auf die Fahrtenbuchauflage ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehbarkeit an. Zur Begründung verwies der Antragsgegner auf einen am 7. September 2023 begangenen Verkehrsverstoß mit dem Fahrzeug der Antragstellerin. Die Feststellung des Fahrzeugführers sei nicht möglich gewesen. Dagegen hat die Antragstellerin Klage erhoben, die bei dem Verwaltungsgericht Kassel unter dem Aktenzeichen 2 K 479/24.KS geführt wird. Ferner hat sie beim Verwaltungsgericht Kassel um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Mit dem angegriffenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 20. Februar 2024 (datierend auf den 30. Januar 2024) wiederherzustellen bzw. anzuordnen, abgelehnt.
a) Die Beschwerde ist im Hinblick auf die Ablehnung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die im streitgegenständlichen Bescheid enthaltene Kostenfestsetzung bereits gemäß § 146 Abs. 4 Satz 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) unzulässig, weil sie bezüglich dieses teilbaren Streitgegenstandes nicht dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügt.
aa) Der Senat legt die Beschwerde der Antragstellerin nach §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO dahingehend aus, dass sie sich nicht allein gegen die seitens des Verwaltungsgerichts abgelehnte Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage betreffend die Fahrtenbuchauflage richtet, sondern auch gegen die abgelehnte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage betreffend der im Bescheid auch enthaltenen Kostenfestsetzung. Mangels ausdrücklicher Beschränkung der eingelegten Beschwerde auf die abgelehnte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage betreffend die Fahrtenbuchauflage und auch sonst hinreichend klarer Anhaltspunkte für eine Beschränkung, ist von einer umfassenden Beschwerde auszugehen.
bb) Zur Erfüllung der in § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genannten Darlegungsanforderungen müssen die der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden tragenden Überlegungen, die ein Beschwerdeführer in tatsächlicher und / oder rechtlicher Hinsicht für falsch oder unvollständig hält, genau bezeichnet und sodann im Einzelnen ausgeführt werden, warum diese unrichtig sind, welche rechtlichen Konsequenzen sich daraus ergeben und was richtigerweise zu gelten hat. Eine reine Bezugnahme auf erstinstanzliches Vorbringen genügt diesen Anforderungen ebenso wenig wie dessen schlichte Wiederholung (Hess. VGH, Beschluss vom 28. November 2022 - 1 B 1620/22 -, juris Rn. 26 m. w. N.).
Der innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) eingegangene Schriftsatz vom 27. August 2024 enthält keinerlei Vortrag im Hinblick auf die Kostenfestsetzung.
b) Hingegen zulässig, aber unbegründet ist die Beschwerde gegen die Ablehnung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die im Bescheid des Antragsgegners vom 20. Februar 2024 (datierend auf den 30. Januar 2024) enthaltene Fahrtenbuchauflage.
Das Vorbringen der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung, das den Umfang der Überprüfung des angefochtenen Beschlusses erster Instanz durch den Senat in der Sache bestimmt und zugleich begrenzt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt eine Aufhebung oder Abänderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zugunsten der Antragstellerin nicht. Ausgehend von den Ausführungen der Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 27. August 2024 hat das Verwaltungsgericht Kassel zu Recht abgelehnt, der Antragstellerin Eilrechtsschutz gegen die von dem Antragsgegner mit Bescheid vom 20. Februar 2024 (datierend auf den 30. Januar 2024) angeordnete Fahrtenbuchauflage zu gewähren. Die rechtliche Würdigung des Verwaltungsgerichts, die angefochtene Fahrtenbuchauflage erweise sich aller Wahrscheinlichkeit nach als rechtmäßig mit der Folge, dass die nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderliche Interessenabwägung zulasten der Antragstellerin ausfalle, ist auch im Lichte der Beschwerdebegründung nicht zu beanstanden.
Keinen Erfolg hat die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen, die unterbliebene Anhörung hätte im Gerichtsverfahren nicht geheilt werden können und es sei ihr Recht auf rechtliches Gehör im Vorfeld der Behördenentscheidung verletzt worden. Damit dringt die Antragstellerin bereits deshalb nicht durch, weil die Anhörung nicht unterblieben ist. Zwar datiert der streitgegenständliche Bescheid auf den 30. Januar 2024, jedoch handelt es sich hierbei um einen offenkundigen Schreibfehler. Ausweislich der dazugehörigen Postzustellungsurkunde datiert der Bescheid (mit identischem Aktenzeichen) nämlich auf den 20. Februar 2024 (Bl. 50 f. des Verwaltungsvorgangs). Vor dem Hintergrund, dass sich das an die Antragstellerin gerichtete Anhörungsschreiben vor dem Bescheid in der Behördenakte befindet (Bl. 43 des Verwaltungsvorgangs) und auf den 31. Januar 2024 datiert, ist offensichtlich, dass es sich bei dem Datum „30. Januar 2024“ auf dem Bescheid (Bl. 44 des Verwaltungsvorgangs) um einen Schreibfehler handelt und der Bescheid tatsächlich erst auf den 20. Februar 2024 datiert. Die Antragstellerin selbst hatte auch im erstinstanzlichen Verfahren keine fehlende Anhörung gerügt.
Soweit die Antragstellerin im Übrigen zum einen vorträgt, ihr Ehemann sei als Betroffener angehört worden, sodass ein in Betracht kommender Personenkreis bereits Anfang November 2023 ermittelt worden sei und zum anderen darauf verweist, dass die Ermittlung des Fahrzeugführers nicht unmöglich gewesen sei, sondern lediglich eine Internet-Recherche erforderlich gewesen wäre, wiederholt sie ihr Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren und genügt damit nicht den oben aufgezeigten Darlegungsanforderungen. Sie setzt sich nicht mit den ausführlichen und im Übrigen auch zutreffenden Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung im Hinblick auf die Tatbestandsvoraussetzung der Unmöglichkeit der Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften im Sinne von § 31a Abs. 1 Satz 2 Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) auseinander (S. 5 - 10 des angefochtenen Beschlusses).
Schließlich stufte das Verwaltungsgericht Kassel die Anordnung eines Fahrtenbuchs auch entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht als Sanktion gegen den Halter ein, sondern führte vielmehr zutreffend aus, dass die (gebotene) Anhörung zum Verkehrsverstoß für den Halter eine Obliegenheit begründet, an der Aufklärung des mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoßes soweit mitzuwirken, wie es ihm möglich und zumutbar ist.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung und die Änderung des Streitwertes für das erstinstanzliche Verfahren beruhen auf §§ 1 Abs. 2 Nr. 1, 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 63 Abs. 3 Satz 1, 52 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 und 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG).
Sie folgt den Nrn. 46.11 und 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 18. Juli 2013. Nach Nr. 46.11 sind in einem Hauptsacheverfahren pro Monat der Dauer der Fahrtenbuchauflage je Fahrzeug 400,00 Euro anzusetzen. Der Senat folgt dabei – wie bereits das Verwaltungsgericht – nicht der Rechtsprechungspraxis des 2. Senats (Hess. VGH, Beschluss vom 20. Januar 2012 - 2 E 1890/11 -, juris), wonach bei einer Fahrtenbuchauflage von über einem Jahr für jedes über das erste Jahr hinausgehende Jahr jeweils nur noch 1.000 Euro streitwerterhöhend berücksichtigt werden (so auch OVG NRW, Beschluss vom 6. Oktober 2023 - 8 B 960/23 -, juris Rn. 24; Bay. VGH, Beschluss vom 11. Juni 2024 - 11 CS 24.628 -, juris Rn. 24; VGH BW, Beschluss vom 10. Mai 2023 - 13 S 404/23 -, juris Rn. 19; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 31a StVZO Rn. 84 f.; Knop, in: Münchener Kommentar zum StVR, 1. Aufl. 2016, § 31a StVZO Rn. 46). Gegen eine streitwertreduzierende Berücksichtigung der zeitlichen Komponente – wie sie bisher vom 2. Senat praktiziert wurde – spricht, dass das Gerichtskostengesetz selbst eine Kostendegression vorsieht (Anlage 2 zu § 34 Abs. 1 Satz 3 GKG) und eine solche daher nicht bereits bei der Festsetzung des Streitwerts im Hinblick auf eine längere Dauer eines Verwaltungsaktes Berücksichtigung finden muss. Zudem ist eine Ermäßigung bei längeren Zeiträumen auch nicht sachgerecht, da sich keine geringere Beeinträchtigung ergibt, wenn die Fahrtenbuchanordnung über ein Jahr hinausgeht (so auch: Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 31a StVZO Rn. 84). Der nach dieser Maßgabe errechnete Gesamtbetrag von 7.200 Euro ist indes im Hinblick auf die faktische Vorwegnahme der Hauptsache nicht nach Nr. 1.5 des Streitwertkataloges zu halbieren, weil die Fahrtenbuchauflage ab dem Datum der Zustellung des streitgegenständlichen Bescheides angeordnet wurde und daher im Falle einer Stattgabe im Eilverfahren die Fahrtenbuchauflage im Hinblick auf deren angeordnete Dauer sowie die Verfahrenslaufzeiten eines Hauptsacheverfahrens faktisch leerlaufen würde (so im Ergebnis auch: VGH BW, Beschluss vom 15. April 2009 - 10 S 584/09 -, juris Rn. 9; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 31a StVZO Rn. 85; Knop, in: Münchener Kommentar zum StVR, 1. Aufl. 2016, § 31a StVZO Rn. 46).
Streitwerterhöhend wirkt sich nach § 39 Abs. 1 GKG, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG i. V. m. Nr. 1.1.1 des Streitwertkatalogs schließlich aus, dass sich die Antragstellerin auch gegen die Kostenfestsetzung im angegriffenen Bescheid in Höhe von 73,45 Euro wendet. Hiervon ist nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs ein Viertel zum Streitwert hinzuzuaddieren (18,36 Euro). Die Kostenfestsetzung bleibt nicht nach § 43 Abs. 1 GKG bei der Streitwertbemessung unberücksichtigt. Kosten im Sinne von § 43 Abs. 1 GKG sind zum einen Vermögensopfer, die der Vorbereitung eines konkret bevorstehenden Rechtsstreits dienen (beispielsweise Aufwendungen, die zur Feststellung, Sicherung, Durchsetzung oder Abwehr des Anspruchs erbracht werden, wie etwa Reisekosten, Verdienstausfall oder ähnliches) und Aufwendungen im Zusammenhang mit dem dem Anspruch zugrundeliegenden Rechtsverhältnis (Elzer, in: Toussaint, Kostenrecht, 54. Aufl. 2024, § 43 GKG Rn. 10). Verwaltungsgebühren und -auslagen, die dazu dienen, den Gebührenschuldner mit dem durch das Verwaltungsverfahren ausgelösten Verwaltungsaufwand kostenmäßig zu belasten, sind demnach keine Kosten im Sinne von § 43 Abs. 1 GKG (so auch BVerwG, Urteil vom 23. November 2011 - 8 C 18.10 -, juris Rn. 1 hinter Rn. 27; Hess. VGH, Urteil vom 20. Januar 2021 - 6 A 2755/16 -, juris nach Rn. 35; a. A. Nds. OVG, Beschluss vom 12. März 2020 - 12 OA 31/20 -, juris Rn. 6 unter Hinweis auf BFH, Beschluss vom 17. August 2012 - VIII S 15/12 -, juris Rn. 8 f., der jedoch explizit angegriffene Zinsen als Nebenforderung betrifft und gerade keine Festsetzung von Verwaltungskosten).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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